Faktencheck

OB-Wahl in Ludwigshafen: Nein, AfD-Politiker Joachim Paul wurde nicht „wegen Tolkien-Zitat“ ausgeschlossen

Für die Oberbürgermeister-Wahl in Ludwigshafen am Rhein darf Joachim Paul im September 2025 nicht antreten. Manche behaupten im Netz, er sei ausgeschlossen, weil er literarische Werke wie das von Tolkien zitiert habe. Das ist irreführend: Pauls Ausschluss lagen mehrere Anhaltspunkte zugrunde, die seine Verfassungstreue infrage stellten.

von Sara Pichireddu

Ludwigshafen: Joachim Paul hält im Rahmen einer Kundgebung eine Rede im Stadtteil Maudach*** Der Wahlausschuss der Stadt Ludwigshafen unter der Vorsitzenden Jutta Steinruck lässt seine Kandidatur als Oberbürgermeister nicht zu
Der AfD-Politiker Joachim Paul wollte am 21. September 2025 bei der Oberbürgermeister-Wahl in Ludwigshafen antreten, wurde aber wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue nicht als Kandidat zugelassen (Foto: Udo Herrmann / Chromorange / Picture Alliance)
Behauptung
Der AfD-Politiker Joachim Paul sei wegen literarischer Zitate von Tolkien und aus dem Nibelungenlied von der Oberbürgermeister-Wahl in Ludwigshafen ausgeschlossen worden.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Der Wahlausschuss entschied auf Grundlage einer Liste des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz mit 16 Anhaltspunkten, dass Zweifel an der Verfassungstreue des AfD-Politikers bestehen. Der Name Tolkien und das Nibelungenlied werden auf dieser Liste in drei Punkten erwähnt. Sie waren aber nicht alleine ausschlaggebend – und es wird auch nicht beanstandet, dass Paul daraus zitierte, stattdessen erklärte er damit seine Ideale: Der Verfassungsschutz verweist in anderen Punkten auf Pauls Nutzung des Begriffs Remigration in verfassungsfeindlichem Sinne und seine Nähe zu Rechtsextremismus.

Am 21. September 2025 wählt Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz eine neue Oberbürgermeisterin oder einen neuen Oberbürgermeister. Nicht auf dem Stimmzettel: Joachim Paul von der AfD. Der Wahlausschuss der Stadt schloss ihn Anfang August von der Wahl aus. Paul selbst sah sich zu Unrecht angegriffen, scheiterte aber mit einem Antrag beim Oberverwaltungsgericht. Grundlage für seinen Ausschluss ist ein Bericht des Landesverfassungsschutzes Rheinland-Pfalz, der beim Wahlausschuss offenbar Zweifel an Pauls Verfassungstreue weckte.

Pauls Parteikollege Markus Buchheit, Abgeordneter im Europäischen Parlament, veröffentlichte dazu ein Bild auf X mit der Aufschrift: „Ein VS-Bericht, sie zu knechten. Wegen Tolkien-Zitat von der Wahl ausgeschlossen“. Er schreibt weiter, der Verfassungsschutz habe Tolkien, den Schriftsteller, und das Nibelungenlied „als Verdachtsmomente“ gewertet. Sein Beitrag wurde auf der Plattform X und Facebook hundertfach geteilt, auch von anderen AfD-Politikern und Parteiprofilen. In den Kommentaren: Empörung über das angeblich „undemokratische“ Vorgehen des Verfassungsschutzes. Auf unsere Bitte um Stellungnahme antwortete Buchheit nicht.

Ein Screenshot eines Facebook-Beitrags mit einem KI-generierten Bild von Sauron aus dem „Herr der Ringe“
Buchheit behauptet in seinem Beitrag, Joachim Paul sei wegen eines Tolkien-Zitats nicht zur OB-Wahl zugelassen worden. In dem Bericht des Landesverfassungsschutzes Rheinland-Pfalz taucht jedoch gar kein Tolkien-Zitat auf. (Quelle: Facebook, Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Rechtsaußen-Medium Nius griff Buchheits Wortwahl später in der Überschrift auf. Drei Wochen danach nimmt das Narrativ international an Fahrt auf: Der US-amerikanische Journalist und Buchautor Michael Shellenberger schrieb in einem Beitrag auf X vom 29. August, Paul sei aus „nichtigen Gründen“ von der Kandidatur für das Bürgermeisteramt ausgeschlossen worden, etwa wegen einer „Lobeshymne“ auf „Herr der Ringe“. Elon Musk teilte Shellenbergers Beitrag, der es damit auf 5,2 Millionen Ansichten brachte.

