Politik

Koalitionspläne zu Strafen bei Gruppenvergewaltigungen werden missverstanden

Eine Passage im Koalitionsvertrag der Union und SPD zur Bestrafung von Gruppenvergewaltigungen sorgt online für Empörung: Die Koalition wolle Täter zukünftig nur dann härter bestrafen, wenn das Opfer schwanger werde, wird behauptet. Wir erklären, warum das so nicht stimmt und warum es trotzdem Kritik an den Plänen gibt.

von Paulina Thom

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Pläne der Koalition aus CDU/CSU und SPD zum Strafrahmen bei Gruppenvergewaltigungen – besonders bei jenen, die zu einer Schwangerschaft führen – werden online falsch interpretiert (Symbolbild: Silas Stein / DPA / Picture Alliance)

Hinweis: In diesem Artikel geht es um die strafrechtliche Bewertung von schweren Sexualstrafdelikten wie Vergewaltigungen. Konkrete Fälle schildern wir in diesem Text nicht. Wer Hilfe bei sexualisierter Gewalt sucht, kann sich unter anderem an den Weißen Ring wenden. 

Im April einigten sich CDU/CSU und die SPD auf einen Koalitionsvertrag. Eine Passage zum Strafmaß von Gruppenvergewaltigungen wird seither online laut diskutiert. Der AfD-Politiker Dennis Hohloch behauptet auf Instagram, die Koalition wolle Gruppenvergewaltigungen nur härter bestrafen, wenn das Opfer schwanger werde. Mit Kondom könnte die Strafe niedriger ausfallen. Seine Parteikollegin und Europaparlamentsabgeordnete Mary Khan schrieb zu einem Video auf Tiktok, Merz plane eine „Strafmilderung bei Gruppenvergewaltigung“. Und in einem Facebook-Reel von „Lukreta“ – einer rechtsextremistischen Initiative für „Frauenrechte“, hinter der die Influencerin Reinhild Boßdorf steckt, ehemaliges Mitglied der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ – heißt es, bei Gruppenvergewaltigungen solle der Strafrahmen nur dann erhöht werden, wenn potenziell eine Schwangerschaft herbeigeführt werde. 

Wir haben mit Juristinnen und Juristen über den Passus und die Rechtslage gesprochen. Welche Strafen gibt es bei Gruppenvergewaltigungen und was hat die Koalition vor?

Beitrag bei Facebook mit der Behauptung
Die rechtsradikale Initiative „Lukreta“ interpretiert eine Passage aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD über den Strafrahmen bei Gruppenvergewaltigungen auf Facebook falsch (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Verwirrung um Formulierung zu Strafmaß bei Gruppenvergewaltigungen 

Zunächst zur Formulierung, um die es geht: „Für Gruppenvergewaltigungen wollen wir den Strafrahmen grundsätzlich erhöhen, insbesondere bei gemeinschaftlicher Tatbegehung, bei Vergewaltigung und bei Herbeiführung einer Schwangerschaft“ – so steht es im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD. 

Die Formulierung sorgte online für Verwirrung und sogar unter Rechtsexperteninnen für Erklärungsbedarf. Schließt eine Gruppenvergewaltigung nicht automatisch mit ein, dass sie gemeinschaftlich begangen wird und es sich um eine Vergewaltigung handelt? 

Elisa Hoven, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Leipzig und Richterin am sächsischen Verfassungsgerichtshof schreibt uns, den Begriff „Gruppenvergewaltigung“ gebe es so nicht im Strafgesetzbuch. Umgangssprachlich spreche man von einer Gruppenvergewaltigung, wenn beide Sätze des Paragraph 177 „Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ Absatz 6 des Strafgesetzbuches zutreffen würden:

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

Laut Mohamad El-Ghazi, Rechtswissenschaftler an der Universität Trier, lasse sich der Satz im Koalitionsvertrag nicht ganz widerspruchsfrei auflösen. Grundsätzlich stimme es, dass eine „Gruppenvergewaltigung“ nur gemeinschaftlich verübt werden könne. Unter eine gemeinschaftliche Tatbegehung würden im entsprechenden Strafrechtsparagrafen aber auch andere sexuelle Handlungen fallen. 

