Das Geschäft mit dem Risiko
Schleswig-Holsteins Wirtschaft ist für die Fischereiflotte, Tourismus und Windräder bekannt. Doch von vielen unbemerkt ist das Bundesland eine Hochburg der Rüstungsindustrie: mit 29 Unternehmen ist sie einer der wichtigsten Wirtschaftszweige im Land. Die Journalistin Imke Schröder von den Kieler Nachrichten war bei uns zu Gast und gibt einen Überblick.
Die Branche boomt
Panzer vom Typ „Leopard“ und „Puma“ gebaut von Rheinmetall, Waffen von Sig Sauer und U-Boote von ThyssenKrupp Marine Systems: Das ist nur ein kleiner Auszug der Wehrtechnik made in Schleswig-Holstein. Rund 7.000 Menschen sind laut dem Arbeitskreis Wehrtechnik Schleswig-Holstein landesweit in der Rüstungsindustrie beschäftigt. Seit 1992 hat sich damit die Zahl der Beschäftigten nahezu verdoppelt. Bei Zulieferern und Dienstleistern, die auch für die Rüstungsindustrie arbeiten, sind noch einmal rund 12.000 Menschen beschäftigt. „Schleswig-Holstein hat zu wenig im Technologie-Bereich zu bieten, Unternehmen mit einem eigenen Forschungs- und Entwicklungsbereich sind enorm wichtig“, sagt Dieter Hanel vom Arbeitskreis Wehrtechnik, der aus Wehrtechnikunternehmen in Schleswig-Holstein besteht. Zum Vergleich: Im Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V sind deutschlandweit 220 Unternehmen Mitglied. Ein Drittel davon stellt der Spitzenreiter unter den deutschen Rüstungsexporten: der Freistaat Bayern.
Krisenherde im Nahen Osten, die zunehmende Bedrohung durch Russland – das sind die Faktoren, die die Rüstungsindustrie und ihre Entwicklungsabteilungen wachsen lassen. „Man kann das bedauern, aber wir müssen die Welt so zur Kenntnis nehmen und uns darauf einstellen“, sagt Hanel und fügt hinzu: „Die weltweiten Risiken werden eher noch mehr zunehmen.“
Für Rüstungsexporte gelten besondere Auflagen. Über die Ausfuhren entscheidet alleine und geheim der Bundessicherheitsrat, dem neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem Vizekanzler sieben weitere Kabinettsmitglieder angehören. Die beschlossenen Exportgenehmigungen werden abschließend ohne Begründung veröffentlicht. Welche Anträge abgelehnt wurden, bleibt geheim. Die Entscheidungen ziehen sich mitunter über Monate. Oder Jahre.
Ein viel zu langwieriger Prozess, kritisieren die Rüstungsbefürworter. Das reicht nicht, meinen Rüstungsgegner. Denn auch wenn in der Einzelfallprüfung Exporte abgelehnt werden, exportieren Rüstungsfirmen über Drittländer in Krisengebiete wie Kolumbien und Kasachstan.
Ermittlungen bei Sig Sauer
So lauteten 2014 auch die Vorwürfe gegen Waffenproduzent Sig Sauer bei Eckernförde, der 1.000 Gewehre in die USA geliefert haben soll, von wo diese weiter nach Kolumbien gelangt sein sollen. Die Staatsanwaltschaft Kiel schaltete sich ein, doch „die Ermittlungen dauern an“ heißt es von Oberstaatsanwalt Axel Bieler. Auch die 2015 aus der Statsanwaltschaft gestohlenen Computer mit Beweismaterial im Fall Sig Sauer sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Aber auch auf legalem Wege gelangen die Waffen aus Eckerförde in gefährliche Hände: Mit einem Gewehr der Marke Sig Sauer tötete der Attentäter von Las Vegas im Oktober 2016 49 Menschen.
„Solange die Bundesregierung keine nationale Sicherheitsstrategie vorlegt, die eine Positionierung zu Rüstungsexporten beinhaltet, bleibt die Debatte bestehen“ sagt Sebastian Bruns, Leiter der Abteilung Maritime Strategie und Sicherheit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das sicherheitspolitische Insitut wird von der gemeinnützigen Stiftung für Wissenschaft und Demokratie gefördert. Ein erstarkendes Russland macht gerade die Ostsee wieder zu einem strategisch wichtigen Knotenpunkt. „Lange ging man von einem ewigen Frieden zwischen den Anrainerstaaten aus. Das war aber eher eine Atempause. Die Ostsee ist mittlerweile wieder eine Arena für sicherheitspolitische Auseinandersetzungen“, so der 35-Jährige.
