Denkanstoß

The American Way of Lie

Die rechten Ideologen und die libertären Silicon Valley-Investoren haben in Trump ihr perfektes Werkzeug gefunden, um die Demokratie überflüssig zu machen. Sie wollen ihre eigene Regierung, KI-gestützt, ohne Diskurs. Die Rede des US-Vizepräsidenten Vance in München zeigte die ganze Abscheu gegenüber der Demokratie.

von Cordt Schnibben

Cordt Schnibben Denkanstoß

Wer am vergangenen Freitag der Rede von J.D. Vance folgte, dem dämmerte ziemlich schnell: das Leben der Deutschen, ihre Sicherheit, ihre Kultur, ihr Staat wird sich grundlegend ändern. Der neue amerikanische Vizepräsident hat durch seine Worte auf der Münchner Sicherheitskonferenz 450 Millionen Europäerinnen und Europäer in eine bisher nicht gekannte Unsicherheit gestoßen. 

Wir, die USA, sagte er unverblümt, kündigen die Wertegemeinschaft mit euch, wir sehen in euch und euren Regierungen die Hauptgefahr für die westliche Demokratie, nicht in Putin und Xi Jinping, nicht in Russland und China, nein noch schlimmer: Wir werden zukünftig die Kräfte in Europa unterstützen, sagte er, die wie wir an der Aushöhlung und Zerstörung eurer Demokratie arbeiten. Ihr habt nur eine Chance: Werdet so wie wir, so libertär, so verlogen, so asozial wie die USA unter meinem Boss, dem neuen Sheriff in Town. 

Die Rede von Vance sollte in jeder Schule als Beispiel dafür dienen, wie man rhetorisch alle Worte so lange entleert, bis sie das Gegenteil von dem bedeuten, für das sie ursprünglich stehen. Wie der Neusprech in Orwells dystopischen Roman „1984“ verdecken die Sätze und Worte des Vizepräsidenten, worum es der neuen US-Regierung geht: Die auf Gewaltenteilung basierende amerikanische Demokratie soll durch eine „imperial presidency“ abgelöst werden, deren Grundzüge im „Project 2025“ beschrieben sind, einem dicken Wälzer, der von verschieden rechten Think Tanks geschrieben wurde und so etwas ist wie das „1984“ des 21.Jahrhunderts. Nur: Es ist kein Roman, es ist ein Playbook für die Politik. 

Mit den Dekreten, die Trump im Stundentakt unterschreibt, folgt er diesem Playbook für die ersten 180 Tage und macht aus dem Regierungsapparat sein Tool der Allmacht, in dem nur noch Platz ist für unterwürfige Mitarbeiter. Hunderttausende Bedienstete haben Kündigungsmails erhalten, ganze Behörden wurden geschlossen, die Gesundheits-, Klima- , Umwelt-, Sozial-, Verbraucher- oder Entwicklungshilfethemen bearbeiten. Wen man nicht los wird, so der neue Leiter von Trumps Haushaltsbüro, den müsse man „traumatisieren“, wenn sie „morgens aufwachen, dann sollen sie nicht zur Arbeit gehen wollen“.

Das staatliche Mobbing-Programm DOGE

Das staatliche Mobbing-Programm setzt eine Sturmabteilung (DOGE) um, die der Milliardär Elon Musk befehligt – eine Gang aus jungen IT-Spezialisten, die statt mit Schlagstöcken mit KI-Programmen in die Behörden marschieren, sie durch Sicherheitsleute abriegeln lassen, die Webseite vom Netz nehmen und Leute rausschmeißen. Bei DOGE geht es nicht um Effizienz, es geht um Auslöschung, die Demokratie wird in Zeitlupe ausgelöscht. Die Musk- Leute frieren Budgets ein, die ursprünglich vom Kongress beschlossen wurden; sie liquidieren alle Programme, die Diversität fördern sollen; sie kappen die Forschung für alle Themen, von denen Trump glaubt, besser Bescheid zu wissen als Experten, also Klima, Naturschutz, Mobilität, Gleichberechtigung und diverse andere Themen – alles, was als woke gilt, kommt unter die Sense der Kulturrevolution. 

Kongress und Senat sind gleichgeschaltet, und wer an die Dritte Gewalt im Staat glaubt, wer sich vor Gericht wehrt, muss erleben, dass sich zwar Richter gegen die „Dekretatur“ Trumps stellen, dass aber Vizepräsident Vance bereits erklärt, die Regierung werde Urteile ignorieren und sich nicht davon abhalten lassen, „zu vollziehen, was das Volk will“. 

