Mieter in der Heizungsfalle
Deutschlandweit häufen sich seit Monaten Meldungen über Mieterinnen und Mieter, die unter horrenden Heizkostennachzahlungen ächzen. Mal geht es nur um ein paar hundert, mal um mehrere tausend Euro. Für fast alle Betroffenen sind die hohen Geldbeträge ein Schock. Viele bangen um ihre Wohnung. Einige versuchen sich zu wehren und gehen sogar auf die Straße. Bei manchen geht es um die Existenz.
Was viele dieser Menschen nicht wissen: Hinter den enormen Nachzahlungen steckt nicht nur der Krieg in der Ukraine, der die Preise für Gas 2022 enorm ansteigen ließ. Die Ursache für die hohen Kosten findet sich in vielen Fällen im eigenen Heizungskeller – und in der deutschen Gesetzgebung: Denn Vermieter können den Betrieb ihrer Heizanlage an einen sogenannten Contractor oder auch Wärmelieferanten auslagern. Mieterinnen zahlen dann automatisch für Fernwärme, auch wenn im Keller die alte Gasheizung steht.
Horrende Heizkosten
Einzelne Firmen, die ihr Geld mit der Lieferung von Wärme machen, nutzen dabei aber offenbar rechtliche Schlupflöcher aus, um Profit zu machen. Das wirkt sich teils massiv auf die Heizabrechnungen aus: CORRECTIV liegen Contracting-Verträge vor, in denen die Heizkosten 2022 im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 230 Prozent stiegen. Bei gleichzeitig sinkendem Verbrauch. Für einige Firmen sei das ein „profitables Geschäftsmodell“, sagt Niklas Schenker, Abgeordneter und wohnungspolitischer Sprecher der Linken in Berlin. Weitere Branchenkennerinnen und Insider sprechen gegenüber CORRECTIV zum Teil von „Abzocke“ oder in einigen Fällen von „legalem Betrug“.
Zu den größten Contracting-Unternehmen gehören Firmen wie die Getec Group aus Magdeburg oder Techem Energy Solutions GmbH, mit Sitz im hessischen Eschborn, die Heizungskeller samt Heizung von Vermietern und Hauseigentümern teils über Jahre pachten und dann betreiben und betreuen. Auch Deutschlands größtes privates Wohnungsunternehmen, die seit Jahren berüchtigte Vonovia, profitiert über eine Tochterfirma.
Wärmelieferung: Hunderttausende Mieter betroffen
Deutschlandweit seien hunderttausende Mieterinnen und Mieter von überhöhten Kosten durch Contracting betroffen, schätzt der Verbraucherzentrale Bundesverband. Vielleicht sogar mehr.
Laut dem Lobbyverband Vedec werden rund vier Millionen Wohnungen in Deutschland über Contracting-Verträge versorgt. Vor allem mit Wärme. Angesichts der Rechercheergebnisse ist es fraglich, ob Mieterinnen und Mieter in allen Fällen profitieren.
Klar ist dagegen, dass es oft diejenigen trifft, die ohnehin nicht viel haben: Mieterinnen und Mieter von großen öffentlichen und privaten Mehrfamilienhäusern, die auf Bürgergeld angewiesen sind, die sich keine hohen Mieten leisten können. Und schon gar keine hohen Nachzahlungen.
Kein Klimaschutz: Gas weiterhin Brennstoff Nummer eins
Künftig könnten sogar noch mehr Menschen betroffen sein: Von Lobbyverbänden wird Contracting als eine Lösung für die Energiewende beworben. Auch in der Politik gilt diese Form der Energieversorgung als eine gute Option, die deutschen Klimaziele zu erreichen. Die Theorie: Wenn Hausbesitzer eine klimafreundliche Heizung einbauen möchten, aber das Geld fehlt, kann ein Contractor einspringen. Die Investition holt er sich dann über die Heizkosten zurück. Doch dieses Versprechen von mehr Klimaschutz geht in der Praxis bisher nicht auf: Mit rund 70 Prozent ist klimaschädliches Gas noch immer der Brennstoff Nummer eins in den Contracting-Anlagen. Das zeigen die Zahlen des Lobbyverbands Vedec für 2023.
