Staat und Terror in Somalia

Hauptsache Kohle

In Somalia führt die Regierung offiziell Krieg gegen die Terrormiliz Al-Shabaab. Wirtschaftlich scheinen beide aber gemeinsame Interessen zu verfolgen, wie eine CORRECTIV-Recherche zeigt. Sowohl die Islamisten als auch Vertreter des Staates profitieren demnach vom millionenschweren Handel mit Holzkohle. Ein Geschäft, das Natur und Existenzen bedroht: Durch den Handel im In- und Ausland und durch die systematische Erpressung derjenigen, die nichts als überleben wollen. Die Opfer dieses Systems schildern aus erster Hand den Scheideweg, an dem sie leben. Trotz der erheblichen Risiken, die damit für sie verbunden sind.

Collage aus LKW und somalischen Al-Shabaab Kämpfern

Hauptsache Kohle

In Somalia führt die Regierung offiziell Krieg gegen die Terrormiliz Al-Shabaab. Wirtschaftlich scheinen beide aber gemeinsame Interessen zu verfolgen, wie eine CORRECTIV-Recherche zeigt. Sowohl die Islamisten als auch Vertreter des Staates profitieren demnach vom millionenschweren Handel mit Holzkohle. Ein Geschäft, das Natur und Existenzen bedroht: Durch den Handel im In- und Ausland und durch die systematische Erpressung derjenigen, die nichts als überleben wollen. Die Opfer dieses Systems schildern aus erster Hand den Scheideweg, an dem sie leben. Trotz der erheblichen Risiken, die damit für sie verbunden sind.

von Marc Engelhardt, Abdalle Ahmed Mumin, Bettina Rühl, Assia Shidane

13. Dezember 2022

von Marc Engelhardt, Abdalle Ahmed Mumin, Bettina Rühl, Assia Shidane

13. Dezember 2022

Als die schwer bewaffneten Islamisten das Hotel in der somalischen Hauptstadt stürmten, flohen dort versammelte Regierungsmitglieder aus den Fenstern. Mehr als 12 Stunden hielten die Kämpfer von Al-Shabaab um die 60 Menschen in ihrer Gewalt, Anwohner berichteten von Explosionen und Schüssen. Am Ende waren die Angreifer, ein Polizist und acht Zivilisten tot. Das Attentat Ende November ist nur eines von vielen, die Al-Shabaab in den vergangenen Monaten verübt hat. Einen Monat zuvor waren 120 Menschen gestorben, nachdem die Islamisten Autobomben vor dem Bildungsministerium gezündet hatten. Die Regierung hat Al-Shabaab den Kampf angesagt. Nach einem besonders schweren Attentat mit 587 Toten im Jahr 2017 kündigte der damalige Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed an, Al-Shabaab im ganzen Land zu besiegen. Sein Nachfolger Hassan Sheikh Mohamud erklärte kurz nach seiner Wahl im August dieses Jahres, er plane einen „totalen Krieg“ gegen die Terroristen, mit Bombardements, Angriffen am Boden und aus der Luft. Tatsächlich hat die somalische Armee gerade erst eine strategisch wichtige Stadt zurückerobert. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit, wie eine CORRECTIV-Recherche aufdeckt. Wenn es stimmt, was Beteiligte uns berichten, dann haben Regierende und Terroristen gemeinsame Interessen – ein schmutziges Geschäft, an dem beide Seiten mitverdienen: Der millionenschwere Handel mit Holzkohle, die aus den rapide schwindenden Akazienwäldern des Sahelstaats am Horn von Afrika hergestellt und ins Ausland exportiert wird. Mit den Vorwürfen konfrontiert, reagierte das somalische Informationsministerium nicht auf die Ergebnisse unserer Recherchen.

LKW beladen mit Holz Aschehaufen nach der Holzkohleproduktion Säcke gefüllte mit Holzkohle Ein Mann trägt einen Korb mit Holzkohle

Baumstämme werden von Fahrern mit Trucks zu Köhlern gebracht, wo sie zu Holzkohle verarbeitet werden. Weil es in Somalia nur wenige Lastwagen gibt, wird die Ladung so hoch gestapelt wie möglich. Bei den Stämmen handelt es sich vor allem um Akazienholz, das in Gebieten unter Kontrolle von Al-Shabaab geschlagen wird. Das Foto stammt wie alle in dieser Galerie von Somalierinnen und Somaliern, die sie im Schutz der Anonymität mit uns geteilt haben.

