Menschen im Fadenkreuz

Kreuz, Kapuze, Klan: Der KKK in Baden-Württemberg

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von Alexander Roth

Januar 2019: Großrazzia in acht Bundesländern. Unter Leitung des Landeskriminalamts Baden-Württemberg durchsuchen Ermittler mehrere Räumlichkeiten, darunter auch die Wohnung zweier Verdächtiger im Rems-Murr-Kreis bei Stuttgart. Insgesamt finden sie an diesem Tag über 100 Waffen. Schreckschuss- und Druckluftwaffen, Schwerter, Macheten, sogar Wurfsterne.

Noch am selben Tag veröffentlicht das LKA Bilder der sichergestellten Gegenstände. Auf einigen ist eine Art Logo zu erkennen: weißes Kreuz, rote Flamme, roter Grund, dazu die Buchstabenkombination NSK KKK. Auf einem dieser Logos sind vier Figuren zu sehen. Sie tragen weiße Kapuzen.

Was die Ermittler an diesem Tag fanden, waren die ersten konkreten Hinweise auf eine Gruppierung namens „Nationalist Socialist Knights of the Ku-Klux-Klan“. Auf die Spur der mutmaßlichen Mitglieder kamen die Behörden durch die Auswertung von Chatprotokollen eines beschlagnahmten Mobiltelefons.

„Die Mitglieder eint ihre rechte Gesinnung, die sich unter anderem in einer Glorifizierung des Nationalsozialismus äußert“, hieß es in einer Pressemitteilung, die noch am Tag der Razzia veröffentlicht wurde. „Teile der Gruppierung zeigen zumindest verbale Gewaltbereitschaft, planen, sich zu bewaffnen, und hegen Gewaltfantasien.“

Im November desselben Jahres antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei, dass die Gruppierung bereits „mindestens seit dem Sommer 2016“ existiert habe. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen habe es „regionale Organisationsstrukturen“ gegeben. Man gehe von insgesamt etwa 40 Mitgliedern aus. 

Eine „valide Aussage zum Gefährdungspotenzial“ der NSK KKK hielt die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt für „nicht möglich“. Ob es zu Straftaten komme, hänge bei Ku-Klux-Klan-Mitgliedern vom Radikalisierungsgrad des Einzelnen ab. 

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart übernahm die Ermittlungen im Fall der Nationalist Socialist Knights. Ermittlungen, zu denen die Behörde im Frühjahr 2021, über zwei Jahre nach der Razzia, immer noch keinerlei Auskünfte erteilte.

Seit 150 Jahren zieht der Ku-Klux-Klan eine Blutspur durch die USA. Im Glauben an eine „white supremacy“ („weiße Vorherrschaft“) begehen die Mitglieder Lynchmorde, töten aus rassistischen Motiven und eliminieren politische Gegner.

Die NSK KKK, die selbst ernannten nationalsozialistischen Ritter, sind nicht der erste Ableger des rassistischen Geheimbundes in Deutschland. Und dass in diesem aktuellen Fall auch der Rems-Murr-Kreis eine Rolle zu spielen scheint, verwundert nicht weiter. 

Die Region Stuttgart bildet für den Ku-Klux-Klan einen Schwerpunkt: Bis zu den Anfängen der  90er Jahre lassen sich Klan-Aktivitäten in Stadt und Umland zurückverfolgen. Einige davon wären bis heute unentdeckt geblieben, hätte es nicht die Mordserie des NSU gegeben. 

Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg beschäftigte sich zwischen 2016 und 2018 mit möglichen Verbindungen des Terror-Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zur rechtsextremen Szene im Land – und stieß dabei immer wieder auf die Spuren des Klans. Folgt man ihnen, erzählen sie eine Geschichte von Hass unter weißen Kapuzen und Gewalt im Zeichen brennender Kreuze.

Am Anfang dieser Geschichte sind die Kapuzen und die Kreuze nicht zu sehen. Das birgt eine bittere Ironie: Der Ku-Klux-Klan versteht sich selbst als „invisible empire“, als „unsichtbares Imperium“. 

Aber dennoch sind die Kapuzen da, wandern von Kopf zu Kopf. Und mit ihnen die rassistische Ideologie des Klans. Eine dieser unsichtbaren Kapuzen sitzt auf der Glatze eines Skinheads.

