Debatte um AfD-Verbot

Koalitionsvorschlag: Politiker verhindern statt die Partei zu verbieten

Die Bundesregierung plant eine fünfjährige Politiksperre für Volksverhetzer. Wer gegen Teile der Bevölkerung hetzt und deshalb mehrfach verurteilt wurde, soll das passive Wahlrecht zeitweise verlieren. Kann das funktionieren?

von Marie Bröckling

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Statt die gesamte AfD zu verbieten, könnte man einzelnen Politikern das passive Wahlrecht zeitweise entziehen. In Diskussionen geht es dabei immer wieder um den Rechtsextremisten Björn Höcke. Collage: Ivo Mayr/CORRECTIV

Die Hürden für ein AfD-Verbot sind hoch, das Verfahren würde Jahre dauern und darauf konnte sich die Bundesregierung bisher nicht einigen.

Was die Bundesregierung im Koalitionsvertrag hingegen vereinbart hat: Gezielt gegen einzelne extremistische Politiker vorzugehen. Das Politikverbot verspricht, schneller und effizienter als ein Parteiverbot zu sein, aber die Wirkung ist fraglich.

Fünf Jahre Politikverbot wegen Volksverhetzung

Die Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD plant, Personen, die mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt wurden, von der Kandidatur für Parlamente auszuschließen – im Gespräch ist eine Sperre von fünf Jahren.

Wir sind der Meinung, dass eine Person, die mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, keine öffentlichen Ämter bekleiden und keine Rechte aus öffentlichen Wahlen erlangen sollte“, heißt es aus der SPD-Fraktion im Bundestag.

Konkret bedeutet das: Ein Politiker, der zum dritten Mal beispielsweise wegen rassistischer oder antisemitischer Parolen verurteilt wird, dürfte im Jahr 2029 nicht für den Bundestag kandidieren, im Jahr 2033 jedoch wieder.

Was ist Volksverhetzung?

Volksverhetzung zählt zur sogenannten Hasskriminalität. Hier werden bereits Worte unter Strafe gestellt. Ziel ist es, zu verhindern, dass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gehetzt wird und so ein Klima entsteht, wo es zu tätlichen Angriffen kommen könnte.

Zu Volksverhetzung zählt das Beschimpfen und der Aufruf zu Gewalt gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, beispielsweise gegen Behinderte, Juden, Palästinenser, Migranten oder Sinti und Roma.

Die meisten Ermittlungen wegen Volksverhetzung gibt es im Bereich politisch motivierter Kriminalität von rechts, zuletzt rund 70 Prozent aller Fälle.

Beispiele:

Politikverbot als Alternative zum Parteiverbot

Die Regierung möchte damit offenbar unter anderem gegen rechtsextreme Abgeordnete aus der AfD vorgehen. Anlass für den Vorstoß war laut SPD-Fraktion im Bundestag eine zunehmende Zahl derartiger Verstöße, insbesondere aus dem rechtsextremen Lager.“

Wer gegen Teile der Bevölkerung hetzt, der sei nicht geeignet, ein öffentliches Amt zu bekleiden, so die Begründung.

Das temporäre Politikverbot ist der kleinste gemeinsame Nenner zwischen SPD und Union. Die SPD hält ein AfD-Verbotsverfahren weiterhin für möglich, während die Unions-Spitze dies bisher ablehnt.

So würde das Politikverbot funktionieren

Gerichte könnten bei wiederholter Volksverhetzung das Wahlrecht zeitweise entziehen.

„Unseren unabhängigen Gerichten diese Option zu geben, halte ich auch im Sinne unseres Rechtsstaates und seiner Staatsräson für richtig“, sagt Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Union.

„Wenn es etwa um antisemitische Volksverhetzung geht, kann es sehr gute Gründe dafür geben, dass ein Richter dafür sorgt, dass solche Täter eine Zeit lang kein Mandat mehr als Volksvertreter ausüben können.“

Foto: Britta Pedersen/picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Günter Krings (rechts im Bild) ist rechtspolitischer Sprecher der Union. Er unterstützt die Gesetzesinitiative für ein temporäres Politikverbot. Foto: Britta Pedersen/picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Björn Höcke wäre davon nicht betroffen

Kritiker behaupten, dass das Gesetzesvorhaben auf Björn Höcke zielen würde und verschmähen es als „Lex Höcke“. Gegen den rechtsextremen AfD-Abgeordneten wurde mehrfach – in den Jahren 2015, 2017, 2020 und 2022 – wegen Volksverhetzung ermittelt. Das letzte Verfahren läuft noch.

Tatsächlich wurde Höcke noch nie wegen Volksverhetzung verurteilt – es würde ihn also gerade nicht betreffen.

Foto: Julian Stratenschulte/picture alliance/dpa
Gegen Björn Höcke (AfD) wurde mehrfach wegen Volksverhetzung ermittelt, aber er wurde nie defür verurteilt. Foto: Julian Stratenschulte/picture alliance/dpa

Wie viele Abgeordnete potenziell von der Politiksperre betroffen wären, ist nicht bekannt. Aus der SPD-Fraktion im Bundestag heißt es, dass „eine nicht geringe Anzahl von Abgeordneten des Deutschen Bundestags und der Landtage“ wegen Volksverhetzung verurteilt wurden. Gegen sie könnte diese Regelung verwendet werden.