Zeit für ein EU-Bündnis?
Die Bedrohungslage mit Russland, ein US-amerikanischer Präsident, der die Wichtigkeit der Nato in Frage stellt, der Brexit, der dazu führen wird, dass einer der größten Gegner eines innereuropäischen Verteidigungsbündnisses die Europäische Union verlässt – die Chancen zur Neugründung eines derartigen Bündnisses stehen gut, meint Bruns. 500 Millionen Euro will die EU künftig in die gemeinsame Verteidigung investieren.
Die könnten sogar noch steigen: Zwei Prozent des jährlichen Bruttoinlandprodukts wollen die Nato-Staaten laut einer 201 in Wales getroffenen Vereinbarung in die Verteidigung investieren, Deutschland liegt momentan mit 1,2 Prozent deutlich darunter.
Weltmarktführer Deutschland
Im Export von nicht-nuklearen U-Booten ist Deutschland Weltmarktführer. Die Kieler Werft ThyssenKrupp Marine Systems machte zuletzt allerdings eher wegen Verwicklungen in einen Korruptionsskandal rund um den Verkauf dreier U-Boote nach Israel auf sich aufmerksam. Deutschland hat einen Millionenzuschuss für den Kauf der Unterseeboote bis ins Jahr 2027 bewilligt. Ein Zugeständnis der Bundesregierung, die sich historisch bedingt für die Sicherheit des Staates Israel besonders verantwortlich fühlt. 570 Millionen Euro Unterstützung für den Bau des U-Boot-Typs Dolphin, der atomwaffenfähig ist. „Die U-Boote können nachgerüstet werden und nukleare Marschflugkörper an Bord nehmen. Allerdings wird Israel alles daran setzen, dass dies nicht öffentlich wird, wenn es passiert, denn offiziell streitet Israel bis heute ab, eine Atommacht zu sein“, sagt Politologe Bruns.
Korruptionsklausel für Israel
Auch wenn die Bundesregierung den Verkauf der israelischen U-Boote erst einmal zugestimmt hat, bedeutet das nicht, dass Israel sie ohne weiteres geliefert bekommt. Ein Regierungssprecher sagt zum kürzlich getroffenen Entschluss: „Die in Israel laufenden staatsanwaltlichen Untersuchungen unter anderem gegen Mitarbeiter aus dem Umfeld von Premierminister Netanjahu bezüglich des Zustandekommens von israelischen Vergabeentscheidungen sind uns bewusst und waren auch Gegenstand der Verhandlungen.“
Eine Klausel im Vertrag soll absichern, dass die Korruptionsermittlungen bis Lieferdatum eingestellt sein müssen. Und zwar in beiden Ländern. Andernfalls behält sich die Bundesregierung vor, die U-Boote nicht nach Israel zu exportieren. Das Platzen des 1,5 Milliarden-Geschäfts wäre ein schwerer Schlag für das Marine-Geschäft von ThyssenKrupp.
Seitens TKMS heißt es dazu. „Die Government-to-Government-Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung bedeutet noch keinen Auftragseingang für ThyssenKrupp und der Beschaffungsprozess wird noch mehrere Jahre andauern. Unabhängig davon haben wir insbesondere im Unterwasserbereich eine gute Auslastung.“
Korruptionsverdacht beim U-Boot-Kauf
Im Zuge der Ermittlungen zum Korruptionsverdacht beim Kauf deutscher U-Boote wurden in Israel sieben Personen festgenommen. Darunter befinde sich auch Miki Ganor, israelischer Vertriebspartner von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Ganor wird von David Schimron vertreten, der auch persönlicher Rechtsberater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist. Die Festnahmen seien unter anderem wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Betrug erfolgt.
„Die Landesregierung setzt sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die wehrtechnischen Industrien in Schleswig-Holstein ein. Das bedeutet im Fall TKMS vor allem auch den Aufbau und die Pflege von Regierungskontakten nach Norwegen, mit dem Schleswig-Holstein vielfältige Verbindungen hat“, sagt Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP).
