Wem gehört die Stadt?

Mieten unter Palmen

An wen fließen Hamburger Mieten? Bei einer Datenrecherche folgen wir den Spuren bis nach Malta oder auf die Isle of Man. Dabei zeigt sich: Nicht nur die großen Fische machen Offshore-Geschäfte.

von Justus von Daniels , Simon Wörpel

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­Alles begann am 05. Juni 2018: Ein Leser aus Hamburg teilt uns mit,  wer der Eigentümer seiner Wohnung ist. Zu der Zeit recherchieren wir gemeinsam mit dem Hamburger Abendblatt und  tausenden Bürgern unter dem Titel „Wem gehört Hamburg?“. Ziel ist es, mehr Transparenz in den Wohnungsmarkt zu bringen und mit den gewonnenen Informationen über Fehlentwicklungen, dubiose Geschäfte, aber auch positiv engagierte Eigentümer im Immobilienmarkt zu berichten.

Der Mieter schreibt uns in einer Notiz, dass es sich bei dem Eigentümer wohl um einen Hamburger Bauunternehmer handele, der das Haus ziemlich verfallen ließe. Für den Mieter keine schöne Situation. Über den Eigentümer erfahren wir nicht mehr, als dass er in Hamburg noch andere Gebäude besitzt.

Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen: Der Geschäftsführer betreibt neben Hamburger Immobilien-Firmen auch eine auf Malta. Mitten im Finanzviertel der Hauptstadt Valletta ist sie registriert, in einem repräsentativen Geschäftshaus, in dem noch mindestens 42 weitere Offshore-Firmen angesiedelt sind.

Im Lauf der Bürgerrecherche mit unserem CrowdNewsroom erfahren wir: Auch weitere Wohnungen gehören nur auf den ersten Blick unscheinbaren Geschäftsleuten oder Firmen aus Deutschland. Denn sie haben direkt oder indirekt noch weitere Firmen in Steueroasen wie Malta, der Isle of Man, Guernsey oder Barbados. Das Firmengeflecht der Steueroasen, es reicht bis vor die Haustüren in Hamburg-Altona.

Unscheinbar und gut vernetzt

All das steht in europäischen Handelsregistern. Das Deutsche ist zwar grundsätzlich offen durchsuchbar. Aber wer einmal versucht hat, Firmenstrukturen im Handelsregister zu recherchieren, weiß, dass das einer Schnitzeljagd gleicht. Wer herausfinden will, an welchen Firmen eine Person beteiligt ist, muss sich von Firma zu Firma klicken. Teile des Registers sind frei zugänglich, andere Informationen kosten.

Anders als etwa in Österreich weigert sich die deutsche Bundesregierung, die ohnehin öffentlich bekannten Daten nutzerfreundlich und transparent aufzubereiten. Diese Aufgabe hat jetzt die britische Organisation OpenCorporates übernommen, die zuvor schon viele Daten aus europäischen Unternehmensregistern als Open Data veröffentlicht hat.

Die Register enthalten „entscheidende Informationen, die die Gesellschaft betreffen, etwa für wen wir arbeiten oder wem die Städte gehören“, so der Sprecher von OpenCorporates, Chris Taggart. Er will die EU-Regierungen mit den Aktionen zu mehr Transparenz antreiben. Wenn diese Daten kaum durchsuchbar sind, „würden Journalisten oder Vereine diese Daten aufbereiten.“ Besser sei es, wenn die Regierungen das selbst übernehmen würden, sagt Taggart.

OpenCorporates stellt die Daten exklusiv CORRECTIV, der Süddeutschen Zeitung und dem NDR zu Testzwecken zur Verfügung. Der Datensatz macht Bekanntmachungen zu mehr als fünf Millionen registrierten und ehemals registrierten Firmen Deutschlands offen zugänglich, mitsamt Informationen zu Geschäftsführern, Prokuristen und teilweise auch Gesellschaftern. Die Daten sind so aufbereitet, dass sie als Ganzes analysierbar sind: So können wir alle deutschen Unternehmen auf einen Blick untersuchen.

Reporter des NDR konnten eine bislang unbekannte Firmen-Verbindung entdecken, die eine Rolle in einem Mafia-Verfahren spielen könnte. In Konstanz stehen derzeit mehrere Angeklagte wegen Drogen-Geschäften mit Mafia-Bezügen vor Gericht. Über einen der Männer konnte der NDR eine weitere Firma aufdecken, die den Ermittlern bisher nicht bekannt war.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet generell über Probleme hinsichtlich der Unternehmens-Register: Lobbyisten verhinderten mehr Transparenz.