Dazu kommt, dass in vielen Fällen die Contractoren einfach die „bestehende Heizanlage übernehmen“, sagt Anna Wolff, Referentin für Wohnungs- und Mietenpolitik vom Mieterbund Deutschland gegenüber CORRECTIV. Steht im Keller eine alte Gasheizung, dann seien „positive Auswirkungen auf das Klima und Kosteneinsparungen für Mieterinnen und Mieter“ in diesen Fällen zumindest fraglich.
Wir zeigen in dieser Recherche anhand mehrerer Beispiele, welche Konsequenzen die fragwürdige Praxis rund um die Contracting-Firmen für Mieterinnen und Mieter haben kann – wieso ihr Widerstand sich als schwierig gestaltet und welche politischen Maßnahmen helfen würden.
Rita Bauer lebt auf 60 Quadratmetern in Berlin. Kurz vor Weihnachten 2023 bekommt sie eine Mitteilung über die Nachzahlung für Heizkosten aus dem Vorjahr. Die Forderung hat es in sich: 6.500 Euro soll Bauer nachzahlen. Ihr Vermieter ist die Deutsche Wohnen, die seit 2021 zur Vonovia gehört.
Bauer ist nicht die einzige in ihrer Nachbarschaft, die betroffen ist. Die hohen Rechnungen von Deutsche Wohnen seien an den ganzen Wohnblock mit 1.500 Wohnungen gegangen, sagt Bauer im Gespräch mit CORRECTIV. Teilweise sollen ihre Nachbarn bis zu 9.000 Euro zahlen. Unter den Nachbarinnen und Nachbarn ist schnell klar: Sie wollen sich wehren. 650 Mietparteien hätten sich daraufhin zusammengetan, sagt Bauer.
Contracting: Heizung wird verpachtet
Was sie und ihre Nachbarinnen bis dahin nicht wissen: Ihr Vermieter, die Deutsche Wohnen, hat ihren Heizungskeller 2015 samt der Heizungsanlage an eine andere Firma verpachtet. Für eine Dauer von zehn Jahren. Neuer Pächter und Betreiber der Heizung ist seither die G+D Gesellschaft für Energiemanagement mbH. Das ist ein gemeinsames Tochterunternehmen der Deutsche Wohnen und dem Energieunternehmen Getec mit Sitz in Magdeburg. Nach der Übernahme der Deutschen Wohnen hält Vonovia mittlerweile 49 Prozent der Anteile. Ein Wirrwarr aus Zuständigkeiten.
Was für Mieterinnen und Mieter schwer nachzuvollziehen ist, ist für viele große Wohnungsgesellschaften wie Vonovia, LEG oder auch kommunale Wohnungsunternehmen eine gängige Praxis: Lagert ein Vermieter die Heizung an einen Wärmelieferanten aus, spart er die Kosten für Betrieb, Wartung oder den Austausch der Heizanlage. Die daraus folgenden Forderungen des Wärmelieferanten kann der Vermieter dann zu 100 Prozent an die Mieter weitergeben. Als Bonus zahlt der Contractor in manchen Fällen sogar noch mehrere hundert Euro monatliche Pacht für den Heizungskeller oben drauf.
Die Mieter sind dabei oft im Nachteil. So ist es auch im Fall von Rita Bauer und ihren Nachbarinnen. Denn noch immer heizen sie mit Gas. Nur zahlen müssen sie jetzt für Fernwärme – und die ist meist teurer. Kündigen oder einen anderen Energieversorger suchen können Mieterinnen und Mieter nicht. Sie sitzen in der Heizungsfalle.
Um gegen die hohen Nachzahlungen vorzugehen, haben Bauer und ihre Nachbarn ihre Verträge vom Berliner Mieterverein prüfen lassen.
Das Ergebnis: Die Preisklausel, auf die sich die Vonovia in ihrer Abrechnung bezieht, sei intransparent, unangemessen und verstoße gegen die entsprechende Rechtsverordnung, schreibt der Mieterverein in der Beurteilung des Falls. Die sogenannte „AVBFernwärme“ regelt in Deutschland die Versorgung mit Fernwärme. Die ausstehenden Forderungen seien damit unwirksam.
