Die Kommunen werden ärmer – und ihre Sparkassen immer fetter
EXKLUSIV: Zwei Drittel aller Sparkassen schütten keine Gewinne mehr an ihre Eigentümer, die Städte und Landkreise aus. Sie behalten das Geld lieber für sich und blähen ihre Eigenkapitalquote auf – weit höher als gesetzlich vorgeschrieben. Die Rechnungshöfe kritisieren diese Praxis. Wir zeigen erstmals in einer Übersicht, welche Kommunen leer ausgehen.
Der Naspa, der Nassauischen Sparkasse, geht es gut. In den vergangenen sieben Jahren fuhr sie insgesamt 182 Millionen Euro Gewinn ein. Aber: Das Institut legte alles Geld auf die hohe Kante. Kein Euro wurde ausgeschüttet an die Städte Wiesbaden und Frankfurt am Main und sechs umliegende Landkreise, denen die Sparkasse gehört. Der gesamte Gewinn verblieb in der Bank, um die „Gesamtkapitalquote“ zu erhöhen – also das eigene finanzielle Fundament zu verbreitern.
Eigentlich ein löbliches Unterfangen. Der Finanzkrise 2008 steckt den Bankern noch in den Knochen. Auch Sparkassen beteiligten sich damals an riskanten Geschäften im Ausland. Die Naspa zum Beispiel verlor mehrere Millionen Euro mit Anlagen bei der US-Pleitebank Lehman Brothers und musste beinahe fusionieren. So was will die Sparkassen nicht noch einmal erleben. Allerdings ist die Naspa mittlerweile gut abgesichert. Die Gesamtkapitalquote liegt aktuell bei 14,57 Prozent. Vorgeschrieben sind 8 Prozent.
Bis 2019 müssen Banken ihr Eigenkapital zwar stufenweise auf 13 Prozent erhöhen, um besonders riskante Investitionen abzusichern und für eine neue Finanzkrise gewappnet zu sein. Das schreiben die neuen Regeln vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht („Basel 3″) vor. Die vorgeschriebene Gesamtkapitalquote von 8 Prozent wird sich dadurch aber nicht ändern. Die knapp 15 Prozent der Naspa liegen aber in jedem Fall deutlich darüber. Warum?
Politiker aus den acht Kommunen sitzen im Verwaltungsrat der Naspa. Sie entscheiden mit, wie viel vom Gewinn die Sparkasse am Ende eines Jahres ausschüttet. Der Naspa-Vorstand schlug dem Gremium vor: Null Euro. Jahr für Jahr. Und die Politiker nickten das ab.
Die knausrige Naspa ist in guter Gesellschaft. Das zeigt eine Auswertung von correctiv.org. 2014 erzielten die deutschen Sparkassen einen Jahresüberschuss von mehr als 1,9 Milliarden Euro – und behielten den Löwenanteil für sich. Weniger als 14 Prozent der Gewinne wurden abgeführt an die Kommunen. Zwei Drittel aller Sparkassen zahlten gar nichts aus an ihre Träger. 2013 war es ähnlich.
Der Landesrechnungshof Hessen hat das schon vor Jahren kritisiert. Es gehe nicht darum, die Sparkassen zu mästen, sondern darum, die klammen Städte und Gemeinde zu entlasten. Im Jahr 2010 etwa hätten sich die hessischen Kommunen „bis zu 97 Millionen Euro“ auszahlen lassen können. Und bekamen nur 20,2 Millionen Euro, errechnete der Landesrechnungshof (zum Bericht als pdf).
„Die Handlungsspielräume der Kommunen werden beschnitten“, sagt Walter Wallmann Junior, Präsident des Hessischen Rechnungshofs und Sohn des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten von Hessen mit gleichem Namen. Es wäre besser, wenn die demokratisch gewählten Politiker entscheiden, wer das Geld bekommt, sagt Wallmann. Er kündigt gegenüber CORRECTIV an, „im nächsten oder übernächsten Jahr“ erneut eine Prüfung der Gewinnausschüttung der Sparkassen vorzunehmen.
Niedersachsen
Ähnliche Töne hört man auch beim niedersächsischen Rechnungshof. Die häufig ahnungslosen Kommunen sollten sich endlich schlau machen, „ob und in welcher Höhe die wirtschaftliche Gesamtsituation ihrer Sparkassen Abführungen zulässt“, wie es im aktuellen Bericht des Landesrechnungshofs heißt. „In den Interviews, die ich vor Ort führte, gaben lediglich zwölf der geprüften 24 Kommunen an, dass sie die Höhe der möglichen Abführungen kannten“, kritisiert Landesrechnungshofpräsident Richard Höptner mit kaum verhohlenem Spott in seinem letzten Bericht (Download als pdf). Die Prüfer rechneten aus, dass die niedersächsischen Sparkassen innerhalb von vier Jahren fast 400 Millionen Euro hätten ausschütten können – aber nur 55 Millionen Euro tatsächlich an die Kommunen ausschütten.