Wir bei CORRECTIV haben den Datensatz so aufbereitet, dass wir Verknüpfungen erkennen. Wer ist Teilhaber oder Geschäftsführer bei welchen Firmen? Welche Beziehungen gibt es zwischen Firma A und Firma B? Welche Verbindungen gibt es erst auf den zweiten Blick?  So können wir den Datensatz mit anderen Daten verbinden. Zum Beispiel mit Unternehmens-Listen aus dem Offshore-Bereich.

Spurensuche im Steuerparadies

Dass wir heute Hinweisen von Bürgern aus Hamburg bis nach Malta oder in die Bahamas folgen können, geht auf die Offshore-Recherchen des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) zurück. Einen Teil seiner Daten bietet das ICIJ zum Download an. Auch hier: Firmen mit ihren Beziehungen untereinander, zu Eigentümern und Geschäftsführern. Und welche Anwaltskanzlei bei ihren Offshore-Geschäften behilflich ist. 

Firmen und Geschäftstätigkeiten in Steueroasen sind generell nicht illegal. Nur weil ein deutscher Unternehmer eine  Firma auf Malta unterhält, muss das kein Fall von Steuerbetrug oder Geldwäsche sein.

Die Panama Papers jedoch hatten offen gelegt, wie diese Netzwerke strukturiert sind, wie massiv sie genutzt werden und wie kriminelles Geld gewaschen wird. Aber in Hamburg, durch zufällige Einträge auf unserer Plattform? Wir fanden es schon erstaunlich, gleich mehrere Netzwerke zu entdecken.

Die ersten Ergebnisse aus der Verknüpfung unserer Immobilienrecherche mit den Datensätzen aus Malta, Luxemburg, den Bahamas und weiteren Schattenfinanzplätzen weisen darauf hin, dass Offshore-Firmenkonstrukte gängiger sind als bisher bekannt. Nicht nur große Fonds oder dubiose Investoren sind dort aktiv, sondern auch viele kleinere Unternehmer haben neben einer deutschen GmbH auch eine Offshore-Firma.

Wenn der Hamburger Eigentümer kein eigenes Geschäft auf Malta betreibt, also dort nichts selbst verkauft oder herstellt, deutet seine Aktivität eher darauf hin, Steuern zu vermeiden. Und im Endeffekt dem deutschen Staat Geld zu entziehen.

So normal ist Offshore

Malta wird gern genutzt, um möglichst geringe Steuern auf Gewinne zu zahlen, so der Steuerexperte Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit: „Gewinne, die nach Malta verschoben werden – zum Beispiel über Zinszahlungen – und von dort wieder nach Deutschland ausgeschüttet werden, sind so gut wie steuerfrei.“

Im Immobilienmarkt sind es vor allem Firmen in Luxemburg, die dazu dienen, Steuern möglichst auf null zu reduzieren, die eigentlich in Deutschland fällig würden. Das Prinzip ist einfach: Ein deutsches Unternehmen wickelt über eine Holding Zahlungsgeschäfte ab, die es in Luxemburg gegründet hat. Versteuert wird dank der EU-Regeln nur einmal, in diesem Fall zu Niedrigsteuersätzen in Luxemburg.

Mit Malta ist es ähnlich. Der Inselstaat verdient auch Geld damit, dass er ausländische Unternehmer, die eine maltesische Firma betreiben, aber nicht in Malta wohnen, „von ihren Einkommenssteuern weitgehend befreit“, erklärt Steuerexperte Trautvetter. Einen kleinen Anteil streiche Malta für sich ein.

Die Fälle, die wir gefunden haben, nennen wir nicht mit Klarnamen, weil wir zwar Verbindungen in Steuerparadiese aufspüren konnten, aber – mangels Transparenz – uns noch Informationen fehlen, die zeigen, ob sie Steuern legal umgehen oder den deutschen Staat betrügen.

Ein weiterer Fall aus unser Bürgerrecherche. Wir nennen die Firma hier „6. ABC GmbH“. Ein Bürger trägt die Daten zu seinem Wohnungs-Eigentümer in unseren CrowdNewsroom ein. Versehen mit einer Notiz: „Ich habe grundsätzlich nichts zu beanstanden. […] Allerdings wüsste ich gerne, wer hinter der 6. ABC GmbH steckt.“ Ein üblicher Name für eine unscheinbare Einzelfirma, die Teil eines größeren Immobilien- und Vermögensverwaltungs-Geflechts in Hamburg und Berlin ist. Vier Einträge zu diesem Firmennetzwerk landen auf unserer Recherche-Plattform.

Auch hierfür verknüpfen wir unsere Daten mit den strukturierten Handelsregister-Daten sowie mit Offshore-Informationen vom ICIJ: Einer der Geschäftsführer, laut deutschem Handelsregister auf der Isle of Man registriert, ist an einigen Holdings auf der britischen Kanalinsel beteiligt.

