Bürgergeld-Aus für ukrainische Geflüchtete: Falsche und ungenaue Zahlen im Umlauf
Ukrainische Geflüchtete, die nach März 2025 nach Deutschland kamen, sollen kein Bürgergeld mehr bekommen. Im Vorfeld der Entscheidung schreibt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD: Fast alle Ukrainer in Deutschland blieben dennoch im Bürgergeld. Das ist falsch.
Geflüchtete aus der Ukraine, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland kamen, sollen in Zukunft nicht mehr berechtigt sein, Bürgergeld zu beziehen. Das Kabinett beschloss am 19. November ein entsprechendes Gesetz in den Bundestag einzubringen und setzte damit ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Nach diesem sogenannten Rechtskreiswechsel können die betroffenen Ukrainerinnen und Ukrainer nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beantragen.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, Sebastian Münzenmaier, veröffentlichte auf seinem Facebook-Kanal wenige Tage vor der Kabinettsabstimmung einen Beitrag, in dem er fragt, was mit den, „über eine Million Ukrainer, die schon da sind“ sei. Er schreibt auch: „Fast alle Ukrainer in Deutschland bleiben im Bürgergeld“. Das stimmt nicht, wie ein Blick in die Zahlen zeigt.

AfD fordert, allen ukrainischen Geflüchteten Bürgergeld zu streichen – Politiker nennt Zahlen ohne relevanten Kontext
Zunächst zur Frage, ob wirklich eine Million Geflüchtete aus der Ukraine Bürgergeld bekommen, wie Münzenmaier nahelegt.
Die Agentur für Arbeit veröffentlicht mit ihrem „Migrationsmonitor“ regelmäßig Zahlen auch zu ukrainischen Bürgergeldbeziehenden. Der aktuelle Bericht (PDF, Download) stellt Zahlen für den Juli 2025 zur Verfügung. Laut dem Mediendienst Integration lebten zum Stichtag 31. Juni 1.269.871 Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt bezogen 672.511 Ukrainerinnen und Ukrainer Bürgergeld, wie aus den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht. Von diesen waren wiederum ungefähr 484.000 erwerbsfähig, also überhaupt grundsätzlich in der Lage, einer Arbeit nachzugehen.
Es stimmt also nicht, wie Münzenmaier suggeriert, dass über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer Bürgergeld beziehen. Dass „fast alle Ukrainer in Deutschland“ im Bürgergeld bleiben, ist ebenfalls falsch – es sind rund die Hälfte. Münzenmaier antwortete nicht inhaltlich auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck.
83.640 Menschen kamen zwischen März und Oktober aus der Ukraine nach Deutschland
Am 19. November veröffentlichte Münzenmaier einen weiteren Beitrag auf Facebook, in dem er unter anderem schreibt: „Nur 83.640 von über 1 Mio. Ukrainern haben keinen Anspruch mehr [auf das Bürgergeld].“ Damit bezieht er sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von ihm selbst. Die Zahl 83.640 bezieht sich auf die Geflüchteten, die seit April aus der Ukraine ankamen. Was bei Münzenmaier fehlt: Die Bundesregierung schreibt weiter, dass sie keine Aussage dazu treffen kann, wie viele dieser Menschen Bürgergeld beantragt haben, weil eine entsprechende Statistik nicht geführt werde.
Münzenmaiers Anfrage wurde zum Ausgangspunkt für hunderte weitere Beiträge auf Facebook: In vermeintlichen Schlagzeilen wie „Sozial-Schock für 83.000 Ukrainer“, wird die Zahl aufgegriffen und ohne Kontext weiterverbreitet. Die Beiträge wurden zusammen hundertfach geteilt.

Rechtskreiswechsel entlastet Sozialetat nicht – Mehr- und Minderkosten gleichen sich etwa aus
Mit seiner Forderung, allen Ukrainerinnen und Ukrainern das Bürgergeld zu streichen, steht Münzenmaier nicht alleine da. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder sprach bereits im August in einem Interview davon, auch den ukrainischen Geflüchteten, die vor April 2025 ins Land kamen, den Zugang zum Bürgergeld zu entziehen. Er erhoffe sich durch die damit verbundene Leistungsminderung – statt 563 Euro im Monat für Alleinstehende nur noch 441 Euro (ab 1. Januar 2026 455 Euro) – mehr „Arbeitswillen“, sagte er im Sommerinterview der ARD.
Schon im Sommer gab es Kritik an Söders Aussage, der Rechtskreiswechsel wäre eine Ersparnis für den Haushalt. Laut dem Gesetzesentwurf fallen über die Jahre 2026 und 2027 Ausgaben von etwa 1,21 Milliarden Euro für die Grundsicherung weg – es kommen aber rund 1,26 Milliarden Euro Mehrkosten beim Asylbewerberleistungsgesetz dazu, außerdem Kosten und Aufwand für die Verwaltung. Für die Annahme, dass der Beschäftigungsstatus mit der Höhe der Sozialleistungen zusammenhänge, gibt es keine Belege, wie wir hier berichten.
Für Ankünfte nach Stichtag bis Inkrafttreten gilt Übergangsregelung
Für die Geflüchteten, die nach dem Stichtag, aber vor dem Inkrafttreten des Gesetzes (voraussichtlich Juli 2026) nach Deutschland kommen, ist im Gesetzesentwurf eine Übergangslösung vorgesehen.
Den Informationen der Servicestelle SGB II, einer Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, zufolge gilt: Wer bereits Leistungen nach SGB II, also die „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ bezieht, kann sie weiter bis zum Auslaufen des Bescheids beziehen, längstens aber für drei Monate. Wer Sozialhilfe bekommt (nach SGB XII), kann sie bis Ende des Bewilligungszeitraums oder drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes beziehen. Diese Leistungen müssen nicht zurückgezahlt werden.
Redigatur: Matthias Bau, Gabriele Scherndl
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Migrationsmonitor, Agentur für Arbeit, Oktober 2025: Link (Download)
- Leistungsrechtsanpassungsgesetz, Gesetzentwurf der Bundesregierung, 19. November 2025: Link
- Ukrainische Flüchtlinge in Deutschland, Mediendienst Integration, 14. November 2025: Link
- Kleine Anfrage von Sebastian Münzenmaier und Antwort der Bundesregierung, Drucksache des Bundestags, 14. November 2025: Link
- Fragen und Antworten zum Rechtskreiswechsel, Servicestelle SGB II, 19. November 2025: Link