Leben im Gefängnis

„Made in Germany“ – Wer von der Arbeit in Gefängnissen profitiert

Deutsche Gefängnisse lassen ihre Insassen für private Firmen arbeiten – zu einem Bruchteil des Mindestlohns. Die Justiz will geheim halten, wer davon profitiert. Kritiker sprechen von „purer Ausbeutung“. Auch in Spanien lassen deutsche Konzerne Gefangene für sich arbeiten. Die spanischen Gewerkschaften vergleichen die Arbeitsbedingungen mit Sklaverei.

von Timo Stukenberg , Olaya Argüeso

JVA Heidering
Gang zu den Hafträumen in Großbeeren in der Justizvollzugsanstalt Heidering. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Glaubt man einigen Justizbehörden, gefährdet diese Recherche die Sicherheit in deutschen Gefängnissen. Wir wollten wissen: Für welche Firmen arbeiten Strafgefangene für wenige Euro pro Stunde? Doch die Behörden mauern. Die Unternehmen würden „um ihre Reputation fürchten“ schreibt die Justizvollzugsanstalt Hamm. Es gäbe einen „fälschlicherweise öffentlichen Vorwurf ‘ausbeuterischen’ oder wettbewerbswidrigen Verhaltens.“ Auch in Baden-Württemberg ist man um die Auftraggeber besorgt. „Bei Wegfall der Arbeitsplätze bestünde in aller Regel nur die Alternative eines überwiegenden Einschlusses im Haftraum, was erfahrungsgemäß zu einem nicht unerheblichen Aufbau eines Aggressionspotenzials unter den Gefangenen führt“, schreibt ein Mitarbeiter des Justizministeriums.

Zwangsarbeit ist in Deutschland verboten, doch Artikel 12 des Grundgesetzes sieht eine Ausnahme vor: „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“ In vielen Bundesländern sind Strafgefangene tatsächlich zur Arbeit verpflichtet. Sie soll Struktur vermitteln, an ein geregeltes Arbeitsleben heranführen und so letztlich der Resozialisierung dienen. Die Inhaftierten erhalten in deutschen Gefängnissen für ihre Arbeit laut Gesetz zwischen ein und drei Euro pro Stunde. Sie haben keinen Anspruch auf Mindestlohn, auf eine Anrechnung auf ihre Rente, darauf, ihre Gewerkschaft frei zu wählen. Für Gefangene gelten grundlegende Rechte für Arbeitnehmende nicht. Dabei verrichten einige von ihnen in ihrer Haft Arbeiten, für die sie draußen deutlich mehr als den Mindestlohn verdienen würden.

Für die Gefängnisse sind die externen Aufträge eine willkommene Einkommensquelle. Mehr als sechs Millionen Euro Umsatz erzielten die niedersächsischen Gefängnisse 2019 allein in den sogenannten Unternehmerbetrieben hinter Gittern. So nennt man Werkhallen hinter den Gefängnismauern, in denen die Privatwirtschaft Insassen beschäftigt. Mehr als jeder dritte Arbeitsplatz in niedersächsischen Gefängnissen befindet sich in einem Unternehmerbetrieb. Mehr als 500 externe Auftraggeber lassen nach CORRECTIV-Recherchen seit 2019 allein in Niedersachsen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen hinter Gittern für sich arbeiten. Deutschlandweit dürften es noch wesentlich mehr sein. Für diese Firmen produzieren die Gefangenen Autoteile, verpacken Haushaltsgeräte und stecken Spielzeug zusammen.

Allein in der JVA Burg in Sachsen-Anhalt erwirtschafteten die Gefangenen in den Unternehmerbetrieben im Jahr 2019 einen Überschuss von mehr als 200.000 Euro, wie eine Kleine Anfrage aus dem Landtag in Magdeburg zeigt.