Unsere Recherche zeigt, dass dieses Vorgehen von Wohnungsgesellschaften und Wärmelieferanten keine Ausnahme ist.
CORRECTIV hat zehn Wärmelieferverträge und Abrechnungen durch Expertinnen und Experten auswerten lassen. Darunter die Rechtsanwältin und Expertin für Energierecht, Leonora Holling, und die Mietervereine aus Berlin und Hamburg. Drei weitere Verträge wurden unabhängig von Mietervereinen und Gutachtern geprüft. Die Ergebnisse liegen CORRECTIV vor. Betroffen sind demnach Mieterinnen und Mieter in mindestens sechs Städten: Berlin, Magdeburg, Stuttgart, Bottrop, Göttingen und Hamburg.
In allen Fällen seien die ausgewerteten Preisklauseln nach Einschätzung von Mietervereinen, Gutachtern und Branchenkennern entweder „sachlich falsch“, „unwirksam“ oder zumindest umstritten. Die rechtlichen Vorgaben würden von den Contracting-Firmen nicht eingehalten oder maximal ausgereizt. Immer zum Nachteil der betroffenen Mieterinnen und Mieter.
Möglich machen das rechtliche Schlupflöcher. Denn die Frage, wie genau sich die Preise bei der Wärmelieferung zusammensetzen, ist komplex und rechtlich nicht eindeutig geregelt. Das nutzen offenbar einzelne Contracting-Firmen aus, um Profit zu machen.
Wie setzen sich die Preise bei der Wärmelieferung zusammen?
Schließt ein Vermieter einen Vertrag mit einem Contractor oder Wärmelieferanten, greift die AVB FernwärmeV. Die Verordnung regelt in Deutschland die Versorgung mit Fernwärme. Mieterinnen und Mieter zahlen dann keinen Gas-, sondern einen Wärmepreis. Dieser setzt sich aus einer Klausel zusammen, in der es in der Regel einen Grund- und einen Arbeitspreis gibt. Im Grundpreis sind die Fixkosten des Contractings enthalten, die der Vermieter auf die Mieterinnen und Mieter umlegen kann. Dazu gehören unter anderem Wartung, Anschluss und Betrieb der Heizungsanlage.
Der Arbeitspreis muss sich aus zwei Elementen zusammensetzen: dem Kostenelement und dem Marktelement. Mit dem Kostenelement kann der Contractor die Kosten für die Beschaffung von Brennstoffen wie Gas decken. Das Marktelement dient dazu, die Preisentwicklung auf dem Energiemarkt abzubilden. Es sorgt dafür, dass sich der Wärmepreis an den Kosten anderer Energieträger wie beispielsweise Gas oder Strom orientiert. Bei steigenden Beschaffungskosten soll das Marktelement verhindern, dass der Preis von der allgemeinen Entwicklung auf dem Energiemarkt abweicht.
Die Konsequenz: In den Verträgen, die CORRECTIV vorliegen, lagen die Kosten Ende 2022 teilweise bei mehr als 60 Cent pro Kilowattstunde Gas. Im Vergleich: Der Marktwert betrug damals etwa acht bis zehn Cent pro Kilowattstunde. Das zeigt eine Auswertung durch den Finanzmathematiker und Fernwärme-Experten, Werner Siepe.
„Das zeigt ganz klar, dass diese riesigen Nachzahlungen nicht nur auf den Ukraine-Krieg und die Gaskrise geschoben werden können, sondern auch auf falsche Klauseln“, sagt Werner Siepe gegenüber CORRECTIV. „Hier wird Gas zu hohen Fernwärmepreisen abgerechnet.“ In seiner Auswertung für CORRECTIV spricht er von „legalem Betrug“.
Es geht um Verträge der Getec Group, Gasag, der kommunalen BEW Berliner Energie und Wärme AG, vormals Vattenfall, der Techem Energy Solutions GmbH, und der Enercity Contracting GmbH, einer Tochterfirma der Stadtwerke Hannover. Inwieweit tatsächlich gegen geltendes Recht verstoßen wird, muss in Einzelfällen allerdings ein Gericht klären.