November 1991. Ein Asylsuchender läuft mit seiner Begleiterin durch die Fußgängerzone von Schwäbisch Gmünd. Der Skinhead geht auf die beiden zu. „We want the Ku-Klux-Klan“, sagt er. „Wir wollen den Ku-Klux-Klan.“ 

Dann sprüht der Mann, der die unsichtbare Kapuze trägt, dem Asylsuchenden Tränengas ins Gesicht. Anschließend beleidigt er dessen Begleiterin.

Der Vorfall wird später in den jährlichen Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg aufgenommen. Und der Wunsch des rassistischen Kapuzenmannes geht schon bald in Erfüllung.

Juli 1993, ein Grillplatz in Waiblingen. In einem offenbar provisorisch aufgespannten Zelt haben sich überwiegend Männer versammelt – einige in weißen T-Shirts, andere halb nackt. Sie skandieren „White Power! White Power!“ und recken die Fäuste hoch in Richtung Bühne. 

Auf dieser steht, umgeben von den Mitgliedern seiner Band „Skrewdriver“, der Brite Ian Stuart Donaldson. „This song is for you“, ruft er ins Mikrofon, bevor die Gitarren einsetzen.  „It‘s called Blood & Honour.“ Wieder ist die Kapuze da, wieder ist sie nicht zu sehen. Zumindest nicht auf den Videoaufnahmen, die von diesem Tag existieren. Außer man schaut ganz genau hin.

Blood & Honour, so heißt das in Deutschland mittlerweile verbotene internationale Netzwerk rechtsextremer Musiker und Konzertveranstalter, das Donaldson in den 80ern in England gegründet hat. „Blut und Ehre“, so stand es auf den Fahrtenmessern der Hitlerjugend.

Doch Donaldson verehrte nicht nur die Nazis. Er war auch Anhänger des Ku-Klux-Klan. 

Auf dem Skrewdriver-Album „White Rider“ von 1987 ist ein Reiter in Klanmontur abgebildet – eine visuelle Anspielung auf den KKK-Propagandafilm „Birth of a Nation“ von 1915. 

Mit seinem Bandprojekt „Klansmen“ („Klansmänner“) nahm der Brite sogar eine Art inoffizielle Rekrutierungshymne auf –  „Johnny joined the Ku-Klux-Klan“. Das Cover der Single von 1989 zeigt Klan-Mitglieder, die um ein brennendes Kreuz stehen.

Dass Donaldson 1993 in Waiblingen beim Geburtstag einer rechtsextremen Gruppierung namens „Kreuzritter für Deutschland“ auftrat, ist daher nur passend. Wie legendär das Konzert in Szenekreisen werden würde, konnte damals aber noch niemand ahnen. Zwei Monate später kam Ian Stuart Donaldson bei einem Autounfall ums Leben.

Sein letzter Auftritt gilt heute als Initialzündung für die rechtsextreme Musikszene in der Region Stuttgart, als Brückenkopf für den Einmarsch von Blood & Honour in den Südwesten Deutschlands. Er hat Menschen inspiriert, Donaldson nachzueifern.

Ein Beispiel von vielen: Anfang der Nullerjahre gründete sich in Schwäbisch Gmünd, etwa 40 Kilometer von Waiblingen entfernt, die Rechtsrock-Combo „Race War“. Die Band veröffentlichte mehrere Tonträger. Ein wiederkehrendes Element: Coverversionen von Skrewdriver-Songs.  

Die Kapuze hat Donaldson zum Zeitpunkt seines Todes längst weitergegeben.

Sommer 1998, ein NPD-Grillfest außerhalb von Winnenden: Zwei Männer sitzen bei einem Bier zusammen und führen ein Gespräch, über das die Journalisten Frederik Obermaier und Tanjev Schultz viele Jahre später in ihrem Buch „Kapuzenmänner“ schreiben werden.

Der eine Mann wurde „Tweety“ genannt. Er spielte mit der Rechtsrock-Combo  „Triebtäter“ 1993 in Waiblingen als Vorband für Skrewdriver, hatte sich einmal mit dem NSU-Trio „weggesoffen“ und war Mitglied einer süddeutschen Gruppierung namens „International Knights of the Ku-Klux-Klan“. Ein Klan-Ableger, der sich Anfang der 90er Jahre im Raum Heilbronn gegründet hatte.

