Russland/Ukraine

„Zusammen sind wir stark“: Deutsche Spenden für Russlands Krieg

Eine Telegram-Gruppe sammelt in Deutschland Geld für Russlands Krieg gegen die Ukraine. Offiziell soll es um humanitäre Hilfe gehen. Doch auf den Einkaufslisten stehen Drohnenkomponenten, Visiere oder Schalldämpfer für die Armee.

von Alexej Hock , Nikita Kondratyev

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Immer wieder übergibt Nikolai Fast Hilfsgüter an Einheiten der russischen Armee – wie hier im Dezember 2024 auf der Krim. (Screenshot / Telegram-Gruppe Братская Мотопомощь из Германии.)

Das Postfach 4133 in Gütersloh wird regelmäßig geleert. Alle paar Tage bedankt sich ein Moderator der Telegram-Gruppe „Bruderschaft Motohelfer“ über die ankommende Post. Meist sind es Grußkarten mit ein paar handschriftlichen Worten. „Für die Kinder“ steht auf manchen, „Unseren Kämpfern“ oder „Für den Sieg!“ auf anderen, fast alle auf Russisch. Den Karten liegen stets ein paar Euro-Banknoten bei.

An dieses Postfach senden Menschen aus Deutschland Geld, so suggerieren die Bilder auf Telegram, das für Einheiten der russischen Armee bestimmt ist. Zwischen Aufrufen zu humanitärer Hilfe für Kinder, Schulen und Krankenhäuser wird in der Chat-Gruppe ganz offen um Spenden für Funkgeräte, Visiere oder Schalldämpfer für Kalaschnikow-Gewehre geworben. Das Motto: „Zusammen sind wir stark“.Telefonisch bestätigt der Kanalbetreiber Übergaben an die Armee, will aber nie Sachen geliefert haben, „die zum Krieg führen“.

Es ist schwer abzuschätzen, wie viel Geld die „Bruderschaft Motohelfer“ in der Woche oder im Monat sammelt. Dass die Gruppe jedoch seit mehr als drei Jahren ganz offen und ungestört unter der russischsprachigen Bevölkerung Deutschlands und mit rund 5.500 Mitgliedern Spenden sammeln kann, wirft Fragen auf.

Von den Spendern bis hin zu den Verteilern der Hilfsgüter könnten sich alle nach deutschem Recht strafbar machen, weil sie damit einen völkerrechtswidrigen Krieg unterstützen. Erst Ende Mai hat der Generalbundesanwalt Durchsuchungen bei einem Verein in Brandenburg durchführen lassen, weil dieser Spendengelder an Milizen in Donezk und Luhansk geleitet haben könnte.

In Russland wird das Gesicht der „Bruderschaft Motohelfer“ von staatlichen Sendern und militärnahen Bloggern gefeiert. In Deutschland fehlen Medienberichte, Ermittlungsverfahren wurden eingestellt. Es scheint sich noch niemand ernsthaft mit dem Zusammenschluss beschäftigt zu haben. Wie kann das sein?

Wurzeln im Biker- und Kraftfahrermilieu

Kopf und Gesicht der Telegram-Gruppe ist Nikolai Fast. Geboren in Sibirien, kam er als 16-Jähriger nach Deutschland. So erzählt er es russischen Medien in Interviews. Er bekam die deutsche Staatsbürgerschaft, ließ sich nach eigener Auskunft in der Bundeswehr am Leopard-Panzer ausbilden. Später arbeitete Fast als Fliesenleger im Raum Frankfurt am Main.

Die Verbindung nach Russland riss nicht ab, er war bei den „Nachtwölfen“, einer nationalistischen Biker-Gruppierung mit Nähe zum Kreml-Chef Wladimir Putin. Es finden sich Fotos, die Fast in Kutte mit Bikern der russischen Gang zeigen, als diese im Jahr 2017 anlässlich des „Tages des Sieges“ eine Fahrt nach Berlin veranstalteten.

Es ist die Umgebung, die ihn kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine möglicherweise dazu gebracht hat, die „Bruderschaft Motohelfer“ ins Leben zu rufen. Anfangs ging es darum, in den Wirren der ersten Kriegstage in Deutschland gestrandete russische LKW-Fahrer zu unterstützen. In frühen Gruppenbeiträgen lässt sich nachlesen, wie Gruppenmitglieder Hilfsaktionen koordinierten. Zu sehen sind Fotos von Autos, vollgepackt mit Wasserflaschen und Essen und dankbare Fahrer.

