In eigener Sache

Im Konflikt mit Europa: Russlands Krieg und Putins Helfer

Der Angriff auf unsere Demokratie erfolgt nicht nur von rechts. Russland baut seit zweieinhalb Jahrzehnten seinen Einfluss in Europa aus und untergräbt den Zusammenhalt der Staatengemeinschaft. Dazu erscheint das CORRECTIV-Sachbuch „Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“. Wir stellen es zur Frankfurter Buchmesse vom 16. bis zum 20. Oktober 2024 vor. Dies ist Teil eins unserer dreiteiligen Begleitserie: Welchen Plan verfolgt der Kreml?

von Bastian Schlange

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Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV ( Fotos: picture alliance)

„Russland hat faktisch kein Interesse daran, in die Ukraine einzumarschieren“, sagt Sahra Wagenknecht voller Überzeugung. „Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben.“

Die damalige Linken-Politikerin sitzt in der ARD-Sendung Anne Will. Es ist der 20. Februar 2022, vier Tage vor der russischen Invasion der Ukraine. Am 22. Februar verbreiten russische Staatsmedien, allen voran Russia Today, die Ankündigung des russischen Präsidenten, lediglich „Friedenstruppen“ in das Nachbarland zu entsenden. Am 24. Februar dann marschieren russische Soldaten völkerrechtswidrig in die Ukraine ein und beginnen einen blutigen Angriffskrieg, der bis heute andauert.

„Autoritarismus, insbesondere wenn er auf die Geschichte eines alten Reiches zurückblickt, neigt zu Militarismus und Expansion“, sagt der russische Dissident und Historiker Sergej Lukaschewski. Die imperialen Großmachtsphantasien Putins aber lassen sich nur mit einem schwachen Europa verwirklichen. Nur wenn die Staatengemeinschaft überlastet und zerrissen ist, kann der Kreml das russische Territorium erweitern und auf unwidersprochenen Einfluss im postsowjetischen Raum hoffen.

Die Folgen hat Deutschland zu spüren bekommen

„Ein autoritäres Regime kann alles zu einer Waffe machen, auch Korruption und vor allem Propaganda und Desinformation“, sagt Lukaschewski. Wie die Tage des Kriegsbeginns einmal mehr gezeigt haben, verdreht der Kreml Fakten und spinnt Narrative neu; Staatsmedien und Desinformationsnetzwerke verbreiten die Propaganda, die willige Verbündete aufgreifen und die russischen Erzählungen im Westen weitertragen. Putins Autokratie destabilisiert gezielt und systematisch Europas Demokratien durch Falschnachrichten und Propaganda (mehr dazu in Teil zwei).

Auch darüber hinaus ist die hybride Waffenkammer des Kremls reich bestückt: Sabotagetrupps greifen unsere Infrastruktur an, Cyberkrieger manipulieren die IT-Systeme von Krankenhäusern und Verwaltungen. Wir sind das Ziel von aggressiven Handlungen. Regimegegner werden auf offener Straße ermordet oder mit radioaktiven Stoffen vergiftet. Und es werden politische Extremisten umgarnt und vereinnahmt, wenn sie den Zusammenhalt der EU untergraben (mehr dazu in Teil drei). Putins Agenten verführen Europas Eliten mit Geld und anderen Offerten, um sie wirtschaftlich abhängig oder mundtot zu machen.

Die Folgen hat Deutschland mit der Energiekrise im Frühjahr 2022 zu spüren bekommen. In mehreren Recherchen hat CORRECTIV das Netzwerk hinter der Gazprom-Lobby transparent gemacht und aufgezeigt, wie Russland seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss in Deutschland und Europa über Jahre ausbauen und festigen konnte. „Für ein solches Regime sind wirtschaftliche Beziehungen und Handel kein eigenes Ziel“, erklärt Lukaschewski, der lange für die Menschenrechtsorganisation Memorial gearbeitet hat und jetzt das Exil-Medium Radio Sacharow leitet. Wirtschaftliche Beziehungen seien „nur ein Mittel und Werkzeug, um die eigene Kraft für spätere Gewalt zu entwickeln“, sagt er. Dafür sei es gängige Praxis, „normale Menschen, Geschäftsleute und Politiker zu verführen“.

Immer wieder fliegen russische Agenten im EU-Parlament auf. Die lettische EU-Abgeordnete Tatjana Ždanoka soll zum Beispiel zwanzig Jahre für den russischen Geheimdienst FSB gearbeitet haben. Ždanoka vertrat russlandfreundliche Positionen, sprach sich einst gegen die Unabhängigkeit der drei ehemaligen Sowjetrepubliken Lettland, Estland und Litauen aus und weigerte sich im Frühjahr 2022 eine Resolution zu verabschieden, die den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilte. Jüngst hat der Schmiergeldskandal um das prorussische Nachrichtenportal Voice of Europe gezeigt, wie empfänglich einige Abgeordneten für den russischen Reichtum sind – im Zentrum der Affäre standen die AfD-Politiker Maximilian Krah und Petr Bystron.