Wie die Gefängnisse an der Gefangenenarbeit verdienen könnten, zeigt das Beispiel von Dr. Oetker. Auf Anfrage teilt der Lebensmittelhersteller mit, dass eine seiner Speditionen Freigänger aus der JVA Bielefeld-Senne „für leichte Lagertätigkeiten zur Unterstützung in der Kommissionierung und Konfektionierung von Dr. Oetker-Aufträgen“ einsetzt. Dafür zahle die WLS Spedition GmbH 10,27 Euro pro Stunde an das Gefängnis. Zu dem konkreten Fall äußert sich die Landesjustizvollzugsdirektion nicht. Sie bestätigt aber allgemein, dass der Stundenlohn an die Tariflöhne von freien Arbeiter*innen angepasst sei. Bei den Gefangenen kommt jedoch lediglich der im Strafvollzugsgesetz festgelegte Stundensatz von ein bis drei Euro an. Und wo bleibt die Differenz zwischen dem Stundenlohn, den die Spedition ans Gefängnis zahlt, und dem Stundenlohn, den die Gefangenen erhalten? Immerhin dürften es rund sieben Euro pro Stunde sein.

„Die Einnahmen werden im Landeshaushalt des Landes NRW verbucht”, schreibt die Landesjustizvollzugsdirektion in Nordrhein-Westfalen auf Anfrage. Die Differenz bleibt also beim Staat. „Die Gefangenen bekommen so gut wie kein Geld, aber die Justizbehörden verdienen an ihrer Arbeit“, sagt Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linken. „Der Staat profitiert hier von der Ausbeutung der Gefangenen.“

CORRECTIV hat alle Landesjustizministerien mittels des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) angefragt, welche Firmen Strafgefangene hinter Gittern für sich arbeiten lassen und zu welchen Bedingungen. Obwohl sich fast alle Ministerien geweigert haben, auch nur ansatzweise Informationen über die Auftraggeber und Konditionen der Gefangenenarbeit preiszugeben, haben wir zwei Verträge erhalten, die zeigen, wie Gefängnisse die Arbeitskraft ihrer Insassen an private Firmen verkaufen.

Arbeiten ohne „Beschäftigungsverhältnis“

Die JVA Heidering ist die modernste unter den teils sehr alten Berliner Haftanstalten. Die Werkshallen 2 und 3 dürften dementsprechend mehr an eine Fabrik als an ein Gefängnis erinnern. Hier lässt die Firma Steep aus Bonn eine ganze Reihe von Arbeiten ausführen: Holz-, Elektro- und Metallarbeiten, Konfektionierungen, Recyclingarbeiten und Montagetätigkeiten. Das zeigt der Vertrag zwischen Gefängnis und Unternehmen, der CORRECTIV vorliegt. Der Vertrag verpflichtet die Firma aus Bonn dazu, mindestens 125 Gefangene zu beschäftigen. Die Anstalt hingegen ist dazu verpflichtet, bis zu 280 ihrer rund 600 Gefangenen zur Arbeit zur Verfügung zu stellen. „Die Unternehmerin zahlt der Vollzugsanstalt eine Nutzungsentschädigung für die Zurverfügungstellung der Gefangenenarbeitskräfte“, heißt es in Paragraph 6 des Vertrags. Das Gefängnis verkauft also die Arbeitskraft seiner Insassen.

Obwohl die Gefangenen für Steep arbeiten, gelten sie nicht als Arbeitnehmer. „Ein Beschäftigungsverhältnis zwischen der Unternehmerin und den Gefangenen besteht nicht“, heißt es in dem Vertrag.

Screenshot vom Vertrag zwischen der JVA Heidering und der Firma Steep
Screenshot vom Vertrag zwischen der JVA Heidering und der Firma Steep, der CORRECTIV vorliegt

Für die Firma Steep, die laut ihrem letzten verfügbaren Jahresabschluss aus 2019 auch in der hessischen JVA Hünfeld für sich arbeiten lässt, dürfte sich der Vertrag lohnen. In dem Jahresabschluss heißt es, die Planzahlen in der JVA Heidering seien deutlich übertroffen wurden.

