In eigener Sache

Im Konflikt mit Europa: Propaganda à la Putin

Zum russischen Waffenarsenal im Konflikt mit Europa gehören Falschnachrichten und Propaganda. Sie sollen westliche Demokratien schwächen und Extremisten stärken, um den Zusammenhalt der Staatengemeinschaft zu unterwandern. Dazu erscheint das CORRECTIV-Sachbuch „Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“. Wir stellen es zur Frankfurter Buchmesse vom 16. bis zum 20. Oktober 2024 vor. Dies ist Teil zwei unserer dreiteiligen Begleitserie: Wem nützen die Lügen?

von Bastian Schlange

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Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV

Russische Trollarmeen ziehen in den Desinformationskrieg mit dem Westen, unterstützt von einem Heer aus Bots und Fake-Accounts. Flankiert werden die Propaganda-Truppen von den Staatsmedien, die sich – wie Russia Todays Chefredakteurin Margarita Simonjan ganz unverhohlen festhält – als „Verteidigungsministerium“ des Kremls verstehen. Sie seien „eine Waffe wie jede andere auch“, um den Menschen zu zeigen, was sie zu denken haben. Damit die Desinformationsschleudern täglich die Messenger und Social-Media-Kanäle mit neuen Lügen befeuern können, bekommen sie Munition aus den schier unerschöpflichen Propagandaschmieden der russischen Geheimdienste.

Was übertrieben klingt, ist traurige Realität.

Allein im ersten Jahr nach Kriegsbeginn sollen prorussische und EU-feindliche Falschnachrichten über 165 Millionen Menschen erreicht und damit mindestens 16 Milliarden Seitenaufrufe generiert haben. Das geht aus einer Analyse von insgesamt 2.200 Accounts auf den großen Social-Media-Plattformen hervor, die im Rahmen des Berichts „Digital Services Act: Application of the risk management framework to Russian disinformation campaigns“ der Europäischen Kommission entstanden ist.

Russland war eines der ersten Länder, die Desinformation als Waffe verstanden und erfolgreich eingesetzt haben, um ihre außenpolitischen Interessen zu verfolgen. Die Propagandisten des Kremls beherrschen ihr Handwerk und laufen spätestens seit dem 24. Februar 2022 auf Hochtouren. Dabei sind die Kernbotschaften immer gleich: Die Unterstützung der Ukraine ist falsch, die transatlantische Bindung ist ein Irrweg, die europäischen Regierungen sind heillos überfordert, und kremlfreundliche, extremistische Parteien sind gut.

Für einen Kurswechsel in der EU

16. September 2024: WDR, NDR und SZ berichten über geleakte Dokumente der russischen Propaganda-Agentur SDA. Die SDA zählt unter anderem das russische Innenministerium zu ihren Kunden, das russische Katastrophenschutzministerium und die Staatsduma, das Unterhaus des russischen Parlaments. Das Datenpaket umfasst Dokumente aus den Jahren 2022 und 2024. Insgesamt 2,4 Gigabyte – darunter Auftragslisten, Sitzungsprotokolle und interne E-Mails – die Einblicke in die Propagandastrategie des Kremls geben.

SDA steht für „Social Design Agency“, der Name ist Programm: „Unsere Inhalte passen ins Weltbild westlicher Bürger“, sagt ihr Chef Ilya Gambashidze in einem Firmenvideo. Seine Krawatte sitzt eng, das weiße Hemd ist bis zum Hals zugeknöpft, darüber trägt er einen dünnen Parka in Flecktarn. Gambashidze hat diese Phantasieuniform an, ohne eine Miene zu verziehen. Auf seinen Ärmel ist ein Aufnäher genäht: „Russische ideologische Streitkräfte“ steht da in kyrillischen Buchstaben. Diese Einheit ist frei erfunden – wie so vieles bei der SDA. Ihre Mission aber meint die Agentur todernst.

„Indem wir unsere Informationsangriffe sorgfältig vorbereitet haben und die Ziele und Aufgaben des Projekts verstehen, glauben wir fest an den endgültigen Sieg“, erklärt Gambashidze auf Russisch. „Das Schlachtfeld sind die Köpfe der Bewohner des Planeten Erde“, sagt er. „Auf diesem Schlachtfeld werden wir herrschen.“

Um auf einem internationalen Schlachtfeld siegen zu können, müssen die Desinformationskampagnen und Narrative für jede Zielnation passgenau zugeschnitten werden, heißt es in den SDA-Papieren. Was sind die Einfallstore, wer die wichtigen Multiplikatoren? Ganz konkret schlüsselt die SDA prorussische Influencer in Deutschland auf, Mitstreiter, die aus ihrer Sicht russische Narrative in den deutschen Parlamenten vertreten: darunter AfD-Chefin Alice Weidel und ihr Parteikollege Petr Bystron, aber auch die ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.