Wes Brot ich ess, des Lied ich …

Am 2. Dezember 2021 erklärte Bystron auf der Webseite der Bundes-AfD: „Eine weitere Osterweiterung (Anmerk.: der Nato) kann von Russland nicht anders als Provokation und weiterer Wortbruch des Westens gewertet werden.“ Keine drei Monate vor Kriegsbeginn bedient Bystron damit das Narrativ, das sich durch die gesamte Amtszeit Putins zieht. 2007 zum Beispiel kritisierte der russische Präsident in einer Brandrede auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz die Pläne der Amerikaner, in Osteuropa ein Raketenabwehrsystem zu errichten, und unterstellte ihnen das Streben nach „monopolarer Weltherrschaft“. Die Nato-Osterweiterung sei „ein provozierender Faktor, der das Niveau des gegenseitigen Vertrauens senkt“. In seiner Ansprache ans Volk am Abend vor Kriegsbeginn im Februar 2022 sagte Putin, die Nato müsse sich in Europa auf den Stand von 1997 zurückziehen. Ein möglicher Nato-Beitritt der Ukraine sei „eine direkte Bedrohung für die Sicherheit Russlands“.

Diese Täter-Opfer-Umkehr übernehmen kremlnahe Parteien wie die AfD und das BSW („Bündnis Sarah Wagenknecht“) in ihrer Agenda und vertreten sie unter dem Label „Friedenspolitik“ auf nationaler und europäischer Bühne. Wie die AfD hat sich auch BSW-Chefin Wagenknecht in diesem Jahr gegen eine Stationierung von amerikanischen Tomahawk-Raketen ausgesprochen und diese bundespolitische Entscheidung sogar zur Voraussetzung für mögliche Koalitionen auf Landesebene gemacht. Dasselbe gilt für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine.

Der politische Kurs beider Parteien gefährde den Frieden und die Sicherheit Europas, sagt CORRECTIV-Reporter Marcus Bensmann: „Sollte sich Putin in der Ukraine durchsetzen und die USA sich auf Wunsch von Trump aus Europa zurückziehen“, sagt Bensmann, „dann wird Europa unter eine russische Dominanz fallen. Damit sind all die Werte, von denen wir denken, sie seien gottgegeben, wie Rechtssicherheit und Demokratie weg.“ Die Folge seien politische Morde, staatliche Willkür und die Zerschlagung jeglicher Opposition. Zwanzig Jahre lang hat Bensmann aus Zentralasien und dem Kaukasus berichtet, er lebte in Russland und Regionen der ehemaligen Sowjetunion. Das einzige, was Putin bremsen könne, sagt er, sei die Geschlossenheit des Westens in der Unterstützung für die Ukraine. „Diese Geschlossenheit wird von AfD und BSW untergraben. Sollten die Feinde der Freiheit ihr Ziel erreichen, dann ist es auch mit der Freiheit für jeden einzelnen vorbei.“ In einem solchen System würden jegliche Hürden fallen, verfassungsfeindliche Bestrebungen, wie zum Beispiel die Remigrationspläne einiger AfD-Mitglieder, Realität werden zu lassen.

Wagenknecht, Bystron und Co. halten weiter zum Kreml. Die europäische Politik hat die Angriffe aus Putins Reich zu lange untertrieben, die Bedrohung verschleiert und kleingeredet. Das muss sich ändern. Die Invasion in der Ukraine und die Attacken der vergangenen Jahre haben endgültig offenbart: Mit der Doktrin „Wandel durch Handel“ lässt sich der russische Bär nicht bändigen. Der Frieden zwischen Europa und Russland ist vorbei.

Wir müssen uns diesem Konflikt in aller Konsequenz stellen und unsere Demokratie und Freiheit bewahren.

Die Serie: Putins langer Krieg gegen den Westen

 

„Europas Brandstifter – Putins Krieg gegen den Westen“ liefert einen Überblick zum Konflikt zwischen Russland und Europa. (Foto: CORRECTIV)

Das Buch „Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“ erscheint am 16.10.2024 im CORRECTIV.Verlag. Es bündelt die Russland-Recherchen des gemeinnützigen Medienhauses CORRECTIV aus den vergangenen zehn Jahren und setzt sie in Bezug zu aktuellen Entwicklungen. Wir haben alte Stasi-Akten zu Putins frühen Jahren in Dresden ausgewertet, das Lobbynetzwerk um Gazprom mit seinen Verstrickungen bis tief in die deutsche Politik transparent gemacht und über Russlands Verrohung berichtet: Über die Korruption im Justizsystem, über die Gewalterziehung in der Armee und die Kriegsverbrechen russischer Soldaten.

Marcus Bensmann und David Schraven sind Hauptautoren des Buches. Sergej Lukaschewski hat ein Nachwort aus russischer Sicht auf den Konflikt verfasst.

„Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“ stellen wir zur Frankfurter Buchmesse vom 16. bis zum 20. Oktober 2024 vor. Am Freitag, 18. Oktober 2024, diskutiert Bensmann dort im Frankfurt Pavillon die Frage, ob unsere Demokratie gegen Putins autoritäres Regime bestehen kann, mit Irina Scherbakowa von der Menschenrechtsorganisation Memorial und dem russischen Schriftsteller und Dissidenten Dmitry Glukhovsky.

Alle Infos zu der Veranstaltung finden Sie hier.

Das Buch „Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“ können Sie hier vorbestellen.