Wie aus dem Vertrag hervorgeht, dürfte sich das Unternehmen Investitionskosten sparen, die wiederum das zuständige Land Berlin aus Steuern bezahlt hat. Zwar muss die Firma Maschinen und Werkzeuge selber stellen, doch die Werkhallen und Büros, die die Firma nutzt, hat das Land Berlin gebaut. Dazu kommt, dass die Firma eine Anschubfinanzierung für die Einarbeitung der Gefangenen erhält. Die konkreten Summen, die zwischen der Anstalt und dem Unternehmen fließen, sind in dem Vertrag, den CORRECTIV erhalten hat, geschwärzt. Auf Anfrage will sich das Unternehmen weder zu den Produkten äußern, die es herstellt, noch zu der Anschubfinanzierung oder zur Frage, ob ein Stundenlohn von ein bis drei Euro angemessen sei.

Gefangene als Streikbrecher

Ein weiterer Vertrag, der CORRECTIV in geschwärzter Form vorliegt, hat die Firma Emano Kunststofftechnik GmbH mit der JVA Waldeck in Mecklenburg-Vorpommern abgeschlossen. Hinter Gittern lässt sie zum Beispiel Teile für Kleinmotoren, Plastikbehälter und Urinale produzieren. Die Firma soll laut Vertrag „regelmäßig mindestens 10 Gefangene“ in den Werkshallen 1 und 2 beschäftigen. Die Soll-Arbeitszeit liegt laut Vertrag bei 37,5 Stunden. Eine Anfrage von Correctiv könne man erst im Folgemonat beantworten, weil die Geschäftsführer im Urlaub seien. Hinter Gittern kann allerdings nicht nur in der Urlaubszeit gearbeitet werden, sondern auch, wenn die Kolleginnen draußen streiken. So heißt es in Paragraph 3 des Vertrags: „Bei Arbeitskämpfen können die Gefangenen in dem bisherigen Umfang weiterbeschäftigt werden.“

Dass die Gefangenen zur Arbeit verpflichtet werden dürfen, hat das Bundesverfassungsgericht schon 1998 entschieden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das mehrfach bestätigt. Die Arbeit im Gefängnis wird als Behandlungsmaßnahme betrachtet. Die Gefangenen sollen so resozialisiert werden und leichter in die Gesellschaft zurück finden.

Harte Kritik: „Zwangsarbeit“ und „Doppelbestrafung“

„Im Ergebnis handelt es sich um nichts Anderes als Zwangsarbeit“, sagt Christian Vinke, Betreiber der Plattform Prisonwatch und Insasse in der JVA Sehnde. „Nicht alle Gefangenen benötigen nämlich eine Behandlungsmaßnahme Arbeit, weil sie hier überhaupt keinen Mangel aufweisen.“

Vinke verweist darauf, dass die Vergütung für Gefangene in den letzten 20 Jahren nicht mehr angehoben wurde. Aktuell soll das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Höhe des Stundenlohns noch verfassungsgemäß ist. Doch die Entscheidung wird immer wieder vertagt.

„Die aktuelle Regelung ist eine bewusste Demütigung“, sagt Linken-Politikerin Jelpke. Die niedrigen Löhne seien eine „Doppelbestrafung“. Denn eine Haftstrafe rechtfertige keine zusätzliche Bestrafung durch eine niedrige Bezahlung. Im Gegenteil: Eigentlich müssten die Lebensverhältnisse soweit wie möglich angeglichen werden – auch im Sinne der Resozialisierung.

Facharbeiter für unter zwei Euro pro Stunde

Als Sascha aus der JVA Neumünster in Schleswig-Holstein entlassen wurde, hatte er keine eigene Wohnung und keinen Job. Er habe schon aus dem Gefängnis Bewerbungen verschickt, aber selten eine Antwort und nur Absagen erhalten.

In den drei Jahren und neun Monaten, die er wegen einer Sexualstraftat hinter Gittern verbracht hat, habe er durchweg gearbeitet, sagt der 44-Jährige. Zuletzt in der JVA Neumünster, in der er zwei Gehaltserhöhungen bekommen habe. Als er seinem Arbeitgeber seinen Gesellenbrief vorgelegt habe, erzählt er, sei sein Gehalt um zehn Cent pro Stunde gestiegen, auf einen Euro. Die nächste Gehaltserhöhung habe bei 16 Cent pro Stunde gelegen. Kurz vor seiner Entlassung, das zeigen Lohnabrechnungen, die CORRECTIV vorliegen, lag sein Stundenlohn bei rund 1,99 Euro. Facharbeiter Sascha hat neben seiner Ausbildung bereits 15 Jahre Erfahrung an sogenannten CNC-Maschinen, programmierbaren Werkzeugmaschinen, mit an die „verlängerte Werkbank“ hinter Gittern gebracht.