Wenn Musk die Kontrolle über die Zahlungssysteme des Finanzministeriums erlangt oder Trump erklärt, er werde Gesetze, die ihm missfallen, nicht durchsetzen, setzen sie Ideen um, die in den Denkfabriken des Silicon Valley ausgebrütet wurden. Es ist ein Putsch ohne Waffen, es ist die Konsequenz einer Ideologie, die seit der Finanzkrise von 2008 entwickelt wurde und die Demokratie als veraltete Technologie betrachtet, die darauf wartet, „gestört“ zu werden. 

Die Silicon Valley-Ideologie: Demokratie ist veraltet

Der deutsche Milliardär und Investor Peter Thiel, einer der lautstärksten Libertären im Silicon Valley, sagt: „Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit und Demokratie miteinander vereinbar sind.“ Die Elite des Silicon Valley geht davon aus, dass die Demokratie ein veraltetes System ist, das mit dem rasanten technologischen Fortschritt nicht vereinbar ist.

Thiel hat bereits damit begonnen, Projekte zu finanzieren, die darauf abzielen, demokratischen Nationalstaaten gänzlich zu entkommen. Dazu gehörten das „Seasteading“ – schwimmende Städte in internationalen Gewässern außerhalb staatlicher Kontrolle – und experimentelle Regierungsmodelle, die die Wahldemokratie durch eine private, unternehmensähnliche Herrschaft ersetzen sollten. Steuern sollen freiwillig sein, Regulierungen verschwinden. Die erfolgreichsten Menschen sollen ihre eigenen privaten, selbstverwalteten Gemeinschaften gründen (vielleicht im Gaza-Streifen?), während der Rest der Welt abgehängt wird. In dieser Vision liegt die Macht nicht beim Volk, sondern bei den kompetentesten „Führungskräften“, die die Gesellschaft leiten wie ein CEO ein Unternehmen leiten würde.

Wo bleibt die Vierte Gewalt? Von Trump schon seit Jahren als „Fake Media“ delegitimiert, nun im Fall des amerikanischen Senders CBS mit einer 10 Milliarden-Dollar-Klage eingeschüchtert und durch die Gleichschaltung der Aufsichtsbehörde FCC bedroht. Die wichtigste Nachrichten-Agentur AP wurde aus dem Weißen Haus gewiesen, weil sie den Golf von Mexiko zukünftig nicht „Golf von Amerika“ nennen wollte, wie von Trump angeordnet. Und da sich viele Korrespondenten dem Neusprech-Diktat der Regierung nicht unterwerfen, werden erste Stimmen aus den Reihen der Republikaner laut, man solle doch die gesamte Auslandspresse aus dem Land werfen. 

In seiner Münchner Rede führte Vance beispielhaft vor, wie autokratische Propaganda funktioniert: Wirf dem anderen vor, was du selber machst, dreh alles um 180 Grad. Darum attackierte er die europäischen Demokratien mit dem Vorwurf, sie würden die Meinungsfreiheit zerstören durch ihren Kampf gegen Desinformation und Fake News, das seien Methoden der Kommunisten. Der Sturm auf das Kapitol vor vier Jahren als Volksaufstand rechtfertigen, aber Europa vorwerfen, den Willen der Völker zu missachten, das ist rhetorische Artistik, die schwindlig macht – the American Way of Lie.

Die sozialen Medien, so Vance und Musk, seien die authentischen Medien unserer Zeit, in ihnen könne sich die Meinungsfreiheit unkontrolliert entfalten.

Die rechten Ideologen nutzen Trump als willfähriges Werkzeug

Die Absichten der Tech-Libertären wären möglicherweise abstrakte Theorien geblieben, wenn nicht das Zusammentreffen von Faktoren ihre Umsetzung plötzlich möglich gemacht hätte. Der Aufstieg Trumps bot eine beispiellose Gelegenheit – ein potenzieller Autokrat, der Silicon Valleys Kritik an der Demokratie verkörpert. Seine Verachtung verfassungsmäßiger Beschränkungen und seine Ansicht, dass die Regierung privaten Interessen dienen sollte, passen perfekt zu Silicon Valleys antidemokratischem Weltbild. In Kombination mit der technologischen Kontrolle über Informationsflüsse, Finanzsysteme und soziale Netzwerke sind das ideale Bedingungen für den Abbau der Demokratie. Darum standen die Chefs der globalen Tech-Player zufrieden Spalier bei der Inauguration ihres Präsidenten und lieferten gern das Symbol-Foto für den staatsmonopolistischen KI-Kapitalismus.