Beim Köhler angekommen, wird das Holz auf einen Haufen gestapelt und luftdicht mit Erde bedeckt, bevor es angezündet wird. In diesen einfachen Meilern wird das Holz mehrere Tage lang verkohlt. Die Temperaturen im Meiler steigen dabei auf bis zu 400 Grad an. Am Ende bleibt etwa ein Drittel des Holzvolumens als Kohle übrig.

Die fertige Holzkohle wird in Säcken verpackt, die entweder an somalische Händler geliefert oder exportiert werden. Vor allem in der arabischen Welt ist somalische Holzkohle wegen des Aromas der Akazien bei Shisha-Rauchern beliebt und entsprechend wertvoll. Ein von den UN verhängtes Embargo wird auch den eigenen Kontrolleuren zufolge nicht eingehalten.

Ein Mann trägt einen Korb mit Holzkohle, den er von einem Truck abgeladen hat. Für Somalierinnen und Somalier ist Holzkohle die wichtigste Energiequelle. Laut UN kochen oder heizen 98 Prozent aller Haushalte in Somalias Städten damit. Die kleinen, “Jiko” genannten Öfen stehen auf dem Fußboden und haben eine sehr niedrige Effizienz.

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Bäume wurden seit 2012 in Somalia abgeholzt und in Holzkohle verwandelt

Im CORRECTIV-CrowdNewsroom äußern sich diejenigen, die an dem kriminellen Geschäft beteiligt sind (siehe Box: So haben wir recherchiert). Denn Herstellung und Handel mit Holzkohle für den Export sind in Somalia seit 2012 gesetzlich untersagt. Holzfäller, Köhler und Lastwagenfahrer bilden mit Händlern und Käufern eine Wertschöpfungskette. Ihre Aussagen hat der Satellitenbildexperte Niklas Jordan anhand von Fotos und Satellitenbildern für CORRECTIV überprüft. Sie zeichnen das Bild einer komplexen Operation, die für die Islamisten eine millionenschwere Einkommensquelle darstellt, von Somalias Armee aber trotzdem nicht unterbunden wird. Vermutlich, weil das Geschäft lukrativ für beide Seiten ist. Für Natur und Klima sind die Folgen hingegen katastrophal. Einer gemeinsamen Studie von EU und FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN, zufolge wurden schon zwischen 2006 und 2012, als Al-Shabaab auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren, sieben Prozent der ohnehin spärlichen Vegetation für Holzkohle abgeholzt. Der UN-Sicherheitsrat verbot den Handel mit somalischer Holzkohle 2012, Somalias schwache Regierung zog nach. Dennoch wurden in den Jahren danach laut UN weitere 8,2 Millionen Bäume, vor allem Akazien, abgeholzt und in Holzkohle verwandelt.

Karte Somalia Satellitenbild Jilib 2006 Satellitenbild Jilib 2020 Satellitenbild Buurhakaba 2006 Satellitenbild Buurhakaba 2020

Somalia ist bis heute ein zerrissenes Land. Die Hauptstadt Mogadischu und weitere Städte werden von der Regierung kontrolliert. Die Spur zum Grundstoff von Somalias „schwarzem Gold“ führt dagegen tief ins somalische Hinterland, wo Al-Shabaab regiert.

Al-Shabaab
Regierung und Verbündete
Diverse Gruppen / Unklar
Quelle: polgeonow.com, Stand 14.12.2021

Vor allem in den drei Regionen Jubaland, Lower Shabelle und Bay wird unserer Recherche zufolge im großen Stil abgeholzt.

Rund um die von den Islamisten kontrollierte Stadt Jilib etwa ist das satte Grün, das noch 2006 auf Satellitenbildern zu sehen ist,...

...dem Rostrot des nackten Bodens gewichen (Satellitenbild aus 2020).

Ähnlich sieht es auf Satellitenbildern aus der Region Bay aus. Seit Anfang 2020 hat es dort kaum noch geregnet, fünf Regenzeiten fielen aus.