Wie die bisherigen strafrechtlichen Regelungen bei einer Gruppenvergewaltigung sind

Solche besonders schweren Fälle haben eine Mindeststrafe von zwei Jahren. Die Höchststrafe liegt bei 15 Jahren. „Das heißt, in diesen Fällen kann ein Gericht auch schon jetzt die höchste zeitliche Freiheitsstrafe verhängen, die das deutsche Strafrecht vorsieht. Schlimmer wäre nur die lebenslange Freiheitsstrafe“, erklärt uns El-Ghazi. 

Eine Untersuchung aus 2024 zu Sexualdelikten generell, an der auch Hoven von der Universität Leipzig mitwirkte und die insgesamt 86 Urteile aus den Jahren 2016 bis 2020 analysierte, konnte allerdings zeigen: Sämtliche Strafen befinden sich im unteren Drittel des Strafrahmens.

Formulierung im Koalitionsvertrag lässt nicht auf Strafmilderung bei Gruppenvergewaltigung ohne Schwangerschaft schließen 

Soviel zum Ist-Stand. Planen nun CDU/CSU und SPD – wie online etwa von AfD-Europaabgeordneter Kahn behauptet – tatsächlich eine „Strafmilderung bei Gruppenvergewaltigung“, nämlich dass sie ohne Schwangerschaft „in Zukunft weniger hart“ bestraft werde? 

„Nein, das kann man aus der Formulierung im Koalitionsvertrag ganz sicher nicht schließen“, antwortet uns El-Ghazi. Auch Hoven erklärt uns, man könne der Formulierung nicht entnehmen, dass es in Zukunft zu einer Absenkung des Strafrahmens in Fällen ohne Schwangerschaft kommen solle. „Schließlich werden für diese Fälle Strafschärfungen vorgesehen – das impliziert naturgemäß keine Absenkung bei anderen Fällen.“

Anders formuliert heißt das also: Nur weil dieser bestimmte Fall härter bestraft werden soll, heißt das nicht, dass andere Fälle milder bestraft werden sollen.

Kommt es nach einer Vergewaltigung zu einer Schwangerschaft, müssten Gerichte schon heute schärfer bestrafen, erklärt El-Ghazi, und nicht nur dann: „Allein schon der Umstand, dass von der Tat die Gefahr einer Schwangerschaft oder auch der Übertragung von Krankheiten (vor allem ohne Präservativ) ausgeht, kann und muss schon heute in der Regel straferschwerend berücksichtigt werden.“ 

Bei einer Vergewaltigung ein Kondom zu verwenden, ist kein strafmildernder Grund

Der Post von AfD-Politiker Dennis Hohlochs mit der Formulierung „Mit Kondom weniger Strafe?!“ ist ebenfalls irreführend. „Wir bestrafen den Täter, der kein Präservativ bei seiner Tat verwendet, in der Regel schwerer“, erklärt El-Ghazi, „Es verhält sich aber keinesfalls so, dass wir den Täter, der ein solches Präservativ bei seiner Tat nutzt, milder bestrafen.“ Das bedeutet: Kein Kondom zu verwenden ist zwar ein Strafschärfungsgrund – ein Kondom zu verwenden, aber nicht im Umkehrschluss ein strafmildernder Grund. Dass sich das ändern soll, ist aus dem Koalitionsvertrag nicht abzuleiten.