Pauls Ausschluss von der Wahl kam jedoch nicht wegen harmloser literarischer Zitate zustande, wie in den Beiträgen angedeutet. CORRECTIV.Faktencheck liegt die elfseitige Antwort des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz an die Vorsitzende des Landeswahlausschusses vor (PDF). Wir fragten außerdem einen Rechtswissenschaftler, wie er den Fall einschätzt.

Wahlausschusses sieht Anhaltspunkte für Zweifel an der Verfassungstreue von Joachim Paul

Zu dem Ausschluss kam es so: Die Vorsitzende des Wahlausschusses, Ludwigshafens amtierende Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos), schrieb dem Innenministerium Rheinland-Pfalz, es gebe Hinweise auf fehlende Verfassungstreue des Bewerbers Paul und bat um Einschätzung. Der Landesverfassungsschutz Rheinland-Pfalz antwortete mit 16 „gerichtsverwertbaren“ Anhaltspunkten, nach denen Pauls Verfassungstreue nicht gegeben sein könnte. Die Mehrheit im Wahlausschuss (6:1 Stimmen) bezweifelte danach, dass Paul gemäß Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz „jederzeit“ für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten würde und schloss den Kandidaten der AfD aus.

Paul legte Beschwerde beim Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße ein. Das hielt laut einer Pressemitteilung die Entscheidung des Wahlausschusses nicht für rechtswidrig: „Gerade die von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfasste Menschenwürde sei als der oberste Wert des Grundgesetzes anerkannt und unverfügbar. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte seien damit nicht vereinbar“, begründete das Gericht. Hinreichende Zweifel an der Verfassungstreue könnten bereits daraus abgeleitet werden, dass der AfD-Kandidat „wiederholt die Verbreitung von sogenannten Remigrationsplänen zumindest unterstützt habe“. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung anschließend.

Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität zu Köln, erklärte uns auf Nachfrage, dass die durch den Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz übermittelte Zusammenstellung „tatsächlich eher dünn ausfällt“. Jedoch könnten bereits „wenige Belege von verfassungsfeindlichen Betätigungen“ Zweifel begründen, die einen Ausschluss rechtfertigen. Beispielsweise, wenn ein Oberbürgermeister-Kandidat den Begriff „Remigration“ nutze, basierend auf dem Konzept der Identitären Bewegung um den vom Verfassungsschutz als Rechtsextremisten eingestuften Martin Sellner. Die Gruppierung verwende den Begriff „in einer eindeutig verfassungsfeindlichen Zielrichtung“ (CORRECTIV berichtete).

Paul zitierte Tolkien nicht, zog aber Parallelen zwischen der Amazon-Serie „Ringe der Macht“ und rechter Ideologie

Der Verfassungsschutz lieferte insgesamt 16 Anhaltspunkte, die er in Bezug auf ein Ausschlussverfahren für „gerichtsverwertbar“ hielt. Mehr als die Hälfte der Punkte beziehen sich auf Aussagen, die Paul in diversen rechten Plattformen und Magazinen veröffentlicht hatte – auch zum Thema „Remigration“. In den übrigen Punkten geht es um seine Veranstaltungen und Verbindungen in die rechtsextreme Szene, auch zu Personen wie Sellner.

Der Name Tolkien kommt im ersten Punkt vor. Eindeutig geht es dabei nicht darum, dass Paul den Autor zitiert habe. Stattdessen wird ein Beitrag angeführt, den Paul im rechten österreichischen Freilich-Magazin veröffentlicht hatte. Dort besprach er 2022 die Serie „Die Ringe der Macht“, die auf den Werken Tolkiens beruht. Laut Verfassungsschutz zieht er im Artikel „Parallelen zum Nationalismus und der von der ‘Neuen Rechten’ verfolgten ‘Konservativen Revolution’“.