Caren Lay, Sprecherin der Linken im Bundestag für Mieten- Bau und Wohnungspolitik, sieht hier ein „klares Geschäftsmodell am Werk“. „Es drängt sich der Verdacht auf, dass es um systematische Ausnutzung und Abzocke geht“, sagt die Politikerin.
Die Gasag teilt dazu auf Anfrage von CORRECTIV mit, dass grundsätzlich alle Contracting-Verträge auf der Fernwärmeverordnung basierten. Es gebe aber „Fälle, in denen sich Kunden für individuelle Preisregelungen entscheiden.“ Konkret heißt das: Wenn der Kunde zustimmt, dann kann der Vertrag auch von der Fernwärmeverordnung abweichen. Die hohen Kosten begründet das Unternehmen mit den hohen Beschaffungskosten durch die Gaskrise.
Die Enercity Contracting GmbH kommt entgegen einem Gutachten der Universität Bielefeld, das CORRECTIV vorliegt, zu dem Schluss, dass die Preisklausel „rechtskonform und wirksam“ sei. Weiter betont das Unternehmen, dass die Klausel nach den Wünschen des Kunden, in dem Fall die LEG, auf „Basis der Preisentwicklung am Großhandelsmarkt vereinbart“ worden sei. Die gestiegenen Beschaffungspreise habe man „nur weitergegeben und nicht daran verdient“, sodass der Vorwurf nicht haltbar sei.
Auch die BEW Berliner Energie und Wärme AG verweist auf Nachfrage von CORRECTIV auf die gestiegenen Preise am Energiemarkt. Dass die Klausel die Verhältnisse am Wärmemarkt nicht richtig abbilde, so die Einschätzung von Experten gegenüber CORRECTIV, weist das Unternehmen zurück: „Unsere Preisänderungsformel entspricht den gesetzlichen Anforderungen.“
Techem Energy Solutions GmbH teilt gegenüber CORRECTIV mit, dass alle „vereinbarten Preisänderungsklauseln“ den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben entsprechen würden.
Eine Firma, die in den vergangenen Monaten immer wieder mit hohen Heizkostennachzahlungen aufgefallen ist, ist die Getec Group. Das Unternehmen, einst als mittelständisches Unternehmen gegründet in Magdeburg, gehört mittlerweile nach eigenen Angaben zu den führenden Contracting-Firmen in Europa.
Zuletzt berichtete der MDR über einen Fall in Magdeburg, in dem auch die Getec-Group eine Rolle spielt. In einem dortigen Plattenbau mussten Mieterinnen und Mieter mehr als 5.000 Euro nachzahlen. Die Heizkosten lagen laut dem Magdeburger Mieterverein bis zu 50 Prozent über dem Heizspiegel. Angesprochen auf die hohen Kosten, erwiderte die Getec Group, es seien alle rechtlichen Vorgaben eingehalten worden.
Auch CORRECTIV liegt der entsprechende Vertrag vor – anders als die Getec Group kommt der Berliner Mieterverein allerdings zu dem Schluss, dass die Preisklausel darin unwirksam sei. Sie verstoße gegen die Fernwärmeverordnung.
Dazu kommen 16 weitere Fälle in ganz Deutschland, die CORRECTIV in den vergangenen Wochen gesammelt hat, darunter auch in Magdeburg, Berlin und Hamburg. In allen kommt es zu erhöhten Kosten oder hohen Nachzahlungen.
Ein Zufall? Eher ein Geschäftsmodell, wie zwei Insider gegenüber CORRECTIV sagen. „Rechtliche Vorgaben werden bei der Getec maximal ausgereizt.“ Die Mieter seien für die Contracting-Firma „nur eine Zahl“.
Die Getec Group Ursprünglich wurde die Firma Getec in den 1990er Jahren von dem Unternehmer und CDU-Politiker Karl Gerhold in Magdeburg gegründet. Im April 2022 hat Gerhold alle seine Anteile an der G+E GETEC Holding GmbH oder auch GETEC Group verkauft. Das Unternehmen gehört seither dem US-amerikanischen Infrastructure Investment Fund (IIF), der auf 24 Milliarden Dollar geschätzt wird. Auch die G+D Gesellschaft für Energiemanagement Gesellschaft gehört seit der Übernahme zu dem Fund. Karl Gerhold ist weiterhin geschäftsführender Gesellschafter der Getec Energie Holding oder der Getec Gruppe, unter deren Dach weitere Getec-Firmen firmieren.