Die Arbeit solle „den Wert wirtschaftlich ergiebiger Arbeit“ vermitteln, schrieb die schleswig-holsteinische Landesregierung in ihrer Begründung für das aktuell geltende Strafvollzugsgesetz. Sascha verstehe, dass eine Haftstrafe eine besondere Situation sei, sagt er, aber der Stundenlohn von weniger als zwei Euro sei schon eine „Frechheit”. „Die Arbeit ist die gleiche wie draußen“, sagt Sascha. „Man trägt ähnlich viel Verantwortung.“

Mittlerweile hat Sascha draußen wieder Arbeit gefunden, wieder als CNC-Maschinendreher. In Freiheit, sagt Sascha, verdiene er für die gleiche Arbeit 16,50 Euro pro Stunde.

Schleswig-Holstein blockiert

CORRECTIV hat auch in Schleswig-Holstein angefragt, welche Firmen hinter Gittern arbeiten lassen. Die Antwort der zuständigen Mitarbeiterin des Justizministeriums: Es gebe in Schleswig-Holstein keine sogenannten Unternehmerbetriebe. Ruft man jedoch die offizielle Website des Justizministeriums auf, steht dort die Überschrift „Unternehmerbetriebe in den Justizvollzugsanstalten“. Die Gefängnisse bewerben sich als „verlängerte Werkbank“. Andere Bundesländer bewerben die billige Arbeitskraft der Inhaftierten als Alternative zur Produktionsverlagerung ins Ausland. Auf unsere Bitte erinnert der Beauftragte für Informationsfreiheit in Schleswig-Holstein das Justizministerium an seine Pflicht zur Transparenz gegenüber Bürgerinnen und Bürgern. Nach und nach gibt das Ministerium einzelne Namen preis. Darunter ist auch die Firma Becker GmbH, für die Sascha gearbeitet hat.

Deren Geschäftsführer ist Niels Körte. Die Firma Becker produziert mobile Trennwände für Veranstaltungszentren. Seit mehr als 16 Jahren kauft die Firma dafür unter anderem gesägte und geschweißte Einzelteile aus der JVA Neumünster.

Die Qualität schwanke, sagt Körte. Manchmal würden neue Gefangene eingearbeitet, dann sei sie etwas schlechter. Aber: „Der Maschinenpark der JVA ist deutlich moderner als das, was wir hier haben.“

„Vom Mindestlohn für Gefangene halte ich nichts“

Und der niedrige Lohn? „Für mein Bauchempfinden ist der Stundenlohn von 1,20 Euro schäbig, eine Anhebung auf 3-4 € wäre denkbar“, sagt Körte. „Vom Mindestlohn für Gefangene halte ich nichts.“ Immerhin würde die Gefangenen umsonst wohnen und essen und fielen der Gesellschaft finanziell zur Last, sagt der Unternehmer. „Hier kann und sollten Gefangene einen Kompensationsbeitrag leisten.“

Dass Gefangene einen Beitrag zu den Kosten leisten, könnte sich auch Linken-Politikerin Ulla Jelpke vorstellen, sagt sie. Aber nur, wenn die Gefangenen tariflich bezahlt und in die Rentenversicherung einbezogen würden.

Unternehmer Niels Körte geht offen um mit dem Thema. Er habe schon mehrere ehemalige Gefangene übernommen, erzählt er. Ein früherer Inhaftierter sei seit mittlerweile vier Jahren fest angestellt. Eine Rufschädigung, wie manche Justizministerien und Gefängnisse annehmen, befürchte er nicht. Die einzelnen Bauteile in den Trennwänden fielen den meisten Menschen gar nicht erst auf. Doch sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie allgegenwärtig Produkte sind, die durch die Hände von schlecht bezahlten Gefangenen gegangen sind.