Die nach den Abholzungen ausgelaugten Böden gleichen Wüste. Jeder und jede Zweite in Somalia leidet unter der Dürre, Hunderttausenden droht der Hungertod. In der überwiegend von Al-Shabaab beherrschten Region Bay ist es besonders schlimm. Laut UN liegt hier das „Epizentrum der Krise“.

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Geschätzte Einnahmen aus dem Holzkohle-Export in die Golf-Region in US Dollar

Das liegt auch an den Terroristen selbst. Al-Shabaab bedroht Hungernde, Händler und Helfer und presst selbst den Ärmsten Steuern ab. Wer Bäume fällt, muss ebenso zahlen wie diejenigen, die Getreide anbauen oder ihr letztes Vieh verkaufen. Mohammed, der im Rahmen der Recherche auf unsere Fragen geantwortet hat, leidet unter beidem, der Dürre und dem Terror. Dennoch trägt er zu beidem bei. Denn sein Geschäft, der Holzkohlehandel, zerstört nicht nur die letzten Wäldchen in Bay, was die Wüstenbildung beschleunigt. Es finanziert auch seine Peiniger. Für Al-Shabaab sind die Einnahmen aus der Holzkohle eine wichtige Einkommensquelle, wie eine Expertenkommission im Auftrag der UN schon 2011 feststellte. Die Einnahmen aus dem Export vor allem in die Golf-Region wurden auf mehr als 15 Millionen US-Dollar geschätzt. Aktuellere Studien gibt es nicht. Aber die CORRECTIV-CrowdNewsroom-Recherche deckt auf, dass die Einnahmen für die Terroristen bis heute sprudeln: Was für die Taliban in Afghanistan der Schlafmohn, ist für Al-Shabaab in Somalia die Holzkohle. „Ich mache da nur mit, weil die Umstände so hart sind“, sagt Mohammed CORRECTIV. „Ich habe mir das nicht ausgesucht. Aber von irgendetwas muss ich leben, und mit der Herstellung von Holzkohle kann ich meinen Lebensunterhalt sichern.“

Mohammed heißt eigentlich anders. Seinen Namen möchte er, wie die anderen Befragten, nicht nennen. Wer Al-Shabaab kritisiert, muss um sein Leben fürchten. Immer wieder werden kritische Journalisten ermordet. Im CORRECTIV-CrowdNewsroom äußern sich die Informanten deshalb anonym. Viele ihrer Aussagen decken sich. Demzufolge wächst der Handel mit Holzkohle und hat mittlerweile riesige Ausmaße angenommen. Als Profiteure belasten die Befragten zudem nicht nur Al-Shabaab, sondern auch Vertreter des somalischen Staates.

Die Islamisten gehen in ihren Hochburgen äußerst brutal vor. Das berichten Köhler aus den ländlichen Regionen, die in ihren Meilern Holz zu Kohle verarbeiten, ebenso wie Fahrer, die mit ihren notdürftig zusammengeflickten Trucks entweder Baumstämme oder Säcke mit Holzkohle in die Städte fahren, vor allem in die Hauptstadt Mogadischu. Der Fahrer Aaden wurde nach eigenen Angaben schon mehrmals von den Islamisten festgesetzt, um Geld zu erpressen. Im Umgang mit den Fahrern seien die Islamisten nicht zimperlich. „Manchmal verprügeln sie uns, und einmal hat Al-Shabaab auch schon meinen Truck angezündet.“ Aaden berichtet, mitten auf der Straße nach Mogadischu verschleppt worden zu sein. „Sie haben uns mehrere Tage lang festgehalten, wir haben sie bekniet und bestochen, bis wir endlich wieder frei waren.“ Eine Umfahrung der Blockaden ist nicht möglich. Aus dem mit dürren Akazien bewaldeten Hinterland der Regionen Jubba, Lower Shabelle und Bay führen nur wenige Straßen in Richtung Küste. Dort, so berichten uns somalische Trucker, lagern die Islamisten, um abzukassieren. „Ich fahre Holzkohlesäcke von Gobanle in Lower Shabelle nach Mogadischu“, erzählt Abshir, der wie Aaden Lastwagen mit Holz oder Kohle fährt. Wer Stämme und Äste transportiert, an denen noch Blätter zu finden sind, verstößt offiziell gegen Auflagen, die die Islamisten selbst verhängt haben. Letztlich bleibe ihm nur eine Wahl, so Abshir: „Ich zahle, was immer Al-Shabaab verlangt.“ Für ihn selbst bleibe am Ende nicht viel übrig. „Ich verdiene gerade mal so viel, dass es fürs tägliche Essen reicht, Miete, Wasser, das war’s.“ Abshir würde gerne seinen Job wechseln, etwas weniger Gefährliches machen. „Holzkohle ist Schmugglerware und kann jederzeit beschlagnahmt werden, das ist mir schon klar – aber ich habe eine Familie, die ich durchbringen muss.“