Seine Kapuze trug Tweety an diesem Tag nicht. Doch seinem Gegenüber wollte er gerne eine aufsetzen. Der war ebenfalls ein bekannter Szenemusiker und hatte gerade seinen Auftritt hinter sich, als „Tweety“ ihm die folgenschwere Frage stellte: „Willsch net bei de Zipfelmitze mitmache?“ Er wollte. 

Juli 2000, ein Neonazi-Geburtstag in Winterbach. Es ist spät. Dunkel. Männer sitzen um ein Lagerfeuer, sprechen über den Kampf für den Erhalt der weißen Rasse. Und irgendwann steht ein 1,50 Meter hohes Holzkreuz in Flammen. Ein Ku-Klux-Klan-Ritual.

Ein Informant nannte dem Landesamt für Verfassungsschutz später Namen zu den Gesichtern, die sich im Feuerschein versammelt hatten. Manche der Anwesenden hatten mehrere davon. Und manchmal verbargen sie sich unter Kapuzen.

Das Geburtstagskind, Neonazi Markus F., war maßgeblich am Aufbau von „Blood & Honour“-Strukturen im Südwesten Deutschlands beteiligt. Er leitete die „Sektion Württemberg“ und die Nachfolgeorganisation „Furchtlos & Treu“. Er hatte beste Kontakte in die rechtsextreme Szene, organisierte Gedenkfeiern für die Waffen-SS und ließ sich „Heil Hitler“ tätowieren.

Außerdem war F. zum Zeitpunkt der Feier, wie er später im zweiten baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss bestätigte, Mitglied einer US-amerikanischen Ku-Klux-Klan-Gruppierung.

Auch der Mann vom NPD-Grillfest nahm an der Feier in Winterbach teil. Er hatte das „Zipfelmitze“-Angebot angenommen und gehörte mittlerweile zu den „International Knights of the Ku-Klux-Klan“. Außerdem war er im Juli 2000 bereits seit mehreren Jahren Informant des Landesamtes für Verfassungsschutz. Deckname: „Radler“. 

Aussagen im Rahmen des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Baden-Württemberg legen nahe, dass noch ein weiterer V-Mann an diesem Tag im Schein des brennenden Kreuzes stand. Sein Deckname ist heute, auch angesichts der Umstände seines Todes, deutlich bekannter. Er lautete „Corelli“.

Wer am Ende die Information über das Treffen im Zeichen des brennenden Kreuzes an den Verfassungsschutz durchsteckte, ist unklar. Aber weitergegeben wurde sie. Genau wie die Kapuzen.

November 2000, in den Südstaaten der USA: Kapuzen versammeln sich vor einem brennenden Kreuz. Der Mann, den der Verfassungsschutz „Radler“ nennt, kniet in weißer Klan-Robe vor dem Anführer des lokalen Ku-Klux-Klan. Ein Schwert liegt auf seiner Schulter, wie bei einem Ritterschlag. 

Vor wenigen Eingeweihten wurde „Radler“ damals zum „Grand Dragon des Realm of Germany“ ernannt. Die Worte sind auch in den unscharfen Schwarz-Weiß-Videoaufnahmen noch gut zu hören, die er mir später von dieser Zeremonie zeigen wird: „Rise and be recognized.“ Erhebe dich und werde erkannt.

Zur Einordnung: Der Grand Dragon ist der zweithöchste Rang in der Klan-Hierarchie, darüber kommt nur noch der „Imperial Wizard“, der „große Hexenmeister“. Realm, das „Reich“, ist die zweitgrößte Einheit innerhalb der territorialen Klan-Struktur. Es steht für einen Staat im „Unsichtbaren Imperium“ des Geheimbunds.

„Radler“, der zu dieser Zeit im Kreis Schwäbisch Hall wohnte, war also plötzlich Anführer eines eigenen Klan-Ablegers namens „European White Knights of the KKK“ (EWK). Und zumindest dem Titel nach einer der mächtigsten Klansmänner in Europa.

Im Klan nannte „Radler“ sich Ryan Davis. Wer einen Blick auf die Homepage seines Klans warf, dem wurde schnell klar, wofür er stand: „Wenn du eine weiße, patriotische, ehrliche Person mit gesunder Moral und gesundem Charakter bist, wenn du daran glaubst, dass die Reinhaltung der Rassen das Beste für alle Rassen der Erde ist, wenn du mit unserem Glauben übereinstimmst, dann kannst du Mitglied werden.“

Heute nennt er sich TM Garrett und lebt in Memphis, Tennessee. Die Kapuze hat er abgesetzt. Er ist Botschafter der deutschen „EXIT“-Kampagne in den USA und hilft Menschen, den Ausstieg  aus der rechtsextremen Szene zu schaffen. 