CORRECTIV veröffentlicht hier knapp 90 Namen von Firmen, die in den letzten fünf Jahren in deutschen Gefängnissen haben arbeiten lassen. Darunter sind lokale Handwerksbetriebe, international tätige Mittelständler und Weltkonzerne, Zulieferbetriebe und bekannte Marken wie Gardena, Miele, VW, Daimler und BMW.

Die Informationen stammen aus Angaben von Unternehmen auf Anfrage von CORRECTIV und aus Kleinen Anfragen der Linken in Landesparlamenten.

Einige Firmen sind in großem Stil vertreten. Die Firma Brennenstuhl zum Beispiel. Der Mittelständler aus Tübingen produziert unter anderem Kabeltrommeln und Verlängerungskabel, LED-Strahler und Taschenlampen, die er weltweit verkauft. Laut Website beschäftigt das Unternehmen mehr als 400 Mitarbeitende weltweit. Ob die Firma darin die Inhaftierten, die in ihrem Auftrag in drei Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt gearbeitet haben, mitzählt, will sie auf Anfrage nicht beantworten. Laut einer Kleinen Anfrage im sachsen-anhaltinischen Landtag ließ die Firma in den Gefängnissen Burg, Halle und bis vergangenes Jahr auch in der JVA Volkstedt Strafgefangene für sich arbeiten. Das Auftragsvolumen liegt bei mehr als einer halben Millionen Euro.

Verpacken für die Autoindustrie

Die deutsche Autoindustrie ist in den Werkhallen hinter Gittern ebenfalls vertreten. VW beauftragt nach eigenen Angaben zwei Gefängnisse in Kassel und München mit Verpackungsdienstleistungen. BMW habe einen Vertrag mit der JVA Straubing abgeschlossen, teilt die Pressestelle mit. „Hier senden wir von unseren Logistikstandorten aus unverpackte Ware zur JVA und lassen dort Verpackungsdienstleistungen vornehmen.“ Vor Ausbruch der Coronapandemie beschäftigte BMW auch Freigänger im Logistikzentrum in Dingolfing. Ein Vertragsverhältnis zwischen BMW und den Gefangenen bestehe jedoch auch hier nicht, betont die Pressesprecherin. Und auch Daimler vergebe Logistikaufträge an Justizvollzugsanstalten, wenn auch „ganz selten“, antwortet die Pressestelle auf Anfrage.

Auch der Waschmaschinenhersteller Miele lässt Gefangene in der Außenstelle Pavenstädt in Gütersloh, die offiziell zur JVA Bielefeld-Senne gehört, kleinere Baugruppen montieren. Bei der Vergabe der Aufträge stehe die Resozialisierung an erster Stelle, teilt die Firma auf Anfrage mit. Das Geschäft mit den Knästen sei aber auch ein „wirtschaftlich guter Kompromiss“. Weil das Gefängnis näher sei als eine Fertigungshalle im Ausland, sei der Logistikaufwand geringer. „Bei den reinen Auftragskonditionen wie Stückpreis oder Stundensatz liegen die JVA’en typischerweise zwischen regulären heimischen Zulieferunternehmen und solchen aus Niedriglohnländern“, schreibt Miele auf Anfrage. Von mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz habe der Konzern 2020 Aufträge im Wert von unter 150.000 Euro an die Gefängnisse erteilt.

Gefängnisarbeit „Made in Germany“

Möglicherweise gibt es einen Preiswettbewerb unter den deutschen Gefängnissen, wie aus einer Anfrage an die Firma Bruder Spielwaren hervorgeht. „Die Angebotspreise der JVAs sind nicht einheitlich, sondern unterscheiden sich in ihrer Höhe teilweise beträchtlich“, lässt die Geschäftsführung mitteilen. Und weiter: Ob diese Angebotspreise „den JVAs mehr Spielraum für eine bessere Entlohnung der Häftlinge lässt, wissen wir nicht“.