Karte Somalia LKW beladen mit Holz Satellitenbild zeigt Mogadischu Aschehaufen nach der Holzkohleproduktion Karte Somalia Satellitenbild zeigt Straßensperre in Siinka Dheer

Dafür, dass Al-Shabaab sich bis heute mit Holzkohle finanziert, sprechen Satellitenaufnahmen: Sie zeigen nach Expertenansicht Meiler, die sich in von ihnen kontrollierten Gebieten befinden. Rund um die Ortschaften Bu’alle, Yaaq Biriweyne oder Ceel Qoxle. Köhler, die im CrowdNewsroom die Hinweise auf die ersten beiden Standorte gegeben haben, sagen: „Al-Shabaab, das sind die schlimmsten. Das Holz zu bekommen, wird immer schwerer und wird teurer, weil die Transporteure auf dem Weg so viele Probleme haben.“

Was die Fahrer ihrerseits berichten, ist ein weiterer Beleg für das boomende Geschäft. Demnach transportieren sie in ihren Trucks Holz vor allem nach Mogadischu, wo ebenfalls Holzkohle hergestellt wird.

Auf Satellitenbildern aus der somalischen Hauptstadt, die der Experte Niklas Jordan analysiert hat, sind solche Trucks und massenhaft Baumstämme zu sehen. Stämme, die den befragten Fahrern zufolge aus Regionen stammen, die Al-Shabaab kontrolliert.

Der sprudelnde Profit hat das Geschäft verändert. Zwar wurde Holzkohle in Somalia und anderen afrikanischen Ländern schon immer gehandelt, vor allem in schlechten Zeiten. Um verlorene Ernte zu ersetzen, fällten Bauern ein paar Bäume und verkauften die daraus gewonnene Holzkohle. Doch inzwischen hat der Handel andere Maßstäbe angenommen. Bäume werden massenhaft gefällt, transportiert, gelagert und nahe der Absatzmärkte zu Holzkohle verschwelt.

Satellitenbilder, die wir nach Hinweisen von Händlern untersucht haben, zeigen ein regelrechtes Industriegebiet für Holzkohle am Stadtrand von Mogadischu, kaum vier Kilometer von der Straßensperre des Militärs in Richtung Afgooye entfernt.

Die Straßensperre in Siinka Dheer wird vom Militär bemannt, dessen Garnison in dieser Vorstadt von Mogadischu liegt. Gut zu sehen sind die weißen Fahrzeuge, die quer zur Fahrtrichtung stehen, um Autos zum Anhalten zu zwingen. Die Straßensperre liegt auf der Grenze zwischen dem Hauptstadtbezirk Benadir, der unter voller Kontrolle der Regierung ist, und der Region Lower Shabelle, die in weiten Teilen von Al-Shabaab beherrscht wird.