Besonders interessant: Er besitzt unter anderem eine Firma in der Hauptstadt der Steueroase, die wiederum Verbindungen zurück nach Deutschland aufweist. Bevollmächtigter ist ein Geschäftsführer aus Chemnitz. Auch andere, zunächst unauffällige Immobilienfirmen aus der Region, sind an diesem hanseatisch-sächsischem Offshore-Netzwerk beteiligt.

Das hanseatisch-sächsische Offshore-Netzwerk der 6. ABC GmbH // Grafik: Benjamin Schubert
Das hanseatisch-sächsische Offshore-Netzwerk der 6. ABC GmbH // Grafik: Benjamin Schubert

Und wieder: Offshore-Firmen sind per se nichts Illegales. Aber der Verdacht auf Geschäfte zur Steuervermeidung oder gar Geldwäsche drängt sich bei derartigen Geflechten auf. Doch wir können unsere Daten nur als Ansatzpunkt einer weitergehenden Recherche nehmen, sie selbst belegen kein Verbrechen. „Legale Steuervermeidung ist keine Vortat für Geldwäsche“, sagt Steuerfachmann Trautvetter. Wer Steuern vermeidet, ist noch kein Verbrecher.

Standortvorteil Selbstverwaltung

Ein großer Teil der Daten aus den „Paradise Papers“ stammt von der internationalen Anwaltskanzlei Appleby. Auf ihrer Website wirbt die Kanzlei für den Standort Guernsey: „Guernsey ist einer der weltweiten führenden Offshore-Finanzplätze. Der Verfassungsstatus als selbstverwaltetes Gebiet unter britischer Krone sorgt für völlige finanzielle und regulatorische Unabhängigkeit.“ Vereinfacht gesagt, erledigt Appleby für Leute, die Offshore-Geschäfte betreiben wollen, den Papierkram vor Ort.

Das macht Appleby in Guernsey auch für vier Firmen eines Luxemburgers. Auch er ist gleichzeitig Geschäftsführer einer Wohnungseigentümer-Gesellschaft, die in unserer „Wem gehört?“-Recherche mit dem CrowdNewsroom auftaucht. Wandern Mieten also vorbei an deutschen Steuerbehörden über Luxemburg auf die berüchtigte Kanalinsel?

Immer wieder erscheinen in unserer Datenrecherche unscheinbare Namen, mittelständische Eigentümer, die in Hamburg eine GmbH betreiben. Wenn die Anteilseigner oder Geschäftsführer dann auch noch im Ausland tätig sind, tauchen auffällig oft Staaten wie Malta, Isle of Man oder Luxemburg auf.

Jedes Jahr gehen dem deutschen Staat so Milliarden an Steuern verloren. Allein im Immobilienbereich können Unternehmen ihre Geschäfte so geschickt gestalten, dass sie am Ende beim Kauf von Häusern oder auf Gewinne aus der Vermietung kaum Steuern zahlen. Teils ist das legal, teils illegal, aber in jedem Fall kaum nachzuvollziehen.

Kriminalämter und Staatsanwaltschaften scheitern regelmäßig an den Firmengeflechten. Auch weil die Daten international nicht verknüpft sind oder Datenbanken nicht strukturiert durchsucht werden können.

Neue Erkenntnisse aus offenen Daten

Mit den Daten können wir nachvollziehen, welche Firmen mit welchen Geschäftsführern und Eigentümern verbunden sind – und darüber wieder mit anderen Firmen. Auch um festzustellen, welche Unternehmen womöglich Steuern in hohem Maße in Staaten mit geringen Steuersätzen verschieben. Also genau die Daten-Abfragen, die sich Finanzbehörden eigentlich wünschen müssten.

Aber generell kann mit der besseren Verknüpfung von Datensätzen das Ausmaß von Steuervermeidung erkannt werden. Die Politik traut sich an viele Steuervermeidungen nicht ran, der Druck kann aber erhöht werden, je sichtbarer das Ausmaß wird.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Konstrukte oft genutzt werden. Im Einzelfall müssen wir die Bilanzen und weitere Geschäftsunterlagen der Unternehmen analysieren, um festzustellen, bei welchen Fällen tatsächlich illegales Verhalten vorliegt. Um zu erzählen, welche Miete aus Hamburg am Ende auf den Bahamas oder in Malta landet.

OpenCorporates hat den neuen Datensatz für eine erste Recherche zunächst CORRECTIV, dem NDR und der Süddeutschen Zeitung zur Verfügung gestellt. Alle drei Medien veröffentlichen zeitgleich eigene Recherchen mit dem Datensatz. OpenCorporates stellt seine Datensätze ab dem 06. Februar in Zusammenarbeit mit der Open Knowledge Foundation für Recherchen zur Verfügung. Hier kann das deutsche Handelsregister durchsucht werden.

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