Faktencheck

Nein, Regierung und Kanzler wollen keine Pflicht zur Wohnraumteilung mit Geflüchteten

In Beiträgen auf Telegram und X heißt es, Menschen sollten verpflichtet werden, den eigenen Wohnraum mit Geflüchteten zu teilen. Doch ein vermeintliches Zitat dazu von Friedrich Merz ist nicht echt und die Regierung plant nichts derartiges. Hinter der Nachricht steckt ein bekannter Desinformations-Kanal.

von Faktencheck-Redaktion

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Anders als online behauptet, planen weder Friedrich Merz noch die Regierung aus SPD und CDU nicht, Menschen dazu zu verpflichten, ihren Wohnraum zu teilen (Christoph Reichwein / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Die Bundesregierung plane ein Gesetz, das Bürgerinnen und Bürger dazu verpflichtet, ihren Wohnraum mit Geflüchteten zu teilen. Merz habe dazu gesagt, das sei eine „historische Verantwortung“ und eine „gesellschaftliche Verpflichtung“.
Bewertung
Falsch. Das angebliche Zitat von Bundeskanzler Friedrich Merz ist frei erfunden. Die Bundesregierung plant kein Gesetz zur verpflichtenden Wohnraumteilung mit Geflüchteten.

Mit „Wohnraum teilen? Jetzt wird’s ernst!“ beginnt ein X-Beitrag vom 22. Juni 2025. Die Regierung wolle alle Deutschen dazu verpflichten, ihren privaten Wohnraum mit Geflüchteten zu teilen, heißt es weiter – ohne Ausnahmen. Dazu führt der Beitrag ein vermeintliches Zitat von Bundeskanzler Friedrich Merz an. Der soll gesagt haben, die „Wohnraumteilung“ sei kein „leeres Versprechen, sondern eine klare gesellschaftliche Verpflichtung“. 

In den Kommentaren – wenige Tage nach Posten sind es mehr als 600 – äußern sich Nutzerinnen und Nutzer wütend und fordern, Politikerinnen und Politiker sollten ihre eigenen Wohnungen zur Verfügung stellen. Einige drohen mit Gewalt, andere äußern Skepsis, ob es das Vorhaben wirklich gibt.

Screenshot des X-Beitrags. Darin steht: "Wohnraum teilen? Jetzt wird’s ernst! Die Merz-Regierung plant ein Gesetz, das jeden Deutschen verpflichtet, Wohnraum zu teilen und Flüchtlingen bedingungslos Platz zu machen, wenn es gebraucht wird. Kein Verhandlungsspielraum, keine Ausnahmen – Pflicht! „Wir stehen vor einer historischen Verantwortung: Wer Asylschutz braucht, muss ihn erhalten. Aber wir dürfen nicht vergessen – der Staat greift damit tief in das Eigentumsrecht ein. Diese Pflicht zur Wohnraumteilung ist kein leeres Versprechen, sondern eine klare gesellschaftliche Verpflichtung. Deutschland zeigt damit, dass es solidarisch ist – aber auch, dass Freiheit immer Verantwortung bedeutet.“ - so Merz heute."
Der X-Beitrag berichtet von einem erfundenen Gesetzesvorhaben und markiert außerdem neben dem US-Präsidenten Donald Trump auch die Russische Botschaft. (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Bundespresseamt: Zitat stammt nicht von Merz, Regierung lehnt Pflicht zur Wohnraumteilung ab

Wir haben beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung nachgefragt, ob das Zitat tatsächlich von Friedrich Merz stammt. Ein Regierungssprecher teilte uns mit: „Nein. Die Äußerung stammt nicht vom Bundeskanzler.“ Auch plane die Bundesregierung keine vergleichbaren Gesetzesänderungen und „würde ein solches Vorhaben ablehnen“, so der Sprecher weiter.

Suchen nach dem Zitat in der Pressedatenbank Genios führen zu keinem Treffer. Auch eine Google-Suche führt zu keinen seriösen Berichten, lediglich Telegram- und X-Beiträge tauchen so auf. Anders als auf X in der Community Note unter dem Beitrag angegeben, ist der Ursprung nicht der verlinkte Beitrag auf dem russischen Netzwerk VK. 

Foto von Friedrich Merz ist nicht aktuell – es wurde 2023 aufgenommen

Am 19. Juni – dem frühesten Datum, an dem wir den Post auf Telegram finden konnten und an dem das Zitat gesagt worden sein soll („so Merz heute“) – hatte der Bundeskanzler laut seinem öffentlichen Kalender keine öffentlichen Termine. Am 18. Juni nahm Merz an der Ministerpräsidentenkonferenz teil, doch auch dort sprach er nicht über das Thema Wohnraum für Geflüchtete. 

Das Bild, das sowohl im Telegram- als auch im X-Beitrag verwendet wird, ist zudem nicht aktuell: Es wurde beim CDU-Landesparteitag in Hürth am 28. Oktober 2023 aufgenommen. 

