Politik

Nein, in Island verlieren Politiker nicht automatisch ihr Amt, wenn sie lügen

Angeblich drohe lügenden Politikerinnen und Politikern in Island ein „sofortiger Amtsverlust“. Obwohl online von vielen als „Fakt“ präsentiert, gibt es laut isländischem Justizministerium und Experten keine solche offizielle Regelung.

von Paulina Thom

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Über die Regelungen für Politikerinnen und Politiker in Island kursieren aktuell Falschbehauptungen (Symbolbild: Steffen Trumpf / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Politikerinnen und Politikern in Island dürften nicht lügen, ansonsten drohe ihnen „sofortiger Amtsverlust“.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Es gibt laut Fachleuten kein Gesetz, das nach einer Lüge zum Amtsverlust führt. Laut isländischem Justizministerium gibt es aber mehrere rechtliche und ethische Bestimmungen zu einer „Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit“ in bestimmten Kontexten.

„Gäbe es das in Deutschland auch, wäre die Regierung erledigt“, heißt es in einem X-Post über eine angebliche Regelung in Island: Dort soll Politikerinnen und Politikern das Lügen untersagt sein, ansonsten drohe ihnen „sofortiger Amtsverlust“. Auch auf Threads kursiert das Sharepic mit der Behauptung und hat dort, wie auch auf X, tausende Likes.

Einige der Beiträge enthalten das Logo eines Kanals namens „Wisswas“, der die Behauptung als „Fakt“ auf Tiktok veröffentlichte. Doch gibt es eine solche Regelung in Island wirklich?

Ein Post mit der Behauptung auf X
Angeblich ein „Fakt“: Politikern in Island, die lügen, drohe sofortiger Amtsverlust. Doch eine verbindliche Regelung gibt es dazu nicht. (Quelle: X ; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Justizministerium und Experten: Kein spezifisches Gesetz zu Amtsverlust bei lügenden Politikern

Wie Þórdís Valsdóttir, Informationsbeauftragter des isländischen Justizministeriums, auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck erklärt, gibt es mehrere „rechtliche, weiche und ethische Bestimmungen“, die in bestimmten Kontexten eine „Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit“ begründen – insbesondere wenn Ministerinnen und Minister oder Parlamentsabgeordnete in ihrer offiziellen Funktion handelten. „Allerdings gibt es in Island kein spezifisches Gesetz, das ausdrücklich vorsieht, dass Politiker ihres Amtes enthoben werden müssen, wenn sie bei einer Lüge ertappt werden“, so Valsdóttir.

Auch Eva Heiða Önnudóttir, Politikwissenschaftlerin an der Universität von Island, sagt uns gegenüber, dass es keine solche Regelung in Island gebe. Sie vermutet, das Gerücht könnte von neuen ethischen Regeln herrühren, die 2025 verabschiedet wurden: „Die ethischen Regeln besagen unter anderem, dass Minister im Sinne von Transparenz, Wahrhaftigkeit, Verantwortung und Integrität handeln sollten (‚Ráðherra starfar í anda gagnsæis, sannsögli, ábyrgðar og heilinda.‘)“, schreibt Önnudóttir.

Falls jemand glaube, dass ein Minister dagegen verstoßen habe, könne man sich an die Ombudsperson des Parlaments wenden, die diese ethischen Regeln sicherstellen soll. Die Schlussfolgerung der Ombudsperson würden vom Parlament diskutiert. Grundsätzlich könne das Parlament eine Abstimmung über einen Misstrauensantrag beantragen. Ein solcher Misstrauensantrag gegen einen Minister oder die Regierung sei aber erst einmal erfolgreich gewesen und zwar 1950.

„Es gibt also keine Strafe, wie die sofortige Amtsenthebung, wenn ein Minister bei einer Lüge erwischt wird“, erklärt die Politikwissenschaftlerin – auch nicht in den Gesetzen über die Verantwortung von Ministern („lög um ráðherraábyrgð“).

Isländische Politikerinnen und Politiker müssen Gelöbnis auf Verfassung ablegen

Beim isländische Projekt „The Islandic Web of Science“, in dem Fragen aus der Gesellschaft vorrangig von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beantwortet werden, hat man von einer solchen Regelung ebenfalls noch nie gehört. Jón Gunnar Thorsteinsson, Chefredakteur des Projekts, schreibt uns, Politikerinnen und Politiker müssten nach Artikel 47 der isländischen Verfassung nach ihrer Wahl geloben, dass sie die Verfassung aufrechterhalten werden. Er mutmaßt, dass das Gerücht daher kommen könne, denn das Gelöbnis („drengskaparheit“) habe auch eine juristische Definition: Es werde auch für die Bestätigung der Aussage eines Zeugen vor Gericht verwendet. Die Behauptung auf dem Sharepic sei aber nicht richtig, so Thorsteinsson.

Nach Artikel 56 und Artikel 64 des Grundgesetzes leisten auch in Deutschland einige Amtsträgerinnen und Amtsträger einen Eid auf die Verfassung: Dazu gehören die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler, die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident und alle Ministerinnen und Minister. Dieser Amtseid hat wie auch in Island keine rechtliche Verbindlichkeit und bei Eidbruch daher auch keine Auswirkungen. Bundestagsabgeordnete leisten keinen Eid, was teils kritisiert wird. In einigen Bundesländern gibt es Sonderregelungen für die Landesparlamente: In Schleswig-Holstein werden die Abgeordneten durch Eid auf die Verfassung verpflichtet, in Nordrhein-Westfalen und Sachsen gibt es eine Verpflichtungserklärung der Abgeordneten.

Redigatur: Steffen Kutzner, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Isländischer Ethikkodex der Regierung, März 2025: Link (Isländisch, archiviert)
  • Gesetz über die ministerielle Verantwortung, Februar 1963: Link (Isländisch, archiviert)
  • Verfassung Islands, Juni 1944: Link (Isländisch und Deutsch, archiviert)