Betroffen von diesem Geschäftsmodell sind mindestens sechs Wohnanlagen aus Magdeburg, in denen die Getec Group oder die G+D als Contractor auftreten. „Unsere Auswertung zeigt, dass die Heizkosten in allen Fällen etwa doppelt so hoch sind wie in vergleichbaren Objekten ohne Wärmecontracting, in einem Fall sogar viermal so hoch. Die hohen Kosten basieren hier auf fragwürdigen Preisklauseln“, sagt Zakaria Said, Rechtsberater beim Mieterverein Magdeburg.
Auch in Berlin ist die Getec Group auffällig. Das geht aus einer Anfrage von dem Linken-Politiker Niklas Schenker hervor. Gefragt wurde nach der Entwicklung der Heizkosten der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften Gesobau und Howoge in Berlin. In den Häusern, in denen Firmen der Getec Group als Contractoren auftreten.
Das Ergebnis: Bei der Gesobau lagen die Kosten für Warmwasser und Heizung 2022 bei 2,50 Euro pro Quadratmeter. Damit überstiegen die Kosten „den Durchschnittswert deutlich“, wie die Wohnungsbaugesellschaft mitteilt. Die Howoge gibt an, dass die Kosten 2022 bei bis zu 3 Euro pro Quadratmeter lagen. Überhöhte Kosten will sie aber nicht erkennen.
Zum Vergleich: Laut dem Deutschen Mieterbund lagen die durchschnittlichen Kosten für Heizung und Warmwasser bei 1,07 Euro pro Quadratmeter und Monat, „in der Spitze bei 1,82 Euro“.
„Aus der Perspektive der Verbraucherinnen gelten Betriebskosten allein für Heizen und Warmwasser zwischen 2,50 und 3 Euro pro Quadratmeter als eindeutig überhöht“, sagt Franziska Schulte, Sprecherin des Berliner Mietervereins. Doch eine Ausnahme sei das nicht: „In der Rechtsberatung sehen wir seit einigen Jahren derart hohe Preise, insbesondere beim Contracting, wo schätzungsweise ein Euro pro Quadratmeter mehr anfällt als bei anderen Wärmeversorgungsarten.“ Grund dafür sei unter anderem die „komplexe und uneindeutige Preisgestaltung“, so Schulte. „Das ermöglicht Profitsteigerungen auf der einen und Kostenexplosionen auf der anderen Seite.“
Gegenüber CORRECTIV weist die Getec Group die geäußerten Vorwürfe „entschieden zurück“. Man nehme die Sorgen von Mieterinnen und Mietern sehr ernst und suche „aktiv nach individuellen Lösungen, um Betroffene, insbesondere in Härtefällen, so gut wie möglich zu entlasten“. Weiter teilt das Unternehmen mit, dass alle Verträge sich „im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben“ bewegen würden.
Die hohen Kosten begründet die Getec Group mit dem Angriffskrieg der Ukraine, Preisschwankungen am Energiemarkt und hohen Beschaffungskosten „an der Energiebörse EEX“.
Dass die Getec Group aufgrund der hohen Börsenpreise so hohe Brennstoffkosten hatte, das bezweifelt zumindest einer der Insider gegenüber CORRECTIV: Bei der Getec gebe es langfristige Lieferträge für Gas. „Es müssen höchstens mal Ausgleichsmengen dazu gekauft werden.“ Er meint damit, dass ein Großteil des Gases zu einem festgesetzten Preis eingekauft wird, der keinen hohen Schwankungen am Energiemarkt ausgesetzt ist.
Auch die Vonovia profitiert von der Wärmelieferung
Nicht nur Firmen wie die Getec Group profitieren von dem System der Wärmelieferung, sondern auch Wohnungskonzerne wie Vonovia. So liegen CORRECTIV sechs Verträge von Mieterinnen und Mietern vor, die in Häusern leben, die zur Vonovia gehören oder zu Wohnungsgesellschaften, an denen Vonovia beteiligt ist.