Wenige wegen Volksverhetzung verurteilte AfD-Politiker

Die wegen Volksverhetzung verurteilten AfD-Politiker stammen meistens aus den hinteren Reihen oder haben die Partei inzwischen verlassen. Dazu gehören:

  • Leyla Bilge
    Leyla Bilge wurde im April wegen Volksverhetzung verurteilt, weil sie queere Menschen in ihrer Rede auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg unter anderem als „Satansbrut“ beleidigt hatte. Es ist ihre erste Verurteilung wegen Volksverhetzung, wie das Amtsgericht Magdeburg bestätigt.
  • Andreas Harlaß
    Andreas Harlaß, Pressesprecher der AfD Sachsen und Beisitzer im AfD-Landesvorstand Sachsen wurde 2023 wegen ausländerfeindlicher Aussagen der Volksverhetzung schuldig gesprochen. Es ist seine erste Verurteilung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig
  • Peter Junker
    Peter Junker, stellvertretender Vorsitzender des AfD-Kreisverband Erding, hat queere Menschen in seiner Rede auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg unter anderem als „Kinderficker“ diffamiert. Dafür wurde er der Volksverhetzung schuldig gesprochen.
  • Marie-Thérèse Kaiser
    Marie-Thérèse Kaiser arbeitet für Parteichefin Alice Weidel und sitzt für die AfD im Kreistag Rotenburg. Kaiser hatte 2021 auf Facebook gegen afghanische Ortskräfte der Bundeswehr gehetzt und wurde dafür der Volksverhetzung schuldig gesprochen.
    Kaiser wiederholte die Aussage, für die sie bereits verurteilt wurde, im Januar 2025 auf einer Wahlkampfveranstaltung laut taz  sinngemäß. Sollte Kaiser erneut wegen Volksverhetzung verurteilt werden, könnte die geplante Politiksperre einen Knick in der politischen Karriere der 28-Jährigen bedeuten.
    Marie-Thérèse Kaiser kritisiert die geplante Regelung auf Anfrage gegenüber CORRECTIV: „Auch bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung lehne ich den Entzug des passiven Wahlrechts ab.“

Bei dem AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Halemba ist eine Verurteilung wegen Volksverhetzung inzwischen fraglich. Gegen Halemba wurde eine Anklage wegen Volksverhetzung erhoben, weil das Lied einer Rechtsrock-Band bei seiner Geburtsparty abgespielt worden sein soll. Das Landgericht Würzburg bezweifelt offenbar, ob die Anklage zulässig ist. Das Verfahren läuft noch.

Skepsis von Strafrechtlerinnen

Juristen warnen, dass Volksverhetzung extrem unterschiedlich ausgelegt wird. Die Strafrechtsprofessorin Charlotte Schmitt-Leonardy von der Universität Bielefeld sieht die Politiksperre auf dieser Grundlage skeptisch.

„Volksverhetzung ist ein Tatbestand mit vielen, teils kontrovers diskutierten Voraussetzungen. Hier entscheiden Gerichte ohnehin entlang umstrittener Grenzen der Meinungsfreiheit und uneinheitlicher Rechtsprechungslinien“, sagt Schmitt-Leonardy gegenüber CORRECTIV.

An solche Entscheidungen nun einen automatischen Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung zu knüpfen, ist aus meiner Sicht strategisch unklug.“

Der Fall des Grünen-Stadtrats Bernd Schreyer zeigt die unterschiedlichen Auslegungen. Schreyer wurde wegen Holocaust-Verharmlosung verurteilt, obwohl ihm keine antisemitischen Ressentiments unterstellt wurden. Zugleich wurden Ausrufe wie „Judenpack“ nicht als Volksverhetzung gewertet.

Bisher kein Politikverbot bei Volksverhetzung möglich

Grundsätzlich darf sich in Deutschland jeder, der über 18 und Deutsch ist, zur Wahl aufstellen. Doch es gibt ein paar Ausnahmen von diesem Grundrecht.

Wer wegen einer schweren Straftat für mindestens ein Jahr ins Gefängnis muss, der darf fünf Jahre nicht gewählt werden. Die Politiksperre tritt automatisch ein. Dazu gehört beispielsweise Raub oder Mord.

Bei einigen anderen Straftaten ist die Politiksperre optional, es liegt im Ermessen der Richterin oder des Richters darüber zu entscheiden. Volksverhetzung gehört jedoch nicht dazu.

Bisher gilt also: Wer wegen Volksverhetzung verurteilt wird, darf weiterhin als Abgeordneter ins Parlament.

Anstoß aus Hamburg

Die Idee zum Politikverbot gibt es schon länger, zuletzt gab es einen Vorstoß aus Hamburg, dort liegt laut NDR eine vorbereitete Bundesrats-Initiative fertig in der Schublade.

Ich finde es unerträglich, wenn sich Extremisten zur Wahl für demokratische Ämter aufstellen lassen, obwohl sie die Werte, die sie in ihrem Amt verteidigen sollen, mehrfach in strafbarer Weise angegriffen haben“, sagt Hamburgs Innensenator Andy Grote gegenüber dem NDR.

Entscheidend sei die mehrfache Verurteilung wegen Volksverhetzung, nicht die politische Einstellung einer Person, betont die Pressesprecherin der zuständigen Behörde in Hamburg.

Volksverhetzung vor allem von rechts

Jährlich werden über 1000 Menschen wegen Volksverhetzung verurteilt, über 80 Prozent sind Männer. Die meisten Ermittlungen gibt es im Bereich politisch motivierte Kriminalität rechts, zuletzt rund 70 Prozent aller Fälle. Wie oft Personen mehrfach verurteilt werden, ist nicht bekannt.

Die Strafrechtsprofessorin Schmitt-Leonardy sagt, es ließe sich nicht feststellen, ob die steigenden Zahlen tatsächlich mit steigenden Straftaten oder mit steigender Verfolgung zusammenhängen.

„Man kann nur hoffen, dass dies ein Indiz dafür ist, dass der Staat ‚auf dem rechten Auge‘ nicht mehr blind ist.“

Redigat und Faktencheck: Finn Schöneck
Bild: Ivo Mayr

 

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