Was sind Neue Rechte, Konservative Revolution und Ethnopluralismus?

Neue Rechte steht für ein Netzwerk, das mit einer „Kulturrevolution von rechts“ grundlegende politische Veränderungen vorantreiben will. Die Strömung stützt sich hauptsächlich auf das Gedankengut der „Konservativen Revolution“ – eine Intellektuellenströmung in der Weimarer Republik, die damals statt demokratischem Verfassungsstaat eine autoritäre Diktatur anstrebte.

Zu den Strategien der Neuen Rechten zählt es, ideologische Positionen und Diskurse gezielt in der Gesellschaft zu platzieren, um Wahlerfolge für rechte Parteien zu ermöglichen. Sie versucht Ideen des Rechtsextremismus zu etablieren, aber grenzt sich vom historischen Nationalsozialismus ab, zum Beispiel, indem ihre Sprache weniger offen rassistisch ist und sie eher die regionale Herkunft in den Fokus setzt. Ogorek beschreibt das so: „Prägend für den Extremismus aus der sog. Neuen Rechten ist, dass er weniger an klassisch-nationalsozialistische Vorstellungen wie die biologische Unterschiedlichkeit von Menschen (‘Untermenschen’) anknüpft, sondern eher Begriffe wie den sog. Ethnopluralismus verwendet.“

Unter Ethnopluralismus versteht man die nationalistische Überzeugung, dass ein Volk in seinen angestammten Grenzen bleiben oder dorthin zurückwandern sollte. Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes legt jedoch fest, dass niemand wegen unter anderem Abstammung, Rasse, Heimat und Herkunft benachteiligt werden darf. Wird zwischen „echten“ Deutschen und „Passdeutschen“ differenziert, ist das laut Ogorek mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht mehr in Einklang zu bringen.

Der Verfassungsschutz weist insbesondere auf einen Absatz hin, in dem Paul Parallelen zwischen Tolkiens Werk und aktuellem Nationalismus zieht:

Screenshot eines Belegs des Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz
Tolkien wird vom Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz im ersten von 16 Anhaltspunkten genannt. Die Stelle geht deutlich über ein Zitat hinaus. (Quelle: Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz, Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Laut Markus Ogorek könnte Pauls Beitrag als Verweis auf sogenannten Ethnopluralismus verstanden werden, einen zentralen Begriff der Neuen Rechten. Das allein belege aus seiner Sicht aber keine verfassungsfeindlichen Positionen. Materialsammlungen des Verfassungsschutzes seien immer in ihrer Gesamtheit sowie eingebettet in kontextuelle Einordnungen zu lesen, schreibt der Rechtswissenschaftler.

Verfassungsschutz führt kein Nibelungenlied-Zitat an – Paul selbst beschreibt Zusammenhang zu rechten Idealen

Buchheit, der ursprüngliche Verbreiter des X-Beitrags, erwähnt neben Tolkien auch das Nibelungenlied. Auch dieses Schlagwort kommt zwar im Bericht des Verfassungsschutzes vor, aber in einem deutlich anderen Kontext, als behauptet. Zwei der 16 Anhaltspunkte beziehen sich darauf, es wird aber an keiner Stelle kritisiert, dass Paul auf die Sage verwies. Erneut geht es um den Kontext:

  • Der erste Anhaltspunkt: Am 25. März soll Paul ein Seminar zu dem mittelalterlichen Heldenepos angeboten haben. Angeführt wird das jedoch nicht wegen des Inhaltes des Kurses, sondern der Plattform, die Paul dabei beworben haben soll: Die „GegenUni“ ist laut Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz ein „virtuelles Bildungsprojekt aus dem Spektrum der Neuen Rechten“.
  • Der zweite Anhaltspunkt beschreibt erneut Artikel, die Paul im Freilich-Magazin verfasste. So schrieb er im Oktober 2024 in einem Kommentar zu einer Film-Adaption der Nibelungensage: „Es ist zu hoffen, dass der größte deutsche Mythos wieder seinen angestammten Platz in unserer Kultur einnimmt.“ Paul bezeichnet die Geschichte, in der der Held Siegfried nach politischen Intrigen getötet wird, als eine Erzählung von Menschen, die „tun, was getan werden muss“, um ihren Werten treu zu bleiben, notfalls auch unter Einsatz ihres Lebens. In einem anderen seiner Beiträge zu dem Thema erwähnt er explizit den Zusammenhang zur „Konservativen Revolution“ – einer rechtsintellektuellen Strömung aus den Zeiten der Weimarer Republik.

Vortrag bei Burschenschaft soll Nähe zu rechtsextremem Gedankengut zeigen

In anderen Punkten werden mögliche verfassungsfeindliche Positionen deutlicher: Demnach soll sich Paul laut Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz beispielsweise im November 2023 in einem Vortrag auf die von der Identitären Bewegung geforderte „erzwungene Rückführung“ von Migrantinnen und Migranten in ihre jeweiligen Herkunftsländer bezogen haben. Titel: „Schicksalsfrage Einwanderung – Warum Remigration nötig und machbar ist“.

Ein Bericht darüber erschien im Magazin der Deutschen Burschenschaft. Darin stehen Passagen, die auf ethnopluralistische Ideen Bezug nehmen, die Rede ist von „Handlungsperspektiven zur Remigration einzelner Migrantengruppen“. Ein expliziter Bezug zur Identitären Bewegung fehlt aber im Artikel.

Jedoch heißt es im Bericht des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz auch: „Aufgrund des Social-Media-Auftritts Pauls kann von einer weiteren Vernetzung mit Sellner ausgegangen werden.“ Dass Paul den als Rechtsextremisten eingestuften Sellner getroffen hat, zeigt ein Beitrag auf Instagram.

Ein Screenshot eines Instagram-Beitrags von Joachim Paul. In dem Bild steht er neben Martin Sellner auf einem Fest.
Ein Bild von Joachim Paul (links) und Martin Sellner, veröffentlicht auf Pauls Instagram-Profil Anfang Juli 2025 (Quelle: Instagram, Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Über Pauls Nähe zu Sellner berichtete CORRECTIV hier.

Verfassungsschutz führt 16 Anhaltspunkte an, die Verbindung Pauls zu rechtsextremer Szene illustrieren sollen

Der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz listete weitere Fälle, bei denen Rechtsextreme sich auf Pauls Veranstaltungen vernetzen konnten. Im Mai etwa sollen ehemalige Mitglieder der im November 2024 aufgelösten „Revolte Rheinland“ zusammen mit der „Jungen Alternative“ den sogenannten Stolzmonat gefeiert haben, eine rechtskonservative Gegenveranstaltung zum Pride Month, bei dem jedes Jahr im Juni sexuelle Vielfalt gefeiert wird.

Schließlich weist der Verfassungsschutz in dem Bericht auf einen AfD-internen Vorfall hin. Medienberichten zufolge, die von Paul bestätigt wurden, wurde er Ende 2023 vorübergehend von der Partei für alle parteipolitischen Ämter gesperrt. Wie der SWR berichtete, soll er auf einem Foto bei einer Veranstaltung mit Parteichef Chrupalla ein Handzeichen gemacht haben, das als Erkennungszeichen in der rechtsextremen Szene gilt und die Überlegenheit weißer Menschen impliziert. Paul bestritt diese Absicht hinter seiner Geste.

Fazit: Paul wurde nicht wegen eines Tolkien-Zitats oder anderen literarischen Zitaten von der Kandidatur ausgeschlossen. Der Wahlausschuss begründete seine Entscheidung aufgrund mehrerer Beispiele mit Zweifeln an Pauls Verfassungstreue, vor allem in Zusammenhang mit seiner Nutzung des Begriffes Remigration. Auch seine Kontakte zu Martin Sellner, zur Identitären Bewegung und allgemein in rechtsextreme Kreise spielten eine Rolle.

Redigatur: Steffen Kutzner, Sarah Thust

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