Menschen im Fadenkreuz

»Anti-Antifa-Arbeit«: Eine besonders brutale Strategie der Neonazis – vor allem in Nordbayern

von Elke Graßer-Reitzner und Jonas Miller

In Nordbayern haben Neonazis über Jahre hinweg eine professionell arbeitende und konspirativ agierende Gruppe aufgebaut. Auch wenn Personen und Strukturen wechselten: Die „Anti-Antifa-Arbeit“ verändert sich nicht. 

„Anti-Antifa“: So bezeichnen Rechtsextreme ihr Tun, wenn sie gegen ihre Gegner vorgehen. Engagierte Bürger und Bürgerinnen, Journalistinnen und Journalisten, Richterinnen und Richter oder Kulturschaffende, die die Demokratie verteidigen und dem linken Spektrum zuzuordnen sind, sind neben Politikern häufig das Ziel ihrer Angriffe. Zur sogenannten Outing-Strategie der „Anti-Antifa“ gehört es, die Adressen und das persönliche Umfeld ihrer Opfer auszukundschaften und deren Daten dem rechtsextremen Milieu zugänglich zu machen. So landen dann Drohbriefe in den Postkästen, die Ausgespähten werden auf dem Nachhauseweg abgepasst und bedroht – oder Schlimmeres. 

In Nordbayern, vor allem im Raum Nürnberg, hat diese brutale Methode eine lange Tradition. Schon im Jahr 1993 wurde bei einem Treffen des rechtsextremen „Deutschen Freundeskreises Franken“ die Gründung einer „Anti-Antifa“-Gruppe beschlossen. Und damit ein Jahr, bevor der Thüringer Kader Tino Brandt das Aktionskonzept des Hamburger Neonazis Christian Worch umsetzte: Er rief die „Anti-Antifa Ostthüringen“ ins Leben, quasi den Vorläufer des „Thüringer Heimatschutzes“, aus dem sich dann die Terrorzelle NSU entwickelte.

Gleich in den Anfängen der Nürnberger „Anti-Antifa“ wurde die rechtsextreme Zeitung „Junges Franken“ herausgegeben, in der Kommunalpolitiker, Rechtsanwälte und bekennende Antifaschisten unter der Rubrik „Ausländerfreundlichster Mitbürger Frankens“ mit detaillierten Angaben über ihr politisches und privates Leben diffamiert wurden. 

Zu dieser Zeit versuchte sich eine Aktivistin des ein Jahr zuvor in München gegründeten „Nationalen Blocks“ in ein dortiges antifaschistisches Informationszentrum einzuschleichen. Unter Vorwänden erhielt sie Zugang zum Zentrum. Interessiert hat sich die junge Frau fast ausschließlich für die Herkunft des Archivmaterials. Als ihr erfundener Lebenslauf und ihr rechter Hintergrund aufflogen, verschwand sie. Der „Nationale Block“ wurde am 7. Juni 1993 verboten. 

Um die Jahrtausendwende gründete sich die Fränkische Aktionsfront (FAF), eine radikale und streng hierarchisch strukturierte Kameradschaft, der die NPD zu brav und bieder war. Die FAF gab das Fanzine „Der Landser“ heraus. Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) ließ die Gruppierung drei Jahre später, also Anfang 2004, verbieten, weil sie mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt sei. In beinahe jeder Ausgabe gab es einen „Anti-Antifa“-Teil, in dem Berichte über „Rote Zonen in Nürnberg“, Informationen über antirassistische Infoläden und Treffpunkte oder detaillierte Beschreibungen von aktiven Nazigegnern abgedruckt wurden.