In drei davon tritt Vonovia in einer Doppelrolle auf: als Vermieter und als hauseigener Contractor oder Wärmelieferant. Die Firma verdient also doppelt. An den Mieten und an den Heizkosten. Die Gewinne laufen in das gemeinsame Tochterunternehmen mit der Getec Group: G+D Gesellschaft für Energiemanagement mbH. In allen Fällen sollen Mieterinnen und Mieter hohe Nachzahlungen leisten.
Für 2022 verzeichnet die G+D 6,5 Millionen Euro Gewinn. Fast zwei Millionen mehr als im Jahr zuvor. Die Zahlen von 2023 liegen noch nicht vor. Mitarbeiter hat das Unternehmen laut Geschäftsbericht keine.
Knut Unger, Sprecher des MieterInnenvereins Witten und Mitglied eines bundesweiten Vonovia-Mieterinnenbündnis bezeichnet die G+D daher als „Zweckfirma“. „Sie dient der gemeinsamen Abschöpfung der Mieter. Sie verschafft der Getec ein Monopol für die Versorgung vieler Wohnungen und beteiligt die Vonovia im Gegenzug an dem Gewinn.“
Mittlerweile ist die Vonovia in einzelnen Fällen von den hohen Nachzahlungen wieder abgerückt, wie verschiedene Medien berichten. Auch Rita Bauer soll anstatt 6000 Euro nur noch rund 1000 Euro zahlen: Der mit den Abrechnungen beauftragte Dienstleister, die G+E Getec Holding GmbH, habe fehlerhaft gearbeitet, teilt die zu Vonovia gehörige Deutsche Wohnen im RBB mit. Bei der Abrechnungsprüfung der Betroffenen für 2022 sei man auf „signifikante Fehler“ gestoßen.
Dass die Vonovia nach Protesten von Mieterinnen und Mietern zurückrudere und die Kosten auf einmal nach unten korrigiere, das mache deutlich, dass „man hier offenbar mal auf den Putz klopfen wollte und hoffte, dass es niemand merkt. Diese Masche ist einfach inakzeptabel“, sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay.
Bemerkenswert ist die Reaktion der beteiligten Firmen auf die Anfrage von CORRECTIV: Während Vonovia gegenüber CORRECTIV auf die Deutsche Wohnen verweist, sieht die Deutsche Wohnen die Verantwortung bei der Getec Group. Weitere Fragen zu hohen Kosten, Gewinnmargen oder möglichen Korrekturen von Abrechnungen bleiben unbeantwortet.
Contracting: Das Problem befindet sich im Keller
Problem sind aber nicht nur intransparente und möglicherweise unwirksame Preisklauseln in Verträgen zwischen Wärmelieferanten und Wohnungsbaugesellschaften. Das eigentliche Problem findet sich in vielen Fällen im Keller.
CORRECTIV liegt ein gerichtliches Gutachten aus dem Jahr 2018 vor, aus dem hervorgeht, dass der Wärmelieferant Techem Energy Contracting GmbH, heute Techem Solutions GmbH, die Heizanlage in einer Berliner Wohnanlage offenbar über Jahre hinweg falsch eingestellt hatte. Damit erhöhte sich der Energieverbrauch.
Das Gutachten zeigt unter anderem, dass die Heizung auch im Sommer in Betrieb war, Anlagen so eingestellt waren, dass die Temperatur in den Wohnungen übermäßig warm war und Regler so eingestellt waren, dass 30 Prozent mehr Energie verbraucht wurde als nötig. Ein Verbrauch, der am Ende auf der Heizkostenabrechnung der Mieterinnen und Mieter auftauchte.
Auf Anfrage von CORRECTIV gibt die Techem Solution GmbH an, keine Auskünfte zu dem Fall geben zu können.
Keller, in denen die Heizung auch im Sommer laufe, Rohre nicht gedämmt oder veraltete Technik eingebaut sei, seien laut Brancheninsidern keine Ausnahmen beim Contracting. Grund dafür sei die mangelnde behördliche Aufsicht.