Der angebliche Kriegstreiber USA

Wagenknecht war schon immer gut im Verklären russischer Verbrechen. Anfang der Neunziger lobte sie in einer Abhandlung den sowjetischen Diktator und millionenfachen Mörder Josef Stalin für seine Leistungen: „Was immer man – berechtigt oder unberechtigt – gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag“, schrieb sie, man habe doch „Elend, Hunger, Analphetismus“, halbfeudale Abhängigkeiten und schärfste kapitalistische Ausbeutung überwunden, außerdem Hitler besiegt und die sozialistischen Gesellschaftsverhältnisse über den halben europäischen Kontinent ausgeweitet.

Am 20. Februar 2022, vier Tage vor dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine, raunte Wagenknecht in der Talkshow Anne Will, dass ein russischer Einmarsch von interessierten Kreisen „herbeigeredet“ werde. Damit spielte Wagenknecht auf die USA an und bediente ein russisches Narrativ, an dem sie bis heute eisern festhält. Knapp zwei Jahre später erklärte sie in der Bundespressekonferenz: „Es geht in der Ukraine zentral um die Frage: Wird die Ukraine ein Aufmarschgebiet amerikanischer Militärbasen und amerikanischer Regierungen?“ Als „blutiger Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland“ wird der Ukrainekrieg im EU-Wahlprogramm ihrer Partei Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) bezeichnet. Antiamerikanismus wie aus russischer Feder.

AfD-Mann Bystron bläst ins selbe Horn: „Wir sehen ganz deutlich, dass die USA Russland in diesen Krieg regelrecht getrieben haben und vor allem, dass sie jetzt die Ukraine immer weiter anstacheln, in diesem Krieg weiterzumachen“, sagte der rechte Politiker, der immer wieder mit inoffiziellen Reisen in die Ukraine, nach Belarus und Russland aufgefallen ist und den russischen Einmarsch in die Ukraine als „das Ende des Weltmonopols mit den USA als alleinige Hegemonialmacht“ bezeichnete. „Die unsinnigen Sanktionen gegen Russland, die die USA und die EU Deutschland aufgezwungen haben, die beschädigen unsere Wirtschaft“, sagte er in einem Interview mit dem russischen Propagandasender Voice of Europe. Über Voice of Europe soll Bystron geschmiert worden sein, seine politische Immunität wurde für ein Ermittlungsverfahren aufgehoben; dennoch sitzt er weiterhin für die AfD im Europaparlament.

Entsprechend wenig überrascht es, dass ein Propagandaziel, das explizit für Deutschland in den geleakten SDA-Dokumenten formuliert wird, die „Erhöhung des Stimmenanteils der AfD auf 20 Prozent“ ist. Man wolle außerdem auf EU-Ebene „einen möglichen Kurswechsel hin zu einer erneuten Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation“ einleiten, heißt es in einem Dokument, das die Kampagnenstrategie zur Europawahl in diesem Jahr umfasst. Deswegen müsse die Fraktion „Identität und Demokratie“, die im vergangenen Europaparlament rechte Parteien wie die AfD versammelte, weiter gestärkt werden.

Der Kreml arbeite auf eine Koalition der AfD mit Wagenknecht hin, heißt es in europäischen Geheimdienst-Unterlagen, aus denen die Washington Post am 21. April 2023 zitiert. Das Ganze solle dann als neue Friedensbewegung verkauft werden.

Jede Enthüllung kratzt nur an der Spitze des Eisberges

4. Juli 2024: Über ein Datenleck beim russischen Auslandsgeheimdienst SWR berichten Der Spiegel und das Investigativportal The Insider. Die Unterlagen geben tiefere Einblicke in Russlands Informationskrieg gegen den Westen. Das Unterbewusstsein des Zielpublikums müsse durch „kognitive Attacken“ mit „Panik und Horror überwältigt werden“, heißt es in einem Papier des SWR. Außerdem wird beschrieben, wie vom russischen Geheimdienst angeheuerte Männer Demonstrationen in Europa unterwandern und sich mit Plakaten unter die Massen mischen. Fotos dieser Männer entstanden bei Demonstrationen in Paris, Brüssel, Den Haag oder Madrid. Forderungen wie „Keine Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine, keine weitere Unterstützung!“ waren auf den Schildern zu lesen. Die Bilder sollten in den Sozialen Netzwerken den Eindruck vermitteln, die Anti-Ukraine-Proteste und die Ablehnung des Krieges seien ein Massenphänomen in ganz Europa.

