Menschen im Fadenkreuz

Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden: Terror, der ein ganzes Gesellschaftsbild ins Wanken bringen kann

fadenkreuz-kreuz

von Aiko Kempen

Polizeichats mit rechtsextremen Inhalten, rassistische Misshandlungen von Verdächtigen, illegale Datenabfragen und Todesdrohungen gegen Politikerinnen, Anwältinnen und Aktivisten, ungeklärte Todesfälle in Arrestzellen und Dienstmunition bei Rechtsextremen, die sich auf einen politischen Umsturz vorbereiten. 

Die Liste der aktuellen Vorwürfe gegen die deutsche Polizei ist lang. Und sie wiegen schwer. Denn wo Rechtsextreme sich organisieren, gibt es viel zu oft auch Verbindungen in die Sicherheitsbehörden: Ob „NSU 2.0“ oder „Nordkreuz“, ob „Gruppe Freital“, „Gruppe S.“, „Freie Kameradschaft Dresden“ oder „Aryans“. Im Raum steht die Frage: Geht die Gefahr für eine freie Gesellschaft auch von jenen aus, die diese Gesellschaft und ihre Freiheit eigentlich beschützen sollen? Und seitdem Dutzende von Todesdrohungen an Menschen geschickt wurden, deren persönliche Daten überall in Deutschland von Polizeicomputern abgerufen worden waren, steht sogar im Raum, ob es ein ganzes Neonazi-Netzwerk in der deutschen Polizei gibt. 

Hessens Innenminister Peter Beuth räumte im Sommer 2020 ein, er könne dies zumindest bei der hessischen Landespolizei nicht länger ausschließen. Zu ihr gehören 14.000 Polizistinnen und Polizisten. Bundesweit sind es knapp 300.000 Polizistinnen und Polizisten. Alle mit Macht, Waffen und Wissen ausgestattet. Selbstverständlich ist nicht jeder einzelne Mensch in Polizeiuniform rechts oder gar rechtsextrem. Und zugleich gibt es sie: Rassisten in Uniform. Rechtsextreme in Uniform. Und Neonazis in Uniform. 

Das Bedrohungspotenzial, das von ihnen ausgeht, ist immens – und nichts davon ist neu. 

Welche Folgen es hat, wenn gerade diejenigen zur Bedrohung werden, die eigentlich für Schutz sorgen sollen, ist seit Jahren sichtbar: Schon 2007 fanden Ermittler ausgerechnet bei jenen Polizeibeamten, die zum Schutz des jüdischen Funktionärs Michel Friedman abgestellt waren, jede Menge Rechtsrock, das verbotene Horst-Wessel-Lied und Fotos der Polizisten in SS-Uniform. „Es ist ein unerträglicher Gedanke, dass die, die mich vor den Nazis schützen sollen, teils selbst Nazis waren“, sagte der vormalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland damals. Dass diese Beamten stellvertretend für die gesamte Polizei stehen, dachte Friedman nicht. Doch jede Ausnahme sei eine zu viel, betonte er. Zu Recht. Denn durch solche Fälle schwindet zugleich das Vertrauen in den Staat.

Auch die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız hat das Vertrauen in die Polizei verloren. Seit 2018 erhielt sie immer wieder rechtsextreme Todesdrohungen, nachdem ihre Adresse auf Polizeicomputern abgerufen wurde. Dass die Polizei selbst in der Lage ist, den Fall aufzuklären, glaubte sie offensichtlich lange nicht mehr und hatte 5.000 Euro Belohnung für Hinweise ausgesetzt. „Ich kann doch nicht Däumchen drehen und warten, bis uns jemand abknallt“, sagte sie im November 2020.

Bedroht sind auch demokratische Grundlagen: Denn die Polizei ist in einer Demokratie nicht nur die Gewalt, sie hat zugleich das Monopol darauf. Wer unzufrieden mit einem Handwerker ist, ruft beim nächsten Mal einen anderen. Wer die Polizei hingegen als Gefahr und nicht als Hilfe erlebt, hat keine Alternative. Der Schutz, den ein demokratischer Rechtsstaat bieten und sicherstellen sollte, fällt weg. Er kann nicht mehr in Anspruch genommen werden. Es kann passieren, dass die Betroffenen ihren Eigenschutz stattdessen schlimmstenfalls selbst in die Hand nehmen.

Wenn die Bedrohung gerade von denjenigen ausgeht, die solche Bedrohungen abwehren sollen, gibt es nur ein Wort, das dieser Dimension gerecht wird: Terror. Terror im eigentlichen Sinne des Wortes: die Verbreitung von Angst und Schrecken. Terror, der ein ganzes Gesellschaftsbild ins Wanken bringt. Denn dieser Terror, der auch von Polizisten ausgeht, bedroht zugleich genau jenes Gefühl von Sicherheit, das ein demokratischer Rechtsstaat seinen Bürgerinnen und Bürgern garantieren sollte. Dieser Terror ersetzt Gewissheiten durch Unsicherheit und indifferente Bedrohung. „Das sind die Leute, die man im Zweifel anrufen soll. Da ist jetzt jedes Mal die Frage: Wenn ich jetzt bei der Polizei anrufe, hab ich dann den Kumpel von dem dabei, und wie läuft das?“, sagt eine Rostocker Kommunalpolitikerin, die im Juli 2019 gemeinsam mit rund 1.200 weiteren Menschen vom Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern informiert wurde, dass auch ihr Name auf den Feindeslisten der Gruppe „Nordkreuz“ zu finden war. Diese Angst und Unsicherheit ist ein Effekt, der sich quer durch alle Fälle zieht, in denen Rechtsextreme in den Sicherheitsbehörden bekannt werden, sei es in Hessen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Nordrhein-Westfalen.

Ungeachtet dessen, ob es sich um ein einziges rechtes Netzwerk mit konkret nachweisbaren Verbindungen innerhalb der Sicherheitsbehörden handelt oder ob die einzelnen Akteure unabhängig voneinander agieren: Die Gefahr durch Rechtsextreme und Rassisten in der deutschen Polizei ist für etliche Betroffene sehr real.