Der Berliner Mieterverein fordert deshalb mehr Aufsicht auf dem Contracting-Markt. „Wenn Contracting, dann mit staatlicher Preisaufsicht“, sagt Franziska Schulte vom Verein.
Abhilfe soll die Änderung der Fernwärmeverordnung bringen. Über diese hätte die Ampel eigentlich noch in diesem Jahr abstimmen sollen. Ob das angesichts der Regierungskrise realistisch bleibt, ist allerdings zu bezweifeln. Unter die geplante Novelle fallen aktuell auch Contracting-Firmen wie die Getec Group oder Techem Energy Solutions GmbH.
Laut dem aktuellen Referentenentwurf soll die Novellierung vor allem die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken und mehr Transparenz schaffen. So sollen Unternehmen künftig erklären, wie ihre Preise zustande kommen. Doch die Novellierung ist umstritten: Während sich Contracting-Lobbyverbände eher weniger Transparenz und längere Laufzeiten wünschen, kritisieren Mieter- und Verbraucherverbände unklare Regelungen. Gerade im Bezug aufs Contracting.
Der Deutsche Mieterbund will beispielsweise, dass Contracting nur noch dann unter die Regelungen für Fernwärme fällt, wenn die Contracting-Firmen tatsächlich in neue Heizanlagen investieren. Daran knüpft auch die Forderung von Thomas Engelke an, Leiter des Team Energie der Verbraucherzentrale Bundesverband: „Wenn Contractoren wirklich die Energiewende voranbringen wollen, dann ohne Gas- und Ölheizungen.“
Auch aus der SPD kommt Kritik am Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums: Die Novellierung bringe zwar mehr Transparenz, sagt Helmut Kleebank, Mitglied und Berichterstatter der SPD-Fraktion im Bundestag. Aber ausreichend Schutz für Mieterinnen und Mieter gebe es immer noch nicht. Nötig seien unter anderem klare Regeln für die Ausgestaltung von Preisklauseln. Das sei aber in der Novellierung bisher nicht ausreichend gegeben.
„Die Kritik von Verbraucherinnen und Verbrauchern und ihre Sorgen vor zu hohen Preisen“ nehme man ernst und würden geprüft, teilt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) auf Anfrage von CORRECTIV mit.
Die geplante Novelle solle Regelungen zur „Stärkung der Verbraucherrechte“ und mehr Transparenz enthalten. Wie diese Regelungen konkret aussehen, lässt das BMWK in seiner Antwort allerdings offen.
Mieterinnen und Mieter der Vonovia haben nicht die Zeit, auf langwierige Gesetzgebungsverfahren zu warten. Sie haben sich längst in einem bundesweiten Bündnis zusammengeschlossen. Zu den Mitgliedern zählen mehr als 20 Mietervereine und -initiativen. Sie sehen sich in einem „Wärmekampf“ mit dem Wohnungsriesen. Auch Rita Bauer ist dort engagiert. Trotz der Fortschritte macht sie sich bereits Gedanken über anstehende Abrechnung für 2023:
Aber aufgeben will sie nicht.
So finden Sie heraus, ob Sie in der Heizungsfalle sitzen:
Ihr Vermieter fordert hohe Nachzahlungen? Sie zahlen laut der Heizkostenabrechnung für Fernwärme, aber heizen mit einer Öl- oder Gasheizung? Dann fordern Sie von Ihrem Vermieter den Wärmeliefervertrag an. Mit diesem wenden Sie sich an Ihren örtlichen Mieterverein oder an die Verbraucherzentrale. Lassen Sie die Preisklauseln dort prüfen. Schließen Sie sich mit Ihren Nachbarinnen und Nachbarn zusammen.
Sie haben Hinweise zu weiteren Contracting-Fällen, in denen es nachweislich zu erhöhten Kosten kommt? Dann schreiben Sie mir: gesa.steeger@correctiv.org
Credits
Redaktion: Till Eckert, Stella Hesch, Justus von Daniels Faktencheck: Alexej Hock, Annika Joeres Design: Mohamed Anwar Kommunikation: Esther Ecke, Valentin Zick, Luise Lange-Letellier