Integration & Gesellschaft

Projekt gegen Antisemitismus: Forschungsministerium gewährt Förderung trotz Experten-Kritik

Das Forschungsministerium fördert seit Juli 2025 ein Projekt gegen Antisemitismus an Schulen. Initiiert wurde es von einer Gesellschaft, die von dem Islamismus-Experten Ahmad Mansour geleitet wird. Unterlagen zeigen, dass vom Ministerium beauftragte Sachverständige die Einhaltung wissenschaftlicher Standards anmahnten und das Projekt deutlich kritisierten. Das Ministerium bewilligte das Vorhaben trotzdem. Eine Zusammenfassung:

von Stella Hesch

dis_ident-BMFTR-mansour_2
Das Forschungsministerium fördert ein Forschungsprojekt von Ahmad Mansour, trotz offener Fragen zu ethischen und wissenschaftlichen Standards. Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV, Fotos: Hasan Bratic & Michael Nguyen/picture alliance, Marione Lozano/unsplash.com

Das Forschungsministerium (BMFTR) fördert ein neues Verbundvorhaben, das Strategien gegen israelbezogenen Antisemitismus und islamistische Radikalisierung an deutschen Schulen entwickeln soll.  Die Fördersumme: knapp 9 Millionen Euro. Initiator des Projektes mit dem Namen Dis-Ident ist die gemeinnützige Gesellschaft MIND. Sie wird von dem durch Medienauftritte auch außerhalb von Fachkreisen bekannten Islamismus-Experten Ahmad Mansour und seiner Ehefrau geleitet. Beteiligt sind auch die Ludwig-Maximilians-Universität in München, die Universität Köln, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und die Universität Heidelberg. In CORRECTIV vorliegenden internen Unterlagen des Ministeriums heißt es, Dis-Ident sei ein „neuartiges hybrides Vorhaben, bei dem Praxis und Forschung mit einem starken Fokus auf Prävention zusammenkommen“.

Doch CORRECTIV-Recherchen zeigen, dass von Seiten des Ministeriums übliche Standards im Vergabeverfahren nicht eingehalten wurden. So wurde das Projekt ohne eine vorherige abschließende wissenschaftliche Begutachtung bewilligt. 

Das Ministerium beauftragte im Sommer 2024 drei Gutachtende, die die wissenschaftliche Qualität des Projekts bewerten sollten. Das übereinstimmende Fazit der Fachleute: Das Projekt sei „aus verschiedenen Gründen nicht förderungswürdig“. Die Fachleute begründeten ihr Urteil unter anderem mit der fehlenden „Darstellung von empirisch überprüfbaren Hypothesen und Forschungsfragen“. Ebenfalls vermissten sie eine detaillierte Darstellung des Forschungsdesigns und der Methoden, und wie diese angewendet werden sollen. Und sie kritisieren den „defizitorientierte[n] Blick auf Menschen mit Migrationsbiographien und muslimischer Religiosität“.

Laut der für die Bewilligung durch das Ministerium maßgeblichen finalen „Beschreibung des Verbundprojektes“ vom November 2024 richtet sich das Projekt an „Jugendliche im Alter von 14 bis 22 Jahren vorranging (sic!), aber nicht ausschließlich mit internationaler Migrationsbiografie“. Die Forschung des Vorhabens Dis-Ident konzentriere sich auf „spezifische Formen des israelbezogenen Antisemitismus in muslimischen Communities“. 

Nach der ersten Bewertung der Gutachtenden, wonach das Projekt „nicht förderungswürdig” sei, bat das Ministerium die Projektbeteiligten, den Antrag zu überarbeiten. Der überarbeitete Antrag sollte dann ein zweites Mal von den vom Ministerium beauftragten Fachleuten bewertet werden. Dazu kam es allerdings nie. Denn nachdem das Ministerium den Projektbeteiligten bereits vor dieser geplanten zweiten Begutachtung eine Bewilligung in Aussicht gestellt hatte, teilten die Fachleute dem Ministerium im Januar 2025 mit, dass eine „redliche und vertrauliche weitere Begutachtung“ nicht mehr möglich sei. Bewilligt wurde das Projekt im Mai 2025 trotzdem, unter der Maßgabe einer wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation.

Thomas Scheffer, Professor an der Universität Frankfurt mit dem Schwerpunkt interpretative Methoden, sagte auf Anfrage von CORRECTIV, dass MIND und die wissenschaftlichen Partner des Projektes eher „kosmetisch“ auf die Kritik des Gutachtens eingegangen seien. Er wies zudem darauf hin, dass eine kritische Reflexion fehle, ob das Projekt womöglich die „Diskriminierung muslimischer Jugendlicher“ vorantreibe. Es sei Standard, sich vor Beginn eines Projekts mit solchen wichtigen ethischen Fragen zu befassen.

MIND verwies im Namen der Projektbeteiligten auf Anfrage von CORRECTIV darauf, dass das Projekt „allen ethischen und datenschutzrechtlichen Standards“ folge. Die Vorhabensbeschreibung entspreche „den wissenschaftlichen Standards der beteiligten Universitäten“. Hinsichtlich der überarbeiteten finalen Projektbeschreibung sei mitgeteilt worden, dass die von den Gutachtenden angeführten Kritikpunkte darin eingearbeitet worden seien.

Eine Sprecherin des Forschungsministeriums verwies auf eine „begleitende externe Evaluation“ des Projekts und den beim BMFTR angesiedelten wissenschaftlichen Beirat. Die Verantwortung für die „Einhaltung wissenschaftlicher Standards“ liege laut Zuwendungsbescheid beim Zuwendungsempfänger.

Die ganze Recherche vom 30. Oktober 2025 finden Sie hier.

CORRECTIV hat am 25. März 2025 Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gestellt und so die Projektanträge, die interne Kommunikation des Forschungsministeriums zum Projekt und die vorliegenden Gutachten erhalten. Die Unterlagen wurden im Artikel verlinkt.

Redaktion: Justus von Daniels

CORRECTIV im Postfach
Lesen Sie von Macht und Missbrauch. Aber auch von Menschen und Momenten, die zeigen, dass wir es als Gesellschaft besser können. Täglich im CORRECTIV Spotlight.