Teaser Bild des CORRECTIV Spotlight Newsletters

Liebe Leserinnen und Leser,

wir in der CORRECTIV-Redaktion denken – im Austausch mit Ihnen – viel darüber nach, worin eigentlich genau die Unzufriedenheiten der Menschen mit dem Staat liegen. Einiges davon kam im Spotlight in den vergangenen Wochen zur Sprache: die vernachlässigte Infrastruktur zum Beispiel. Oder das Fehlen einer Entschuldigungskultur bei Verantwortlichen in der Politik für Dinge, die nicht gelingen. 

Es gibt aber eine Sache, die viele Leute wahnsinnig aufregt, die wir bisher kaum zum Thema gemacht haben: die Bürokratie. Berge an Formularen, die man ausfüllen muss, wenn man etwas umsetzen will. Zwischen Behörden hin und her geschickt werden. Papier- statt Onlineanträge.

Ab heute wollen wir das Problem mit Ihnen gemeinsam angehen. Mehr dazu im Thema des Tages. Außerdem im Spotlight: Mein Kollege Jean Peters kommentiert in der „Werkbank“ die ab heute geltenden Grenzkontrollen – mit besonderem Augenmerk auf die Frage, was es für die Polizeibeamten im Einsatz heißt, dass die Rechtslage für diese Kontrollen gar nicht ganz klar ist. Und was beschäftigt Sie zum Wochenstart? Schreiben Sie mir: anette.dowideit@correctiv.org.

Thema des Tages: Bürokratie brechen

Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste

Bürokratie-Brecher: Bürokratie in der Jugendarbeit

Faktencheck: Alter Mythos: Nein, in Deutschland fahren keine schwarzen Wagen umher, die Organe entnehmen

Gute Sache(n): Wie wir weniger Müll produzieren • Verwaiste Kirchen beleben • Wie entsteht Geld?

CORRECTIV-Werkbank: Was die Grenzschließungen für Polizeibeamte heißen

Grafik des Tages: Armutsbetroffene haben weniger Vertrauen in Institutionen

Was drin steht:
Jede und jeder von Ihnen ist auf irgendeine Weise Alltags-Expertin: Vielleicht arbeiten Sie als Bäckerei-Fachverkäuferin und müssen jeden Tag komplexe Formulare fürs Gesundheitsamt ausfüllen? Oder vielleicht versuchen Sie schon seit Monaten, eine Wärmepumpe an Ihrem Haus zu installieren und warten auf die Genehmigung? Wir wollen Sie möglichst konkret erzählen lassen, an welche Bürokratie-Hürden Sie stoßen. Und vor allem: Welche Ideen Sie haben, wie es einfacher gehen könnte.

Vereitelter Anschlag auf Trump
Am Sonntag entdeckten dessen Personenschützer einen Mann mit Sturmgewehr nahe Trumps Golfclub. Er konnte flüchten, wurde aber kurz darauf festgenommen. Das FBI spricht von einem erneuten Anschlagsversuch.
zeit.de

Überschwemmungen in vielen Nachbarländern
Die Hochwasserlage in vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas ist durch sintflutartige Regenfälle dramatisch; Polen, Tschechien, Rumänien und Österreich verzeichnen mehrere Tote. Auch in Bayern und Sachsen steigen die Pegel.
tagesschau.de

Ein Weg aus Nordkorea
Aus Nordkorea zu entkommen, gilt als nahezu unmöglich, und wer bei dem Versuch erwischt wird, wird hart bestraft. Einige Wenige schaffen es dennoch. Die heutige Doku begleitet eine fünfköpfige Familie auf ihrem heimlichen Weg durchs Gebirge.
arte.tv

Mit Förderanträgen kennt sich Tino Nicolai (oben im Bild) aus. Er arbeitet als jugendpolitischer Koordinator bei einem Verein für jugendpolitische Arbeit. Damit seine Arbeit überhaupt möglich ist, muss er jährlich Finanzierungen beantragen und Nachweise dafür einreichen, wofür das Geld verwendet wurde. Und das natürlich fristgerecht.

Das bedeutet viel Bürokratie: Kopien machen, einscannen, ausdrucken, Aktenordner an Behörden schicken. Alles per Post. Diese Arbeit werde nicht extra honoriert und die Zeit dafür fehle dann für die Jugendarbeit, sagt er.

Wie es einfacher gehen könnte, sieht er bereits bei Stiftungen. „Da kannst du inzwischen als Verein alles komplett digital machen.“ Effektiver wären aus seiner Sicht auch bestimmte Pauschalen. „Wenn man zum Beispiel sagen würde: Grundsätzlich sind bei jeder Förderung 10 bis 20 Prozent für Verwaltungstätigkeiten und alles, was so anfällt, vorgesehen, wäre uns schon sehr geholfen.“ Bisher müsse alles angewiesen werden: von der Briefmarke über Toilettenpapier bis zum Stift. Die Zeit für die Dokumentation und die Prüfung würde auf beiden Seiten Zeit und Geld sparen. 


Victor Orbán gratulierte Bundeskanzler Olaf Scholz zu den seit heute geltenden Kontrollen an allen deutschen Außengrenzen: Endlich wird Europa verengt, die Grenzen geschlossen.

Wer meiner Meinung nach jetzt am effektivsten europäische Werte und europäisches Recht verteidigen könnte: Polizeibeamte. Während Neonazis nun Remigration fordern, will ich die massenhafte Remonstration. Remonstrieren heißt, den direkten Vorgesetzten auf mögliche Rechtsverstöße aufmerksam zu machen, um sich selbst rechtlich abzusichern. Etwa gegen die neuen „europarechtskonformen” Zurückweisungen, deren rechtliche Grundlage selbst innerhalb der Regierung nicht eindeutig geklärt scheint.

Es zeichnet sich beispielsweise schon ab, dass Österreich sich weigern könnte, Zurückgewiesene wieder aufzunehmen. Juristisch relevant ist auch sogenanntes „Racial Profiling”, rassistische Kontrollen. Auch dann sollten sich die Polizisten absichern und remonstrieren – auch wenn es manchmal bedeuten kann, als Kollegenschwein zu gelten.

Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, Beamte dazu aufzuklären. Nämlich: Beamte dürfen remonstrieren, wenn sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Anweisung haben. Die Remonstration kann mündlich oder schriftlich an den direkten Vorgesetzten erfolgen – mit einer guter Begründung: Dass die Menschen offenbar Recht auf Asyl haben könnten, dass Österreich deren Zurücknahme verweigern würde oder sie schlicht in Not sind.

Sollte die Anweisung dennoch bestätigt werden, müssen sie es trotzdem ausführen. Es sei denn, sie begehen damit eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Ich sage: Remonstration jetzt!

An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Madlen Buck, Sebastian Haupt und Sarah Langner.