Ein Bericht thematisierte beispielsweise eine länger andauernde politische Auseinandersetzung zwischen antirassistischen und neonazistischen Jugendlichen an einem Nürnberger Gymnasium. Dabei wurde eine engagierte Lehrerin mit Namen und Bild im „Landser“ angeprangert. Im Vorfeld zu diesem Bericht war ein jugendlicher Neonazi in einem offenen Café der Nürnberger Jugend-Antifa aufgetaucht und hatte sich als Mitarbeiter einer Schülerzeitung ausgegeben, der nur ein paar Informationen sammeln wolle. Später wurde er enttarnt und gab an, nicht auf eigene Faust gehandelt zu haben – vielmehr sei er von der „Anti-Antifa“ geschickt worden.

In dieser Zeit begann auch die Mord- und Anschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der neun Mitbürger mit Migrationsgeschichte und eine deutsche Polizistin zum Opfer fielen. Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage und einstige „Führer-Stadt“ in der NS-Zeit, wurde zur Schwerpunkt-Zone der Taten.

Bereits im Jahr 1999 verübte die Terrorzelle um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ihren ersten Sprengstoffanschlag auf eine Pilsbar hinter dem Nürnberger Hauptbahnhof. Die Kneipe war von dem jungen Deutschtürken Mehmet O. (Name geändert) übernommen worden. Einen Tag nach der Eröffnungsfeier im engsten Familienkreis explodierte eine Stabtaschenlampe, als Mehmet O. sie bei Reinigungsarbeiten auf der Toilette entdeckt und inspiziert hatte. Der Wirt überlebte nur deswegen, weil der Sprengsatz nicht richtig gezündet hatte. Wer ihm nach dem Leben trachtete, wusste er nicht. Aus Angst verließ er die Stadt. Das gemeinsame Rechercheteam des Bayerischen Rundfunks (BR) und der Nürnberger Nachrichten (NN) machte O. nach Jahren ausfindig und nannte ihm die Zusammenhänge zum NSU, die während des Prozesses um Beate Zschäpe in München in den Jahren 2014 bis 2018 offenbar geworden waren.

Im September 2000 stirbt der Blumenhändler Enver Şimşek durch acht Schüsse aus einer Ceska, im Juni 2001 wird der Schneider Abdurrahim Özüdoğru in seinem versteckt in der Südstadt liegenden Laden durch Kopfschüsse getötet. Im Juni 2005 wird İsmail Yaşar in seinem Imbissstand direkt neben einer Schule mit vier Pistolenkugeln ermordet. Bis heute ist nicht geklärt, wer die Opfer aussuchte und wer die Tatorte auskundschaftete. 

Klar ist allerdings, dass das NSU-Kerntrio schon vor seinem Untertauchen oft Zeit in Nürnberg verbrachte. So machte das Rechercheteam von BR und NN einen ehemaligen Neonazi ausfindig, der damals zum regionalen Führungskader gehörte. Der Szeneaussteiger schilderte den Journalisten, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe mehrfach in einer Wohnung in Nürnbergs Osten abstiegen, die in dieser Zeit auch der US-amerikanische Neonazi Gary Lauck besucht haben soll. Lauck unterstütze die Franken nach Schilderungen des Aussteigers nicht nur durch Spenden, durch die zum Beispiel Wohnungen finanziert wurden, sondern stellte auch die Website anti-antifa.net bis zu ihrer Abschaltung im Jahr 2008 zur Verfügung.

Innerhalb der Szene kannte man sich gut, und die fränkischen Rechtsextremisten agierten damals extrem militant. Führende Köpfe sollen gar einen Sprengstoffanschlag auf den Nürnberger Justizpalast erwogen haben, in dem nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Nürnberger Prozesse gegen die NSDAP-Führung sowie die Nachfolgeprozesse, etwa gegen Ärzte, stattfanden.

Nach dem Verbot der Fränkischen Aktionsfront 2004 traten die FAF-Mitglieder zum großen Teil in die bayerische NPD und deren Jugendorganisation JN ein. Nach politischen Differenzen und einem gescheiterten Putschversuch verließen die ehemaligen FAF-Aktivisten geschlossen die Partei. Ende 2008 gründeten sie das „Freie Netz Süd“ (FNS), eine später bayernweit aktive und ebenso gewaltbereite Kameradschaft. Die fränkischen Neonazis setzten ihre Kontinuität im Bereich „Anti-Antifa“ fort. Ein Hauptaugenmerk der Aktivitäten lag dabei weiterhin auf der Region Nürnberg.  

