Faktencheck

Messungen belegen den Meeresspiegelanstieg am Zuckerhut

Auf Facebook und X verbreiten sich drei Fotos vom Zuckerhut, einem Felsen an der Küste Rio de Janeiros in Brasilien. Die Collage soll zeigen, dass sich der Meeresspiegel dort seit 1880 nicht geändert hat. Das stimmt nicht.

von Paulina Thom

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Anders als online behauptet, ist der Meeresspiegel um Rio de Janeiro seit 1880 um mehr als 20 Zentimeter gestiegen (Bild: Pixabay / Pauloduarte)
Behauptung
Drei Bilder aus den Jahren 1880, 1910 und 2010 belegten, der Meeresspiegel sei am Zuckerhut nicht gestiegen.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Die Fotos zeigen den Zuckerhut in Rio de Janeiro in Brasilien, aber sie sind kein Argument gegen den Meeresspiegelanstieg vor Ort. Dieser ist durch Messungen belegt: In hundert Jahren ist der Meeresspiegel in Rio de Janeiro um mehr als 20 Zentimeter angestiegen.

Eine Facebook-Seite namens Klimabetrug schreibt Ende Mai „Der Meeresspiegel steigt … und steigt… und steigt“ zu einer Bildcollage. Zu sehen sind drei Aufnahmen des Zuckerhuts, einem Felsen in Rio de Janeiro, die um die Jahre 1880, 1910 und im Jahr 2020 aufgenommen worden sein sollen. Der Kommentar der Facebook-Seite ist offenbar sarkastisch gemeint: Ein Meeresspiegelanstieg ist auf den Fotos nicht zu erkennen, stattdessen scheint die Halbinsel mit dem Felsen im Laufe der Zeit sogar an Landfläche dazugewonnen zu haben. 

Der Facebook-Beitrag wurde mehr als 15.000 Mal geteilt. Die Collage verbreitete sich auch auf Instagram, Tiktok und X, teilweise mit Hashtags wie „Klimalüge“ oder „Klimahysterie“. 

Es ist nicht das erste Mal, dass Nutzerinnen und Nutzer mit einem historischen Fotovergleich die Folgen des Klimawandels verharmlosen oder leugnen. Im Mai 2023 prüften wir einen ähnlichen Fotovergleich zur Freiheitsstatue in New York. Beide Vergleiche beweisen keinen „Klimaschwindel“.

Screenshot des Beitrages auf Facebook mit der Fotocollage
Auf Facebook teilten 15.000 Profile mehrere Fotos vom Zuckerhut in Brasilien – sie sollen offenbar zeigen, dass der Meeresspiegel vor Ort nicht gestiegen ist. Doch dafür sind sie kein Beleg. (Quelle: Facebook; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Datumsangabe der Fotos in zwei von drei Fällen korrekt 

Die Collage ordnet die Fotos den Jahren 1880, 1910 und 2020 zu. Die Bilder finden sich über eine Bilder-Rückwärtssuche auf unterschiedlichen Webseiten. 

Das obere Schwarz-Weiß-Foto soll laut Beschreibung auf Wikipedia zwischen 1880 und 1890 entstanden sein, das mittlere Schwarz-Weiß-Foto stammt laut Webshops, in denen es als Bild verkauft wird, aus dem Zeitraum zwischen 1910 und 1920. Das untere neuere Foto findet sich in der Bilddatenbank Getty Images – laut den Angaben wurde es dort 2012 hochgeladen. 

Auf den älteren Fotos ist die Küste größtenteils unbebaut, auf dem neueren Bild stehen dort zahlreiche Häuser – teils auch dort, wo zuvor Meer war. Das hat allerdings nichts mit dem Meeresspiegel zu tun: Das Viertel Urca ist ab den 1920er Jahren durch Aufschüttungen von Sand und Steinen künstlich auf der Halbinsel angelegt worden. 

Fotos eignen sich nicht als Argument gegen einen Anstieg des Meeresspiegels 

Unabhängig von dem Zeitpunkt ihrer Entstehung sind die Fotos kein Beleg gegen einen Anstieg des Meeresspiegels. Wie uns mehrere Expertinnen und Experten für unseren Faktencheck im Mai 2023 erklärten, ist ein solcher Vergleich schon aufgrund der Gezeiten unbrauchbar. Schließlich ist nicht klar, ob die Fotos in derselben Phase aufgenommen wurden. In Rio de Janeiro schwankt der Meeresspiegel bei Ebbe und Flut um bis zu einen Meter – das lässt sich auf mehreren Webseiten überprüfen. 

Hinzu kommt, dass man einen Meeresspiegelanstieg von einigen Zentimetern auf einem Foto aus der Vogelperspektive nicht erkennen kann – zumal das Vergleichsobjekt, in diesem Fall der Zuckerhut, knapp 400 Meter hoch ist. 

Meeresspiegel bei Rio de Janeiro in hundert Jahren um mehr als 20 Zentimeter gestiegen 

Daten der Wetter- und Ozeanografie-Behörde der Vereinigten Staaten, NOAA, belegen den Meeresspiegelanstieg an der brasilianischen Küste. Laut Messungen an der Station Ilha Fiscal in Rio de Janeiro ist der Meeresspiegel zwischen den Jahren 1963 und 2016 um 2,35 Millimeter pro Jahr gestiegen, das entspricht einem Anstieg von 23,5 Zentimeter in hundert Jahren. 

Grafik mit den Daten zum Meeresspiegelanstieg in Rio de Janeiro
Daten einer Station in Rio de Janeiro belegen den Meeresspiegelanstieg in der Stadt (Quelle: NOAA; Screenshot am 17. Juni 2024: CORRECTIV.Faktencheck)

Das entspricht etwa dem globalen Durchschnitt des Meeresspiegelanstiegs, laut der NOAA ist dieser seit 1880 um 21 bis 24 Zentimeter gestiegen. Dabei hat sich die Geschwindigkeit des Anstiegs laut Weltklimarat in den letzten Jahrzehnten erhöht. Das liegt zum einen daran, dass Wasser sich aufgrund der Erwärmung ausdehnt, und zum anderen am Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden in der Antarktis und in Grönland. Hauptfaktor seit den 1970er-Jahren ist der Einfluss des Menschen auf das Klima, schreibt der Weltklimarat. 

Redigatur: Sarah Thust, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Daten zum Meeresspiegelanstieg der Station Ilha Fiscal der Wetter- und Ozeanografie-Behörde der Vereinigten Staaten, archiviert am 7. Juni 2024: Link (Englisch)
  • Sonderbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC), Der Ozean und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima, 2019: Link (archiviert)