PI-News verbreitet irreführende Zahlen zu Kriminalität in Schweden
Ein Artikel behauptet, der Grund für die aktuelle Häufung von Sprengstoffanschlägen und gestiegene Zahlen von Vergewaltigungen in Schweden sei die Einwanderung. Dafür gibt es keine Belege. Die Nationalität von Tatverdächtigen wird nicht statistisch erfasst.
Die Seite PI-News veröffentlichte am 15. November einen Artikel mit dem Titel „Schweden 2019: Bombenterror wie in Afghanistan“. Darin wird behauptet, dass „Migrantenbanden“ Teile des Landes in ein „Kriegsgebiet“ verwandeln. Die Täter seien „überwiegend moslemische Migranten der zweiten und dritten Generation“. Zudem stellt PI-News Behauptungen über Sexualstraftaten in Schweden auf: Diese seien angeblich „dank der liberalen Einwanderungspolitik […] von 1975 bis 2014 um sage und schreibe 1472 Prozent gestiegen“.
Der Artikel wurde laut dem Analysetool Crowdtangle bereits mehr als 1.400 Mal auf Facebook geteilt. Die Behauptungen, die darin aufgestellt werden, sind unbelegt.
Kriminalstatistik enthält keine Daten über Herkunft von Tatverdächtigen
Was stimmt, ist, dass es in Großstädten wie Stockholm, Göteborg und Malmö aktuell laut Polizei häufiger zu Sprengstoffanschlägen kommt. Dies hat CORRECTIV bereits für einen Faktencheck zum gleichen Thema recherchiert. Demnach gab es 2019 in der Region Stockholm bisher 23 Detonationen (Stand: 31. Oktober) und in Malmö 29 (Stand: 11. November). Einen Grund für die Vorfälle sieht die Polizei in Konflikten zwischen kriminellen Gruppen. Dänemark hat kürzlich laut Medienberichten wegen der Sprengstoffanschläge temporäre Kontrollen an der Grenze zu Schweden eingeführt.
Allerdings gibt es keine Daten zur Herkunft der Tatverdächtigen, da die Nationalität in den offiziellen Kriminalstatistiken in Schweden nicht erfasst wird. Lediglich das Alter und das Geschlecht werde aufgenommen, teilte uns die zuständige Behörde, der Nationale Rat für Kriminalprävention, auf Anfrage mit.
Auch die schwedische Polizei spricht in ihrer Pressemitteilung von August 2019, in der sie die zunehmenden Explosionen als Problem bezeichnet, nicht über die Herkunft der Täter. Die Behauptungen, es handele sich um „Migrantenbanden“, die Täter seien Einwanderer zweiter oder dritter Generation und zudem Muslime, sind daher alle unbelegt. PI-News nennt dafür auch keine Quellen.
Was sagt die Kriminalstatistik zu Vergewaltigungen?
Als Quelle für die Aussage zu den Sexualdelikten wird von PI-News ein Medienbericht von der Seite Bayernkurier von Januar 2016 verlinkt. Darin steht, dass 1975 in Schweden insgesamt 421 Vergewaltigungen angezeigt worden seien – 2014 seien es 6.620 gewesen. Das entspreche einer Steigerung von 1.472 Prozent. Während PI-News also von Sexualdelikten schreibt, geht es in der verlinkten Quelle ausschließlich um Vergewaltigungen.
Als Quelle dient dem Bayernkurier wiederum ein Bericht des US-amerikanischen Think-Tanks „Gatestone Institute“ von Februar 2015 mit dem Titel „Schweden – Vergewaltigungshochburg des Westens“. CORRECTIV hat bereits darüber berichtet, dass einige deutschsprachige Webseiten häufig irreführende Informationen von diesem US-amerikanischen Think-Tank übernehmen.
Die genannten Zahlen stimmen zudem nicht. In der Liste der gemeldeten Verbrechen seit 1950 lässt sich für 1975 die Zahl von 769 Vergewaltigungen nachlesen (die Excel-Tabelle kann hier auf Englisch heruntergeladen werden). Für 2014 sind dort 6.697 Vergewaltigungen vermerkt.
Vergleich der Zahlen von 1975 und 2014 nicht möglich
Das ist zweifellos ein sehr starker Anstieg, doch die Zahlen sind nicht vergleichbar. Wie eine Vergewaltigung definiert wird, und ob Frauen sich trauen, diese Taten anzuzeigen, hat einen großen Einfluss auf die Statistik. Und hier hat sich seit 1975 viel verändert.
In der Kriminalstatistik für 2018 heißt es, die gemeldeten Vergewaltigungen in Schweden seien seit 2009 um 34 Prozent gestiegen. Der Anstieg sei teilweise auf die geänderte Gesetzgebung zurückzuführen. 2013 sei sie verschärft worden, so dass auch Fälle, „in denen das Opfer mit Untätigkeit reagierte“ als Vergewaltigung gelten. Zudem seien 2005 weitreichende Änderungen gemacht worden. „Dies bedeutet unter anderem, dass bestimmte Handlungen, die zuvor als sexuelle Ausbeutung eingestuft wurden, als Vergewaltigung eingestuft wurden.“
In der aktuellsten Kriminalstatistik für 2018 wird auch allgemein gewarnt (Seite 47): „Statistiken über gemeldete Straftaten werden seit 1950 geführt. Die statistischen Verfahren für gemeldete Straftaten wurde mehrfach geändert, zum Beispiel durch neue Sammeltechniken und neue Abrechnungsmittel. […] Diese Änderungen sind bei Vergleichen im Zeitverlauf wichtig.“