Unbelegte Behauptungen über „Menschenjagden“ bei „Umweltsau“-Demonstration in Köln
Facebook-Nutzer behaupten, bei der Demonstration in Köln anlässlich des WDR-Satire-Liedes „Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau“ sei es zu „Menschenjagden“ und Gewalt gegen ältere Frauen gekommen. Dafür gibt es keine Belege.
Die Facebook-Seite „Eltern gegen Gewalt“ hat am 4. Januar einen Beitrag veröffentlicht, in dem behauptet wird, bei einer Demonstration in Köln seien „ältere Menschen, überwiegend Frauen, von linksradikalen Schlägertruppen der Antifa verprügelt und verletzt“ worden. Drei ältere Frauen seien von 70 Personen angegriffen worden, angeblich mit „heftigen“ Schlägen auf den Kopf, Rücken, in den Magen und ins Gesicht. Ein älterer Mann habe eine Platzwunde am Kopf erlitten – von ihm und seinem Kopfverband wird ein Foto gezeigt. Der Beitrag wurde bisher mehr als 3.300 Mal geteilt.
Eine andere Facebook-Seite namens „Befreiter Blick“ griff das Thema auf und behauptete in einem eigenen Beitrag am 4. Januar zudem, es sei in Köln zu „Menschenjagden“ gekommen. „Ein Mob von mehreren hundert Linksradikalen jagte alte Menschen und Kinder durch die Stadt“, steht auf einem Bild mit Text dazu. Dieser Beitrag wurde mehr als 2.000 Mal geteilt.
Für die Behauptungen gibt es nach CORRECTIV-Recherchen keine Belege.
Der Hintergrund: Kurz nach Weihnachten 2019 entbrannte eine Debatte um ein Video des WDR (privater Mitschnitt). Der WDR hatte das Kinderlied „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ satirisch abgeändert, so dass es darin unter anderem hieß „meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau“. Das führte laut Medienberichten (zum Beispiel WDR und Zeit Online) am 4. Januar 2020 zu Demonstrationen in Köln. Laut Polizei waren unter den Demonstranten gegen den WDR Personen aus dem „politisch rechten Spektrum“. Die Gegendemonstrationen seien von mehreren Aktionsbündnissen organisiert worden, darunter „Köln gegen rechts“. Einige WDR-Mitarbeiter erhielten laut WDR Morddrohungen.
Medienberichte und Videos zeigen keine Jagdszenen
In zwei Berichten der Bild (hier und hier), die die Facebook-Seite „Befreier Blick“ als angebliche Quellen für eine „Menschenjagd“ verlinkt, ist nirgends die Rede von solchen Vorfällen. In einem Bild-Artikel ist ein Video eines Tumults zu sehen, bei dem Demonstranten „Nazi-Schweine“ rufen und die Polizei einen Mann zu Boden ringt – aber keine Jagdszenen. In einem ebenfalls von „Befreiter Blick“ verlinkten Beitrag des Blogs 1984 wird von „Menschenjagden“ geschrieben, aber ohne Belege; die Videos, die gezeigt werden, zeigen keine solchen Szenen. Eines der Videos wurde allerdings bereits von Youtube gelöscht, den Inhalt konnten wir daher nicht mehr einsehen.
Wir fanden bei der Recherche ein weiteres, langes Video auf der Seite Invidious, das mit „Hetzjagd durch Köln nach der Demo am 4.1.2020“ überschrieben ist. Der Nutzer, der es hochgeladen hat, heißt Kevin Gabbe – auf seinem (nicht verifizierten) Twitter-Profil bezeichnet er sich als „patriotischer Aktivist und Blogger“. Das Video zeigt den Weg einer kleinen Gruppe Demonstranten durch die Stadt. Etwa ab Minute 13:48 ist ein kurzes Gerangel mit Demonstranten in der Nähe des Kölner Doms zu sehen, man hört laute „Nazis raus“-Rufe. Man hört mutmaßlich eine Frau mit kurzen grauen Haaren zu einem Polizisten sagen „der hat mich geschlagen“, zu sehen ist die Szene aber nicht.
Polizei eskortierte Gruppe bis zu einem Parkhaus
Die kleine Gruppe, zu der auch zwei Frauen gehören, sucht Schutz bei der Polizei. Einer der Polizisten rät, das Filmen einzustellen, um nicht zu provozieren. Die Person hinter der Kamera filmt aber weiter. Weil ein Mann darauf besteht („Die kennen mich, die lauern auf mich, ich bin recht bekannt“, ab Minute 18:50), wird die kleine Gruppe dann von einigen Polizisten zum Parkhaus an der Kölner Philharmonie eskortiert. Sie gehen zügig, aber rennen nicht. Das Video zeigt, dass am Weg viele Menschen stehen, die „Nazis raus“ rufen. Am Ende im Parkhaus sagt ein Mann „Mannomann, das ist ‘ne Hetzjagd“ und ein anderer Mann betont: „Ja genau, das war wirklich eine Hetzjagd auf Menschen“.
Anhand des Videos ist zwar nachvollziehbar, dass die Situation für die Personen bedrohlich wirkte, aber dass sie im Wortsinn gejagt werden, ist darin nicht zu sehen. Die Polizei Köln hat außerdem „keine Kenntnisse“ von solchen Vorfällen, teilte uns ein Sprecher per E-Mail mit.
Auch für einen körperlichen Angriff von 70 Personen auf drei ältere Frauen mit Schlägen gegen den Kopf oder in den Bauch, wie er von „Eltern gegen Gewalt“ auf Facebook beschrieben wird, konnten wir keine Belege finden. Die Behauptungen stammen wahrscheinlich aus dem Artikel einer Frau auf der Seite Pressecop24 mit der Überschrift „Die Schande von Köln: Hetzjagd auf drei Frauen“. Derselbe Text erschien unter anderem auch bei Philosophia Perennis. Darin behauptet die Autorin, dass sie und zwei weitere Frauen angeblich von 70 Personen daran gehindert wurden, zur Demonstration gegen den WDR zu gelangen. Sie seien verfolgt, beschimpft und bespuckt worden. Was an diesem Bericht der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht prüfen. Von Schlägen ist dort aber nicht die Rede.
Polizei hat „keine Kenntnis“ von solchen Vorfällen
Wir haben die Polizei Köln am 6. Januar gefragt, ob ihr Vorfälle bekannt sind, wie sie in den zwei Facebook-Beiträgen beschrieben wurden. Wir haben ihr die beiden Beiträge vorgelegt. Am 10. Januar antwortete uns die Pressestelle, es habe bisher neun Anzeigen wegen Körperverletzungen gegeben. In seiner E-Mail geht der Sprecher der Polizei jedoch nur auf zwei Fälle näher ein, die bereits in der Pressemitteilung der Polizei vom 4. Januar berichtet wurden: Zum einen sei ein Mann festgenommen worden, weil er versucht habe, Menschen anzugreifen, die zur Kundgebung am Appellhofplatz wollten. Er habe ein Messer dabei gehabt, es aber nicht als Waffe eingesetzt. Außerdem habe es am Nachmittag eine „Tumultlage“ in der Trankgasse gegeben, mit zwölf Personen. Zwei seien durch Schläge leicht verletzt worden. Außerdem sei ein Messer sichergestellt worden, das aber nicht eingesetzt worden war.
Auf eine erneute Nachfrage, was mit den konkret auf Facebook geschilderten Fällen sei, antwortete der Polizeisprecher, von solchen Vorfällen habe die Polizei „keine Kenntnis“.