Ende 2019 habe ich mit ihm ausführlich über seine Zeit als Anführer eines Geheimbundes von Rassisten sprechen können. „Unser Ziel war, die Gesellschaft zu unterwandern“, sagte er. „Die Zielgruppe für neue Mitglieder waren Polizisten, Geschäftsleute, Staatsanwälte, Richter. So wie es in den 1920ern bis 1940ern in den USA war.“

Und tatsächlich: Zwei Polizisten der Böblinger Bereitschaftspolizei waren zeitweise Mitglied bei den EWK. Sie sollen TM Garrett gegenüber von zehn bis 20 weiteren Kollegen im Stuttgarter Raum gesprochen haben, die als potenzielle Mitglieder infrage kämen. 

Doch die Pläne von der Unterwanderung der Gesellschaft hielten nicht lange. Nach internen Streitereien und Druck vom Staat lösten sich die EWK laut Garrett zwischen Ende 2002 und Anfang 2003 auf.

Auch die Tatsache, dass, wie sich später herausstellte, ein Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz den Klan-Führer vor einem Spitzel in den eigenen Reihen gewarnt hatte, dürfte eine Rolle gespielt haben. Bis die Öffentlichkeit vom Treiben des Klans Wind bekam, dauerte es nach der Auflösung jedenfalls noch fast zehn Jahre.

Während der Untersuchungen zum NSU gerieten die „European White Knights“ gleich mehrfach in den Fokus der Ermittler. Aus verschiedenen Gründen.

Weil der Name des Anführers auf einer Liste möglicher NSU-Unterstützer auftauchte.

Weil alles darauf hindeutet, dass der V-Mann „Corelli“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Richter, Mitglied bei den EWK gewesen war. Ein rechtsextremer Aktivist, der Kontakte zum NSU pflegte und als die Topquelle des Geheimdienstes galt.

Weil die beiden Böblinger Bereitschaftspolizisten, die sich zeitweise dem Klan angeschlossen hatten, Kollegen der 2007 mutmaßlich vom NSU erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter waren. Mehr noch: Einer der beiden war damals ihr Gruppenführer.

Im Laufe der beiden NSU-Untersuchungsausschüsse in Baden-Württemberg wurden noch weitere Fragen zur Arbeit der Behörden im Zusammenhang mit den EWK aufgeworfen. Doch es war vor allem die nach der Rolle der Polizisten, die für Aufsehen sorgte. Der deutsche Klan-Ableger sei eine „nette Runde“ gewesen, begründete einer der Bereitschaftspolizisten seinen Beitritt zum Klan. Zudem seien das „Exklusive, Geheime, Mystische und die Bibelauslegung sowie die Möglichkeit, Frauen kennenzulernen, anziehend gewesen“, heißt es im Abschlussbericht des ersten NSU-Untersuchungsausschusses. 

„Dass gar keine Frauen zur Anbahnung einer Beziehung unter den Mitgliedern gewesen seien, habe er vorher nicht gewusst. [..] Auf den Vorhalt, es entstehe der Eindruck, er, der Zeuge, habe sich nur insoweit für die Bibelauslegung interessiert, als damit die Ziele des Klans begründet werden könnten, äußerte der Zeuge, etwa der CVJM wäre zur Auslegung der Bibel tatsächlich die bessere Wahl gewesen.“

Beide Polizisten gaben an, die EWK aus eigenem Antrieb nach wenigen Monaten wieder verlassen zu haben. Eine Verbindung zwischen Mitgliedern der „European White Knights“ und den Morden des NSU konnte im Laufe der Ermittlungen nicht hergestellt werden.

November 2001 in Schorndorf: „Scheiß-Kanake!“, hallt es durch die Innenstadt. Der rassistische Ruf kommt von einer Gruppe – zwei Männer, eine Frau, zwei Jugendliche. Einer der Männer trägt eine weiße Ku-Klux-Klan-Kapuze. Auf offener Straße. Am helllichten Tag. 

Die Gruppe kommt gerade von einer stadtbekannten Punker-Unterkunft, wo sie dem Ex-Freund der Frau eine Abreibung verpassen wollten. Doch der konnte entwischen. Jetzt haben sie ein neues Opfer ausgemacht.