Auch auf Bundesebene erhält die U-Boot-Produktion trotz der zwielichtigen Geschäftsmethoden der Branche Unterstützung. Denn U-Boote sind eine Schlüsseltechnologie im Verteidigungskonzept der Bundesrepublik.
Lieferung für Saudi-Arabien in Gefahr
Neben dem Korruptionsrisiko gibt es auch politische Risiken: also wenn Empfängerländer in einen Krieg verwickelt sind oder ihnen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. So könnte der brutale Luftkrieg, den Saudi-Arabien momentan im Jemen führt, anstehende Auslieferungen in das Land auf Eis legen. Das würde unter anderem die Bremer Werft Lürssen treffen, die auch einen Standort in Schleswig-Holstein hat, und die derzeit an einem Auftrag von 40 Schnellbooten für Saudi-Arabien arbeitet. Sieben wurden bereits geliefert, die nächste Lieferung soll im Januar 2018 erfolgen.
Eine Industrie mit Historie
Viele der Rüstungsfirmen mit Sitz in Schleswig-Holstein sind historisch tief in der Region verwurzelt. Sig Sauer sitzt bereits seit den 1950er Jahren bei Eckernförde, Werften wie ThyssenKrupp, Lürssen-Kröger oder die Flensburger Schiffbau Gesellschaft wesentlich länger. Raytheon Anschütz, früher nur nach ihrem Gründer Herrmann Anschütz benannt, dem Erfinder des Kreiselkompasses, wurde bereits 1905 gegründet.
Das Ansiedeln der Marine im Norden durch Kaiser Wilhelm II sorgte für Bedarf an Entwicklungen der Rüstungsindustrie. Firmen wie Elac Nautik wurden mit Schallwellentechnik beauftragt, der Bau von Schienenfahrzeugen auch zum Transport für die Marine ging mit der Entwicklung einher. Auch heute transportiert die Nord-Ostsee-Bahn und die Deutsche Bahn im Namen der Bundeswehr. Gerade im Bereich der Schienentechnologie war daher der Sprung in die Rüstungsindustrie ein kleiner: Voith entwickelt neben Lokomotiven auch Antriebswellen für Militärschiffe, die frühere Firma MaK fertigte neben Schiffsdieseln auch Panzer. Zulieferbetriebe siedelten sich in der unmittelbaren Umgebung an, so dass sich um Kiel, Flensburg und im Hamburger Speckgürtel mehrere Zentren bildeten, die bis heute Bestand haben.
Von Schleswig-Holstein in den Krisenherd
Doch selbst wenn es um Umsätze in Milliardenhöhe geht, sind die Kosten für Forschung und Entwicklung entschieden höher. Deshalb förderte das Verteidigungsministerium in Schleswig-Holstein in den letzten zehn Jahren unter anderem Drehtainer GmbH,
ESW GmbH, Rheinmetall, Thales Defence, EADS, die Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft mbH und die Flensburger Schiffbau Gesellschaft. Inwiefern noch Gelder überregional-tätiger Firmen in regionale Dependancen geflossen sind, ist seitens des Verteidigungsministeriums nicht auswertbar.
Fakt ist, dass die großen Wehrtechnik-Aufträge seit 2013 neben der Instandsetzung und Wartung vor allem U-Boote und Panzer des Typs Wisent und Leopard umfasst, die in den arabischen Raum an Ägypten, Saudi-Arabien, Katar und Jordanien gegangen sind. Aus Singapur wurden vier U-Boote geordert, um der wachsenden U-Boot-Flotte in China, Indien und Vietnam und dem damit verbundenen Unterwasserverkehr in der Straße von Malakka etwas entgegenzusetzen. Zudem lieferte die schleswig-holsteinische Dependance von Jenoptik Komponenten für das Raketenabwehrsystem Patriot nach Saudi-Arabien.
Eines scheint sicher: Die Rüstungsindustrie in Schleswig-Holstein wird weiter wachsen. Allein zum Vorjahr stieg die Zahl der Beschäftigten um 15 Prozent. Die Jahresumsatz von 2,4 Milliarden Euro aus 2016 kann dieses Jahr sogar übertroffen werden.