Das Unternehmen aus dem bayerischen Fürth-Burgfarrnbach lässt nach eigenen Angaben seit Jahrzehnten in deutschen Gefängnissen unter dem Label „Made in Germany“ einzelne Montageschritte in Handarbeit ausführen. Neu im Sortiment von Bruder ist unter anderem das Modell einer Polizeistation mit Gefängniszelle im Maßstab 1 zu 16.

Dass eine Spielzeugfirma ausschließlich in Deutschland oder der EU und nicht zum Beispiel in China produziere, sei in der Branche mit ihrem hohen Wettbewerbsdruck selten – und ein Verkaufsargument, teilt das Unternehmen mit. Zusätzlich hingen an der Produktion hierzulande weitere Arbeitsplätze im Stammwerk, schreibt die Geschäftsführung. An einer Verlagerung der Produktion ins Ausland habe sie daher kein Interesse. „Im Falle einer wesentlichen Kostensteigerung und einer damit einhergehenden Erhöhung der JVA-Angebotspreise“ bliebe ihr jedoch nichts anderes übrig.

Deutsche Unternehmen lassen in ausländischen Gefängnissen produzieren

Deutsche Konzerne beschäftigen aber auch in anderen Ländern Gefangene. Zum Beispiel in Spanien. Die Gewerkschaften dort sprechen von „sklavenähnlichen Bedingungen“ in den Betrieben hinter Gittern.

Immerhin ist die Gefängnisverwaltung in Spanien etwas transparenter als in Deutschland. Zumindest was die Namen der Firmen betrifft, für die die Häftlinge in den Gefängnissen des Landes produzieren. Nach einer IFG-Anfrage durch CORRECTIV arbeiten in spanischen Gefängnissen durchschnittlich 2.700 Gefangene pro Jahr für rund hundert private Unternehmen, und das mindestens seit dem Jahr 2010. In mehr als 50 spanischen Gefängnissen führen die Insassen alle möglichen Dienstleistungen aus: von der Herstellung von Kleidungsstücken über Süßigkeitenverpackungen bis hin zum Schälen von Knoblauch oder der Herstellung von Kleiderbügeln.

Das letztendliche Ziel dieser bezahlten Arbeit besteht darin, die zukünftige Wiedereingliederung von gefangenen Menschen nach Verbüßung ihrer Haftstrafe zu ermöglichen. So steht es in dem Gesetz, das die Beschäftigung dieser Gruppe regelt. Das Arbeitsverhältnis der Häftlinge, die einer bezahlten Tätigkeit im Gefängnis nachgehen, gilt als „besonderer Natur“ und unterliegt einer eigenen Gesetzgebung. Dies bedeutet nicht, dass Häftlinge keine Rechte haben. Aber die Arbeitsbedingungen sind nicht gerade transparent.

„Der Zugang zu Informationen über die Betriebe, die Häftlinge beschäftigen, ist schwer zu bekommen, sie sind nicht öffentlich. Ebenso wenig die Arbeitsbedingungen, unter denen die Arbeit durchgeführt wird. Es fehlt an Transparenz, obwohl es aus öffentlichen Mitteln finanziert wird“ sagt Silvia Fernández, Generalsekretärin der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO) in Strafvollzugsanstalten.

Auch dort kein Mindestlohn

Genau wie in Deutschland arbeiten die Insassen nicht für die Unternehmen, sondern für eine staatliche Institution, der Trabajo Penitenciario y Formación para el Empleo (Arbeit im Strafvollzug und Ausbildung für die Beschäftigung, TPFE). Diese Institution schließt Kooperationsverträge mit den Unternehmen ab, die die Arbeit den Firmen in Rechnung stellt. Diese Vereinbarungen sind nicht öffentlich.

Die TPFE ist nicht verpflichtet, den Mindestlohn zu bezahlen, er sollte nur als Orientierung gelten. Die Löhne der Gefangenen können laut der Regelung „nach erbrachtem Produkt oder erbrachter Dienstleistung, nach Zeit oder nach jedem anderen System berechnet werden“.

„Es ist ein klarer Fall von Sozialdumping“, schreibt die Gewerkschaft Comisiones Obreras in einem Bericht aus dem Jahr 2016 über die Arbeit von Insassen. CCOO wirft der Strafvollzugsverwaltung vor, „Arbeitskräfte unter fast sklavenähnlichen Bedingungen“ bereitzustellen.