Als sich das Problem mit den gestrandeten Fahrern mit der Zeit löste, änderte sich der Zweck der Gruppe. Fast und seine Mitstreiter warben für Geld- und Sachspenden für „humanitäre Hilfe“ im Donbass. Es fanden sich Freiwillige, die in verschiedenen Bundesländern Hilfsgüter wie Krücken, Medizinprodukte oder Kleidung einsammelten. Doch bald mischten sich auch Hilfeaufrufe für Einheiten der russischen Armee darunter.

Tarnnetze, Medikamente und Drohnen

Ein ständiger Posten sind Tarnnetze, die in Russland von Freiwilligengruppen geknüpft werden. Erst am 3. Mai dieses Jahres rief Fast zu wöchentlichen Spenden in Höhe von 15.000 Rubel auf, das sind umgerechnet 150 Euro. Es ist eine Art Dauer-Kooperation, die Netze zur Tarnung von Kampftechnik sind an der Front offenbar gefragtes Verbrauchsmaterial.

„Da wir selbst nicht knüpfen, werden wir das Material bereitstellen oder Geld übergeben, damit sie das Material selbst kaufen können.
Pro Woche müssen 15.000 Rubel gesammelt werden.
Ich denke, das ist nicht schwer.
Nennen wir diese Sammelaktion „Netze“.
Ich werde diesen Betrag jede Woche überweisen.
Gemeinsam sind wir stark💪“

Im zweiten Kriegswinter schrieb Fast: „In Moment benötigen alle Einheiten Medizin.“ Es werde daher gesammelt für: Verbände, Wasserstoffperoxid, Venenstauer, Tourniquets, Decken, Infusionsbesteck und vieles mehr. „Ich will daran erinnern, dass der Feind vom gesamten Westen unterstützt wird – warum sollten wir dem nachstehen?“

Es bleibt nicht bei Worten. Fast lädt immer wieder Fotos hoch, die Käufe belegen sollen. Ende 2024 lud er einen Bestellschein mit verschiedenen Medizinprodukten in Höhe von umgerechnet 1000 Euro hoch. Ein anderes Mal will er Überschuhe für rund 2600 Euro eingekauft haben, wie sie die schlecht ausgestatteten russischen Soldaten gut gebrauchen können. Die Belege wirken authentisch, der tatsächliche Kauf kann damit aber nicht verifziert werden.

Nikolai Fast dokumentiert auf Telegram sämtliche Übergaben – hier ein Dankespost einer Einheit auf der Krim (Screenshot / Telegram-Gruppe Братская Мотопомощь из Германии.)
Nikolai Fast dokumentiert auf Telegram sämtliche Übergaben – hier ein Dankespost einer Einheit auf der Krim (Screenshot / Telegram-Gruppe Братская Мотопомощь из Германии.)

In einem Telefongespräch mit CORRECTIV sagt Fast, er habe schon von Beginn an Medizin, Bekleidung an Soldaten verteilt. Humanitäre Hilfe für die Armee – für Fast ist das kein Widerspruch. Er fragt: „Sind Soldaten denn keine Menschen?“

Dass die Tarnnetze jedoch durch Spendengelder finanziert würden, bestreitet Fast. Die erhalte man umsonst. Er behauptet: „Wir haben noch nie Geld investiert in Sachen, die zum Krieg führen“. Er meint damit offenbar Waffen. Solche „kriegsführenden Sachen“ habe man nie in den Donbass gefahren, dafür habe man das schlicht Geld nicht. Aber stimmt das?

Teils teilt Fast auch die Wunschbestellungen verschiedener Einheiten, mit denen er in Kontakt ist. Dann geht es um verschiedene Werkzeuge für ein Versorgungsbataillon, darunter ein 3D-Printer. Eine andere Einheit bittet um Antennen und Videoempfänger für FPV-Drohnen – jene Geräte, die in diesem Krieg die Funktion von Tötungsmaschinen einnehmen.

Die Abteilung „Storm W“ der russischen Armee, die vor allem aus Häftlingen zusammengesetzt ist, bitte um Funkgeräte. Fast kommentiert: „Lasst uns die Sammelaktion „Funkgerät“ starten. Leute, lasst uns ihnen helfen.“ Gesammelt wurde für fünf Geräte für umgerechnet rund 600 Euro. Weiter teilt Fast Links zu Schalldämpfern für Kalaschnikows und Visiere.