17. April 2024: Ein geleaktes Dokument des russischen Außenministeriums fordert Maßnahmen zur Schwächung des Westens in „der militärisch-politischen, wirtschaftlichen, handelspolitischen und informationspsychologischen Sphäre“, berichtet die Washington Post. In dem als geheim eingestuften Nachtrag zum „Außenpolitischen Konzept der Russischen Föderation“ heißt es konkret: Das Ziel sei es, die unipolare Weltordnung zu stürzen, denn der Ausgang des Krieges in der Ukraine würde „in hohem Maße die Umrisse der künftigen Weltordnung bestimmen“.

20. Januar 2024: Das Auswärtige Amt deckt eine russische Desinformationskampagne mit mehr als 50.000 Fake-Konten auf der Onlineplattform X auf. Innerhalb eines Monats sollen die Konten mehr als eine Million deutschsprachige Beiträge abgesetzt haben. Ziel der russischen Kampagne sei gewesen, Stimmung gegen die Ampelregierung zu machen. Experten ordnen das Netzwerk der sogenannten „Doppelgänger“-Kampagne zu. Laut der Forschungsgruppe von AI Forensics hat die Doppelgänger-Kampagne zwischen August 2023 und März 2024 allein in Deutschland und in Frankreich 38 Millionen Menschen erreicht – und das nur über Meta-Plattformen wie Facebook und Instagram.

Wer und was verbirgt sich genau hinter dieser Kampagne?

Die Doppelgänger sind nicht zu stoppen

Die Doppelgänger-Kampagne ist die bisher größte und komplexeste russische Desinformationskampagne, die seit dem Angriff auf die Ukraine bekannt geworden ist. Im September 2022 berichtete das CORRECTIV.Faktencheck-Team erstmals über das Netzwerk, zu dem damals die Fälschungen von mehr als 60 Webseiten großer Medien gehörten. Darunter waren täuschend echt wirkende Imitate von Spiegel, Süddeutsche, Tagesspiegel, Bild, t-online und Welt, aber auch des britischen Guardian oder der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. Die darüber veröffentlichten Desinformationen verbreitete ein Geflecht aus Social-Media-Konten.

Trotz Versuchen, die Kampagne zu stoppen, fällt sie Faktencheckerinnen und Forschern seitdem immer wieder mit Aktivitäten auf. Zu den gefälschten Nachrichtenartikeln kommen Fake-Regierungsdokumente oder Kopien von Ministeriumsseiten, um angebliche Gesetzesentwürfe zu veröffentlichen, die dann über die Social-Media-Netzwerke der Kampagne verbreitet werden. Auch eine Cartoon-Serie, die die ukrainische Regierung um Präsident Wolodymyr Selenskyj lächerlich macht, gehört zu ihrem Repertoire.

2022 führen erste Hinweise von der Doppelgänger-Kampagne zu Jewgeni Prigoschin, einem der großen Player innerhalb der russischen Desinformationsszene. Prigoschin war Gründer der Söldnertruppe Wagner und der Kopf hinter den Trollarmeen der Patriot Media Group und der Internet Research Agency (IRA). Nach einem gescheiterten Aufstand gegen Russlands Militärführung kam Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz im August 2023 ums Leben.

Die IRA wiederum war bis zum SDA-Leak eine der wenigen bekannten Figuren der russischen Desinformation. Spätestens seit 2016, seit dem Trump-Wahlkampf und den Kampagnen zum Brexit-Referendum, ist die IRA Teil der öffentlichen Diskussion über die russischen Desinformationsattacken. Die Organisation, die in den westlichen Medien auch Trollarmee oder Putinbots genannt wird, hat ihren Sitz in Sankt Petersburg und arbeitet verdeckt im Auftrag des Kremls.