Über eine Bilder-Rückwärtssuche fanden wir das Bild neben Texten verschiedener Nachrichten-Portale, wo es als Symbolbild verwendet wird, in der Datenbank „Imago“. Über das Portal verkaufen Fotografinnen und Fotografen Lizenzen ihrer Bilder.

Keine offiziellen Zahlen dazu, wie viele Menschen Geflüchtete freiwillig bei sich aufnehmen

In Deutschland werden Geflüchtete nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Wie sie dort untergebracht werden, ist Sache der Länder. Zwar regeln bundesweite Gesetze, wie lange Geflüchtete in den Unterkünften untergebracht werden müssen, die weitere Unterbringung ist den Kreisen und Kommunen überlassen

Es gibt einige Initiativen, an die Menschen sich wenden können, wenn sie ihren Wohnraum zur Verfügung stellen wollen – das basiert aber immer auf Freiwilligkeit. Die Menschenrechtsorganisation ProAsyl beschreibt in einer Handreichung, wie so ein Angebot ablaufen kann. Interessierte sollen sich an die für die Flüchtlingsunterbringung zuständige Behörde wenden. Diese entscheidet dann, ob und wer in der angebotenen Wohnung oder dem Zimmer untergebracht werden darf. Dann kann ein Mietvertrag mit der Behörde abgeschlossen werden. 

Wohl wegen dieser dezentralen Struktur sind keine übergreifenden Statistiken dazu auffindbar, wie viele Geflüchtete in privat zur Verfügung gestellten Wohnraum unterkommen. Eine Antwort vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge , ob es so eine Statistik gibt, erhielten wir vor Veröffentlichung nicht. Mitte 2024 lebten rund 3,4 Millionen Schutzsuchende in Deutschland. Damit sind im Sinne der Statistik anerkannte Flüchtlinge, Asylsuchende, Geduldete und Geflüchtete mit einem humanitären Aufenthaltstitel gemeint. Laut Statistischem Bundesamt waren 2024 107.000 Menschen in Flüchtlingsunterkünften untergebracht. 

Schon 2023 Fake-Dokumente mit ähnlichem Inhalt zu ukrainischen Geflüchteten im Umlauf

Behauptungen dazu, Bürgerinnen und Bürger würden enteignet oder müssten Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung stellen, gibt es immer wieder. 2023 hatte eine russische Desinformations-Kampagne mit einem Fake-Dokument eine ähnliche Behauptung verbreitet. Damals hieß es, ukrainische Geflüchtete würden auf deutsche Haushalte verteilt. 

Screenshot des Telegram-Beitrags, darin steht: "Wohnraum teilen? Jetzt wird’s ernst! Die Merz-Regierung plant ein Gesetz, das jeden Deutschen verpflichtet, Wohnraum zu teilen und Flüchtlingen bedingungslos Platz zu machen, wenn es gebraucht wird. Kein Verhandlungsspielraum, keine Ausnahmen – Pflicht! „Wir stehen vor einer historischen Verantwortung: Wer Asylschutz braucht, muss ihn erhalten. Aber wir dürfen nicht vergessen – der Staat greift damit tief in das Eigentumsrecht ein. Diese Pflicht zur Wohnraumteilung ist kein leeres Versprechen, sondern eine klare gesellschaftliche Verpflichtung. Deutschland zeigt damit, dass es solidarisch ist – aber auch, dass Freiheit immer Verantwortung bedeutet.“ - so Merz heute."
Der Kanal, auf dem die älteste Version der Nachricht zu finden ist, verbreitet immer wieder Desinformation (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch der Kanal, auf dem CORRECTIV.Faktencheck die älteste Version des angeblichen Zitats fand, ist nicht unbekannt: Der Kanal „Unabhängig-Neutrale Nachrichten“ (UNN) gehört einem Youtuber aus Österreich, der sich laut Beschreibung als „Unternehmer, Investor und Auswanderer“ bezeichnet. Den Telegram-Kanal gibt es seit September 2021 – anfangs ging es vorwiegend um Impfkritik. Der Youtuber wirbt regelmäßig für zweifelhafte Gesundheitsprodukte, hinter denen eine Firma mit Verbindungen nach Russland steckt.

Obwohl UNN weniger als 20.000 Abonnenten hat, erreichen manche Beiträge Hunderttausende. Im Januar 2024 schwenkte der Kanal auf „politische Inhalte“ um. In seiner Beschreibung positionierte er sich mal pro-russisch, mal pro-israelisch. Seine Inhalte werden häufig durch Kreml-nahe Propaganda-Seiten weiterverbreitet.

Bis zur Veröffentlichung dieses Textes antwortete er nicht auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. Der X-Account, der die Behauptung ebenfalls teilte, war nicht erreichbar. 

Autorin: Sara Pichireddu

Redigatur: Gabriele Scherndl, Sophie Timmermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Öffentlicher Kalender des Kanzlers, 25. Juni 2025: Link (archiviert)
  • Alamy Bilddatenbank, 25. Juni 2025: Link (archiviert)
  • Asylgesetz, § 50 Landesinterne Verteilung, 25. Juni: Link
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