So tauchten im nahen Gräfenberg bereits Ende 2008 Flugblätter auf, auf denen zu lesen stand: „Werden sie aktiv gegen linke Gewalt und deren Unterstützer. Wählen Sie NPD.“ In dem Ort im Landkreis Erlangen-Höchstadt leben die Sprecher eines aktiven Bürgerforums gegen rechtsradikale Umtriebe. Auf Hauswänden in Gräfenberg wurden Fadenkreuze aufgesprüht. Auch kam es zu Aufmärschen von Rechtsnationalen in dem Örtchen nördlich der fränkischen Kapitale, weil sich dort ein markantes Kriegerdenkmal befand, an dem sie NS-Diktatur und Wehrmacht verherrlichten. Immer wieder traf sich die braune Szene von da an in Gräfenberg.

Das wichtigste Kommunikationsmittel nach außen war lange die eigens eingerichtete Internetpräsenz der „Anti-Antifa Nürnberg“. Dort wurden über 200 Nazigegnerinnen- und gegner, Gewerkschafter, Journalistinnen und Journalisten, Lehrerinnen und Lehrer mit Namen, Adresse und Bild veröffentlicht. Nicht selten ging die Veröffentlichung mit einem diffamierenden Text einher. Doch es blieb nicht bei den verletzenden Worten und Bildern im Netz.

So kam es immer wieder zu Anschlägen der „Anti-Antifa“. Vor allem im Raum Nürnberg wurden Infoläden der linken Szene, Gewerkschaftsbüros und soziale Treffpunkte mit Buttersäure, Farbe oder Steinen angegriffen. Auch wurden einzelne Wohnhäuser von Nazigegnern nachts aufgesucht und mit Teer bespritzt oder mit „Anti-Antifa“- Parolen beschmiert. Einen Höhepunkt der bisherigen Anschläge stellt der Brandanschlag auf das Auto eines Journalisten in Fürth dar.

In den letzten Jahren entstand insgesamt ein Sachschaden von mehr als 50.000 Euro durch neonazistische Gewalt. Die Polizei konnte bisher keinen einzigen Anschlag aufklären.

Obwohl den Sicherheitsbehörden immer wieder vorgeworfen wurde, schlampige Ermittlungen zu führen, spricht das Vorgehen der Neonazis doch für eine gewisse Professionalität. Ebenso ist davon auszugehen, dass „Anti-Antifa“-Aktivisten politische Gegner observieren oder, wie in der Vergangenheit geschehen, in Mülltonnen nach Informationen wühlen. Schon mehrfach flogen zudem Versuche der Rechtsextremen auf, sich bei Demonstrationen gegen Neonazis einzuschleusen und dort unbemerkt Teilnehmer zu fotografieren. An dieser Praxis wird auch weiterhin festgehalten. Aktive und bekannte „Anti-Antifa“-Fotografen treten mittlerweile als Fotojournalisten auf, ausgewiesen mit gekauften Presseausweisen aus dem Internet. In einem veröffentlichten „Anti-Antifa“-Papier heißt es: 

„Wenn sich ein Anti-Antifa-Aktivist im Skinhead-Outfit in eine linke Kundgebung einreiht, um dort Informationen zu sammeln und unbemerkt Einblicke zu bekommen, wäre das schließlich kontraproduktiv und wahrscheinlich für seine Gesundheit auch nicht besonders förderlich. Ansonsten fällt relativ mühselige Kleinarbeit in unseren Bereich: Überprüfen von Adressen, Geburtsdaten, KfZ-Nummern usw.“

Dass die militante „Anti-Antifa“-Szene in Nordbayern seit Jahren konspirativ arbeiten kann und durch ihr kriminelles Vorgehen bis heute nicht zerschlagen werden konnte, liegt auch an Kontinuitäten von Personen und Organisationen. 