Der Zweck der Spenden ist unübersehbar

Nach eigener Auskunft hatte die Gruppe in den ersten Monaten bis zu 23.000 Mitglieder. Inzwischen ist es nur noch ein Viertel. Vermutlich hat viele Nutzer die Entwicklung verschreckt. Diejenigen, die geblieben sind, scheinen sich an den vielen propagandistischen Beiträgen und den Spendenaufrufen für die russische Armee nicht zu stören.

Fasts Beiträge ernten immer wieder zustimmende Emojis. Auch die dokumentierten Geldsendungen enthalten eindeutige Botschaften: „Für den Sieg!“ schreibt eine Spenderin zu dem Zweck: „Für was auch immer gerade benötigt wird“. Andere beziehen sich auf die einzelnen Spendenaufrufe für die Netze oder Funkgeräte.

Administrator Nikolai Fast bedankt sich für Spenden, die im Postfach eingehen. (Screenshot / Telegram-Gruppe Братская мото помощь Из Германии.)
Administrator Nikolai Fast bedankt sich für Spenden, die im Postfach eingehen. (Screenshot / Telegram-Gruppe Братская мото помощь Из Германии.)

Neben dem Postfach gibt es weitere russische Zahlungsweise, die über Nikolai Fast laufen. Es gibt sogar einen Paypal-Account, der offenbar bereits mehr als ein Jahr lang für diese Zwecke genutzt wird. Das Geld aus dem Postfach wird offenbar auch direkt nach Russland geschickt. Wer das heute macht, das geht aus der Gruppe nicht hervor. Zeitweise waren die Geldempfänger jedoch ganz offen mit Adresse einsehbar. Fast selbst kann es allerdings nicht sein.

Flucht nach Russland

Fast ist das Gesicht der Gruppe und gibt den Ton an. Anfangs noch von Deutschland aus, dann immer häufiger unterwegs. Mit seinem Minivan fuhr er selbst Hilfsgüter über das Baltikum nach Russland. Inzwischen fühlt er sich in Deutschland verfolgt und lebt in Russland – nach eigener Auskunft in seinem Kleinbus, der mit dem Logo der „Bruderschaft Motohelfer aus Deutschland“ geschmückt ist.

Das Schema funktioniert so: Fast kauft die Produkte in Russland, entweder weil sie dort günstiger sind oder so die Grenzkontrollen entfallen. Die lädt er in seinen Van, zusammen mit Hilfsgütern anderer russischer Organisationen. Auch sammelt er Tarnnetze ein, die in Russland gefertigt werden. Laut den Spendenaufrufen werden sie von den deutschen Spenden finanziert. Im Gespräch mit CORRECTIV sagt Fast, man erhalte sie umsonst. Dann macht er sich auf den Weg in die besetzten Gebiete.

Jeden seiner Schritte dokumentiert Fast per Video. Er spricht während der Fahrten Nachrichten für die Gruppe ein. Er dokumentiert Besuche bei anderen Hilfsorganisationen. Und er filmt sich bei der Übergabe der Hilfsgüter vor Ort. Die Soldaten bedanken sich vor laufender Kamera bei der „Bruderschaft Motohelfer“ und posieren gemeinsam in Uniform.

Im November 2023 meldet sich Nikolai Fast von einem Militärstützpunkt. (Screenshot / Telegram-Gruppe Братская Мотопомощь из Германии.)
Im November 2023 meldet sich Nikolai Fast von einem Militärstützpunkt. (Screenshot / Telegram-Gruppe Братская Мотопомощь из Германии.)

Fast knüpft Kontakte zu verschiedenen russischen Organisationen, mit denen er öffentlichkeitswirksam zusammenarbeitet. Besonders skurril mutet ein Bericht über den Transport einer Bronzestatue eines sowjetischen Filmhelden mit Mauser-Pistole nach Lugansk an. Die Figur soll einen Befreier des Donbass symbolisieren.

Pikant daran ist: Koordiniert wurde die Aktion durch die Organisation „Recht auf Waffen“, die durch ihr frühere Vorsitzende Maria Butina bekannt geworden ist. Im Juli 2018 war die Waffen-Lobbyistin in den USA wegen Agententätigkeit festgenommen und kehrte nach 14-monatiger Haft zurück in ihre Heimat. Heute wirbt sie unter anderem über pro-russische Influencer aus Deutschland um Auswanderer nach Russland.