Das „Scheiß-Kanake!“ gilt einem 44 Jahre alten Griechen. Den die Gruppe wenige Meter von seinem Zuhause entfernt niederprügelt. Selbst als er schon am Boden liegt, setzt es Stahlkappen-Springerstiefel-Tritte. Er täuscht einen Herzinfarkt vor.  

Wer sich am Ende an der brutalen Tat beteiligt hatte, ließ sich auch vor Gericht nicht mehr abschließend rekonstruieren. Was sich klären ließ: Die Kapuze gehörte einem der jugendlichen Gewalttäter. Er war damals nicht älter als 16 und wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung später zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. 

Immer wieder landete der junge Mann mit der Kapuze in der Folge im Gefängnis. Stammheim, Schwäbisch Hall, Ravensburg, Ulm. 

Er war gewalttätig, bewaffnet, drogensüchtig – und in den Jahren nach dem Vorfall in Schorndorf an weiteren Aktionen mit Bezug zur rechtsextremen Szene beteiligt. An Todesdrohungen gegenüber Polizisten. An einem Brandanschlag auf einen türkischen Kultur- und Jugendverein in Murrhardt. 

Dass man heute so vieles über den Werdegang des Kapuzenbesitzers weiß, hat mit einem kuriosen Gnadengesuch zu tun, das der Mann 2015 aus dem Gefängnis an den baden-württembergischen Justizminister schickte. Mit dem Hinweis, dass er etwas über die Waffe wisse, mit der die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn erschossen wurde. 

Man zitierte ihn deshalb in den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss, wo er sagte, dass man ihn wohl missverstanden habe. Statt über den Polizistenmord von Heilbronn sprach er über seine Kontakte zum Ku-Klux-Klan. Darüber, dass er unbedingt hatte Mitglied werden wollen, wie seine Freunde. Und, dass daraus nichts wurde. Eine Kutte samt Kapuze hängte er sich trotzdem in den Schrank.

November 2005, Unterweissach: Drei junge Männer aus dem Raum Backnang übergießen ein grob zusammengezimmertes Holzkreuz mit Benzin und richten es gegenüber einer Asylunterkunft auf. Dann zünden sie es an. Während das Kreuz brennt, wirft einer von ihnen einen Molotowcocktail gegen die Hauswand.

Ein paar Monate später wurde die Tat vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt. Mein Kollege Peter Schwarz berichtete in der Waiblinger Kreiszeitung von dem Dialog zwischen der  Richterin und dem damals 18-jährigen, wortkargen Hauptangeklagten:

Warum hat er die Asylbewerberunterkunft angegriffen? 

„Dass die Angst kriegen. Dass die wieder zurück in ihr Land gehen.“ 

Was sind das dort für Leute?

 „Schwarze.“ 

Und was sollte das mit dem brennenden Kreuz? 

„Ku-Klux-Klan.“ 

Was ist das? 

„Die, wo gegen die Schwarzen sind.“

Mehr wusste der junge Mann offenbar über den Klan nicht zu sagen. Statt in weißer Robe vor brennenden Kreuzen traf er sich mit seinen rechten Freunden lieber in einer Szenekneipe in Backnang. 

Bei der Durchsuchung seiner Wohnung im Zuge der Ermittlungen fand man dementsprechend keine Kapuze. Dafür eine Soft-Air-Maschinenpistole, eine Gaspistole, ein Bajonett, ein Stilett, Flugblätter zum Geburtstag von Rudolf Heß und diverse Neonazi-Zeitschriften.

In Backnang tauchten ab Dezember 2009 über Monate hinweg Schmierereien mit Sprüchen wie „White Power“ und Links zur Homepage von David Duke auf – einem der bekanntesten, mittlerweile ehemaligen Klanchefs der USA.

Oktober 2012, Schwäbisch Hall: Dem „Haller Tagblatt“ werden Dokumente zugespielt, die, ein Jahrzehnt nach den „European White Knights“, auf Aktivitäten eines Klan-Ablegers in der Region hindeuten: des „United Northern and Southern Knights of the Ku-Klux-Klan“ (UNSK). 

Die Zeitung schrieb damals, dass der „hochrangige Kapuzenträger“ und UNSK-Chef „Didi White“ in einem Teilort von Schwäbisch Hall lebt. Später stellte sich heraus, dass er in derselben Straße wie zu seiner Zeit EWK-Chef „Ryan Davis“ wohnte. Offenbar ein Zufall, da sind sich beide einig.