Die somalischen Soldaten, die das Territorium der Regierung schützen, verlangen ihrerseits eine „Steuer“. Eigentlich müssten sie die Trucks beschlagnahmen. Herstellung und Handel mit Holzkohle sind schließlich gesetzlich untersagt. Stattdessen halten sie nach Aussagen unserer Informanten die Hand auf. Und wenn die Armee auf diese Weise mitverdient, wäre es nur logisch, dass sie den Islamisten nicht besonders zusetzt. Schließlich will niemand den Ast absägen, auf dem er sitzt. „Al-Shabaab verlangt 75 US-Dollar pro Ladung, die Regierung 85“, beklagt sich der Fahrer Gurey. „Ich würde sagen, Al-Shabaab ist die größte Herausforderung, aber auch die Regierung, die an unseren kleinen Transporten mitverdienen wollen“, bestätigt Taifa, Holzkohlehändler in Waydow. Und Shermake, der seine Holzkohle nicht weit vom internationalen Flughafen entfernt verkauft, sagt: „Wir zahlen Al-Shabaab und der Regierung gleich viel.“ Das Informationsministerium der somalischen Regierung forderten wir auf, zu diesen Aussagen Position zu beziehen. Doch das Ministerium äußerte sich nicht – ebenso wenig wie zu den riesigen Anlagen zur Holzkohleherstellung, die sich nach unseren Erkenntnissen in Gebieten befindet, die von der Regierung kontrolliert werden.
Somalia und Al-Shabaab Somalia besitzt seit dem Sturz des damaligen Präsidenten Siad Barre im Jahr 1991 kaum noch staatliche Strukturen. Der im Mai von einer Wahlversammlung gewählte Präsident Hassan Sheikh Mohamud herrscht vor allem über die Städte im Süden des Landes am Horn von Afrika. Die islamistische Terrormiliz Al-Shabaab kontrolliert dagegen weite Teile der ländlichen Regionen. Auch wegen einer seit Jahren anhaltenden Dürre und der wachsenden Nahrungsmittelknappheit unterstützen regionale Milizen inzwischen den Kampf gegen die Terrorgruppe, die sich als Teil von Al Kaida versteht. Al-Shabaab erhebt Steuern und finanziert sich durch illegale Geschäfte wie den Holzkohlehandel.
Satellitenbild zeigt Industriegebiet mit Holzkohlemeilern Wärmebild eines Sentinel-Satelliten zeigt Industriegebiet in Mogadischu

Das Industriegebiet, in dem aus dem Holz aus Shabaab-Gebieten Holzkohle gemacht wird, ist unserer Auswertung der Satellitenaufnahmen zufolge, riesig: Auf einem einzigen Grundstück, auf dem gut 200 Häuser Platz hätten, sind mindestens 50 Holzkohlemeiler verteilt. Jeder von ihnen ist ein meterhoher Hügel aus Lehm und Sand, unter denen die Holzkohle ohne Sauerstoffzufuhr bei glühender Hitze verkohlt. In nur einem solchen Meiler können innerhalb weniger Tage zwei bis drei Wagenladungen Holz zu einer Ladung Kohle umgewandelt werden.

Ein weiteres, ähnlich großes Gelände voller Meiler befindet sich kaum mehr als 100 Meter entfernt an der gleichen Straße. Mehr als 20 Trucks parken auf der Straße davor. Aufnahmen eines Sentinel-Satelliten aus gut vier Kilometern Höhe fügen weitere Indizien hinzu, dass es sich bei den Strukturen um Holzkohlemeiler handelt. Die spezielle Kamera des Satelliten misst die Feuchtigkeit auf der Erde. Glüht das Bild so rot wie im Fall dieses Grundstücks, dann ist der Boden extrem trocken. Und das, so erklärt der Satellitenbildexperte Niklas Jordan, komme selbst in trockenen Regionen wie Somalia sehr selten vor – zumal das Nachbargrundstück bereits deutlich weniger leuchte. Offenbar wird also in diesen Fabriken Holzkohle produziert – im großen Stil.

Die Größe der Holzkohlefabriken und ihre Lage an der Hauptstraße von Afgooye ins Zentrum von Mogadischu lassen es als unmöglich erscheinen, dass staatliche Ordnungshüter nicht Bescheid wissen. Den Maßstab der Operation belegt auch ein auf Satellitenbildern zu sehender Lagerplatz, auf dem Lastwagen Baumstämme abladen und auf gut sichtbaren Stapeln auftürmen, bevor sie von hier in die nahe liegenden Supermeiler transportiert werden. Wenn die Berechnungen von CORRECTIV stimmen, werden alleine in diesem Komplex täglich zwischen 25 und 50 Lastwagenladungen Holzkohle produziert. Der Megameiler muss unübersehbar sein, nicht nur aus der Luft. Dennoch wird gegen das illegale wie lukrative Geschäft nichts unternommen. Die Vermutung liegt nahe, dass staatliche Wächter mitverdienen. Hauptsache, es gibt Kohle.