Knorr-Bremse: 300 Insassen in Spanien

Nach Angaben der TPFE gegenüber CORRECTIV beschäftigt die deutsche Firma Knorr-Bremse zurzeit insgesamt 282 Häftlinge in drei Gefängnissen in Toledo und Madrid. Die Beziehung dauert trotzdem schon viel länger: Seit dem Jahr 2010 arbeiten Insassen in Spanien für Knorr-Bremse.

Auf Fragen von CORRECTIV erklärt TPFE, dass sich die Insassen in diesen drei Werkstätten mit der „Montage von Komponenten und Baugruppen von Klimaanlagen im Bahnbereich“ befassen und im Durchschnitt rund 700 Euro monatlich für ihre Arbeit bekommen. In allen Fällen, stellt TPFE schriftlich klar, arbeiten die Gefangenen „weniger als 168 Stunden pro Monat“.

„Wir sind davon überzeugt, dass dieses Kooperationsmodell den sozialen Nutzen für Häftlinge sowie deren Umschulung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft mit der Möglichkeit verbindet, höher qualifizierte Ressourcen zu wettbewerbsfähigen Kosten in Westeuropa zu halten“, erklärt eine Sprecherin von Knorr-Bremse gegenüber CORRECTIV schriftlich. Das Unternehmen, das nach eigenen Angaben mehr als 550 Mitarbeiter in Spanien hat, erläutert, dass der Wettbewerb dafür sorge, Arbeit in Länder mit niedrigen Löhnen „wie China oder Indien“ zu verlagern. Jedoch habe es man vorgezogen, die „niedrige qualifizierte und sich wiederholende Montagetätigkeiten, für die die Insassen ausgebildet sind“, in Spanien zu erhalten. Auf diese Weise sei es Knorr-Bremse und seinen Tochtergesellschaften gelungen, aus dem Gefängnis heraus „höher qualifizierte und flexible Arbeitskräfte in Spanien für Kundenbetreuung, Entwicklung, Prototypenbau, Produktionsüberwachung usw. zu halten und sogar aufzubauen“.

Die Firma Dr. Franz Schneider nutzt auch die Dienstleistungen der Insassen des Picassent-Gefängnisses in der Nähe von Valencia. Von ihrem Hauptsitz in Deutschland aus wollte die Firma die Fragen von CORRECTIV dazu nicht beantworten. Das Unternehmen widmet sich der Montage von Klimaanlagen für Fahrzeuge, teilweise von Luxusmarken. Derzeit und aufgrund der durch COVID-19 geschaffenen Situation, stellt TPFE klar, dass Insassen etwa sechs Stunden am Tag arbeiten. Die TPFE gibt nicht an, wie viele sie sind oder wie viel sie für ihre Aufgabe verdienen.

Lohneinsparungen wären nicht die einzigen Kosten, die diese Firmen nutzen würden. Laut der Gewerkschaft CCOO stellt die Strafvollzugsverwaltung nicht nur ihre Einrichtungen den Unternehmen zur Verfügung, sondern übernimmt auch laufende Ausgaben wie Strom oder Wasser. „Dies ist die Realität von Unternehmen (...), weit entfernt von den verfassungsrechtlichen Zielen der Wiedereingliederung, mit dem klaren Ziel, den maximalen Kapitalgewinn unter den günstigsten Produktionsbedingungen zu erzielen“, schloss die Gewerkschaft ihren Bericht von 2016.

Wir bleiben dran

Wir bleiben weiter dran und haben mithilfe der Plattform FragdenStaat die Justizministerien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf Herausgabe der angefragten Informationen verklagt. Hier müssen nun die Verwaltungsgerichte in Mainz und Stuttgart entscheiden, ob sie die Nennung der Firmen verweigern dürfen. Mit einer Entscheidung ist frühestens in einigen Monaten zu rechnen.

Dieser Text wird in Zusammenarbeit mit El Confidencial in Spanien veröffentlicht.