So nistete sich das Freie Netz Süd (FNS) immer stärker im dünner besiedelten oberfränkischen Raum ein und erwarb dort Immobilien, in der Absicht, „Schulungs- und Familienzentren“ und Kaderschmieden einzurichten. In einem aufgekauften Gasthof organisierte man einen regen Online-Handel mit Fanzines. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann ließ auf öffentlichen Druck hin im Jahr 2013 das Netz verbieten und beschlagnahmte das Gebäude. Die Kameradschaft Freies Netz Süd wurde als Nachfolgeorganisation der bereits verbotenen Fränkischen Aktionsfront (FAF) eingestuft.

Daraufhin traten die Neonazis, die großteils zuvor Mitglieder in der FAF und im FNS waren, in die eigens neu gegründete Partei „Der dritte Weg“ (DIIIW) ein.

Auch heute besteht ein Teil der fränkischen Neonazi-Szene aus Personen, die seit mehr als 20 Jahren gemeinsam in der rechtsextremen Szene aktiv sind. Die Partei versucht derzeit, bundesweite Stützpunkte zu etablieren. Obwohl deren Führungskader gerade ein Hauptaugenmerk auf den Aufbau der Szene außerhalb Bayerns legen und zum Beispiel im sächsischen Plauen mit einem Mitglied im Stadtrat wie auch im Kreistag vertreten sind, heißt das nicht, dass die „Anti-Antifa“-Aktivitäten der Szene eingestellt worden sind. Exemplarisch steht dafür ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. 

So soll Susanne G., die in der Vergangenheit als Ordnerin bei Aufmärschen der Partei fungierte, Anfang 2020 mehrere Hassbriefe an einen lokalen Bürgermeister, eine türkisch-islamische Einrichtung und Flüchtlingsinitiativen geschickt haben. Das ergaben Ermittlungen der Polizei. In der Karte an eine Moschee im Nürnberger Land hieß es: „Ihr werdet niemals sicher sein!“, dazu lag ein Bild eines Schweins und eine scharfe Patrone bei. Ein Landrat erhielt laut polizeilichen Ermittlungen ebenfalls Post von der 55-jährigen Heilpraktikerin, die südlich von Nürnberg lebte. In der Beileidskarte schrieb die Neonazistin demnach: „Juden- und Ausländerfreund, erschossen auf der Terrasse“ – eine klare Anspielung auf den von einem Neonazi ermordeten CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Getötet wurde dieser auf seiner Terrasse. 

Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen, die Heilpraktikerin sitzt seit September 2020 in Untersuchungshaft. Ende April 2021 begann der Prozess gegen sie. Der Vorwurf: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Zuvor war G. abgetaucht gewesen und mit einem Haftbefehl gesucht worden. Den Ermittlungsakten zufolge hatte sich die Neonazi-Aktivistin mit den im NSU-Prozess verurteilten NSU-Helfern Ralf Wohlleben und André Eminger getroffen.

Die Bundesanwaltschaft legt der Frau zur Last, sie soll Anschläge auf Lokalpolitiker und Polizisten geplant haben. Dafür soll Susanne G. sich im Internet Informationen zum Umgang mit Sprengstoffen und Material für den Bau von Brandsätzen besorgt haben. Im Sommer 2020 spähte sie, so die Anklage, Polizeibeamte und einen Mandatsträger aus Franken als mögliche Anschlagsopfer aus und kundschaftete ihre Wohnungen und Autos aus. 

Dieses militante Vorgehen gegen politische Gegner und Repräsentanten des Staates ist ein Kennzeichen der rechtsextremen Szene. Nicht nur in Nordbayern, sondern bundesweit sind solche „Anti-Antifa“-Strategien zu beobachten.