Die IRA habe „komplexe technologische, soziale und kognitive Schwachstellen“ ausgenutzt, heißt es in einer Analyse von New Knowledge. Die Studie hatte im Auftrag des Geheimdienstausschusses des US-Senats Millionen von Einträgen in Sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Youtube und Instagram aus der Zeit des Präsidentschaftswahlkampfes 2016 untersucht. 81 IRA-Konten hatten auf Facebook zwischen den Jahren 2015 bis 2017 ungefähr 77 Millionen Interaktionen wie Likes oder Kommentare ausgelöst. Im selben Zeitraum veröffentlichte die IRA über 133 Instagram-Accounts etwa 116.000 Instagram-Beiträge – mit rund 187 Millionen Interaktionen. „Während ihrer mehrjährigen Bemühungen“, schreibt die Autorengruppe der Untersuchung, „nutzte die Internet Research Agency die Spaltungen in unserer Gesellschaft aus, indem sie Schwachstellen in unserem Informationsökosystem ausnutzte. Sie beutete soziale Unruhen und kognitive Verzerrungen von Menschen aus.“

Ilya Gambashidze gilt mit seiner SDA als eine Art Nachfolger von Jewgeni Prigoschin und dessen IRA. Anfang September hat die US-Regierung unter anderem die SDA offiziell beschuldigt, die US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 beeinflussen zu wollen. Auch ist man in den USA überzeugt, dass Gambashidzes Agentur hauptverantwortlich für die Doppelgänger-Kampagne ist.

Deutsch-russisches Zusammenspiel

Wenn Falschnachrichten gezielt Ängste in der Bevölkerung schüren und die Politik der Ampelregierung attackieren, spielt das extremistischen Parteien wie der AfD in die Hände. Darüber hinaus hat unsere CORRECTIV.Faktencheck-Redaktion Anfang 2023 belegt, dass das Doppelgänger-Netzwerk auch reale Inhalte von AfD-Politikern beworben und sie über ihre Konten verbreitet hat. „Wir unterstützen die Partei mit allen Mitteln“, heißt es in Unterlagen des US-Justizministeriums. Geschaffen werden solle „das Bild von Märtyrern, die für die Demokratie und Deutschlands nationale Interessen“ litten.

Wie eine Untersuchung des privaten Forschungsinstitut Trollrensics belegte, haben Trollarmeen auf X zur Europawahl massiv Stimmung für die AfD gemacht. Tausende zentral gesteuerte Accounts verbreiteten neben russischer Propaganda und Falschinformation Werbung für die Rechtspopulisten, ebenso für das Bündnis Sahra Wagenknecht.

Mit enormem Aufwand hat Russland über Jahre hinweg eine virtuelle Infrastruktur für den Informationskrieg aufgebaut. Über sie kann der Kreml nun spalterisch-extremistische Kräfte unterstützen, um die europäische Staatengemeinschaft systematisch zu destabilisieren.

Die Serie: Putins langer Krieg gegen den Westen

 

„Europas Brandstifter – Putins Krieg gegen den Westen“ liefert einen Überblick zum Konflikt zwischen Russland und Europa. (Foto: CORECTIV)

Das Buch „Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“ erscheint am 16.10.2024 im CORRECTIV.Verlag. Es bündelt die Russland-Recherchen des gemeinnützigen Medienhauses CORRECTIV aus den vergangenen zehn Jahren und setzt sie in Bezug zu aktuellen Entwicklungen. Wir haben alte Stasi-Akten zu Putins frühen Jahren in Dresden ausgewertet, das Lobbynetzwerk um Gazprom mit seinen Verstrickungen bis tief in die deutsche Politik transparent gemacht und über Russlands Verrohung berichtet: Über die Korruption im Justizsystem, über die Gewalterziehung in der Armee und die Kriegsverbrechen russischer Soldaten.

Ein Erzählstrang des Buches ist ein Zeitstrahl mit rund 200 Ereignissen, die aus unserer Sicht wichtige Entwicklungen im Konflikt zwischen Russland und Europa markieren.

„Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“ stellen wir zur Frankfurter Buchmesse 2024 vom 16. bis zum 20. Oktober vor. Am Sonntag, 20. Oktober 2024, stellt Bastian Schlange die Frage: „Desinformation vs. Demokratie: Wo geht es hin und was können wir tun?“ Sein Vortrag wird direkt am CORRECTIV-Stand stattfinden, Halle 3.1 | 3.1/D62.

Alle Infos zu der Veranstaltung finden Sie hier.

Das Buch „Europas Brandstifter – Putins Krieg gegen den Westen“ können Sie hier vorbestellen.

Anmerkung: Eine Formulierung zur Quelle eines Zitats im letzten Abschnitt dieses Textes war missverständlich. Wir haben sie konkretisiert. (16.10.2024)