Donald Trump, der angebliche starke Mann im Zentrum von allem, verfolgt kein großes ideologisches Projekt jenseits seiner eigenen Macht. Er versteht weder das System, das um ihn herum aufgebaut wird, noch die Tatsache, dass seine eigene Präsidentschaft lediglich ein Vehikel für Kräfte ist, die in ihm einen nützlichen Rammbock gegen die Demokratie sehen. Er ist der Unterschriftenfreak, der genüsslich all die lange vorbereiteten präsidialen Dekrete unterkritzelt. Und wohl glaubt, ein Trump-Putin-Pakt sei ein Segen für die Amerikaner und die Menschheit.

Die Menschen um ihn herum schieben ihm die Mappen mit den Ermächtigungspapieren auf den Schreibtisch. Vance, der Vizepräsident, hält die Verbindung zur Silicon-Valley-Elite. Peter Thiel, sein langjähriger Förderer, finanziert diese Vision seit über einem Jahrzehnt. Elon Musk legt die Infrastruktur. Und die jungen Leute der Musk-Gang, die jetzt KI-Modelle in das Finanzministerium einbauen – sie lösen den öffentlichen Dienst auf, umgehen die traditionelle Regierung und ersetzen demokratische Rechenschaftspflicht durch technologische Souveränität. Sie arbeiten auf eine Zukunft hin, die Trump selbst lange überdauern wird.

Chaos in der Regierungsführung als Prinzip

Die Infrastruktur, die aufgebaut wird, soll Demokratie überflüssig machen. Bei der Strategie, in den sozialen Medien „die Zone mit Scheiße zu überfluten“, ging es nie nur darum, den Nachrichtenzyklus zu kontrollieren – es ging darum, die Bedingungen der Regierungsführung neu zu gestalten. Das Ziel ist, ein so chaotisches Umfeld zu schaffen, dass traditionelle demokratische Entscheidungsfindung unmöglich wird. Zuerst haben sie den Journalismus gestört, indem sie die Wahrheit durch Feeds ersetzten, die auf Engagement optimiert sind. Jetzt stören sie die Regierungsführung selbst. Der Präsident dokumentiert jeden Tag, was mit Menschen passiert, die sich vor allem aus Medien informieren, die keinem Faktencheck unterliegen: Die brabbeln dann vor sich hin, der ukrainische Präsident werde nur noch von vier Prozent seiner Landsleute unterstützt, der solle mal schnell Wahlen abhalten, mitten im Krieg. Vance ist da ehrlicher, er sagt: „Ich muss ehrlich sein, es ist mir ziemlich egal, was mit der Ukraine passiert“.

Darum redete er in München bewusst an allen anderen Leuten der Sicherheitskonferenz vorbei. Er wollte die Europäer verunsichern. Wie sein Präsident will er Europa spalten, klein machen, ideologisch kolonialisieren. Darum benutzt er die AfD und Rechtsradikale anderer Länder als fünfte Kolonne. Wir müssen begreifen: Vance, Musk und Trump sind im Kalten Krieg mit Europa. 

Die sind nicht mehr interessiert an Menschenrechten und Völkerrecht, nicht mehr interessiert an den internationalen Regeln, die die USA nach dem Weltkrieg mit entwickelt haben. Nach außen spielt die US-Regierung nun nach dergleichen imperialen Regel wie Putin, und im Innern arbeiten sie zusammen mit der Tech-Elite an einer KI-gesteuerten Regierungsform, die menschlicher Irrationalität, demokratischer Ineffizienz oder der Unvorhersehbarkeit von Wahlen nicht mehr unterworfen sein soll. So wie Social-Media-Unternehmen traditionelle Nachrichten durch algorithmische Feeds ersetzten, versuchen diese Technokraten, demokratische Regierungsführung durch automatisierte Entscheidungsfindung zu ersetzen.

Was in Musks Sturmabteilung für Regierungseffizienz geschieht, ist die letzte Phase dieses Plans.

Alles nur eine Verschwörungsideologie? Alles ist nachzulesen im Playbook, im „Project 2025“. Wem die 900 Seiten zu viel sind, der kann sich in Lois Alarcons (viel zu freundlicher) Zusammenfassung einen Überblick verschaffen: Lois Alarcon „Project 2025: Eine Analyse“. Wer es lieber fiktional mag, der schaue sich Richard Powers „Das globale Spiel“ an (hier die ausführliche Besprechung lesen). Wer sich über den Aufstieg von J.D. Vance und dessen Gang informieren möchte, wird in diesem Vanity Fair-Artikel von James Pogues fündig: Inside the New Right, Where Peter Thiel Is Placing His Biggest Bets. Wem dieser Text zu kurz ist, der findet in diesem Text von Mike Brock alles noch ausführlicher.