„Didi White“ wurde im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg als Zeuge geladen. Dort erzählte er, dass er die „Europadivision“ der UNSK leite und im täglichen Kontakt mit dem Klan in den USA stehe. 

Im Ausschuss zeichnete „White“ ein Bild seines Klans als kleine Glaubensgemeinschaft glühender, ausschließlich weißer Christen, die mit Rechtsradikalen nichts zu tun haben wolle.  Beim Aufnahmeritual müsse man sich gar erst zum Grundgesetz bekennen, bevor man – „wie bei den Ritterfilmen“ – mit dem Schwert eingeschworen werde.

Zweifel an diesen Aussagen weckte schon damals die Tatsache, dass „Didi White“ während seiner Arbeit in einem Backnanger Bordell ein paar Jahre zuvor in schwarzem T-Shirt mit SS-Rune, Hakenkreuz und dem SS-Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“ einem Freier die Tür geöffnet hatte. 

Auch dieser Vorfall war Thema im Untersuchungsausschuss. Das sei nur „ein Blödsinn“ gewesen, sagte der Klanchef. Und seine Sammlung von NS-Devotionalien? Die habe er nur „rein aus Interesse besessen“.

Zum Zeitpunkt der Anhörung existierte die Europadivision der UNSK noch. „Didi White“ trug seine Kapuze – wenn auch nicht im Ausschuss – und es ist gut möglich, dass er das bis heute tut.

 Im Januar 2021 ging die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag jedenfalls noch davon aus, dass der Klan-Ableger aus dem Teilort von Schwäbisch Hall  weiterhin aktiv ist. Wenn auch mit geringer Mitgliederzahl.

März 2019: Ungewöhnliche Szenen am S-Bahnhof Fellbach: Eine Person in einer weißen Ku-Klux-Klan-Robe hält mit einem Polizisten Händchen. Daneben ein Banner: „Staat und Nazis Hand in Hand“.

Dass an diesem Tag Kapuzen auf den Straßen nördlich von Stuttgart zu sehen waren, war einer „Blitzkundgebung“ des Offenen Antifaschistischen Treffens Rems-Murr geschuldet. Die Aktivisten machten in Fellbach auf die damals gerade frisch bekannt gewordenen Umtriebe der Nationalist Socialist Knights of the Ku-Klux-Klan aufmerksam – und auf die Spuren, die der Klan jahrzehntelang in der Region hinterlassen hatte. 

März 2021, Stuttgart. Sogenannte „Querdenker“ protestieren in der baden-württembergischen Landeshauptstadt gegen die Coronapolitik. Vor einem Erotikshop in der Innenstadt staut sich die Menge. Am Rand stehen Polizeiautos.  Männer und Frauen in Uniform versperren dem Demonstrationszug den Weg. 

Ein Mann hält ein Plakat hoch: „Wir lassen uns nicht spalten.“ In diesem Moment betätigt ein Fotograf der Deutschen Presseagentur den Auslöser seiner Kamera. Ein Bild von vielen an diesem Tag.

Was der Fotograf hier unbewusst einfing, wurde erst nach der Veröffentlichung vom Rechercheteam „Affeu“ auf Twitter bemerkt: Am rechten unteren Bildrand ist ein Demoteilnehmer zu erkennen, der einen Schal mit einem eindeutigen Symbol des Ku-Klux-Klan trägt: dem brennenden Feuerkreuz.

Die Kapuze des Ku-Klux-Klan ist über die Jahre weit gereist. Von den USA nach Deutschland und teilweise wieder zurück. Sie saß auf den Köpfen  von NPD-Mitgliedern, rechtsextremen Musikern, jugendlichen Gewalttätern. Auf denen von V-Männern und Polizisten. 

Extremismusforscher Thomas Grumke sagte als Sachverständiger im zweiten baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss, der rassistische Geheimbund sei für Menschen aus der rechtsextremen Szene mit hohem „Geltungsbewusstsein“ besonders anziehend. 

„Plötzlich ist man ‚Grand Dragon‘. Das ist natürlich was. Das wird man bei der NPD nicht. Da wird man vielleicht zweiter Kassierer von Schwäbisch Hall. Das ist nicht so interessant.“ Fast so, als wäre die Kapuze bloß dazu da, die Banalität des Hasses darunter zu verbergen.

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