Auf den Bildern aus Luhansk trägt Fast die Statue zusammen mit Wjatscheslaw Wanejew, dem langjährigen Stellvertreter und Assistent von Butina.

Russische Staatssender und Militärblogger sind längst auf Fast aufmerksam geworden, es gibt zahlreiche Beiträge. Dort erzählt er auch von dem Druck, den er in Deutschland gesprüht habe. Sogar sei seine Wohnung gestürmt worden – eine Behauptung, die zumindest zwei mit Fast beschäftigte Staatsanwaltschaften gegenüber CORRECTIV dementieren. Wegen der angeblichen Verfolgung bat er um die russische Staatsbürgerschaft – und hat sie inzwischen auch erhalten.

Spenden als Beihilfe zu einer Straftat

Vielleicht ist sich Fast auch dessen bewusst, dass sein Handeln in Deutschland durchaus strafbar sein könnte. Aufgrund eines Hinweises an die Polizei hatte die Staatsanwaltschaft Hannover im Jahr 2024 zwei Verfahren gegen Fast eingeleitet. Das teilte eine Sprecherin auf Anfrage von CORRECTIV mit.

Geprüft wurde der Anfangsverdacht der „Belohnung und Billigung von Straftaten“ sowie Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG), also möglicher Sanktionsverstöße. Beide Verfahren wurden jedoch eingestellt. Für Verstöße gegen das AWG habe man nicht ausreichend Anhaltspunkte gefunden, zudem sei Fast nicht mehr in Deutschland, also für die Strafverfolgungsbehörden nicht greifbar.

Fast konnte sich Ermittlungen bislang also erfolgreich entziehen – was aber ist mit dem Rest der Gruppe? Von denjenigen, die das Postfach leeren, bis zu den einfachen Mitgliedern? Laut dem Augsburger Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel könnten selbst gegen Spender weitere Paragraphen zum Zuge kommen.

Demnach kämen bei dem Spendensammeln für die russische Armee in Deutschland gleich zwei Straftatbestände in Frage. „Soweit die Spenden Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch fördern, also etwa Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder den Aggressionskrieg selbst, dürfte das Zurverfügungstellen des Geldes eine Beihilfe zu einer Straftat darstellen – wenn die Spender sich auch über dieses Spendenziel im Klaren sind“, so Kubiciel.

Darüber hinaus käme noch der spezielle Paragraph der Terrorismusfinanzierung in Betracht. Dieser zähle unter den Straftaten, deren Finanzierung verboten ist, zwar keine Aggression auf, jedoch Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen. Er könnte also greifen, jedoch müsste hier konkret nachgewiesen werden, dass die jeweilige Spende zu einem konkreten Verbrechen beigetragen hat und die Spender dies auch wollten.

Laut dem Strafrechtsprofessor Kubiciel hängt die Frage nach der Strafbarkeit also insgesamt davon ab, wie man Russlands Überfall auf die Ukraine an sich und die jeweiligen kriegerischen Handlungen strafrechtlich einstuft. Solche Verfahren gegen den Zusammenschluss könnten auch in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fallen. Diese wollte sich nicht zu einem möglichen Verfahren äußern.

Der Bus wird weiter voll

Aus einem anderen Grund hatte hingegen die Staatsanwaltschaft Frankfurt im vergangenen Jahr gegen Fast und zwei weitere Personen ermittelt. Sie ging dem Verdacht des Betruges nach. Entsprechende Vorwürfe, dass Belege fehlen würden, wurden in den ersten Monaten auch in der Gruppe thematisiert, von Fast jedoch zurückgewiesen. Im Gespräch spricht er von Neidern, die ihm den Erfolg der Gruppe nicht vergönnen. Auch dieses Verfahren ist inzwischen eingestellt.

Es werde noch immer viel gesammelt, sagt Fast im Gespräch. Klar sei es weniger geworden, aber er komme auch gar nicht mehr dazu, neue Hilfsgüter zu kaufen – ihm werde der Bus auch so von Helfern vor Ort vollgeladen. Auch während des Telefonats ist er unterwegs: „Ich bin eigentlich voll, aber ich werde noch Tarnnetze aufladen unterwegs“.

Redaktion: Anette Dowideit
Faktencheck: Jean Peters
Kommunikation und Social Media: Franziska Eiles, Cem Bozdoğan und Anna-Maria Wagner