Hessen und Niedersachsen, allein diese zwei Landesrechnungshöfe kommen auf entgangenen Sparkassen-Gewinne von mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr für die Kommunen. Rechnet man diese Ergebnisse bundesweit hoch, bekommt man eine Ahnung davon, dass Städten und Landkreisen jedes Jahr hunderte Millionen Euro entgehen.
Hohe Eigenkapitalquote
Bereits im April hatte eine Auswertung von correctiv.org ergeben, dass die meisten Sparkassen mit viel Eigenkapital ausgestattet sind. 2014 lag die Gesamtkapitalquote der deutschen Sparkassen bei durchschnittlich 16,6 Prozent — das ist doppelt so hoch wie derzeit vorgeschrieben. Sparkassen, die schon heute deutlich darüber liegen, sind gut abgesichert und könnten Gewinn an die Kommune abführen. Aber die wenigsten machen das.
Argumente gegen Ausschüttung
Doch es gibt auch Bürgermeister, die gegen höhere Ausschüttungen sind: „Es ist angebracht, Gewinne in der Sparkasse zu belassen“, sagt etwa Gunter Czisch, Oberbürgermeister der Stadt Ulm. Mehr würden die aktuellen Rahmenbedingungen nicht zulassen, sagt Czisch und spielt damit auf die sinkenden Krediteinnahmen in Zeiten von niedrigen Zinsen an. Wichtiger ist Czisch, dass die Sparkassen in seiner Region Unternehmen und Privatpersonen mit Krediten versorgen würden. Czisch selbst nennt seine Sichtweise „sehr einfach“, aber sie sei in seiner Region seit Jahrzehnten erfolgreich.
Der Dachverband der Sparkassen (DSGV) teilt auf Anfrage mit, er wisse nicht, wie viel Geld die Sparkassen bundesweit an die Kommunen ausschütten. Dennoch spricht sich der DSGV gegen höhere Ausschüttungen aus. „Die Höhe des Eigenkapitals bildet den Maßstab für die Kreditvergabespielräume“, teilt DSGV-Sprecher Stefan Marotzke mit. Wenn Sparkassen weniger in ihre Rücklagen packen würden, könnten die Institute weniger Kredite vergeben, argumentiert Marotzke.
Nordrhein-Westfalen
Im Jahr 2014 machte die Stadtsparkasse Düsseldorf rund 100 Millionen Euro Gewinn, wollte der Stadt aber nur 3,2 Millionen Euro abgeben. Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) wehrte sich gegen den Vorschlag des damaligen Sparkassenchefs Arndt Hallmann. Und setzte sich durch.
Vermutlich wird die Stadt Düsseldorf nun mit 25 Millionen Euro an den Gewinnen aus 2014 und 2015 beteiligt werden. Der Vertrag von Sparkassen-Vorstand Hallmann wurde nicht mehr verlängert, entschied der Verwaltungsrat mit Oberbürgermeister Geisel vor wenigen Wochen. Das Beispiel zeigt: Es geht auch anders. Häufig haben die Lokalpolitiker aber nicht das Selbstvertrauen, ihren Sparkassenchefs zu widersprechen und es fehlt ihnen mitunter auch an Wissen, um den betriebswirtschaftlichen Behauptungen der Banker entschieden entgegen zu treten.
Die übrigen Bundesländer
Jede Sparkassen entscheidet zwar einzeln, wie viel Geld sie ausschüttet, dennoch gibt es eindeutige regionale Tendenzen. Die Auswertung von CORRECTIV zeigt: Institute in Bayern, Schleswig Holstein und Baden-Württemberg rücken kaum etwas vom Gewinn raus. Im Südwesten gab einzig die Kreissparkasse Reutlingen etwas ab. Von acht Millionen Euro Gewinn ging dort eine Million Euro an den Landkreis.
Genau anders herum war es im Saarland: Sieben Sparkassen schütteten Geld an die Kommunen aus, einzig die Kreissparkasse St. Wendel behielt ihren Jahresüberschuss von 2,5 Millionen Euro 2014 komplett für sich.
Noch einige Beispiele:
- Sparkasse KölnBonn: Gesamtkapitalquote 13,13 Prozent, 27,4 Millionen Euro Gewinn in 2014, Ausschüttung an die Eigentümer: 0 Euro.
- Kreissparkasse München-Starnberg-Ebersberg: Gesamtkapitalquote 16,68 Prozent, 22,5 Millionen Euro Gewinn in 2014, Ausschüttung an die Eigentümer: 0 Euro.
- Sparkasse Ulm: Gesamtkapitalquote 15,65 Prozent, 21,6 Millionen Euro Gewinn in 2014, Ausschüttung an die Eigentümer: 0 Euro.
Notleidende Institute
Klar ist: Nicht allen Sparkassen geht es gut. Etliche Institute kämpfen um ihre Existenz. Allein 2016 fusionierten schon acht Sparkassen. Bei diesen Instituten mag es sinnvoll sein, dass sie ihren kompletten Gewinn bunkern. Aber nur hier.
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Unterstützung beim Faktencheck: Daniel Schmidt/ Uni Hohenheim
Zusammenarbeit mit faz.net
Datenanalyse & Visualisierung: Simon Wörpel