Dieses Prinzip gilt auch auf den Märkten Mogadischus. Bei der trotz aller Verbote massenhaften Produktion müssten die Holzkohlepreise auf den Märkten in Somalias Hauptstadt historisch niedrig sein. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie Händler und Konsumentinnen berichten. „Früher haben wir ein Kilo Holzkohle für 5000 Shilling gekauft“, gibt etwa Aamina an. Inzwischen sei der Preis um mehr als das Doppelte auf 12.000 Shilling gestiegen. Um drei Mahlzeiten am Tag für ihre Familie zu kochen, geht ein erheblicher Teil des Familieneinkommens drauf. Andere Kundinnen machen ähnliche Angaben. Ein Grund ist offenbar, dass Holzkohle stärker nachgefragt wird als früher, wie Ahmed, ein Händler aus dem Stadtteil Wadajir sagt: „Der Gaspreis ist gestiegen, und deshalb sind Leute auf Holzkohle umgestiegen – auf den Märkten gibt es deshalb ein engeres Angebot.“ Häufiger nennen die Händler allerdings den Grund, dass sie den Behörden in der Stadt und Al-Shabaab so viel Geld zahlen müssen. So erzählt es Cumar, der Holzkohle im Stadtteil Waaberi verkauft. Und Abdi, der im Zentrum der Hauptstadt seinen Marktstand hat, beklagt sich: „Weiß Gott, die Regierung treibt immer wieder neue Abgaben bei uns ein.“ Geedi, Händler im Norden von Mogadischu, zahlt direkt an die Behörden und dann noch einmal an Beamte, die ihn am Stand heimsuchen. Tun kann er nichts dagegen. „Der Holzkohlehandel ist schließlich untersagt.“

Doch das alleine reicht noch nicht, um die Preisexplosion auf den Märkten zu erklären. Der vielleicht wichtigere Faktor ist das niedrige Angebot. Denn die Holzkohle wird in Länder exportiert, in denen weitaus mehr Geld zu holen ist. Auch das ist, wie die Produktion und der Handel, untersagt. Schon 2012 beschloss der UN-Sicherheitsrat ein entsprechendes Embargo. Doch das bleibt folgenlos. Für 2013 schätzten Experten den Wert des Exporthandels auf über 360 Millionen US-Dollar. Und erst am 10. Oktober 2022 berichteten UN-Kontrolleure dem Sicherheitsrat von einem aufgedeckten Schmuggel einer großen Menge somalischer Holzkohle mit Ziel Vereinigte Arabische Emirate. Es ging um 4.425 Tonnen Holzkohle. Alle Händler bis auf einen, der sich nicht äußern möchte, und alle der befragten Fahrer gehen davon aus, dass die Holzkohle exportiert wird – oder haben zumindest entsprechende Gerüchte gehört. Wegen des besonderen Aromas ist Holzkohle aus somalischen Akazien bei Shisha-Rauchern besonders beliebt und erzielt entsprechend hohe Preise. Einer Untersuchung der auf Umweltfragen spezialisierten Non-Profit-Organisation GRID Arendal aus dem Jahr 2014 zufolge gehen die Exporte unter anderem in die Arabischen Emirate Dubai, Sharjah und Khasab, außerdem nach Kuwait, in den Jemen, Saudi-Arabien, Ägypten und den Libanon. Wer im Internet nach somalischer Holzkohle sucht, wird schnell fündig. Eine Firma mit Sitz in Ägypten etwa wirbt damit, die für Shisha und Kochen gleichermaßen herausragende somalische Holzkohle „in jeder beliebigen Menge“ liefern zu können, schnellste Lieferung und beste Qualität“ garantiert. Exportiert werde von Zwischenhändlern oder direkt aus Somalia.