In ein fixes, einheitliches System gegossen ist all das nicht. Catharina Conrad, Rechtsanwältin und Mitglied der Strafrechtskommission vom Deutschen Juristinnenbund (DJB), erklärt uns am Telefon: Grundsätzlich seien die Höhen von Strafen immer Einzelfallentscheidungen, die von einer Menge Faktoren abhängen. Man könne nicht pauschal sagen, dass eine Vergewaltigung mit einer Schwangerschaft Folge im Vergleich schärfer bestraft werden würde. Beispielsweise könne ein Täter aufgrund seiner Vorstrafen oder weil er eine Waffe verwendet, zu fünf Jahren Freiheitsstrafen verurteilt werden, ohne dass das Opfer schwanger werde. Demgegenüber könne ein Ersttäter, dessen Opfer schwanger werde, drei Jahre Freiheitsstrafe bekommen. 

Koalitionsvertrag greift Unions-Gesetzentwurf aus 2024 wieder auf, der Mindeststrafen erhöhen will

Laut Koalitionsvertrag planen die Parteien, den „Strafrahmen grundsätzlich“ zu erhöhen. Für Hoven von der Universität Leipzig lässt diese Formulierung offen, ob der Gesetzgeber nur eine Anpassung der Mindest-, der Höchststrafe oder beider beabsichtigt. Wir haben bei den Koalitionsparteien nachgefragt, erhielten auf diese Frage jedoch keine Antwort. 

Gegenüber der Schwäbischen Zeitung gab Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion, jedoch an, man wolle damit ein Anliegen aus einem Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches aus dem vergangenen Jahr aufgreifen. Dieser sieht eine Änderung der Mindeststrafen vor. 

Der Kern des Vorschlags: Die „gemeinschaftliche Tatbegehung“ bei Sexualdelikten soll mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden, ebenso wie eine „ungewollte Schwangerschaft“ als Folge einer Vergewaltigung. Mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe soll gemeinschaftliche Tatbegehung bestraft werden, bei der es zu einer Vergewaltigung kommt. 

Kritik an Gesetzentwurf und Koalitionsplänen zu Strafverschärfungen

Die Behauptungen in Sozialen Netzwerken bleiben also auch mit Blick auf die konkreteren Vorschläge im Gesetzentwurf falsch, da Gruppenvergewaltigungen generell höher bestraft werden sollen. Wir haben allen Verbreitern die Möglichkeit gegeben, zu ihren Beiträgen Stellung zu nehmen. Khan antwortete bis zur Veröffentlichung nicht, Hohloch und die Initiative „Lukreta“ gingen auf unsere Anfrage inhaltlich nicht ein.

Insgesamt fallen die Reaktionen von Expertinnen und Experten auf den Gesetzentwurf und den Plan im Koalitionsvertrag durchmischt aus, es überwiegt aber Kritik:

Elisa Hoven schreibt uns, grundsätzlich seien Strafrahmenverschärfungen „ein geeignetes Mittel, um das Sanktionsniveau in der Praxis anzuheben“. So sieht es auch Jörg Eisele, Rechtswissenschaftler an der Universität Tübingen. Die Union benannte Eisele als Sachverständigen zu einer Stellungnahme des Gesetzentwurfs. „Durch den Strafrahmen bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, wie er die Schwere des Delikts – auch im Verhältnis zu anderen Straftaten – einordnet“, schreibt Eisele darin. 

Auch El-Ghazi hält eine Erhöhung der Mindeststrafe bei einer Gruppenvergewaltigung mit einem Eindringen in den Körper für „rechtlich nachvollziehbar und vertretbar“, zugleich zweifelt er an dem Nutzen: „Die Gerichte haben schon jetzt alle Möglichkeiten, um auf schwere Begehungsweisen wie Gruppenvergewaltigungen auch mit der notwendigen Härte des Gesetzes zu reagieren.“ Damit meint er die möglichen hohen Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren. 