Satellitenbild eines Förderbands in Mogadischu Satellitenbild eines Förderbands in Mogadischu Karte Somalia Holzkohleablagerungen in Barawe Holzkohleablagerungen in Barawe

Und tatsächlich: Satellitenbilder von Somalias mit Abstand wichtigstem Hafen in Mogadischu scheinen zu bestätigen, dass Holzkohle verschifft wird. Im Nordwesten des Hafengeländes sind an zwei verschiedenen Verladeorten extrem starke, schwarze Ablagerungen auf zwei Piers zu erkennen. Fotos, die 2012 nach der Befreiung der Hafenstadt Kismayo von Al-Shabaab am Boden gemacht wurden, zeigen, wie stark gelagerte Holzkohle die Böden schwärzt. Al-Shabaab hatte dort damals Berge von Holzkohle gelagert. Eine schwarze Goldmine, die von Soldaten und unterstützenden Rebellen zu Geld gemacht wurde. Eine Nichtregierungsorganisation bezichtigte damals kenianische Truppen unter Mandat der Afrikanischen Union, den Handel anzuheizen und einen Umsatz von bis zu 400 Millionen US-Dollar im Jahr zu erzielen.

Die aktuellen Satellitenbilder aus Mogadischu zeigen einen Boden, der dem in Kismayo gleicht. Selbst im Vergleich zum Asphalt ist dieser so dunkel, dass der Luftbildexperte Jordan eine andere Herkunft praktisch ausschließt. Zahlreiche Lastwagen parken auf dem Gelände, es herrscht reger Betrieb. Auf einer der Aufnahmen ist auch mindestens ein Förderband zu erkennen.

Der Hafen von Mogadischu ist nicht der einzige, von dem aus Holzkohle verschifft zu werden scheint. Gut 200 Kilometer südlich liegt die Hafenstadt Barawe, die wie eine von der Regierung kontrollierte Oase von Al-Shabaab-Gebiet umgeben ist.

Auch in Barawe sind deutlich Holzkohleablagerungen auf mehr als drei Hektar Fläche zu sehen.

Bei den Stapeln auf der schwarzen Fläche scheint es sich um die aus grünem Plastik bestehenden Holzkohlesäcke zu handeln, die in Fotos zu sehen sind. Das Gelände ist zur See hin offen, vermutlich, um die Verladung auf Boote zu erleichtern.

Der Export von somalischer Holzkohle scheint also in vollem Gange. Mit den Einnahmen aus dem illegalen Geschäft finanziert Al-Shabaab ihren Terrorkampf gegen die somalische Regierung. Diese scheint nichts gegen den Handel zu unternehmen. Offenkundig auch beim völkerrechtswidrigen Export. Dass die Regierung schweigt, anstatt sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen, ist ein schlechtes Zeichen. Fakt ist: Beide Häfen, der in Mogadischu wie auch der in Barawe, liegen in der von Somalias Regierung kontrollierten Zone. Solange diese ihre Institutionen nicht nutzt, um die wichtige Einkunftsquelle von Al-Shabaab zu stoppen, werden auch die letzten Wälder Somalias abgeholzt werden – und die Anschläge auf die Bevölkerung weitergehen.

So haben wir recherchiert

Journalistische Recherchen in Somalia sind für Medienschaffende und ihre Gesprächspartner lebensgefährlich. Über die digitale CrowdNewsroom-Plattform von CORRECTIV konnten Somalierinnen und Somalier sich von ihrem Smartphone aus anonym und sicher zum Holzkohlehandel äußern, selbst wenn sie an dem illegalen Geschäft beteiligt sind oder in Gebieten leben, die von Al-Shabaab kontrolliert werden. Mit hochgeladenen Fotos belegten sie ihre Aussagen, andere wurden von einem Experten mit Hilfe von Satellitenbildern überprüft. Somalische Journalisten und Journalistinnen prüften die Aussagen und führten mit denen, die dazu bereit waren, vertiefende Einzelinterviews. Ein Experte für Satellitenbilder glich die in den Aussagen genannten Orte ab und interpretierte die Aufnahmen.

Wie gefährlich Journalistinnen und Journalisten in Somalia leben, zeigt das Schicksal des somalischen Kollegen, der an dieser Recherche beteiligt war. Abdalle Ahmed Mumin wurde im Zuge einer anderen Recherche am 11. Oktober 2022 unter fadenscheinigen Gründen vom somalischen Geheimdienst verhaftet und für 12 Tage festgehalten.

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