Keine Belege, dass höhere Strafen weniger Straftaten nach sich ziehen

Ähnliche Kritik äußerten Dilken Çelebi und Catharina Conrad vom Deutschen Juristinnenbund, die von der SPD und den Grünen als Sachverständige benannt wurden. Es stimme nicht, dass der bisherige Strafrahmen das Unrecht nicht ausreichend erfasse, da es möglich sei, hohe Freiheitsstrafen zu verhängen, heißt es in ihrer Stellungnahme. Dass sich „die verhängten Strafen ganz überwiegend im untersten Bereich des vorgesehenen Strafrahmens bewegen“, solle stattdessen mit verstärkter Sensibilisierung begegnet werden, also etwa verpflichtenden Fortbildungen. Conrad sagt uns am Telefon: „Wichtiger als den Strafrahmen zu erhöhen, ist, dass der Strafrahmen, der schon da ist, von den Gerichten auch genutzt wird.“

Die geplanten Strafschärfungen seien zudem symbolhaft, da kriminologische Erkenntnisse zeigten, dass sie nicht den erwünschten abschreckenden Effekt erzielten, schreiben Çelebi und Conrad. Letzterem schloss sich auch der von der FDP benannte Sachverständige Jörg Kinzig, Rechtswissenschaftler und Kriminologe von der Universität Tübingen, in seiner Stellungnahme an: Für die Richtigkeit einer Gleichung „höhere Strafen = weniger Straftaten“ gebe es keine Belege. 

Verschiedene Ansichten auch im Hinblick auf Strafschärfung durch Schwangerschaft als Tatfolge

Wir haben bei der CDU, der SPD und dem Bundesjustizministerium (BMJV) nachgefragt, warum der Strafrahmen bei der „Herbeiführung einer Schwangerschaft“ gesondert erhöht werden soll. Von der CDU erhielten wir keine Antwort, das BMJV antwortet uns, man prüfe derzeit, wie die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag zu sogenannten Gruppenvergewaltigungen am besten umgesetzt werden können. Ddie SPD verwies auf ein Statement ihrer stellvertretenden rechtspolitischen Sprecherin Carmen Wegge: Jede Vergewaltigung sei ein massiver Angriff auf die Würde und Unversehrtheit eines Menschen – unabhängig von den Folgen, so Wegge. „Gleichzeitig sieht unser Strafrecht systematisch vor, besonders schwere Folgen – wie etwa eine daraus resultierende Schwangerschaft – im Strafmaß zu berücksichtigen.“ 

Auch diesbezüglich gehen die Ansichten der Fachleute auseinander: Eisele von der Universität Tübingen hält den Schritt in seiner Stellungnahme aufgrund der „schwerwiegenden psychischen Auswirkungen auf das Tatopfer“ für „durchaus plausibel“. Die Rechtswissenschaftlerinnen Hanna Welte und Patricia Geyler nennen die Strafschärfung in einem Artikel des Verfassungsblogs „grundsätzlich begrüßenswert“, merken aber an, dass die Regelung zu unangemessenen Ergebnissen führen könne, da sie von Faktoren außerhalb der Kontrolle des Täters abhänge, etwa wenn das Opfer verhüte oder aus biologischen Gründen nicht schwanger werden könne. 

Sie kritisieren zudem, dass der Koalitionsvertrag nur auf die Sanktionierung des Täters ziele und gleichzeitig der Abtreibungsparagraph 218a bestehen bleibe. Laut diesem sind Schwangerschaftsabbrüche – auch nach einer Vergewaltigung – rechtswidrig, wenngleich diese unter bestimmten Voraussetzung straffrei bleiben. Diese Kritik teilen auch Çelebi und Conrad vom DJB in ihrer Stellungnahme. 

Mitarbeit: Sarah Thust

Redigatur: Gabriele Scherndl, Matthias Bau, Sophie Timmermann 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Koalitionsvertrag CDU/CSU und SPD, 21. Legislaturperiode: Link (archiviert)
  • Strafgesetzbuch: Link (archiviert) 
  • Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und weiterer Gesetze – Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen der CDU/CSU-Fraktion, 2. Juli 2024: Link (archiviert)
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