Das demokratische Dilemma gegen die AfD-Übermacht auf TikTok
Die Plattform TikTok fördert extremen Populismus. Unser Gastautor Markus Beckedahl fordert eine konsequente Durchsetzung der Gesetze im Umgang mit TikTok – statt cringer Beiträge. Ein Denkanstoß.
Markus Beckedahl ist Pionier für digitale Öffentlichkeit. Er hat das Magazin netzpolitik.org gegründet und ist kuratorischer Leiter der re:publica, der größten Konferenz für digitale Gesellschaft.
Die Internetstrategie der AfD basierte von Anfang an auf dem Konzept der Gegenöffentlichkeit. Die Vernetzung über soziale Medien hat den Vorteil, dass kein journalistischer Filter dazwischen steht.
Rechtspopulisten haben auf Plattformen wie Tiktok oder X natürlich einige strategische Vorteile: Polarisierende Inhalte und einfaches Dagegen-sein erzeugen mehr Aufmerksamkeit, mehr Emotionen und wenn man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen muss, ist man schon fast auf der Gewinnerseite. Zumindest auf der algorithmischen Überholspur, wenn ein weiterer Faktor hinzu kommt:
Ein hochmotiviertes und aufgeputschtes Fußvolk voller Glaubenskrieger, die darauf trainiert sind, alles zu liken und zu teilen. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass viele von ihnen mehrere Accounts haben, um sich als Scheinriesen größer zu machen, als sie tatsächlich sind. Die Strategie ist sehr erfolgreich, weil man sich nicht an Regeln hält.
Man unterschreibt zwar Selbstverpflichtungen, dass man im Wahlkampf keine unlauteren Praktiken anwenden wird. Aber wie das so ist mit Selbstverpflichtungen: Wenn es um den persönlichen Vorteil geht und es keine Konsequenzen gibt, ist das nur Schall und Rauch.
In unserer neuen Kategorie Denkanstoß sammeln wir kluge Ideen, zu Themen, die wir als Gesellschaft bewältigen müssen. In loser Folge kuratieren wir hier Gast-Beiträge.
Hinzu kommt: Die AfD sitzt in allen Parlamenten und hat Personal, das von unseren Steuergeldern finanziert wird. Im Gegensatz zu anderen Fraktionen wird dieses Personal eher nicht für parlamentarische Sacharbeit eingesetzt, sondern für Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung in den sozialen Medien. Da es auf Leistung nicht ankommt und Worte überhaupt nicht auf die Goldwaage gelegt werden müssen, hat man eine sprudelnde Quelle für neue Inhalte.
Reden im Parlament werden vor allem geschrieben und inszeniert, damit sie gefilmt und in den sozialen Medien gepostet werden können. Wenn nun andere Parteien diese Strategie kopieren wollen, sollten sie sich darüber im Klaren sein, dass dies die Debattenkultur in den Parlamenten verändern wird. Man debattiert nicht mehr miteinander, sondern für den TikTok-Algorithmus. Schöne neue Welt.
Wenn in den vergangenen Wochen und Monaten AfD-Kandidierende in den TikTok-Statistiken abgestürzt sind, ist das nicht unbedingt ein Grund zur Freude. Denn es ist davon auszugehen, dass TikTok im Hintergrund diese Accounts künstlich verlangsamt hat. Es dürfte Teil der Geschäftsstrategie sein, das eigene mediale Image verbessern zu wollen, während in den USA über ein TikTok-Verbot nachgedacht wird und die EU-Kommission mit der Durchsetzung des Digital Services Act begonnen hat.
Dass TikTok hinter den Kulissen im Rahmen einer Geschäftsstrategie bestimmte Inhalte auf Irrwege lenkt, damit sie weniger Aufmerksamkeit bekommen, ist seit Jahren bekannt. Recherchen von netzpolitik.org deckten 2020 auf, dass Menschen mit körperlichen Behinderungen von der Plattform diskriminiert wurden, weil sie nach Ansicht des Unternehmens nicht in die schöne bunte Wohlfühl-Glitzerwelt passten.
Diese Mechanismen können schnell gegen andere eingesetzt werden und die Intransparenz des Geschäftsgebarens und die Möglichkeiten der Informationskontrolle sind in einer demokratischen Öffentlichkeit nicht akzeptabel. Vor allem scheint die Drosselung nur ein Pyrrhussieg zu sein. Über parallele Infrastrukturen auf Telegram wird das gemeinsame Hochladen und Reposten von Videos über andere Accounts aus dem AfD-Universum koordiniert. Auch das ist eine beliebte und häufig erfolgreiche Strategie, um das sogenannte Shadowbanning zu umgehen.
Was kann man tun?
Es gibt viele strategische Dilemmas bei der Frage, wie man die AfD auf Plattformen wie TikTok bekämpft.
Wobei das vielleicht sogar die falsche Frage ist: Mit jedem geposteten Video stärkt man eine Plattform wie TikTok, die zwar enorm populär ist und rasant wächst. Die aber durch ihre Mechanismen auch viele gesellschaftliche Nebenwirkungen entfacht. Und dabei intransparenter arbeitet, als es der Meta-Konzern von Mark Zuckerberg je geschafft hat.
Und auch wenn das Erstarken der AfD bei jungen Wählenden alarmierend ist: Es ist nicht überdurchschnittlich größer als in anderen Altersgruppen, die nicht so aktiv bei TikTok sind. Wahrscheinlich wird der TikTok-Faktor überschätzt und die oft berechtigten Sorgen von jungen Menschen angesichts vieler Krisen, Abstiegsängsten, mangelnden Investitionen in das Gemeinwohl und Wohnungsmarktnöten unterschätzt. Hier müsste man politisch ansetzen und Angebote schaffen.
Wenn man aber doch aktiver bei TikTok sein möchte, sollte man folgendes beachten: Das eigene Parteivolk könnte online noch aktiver sein, auch alles liken und sich als Scheinriese gebären. Aber oft arbeiten die Aktiven vor Ort konstruktiv an der Stärkung unseres Gemeinwohls. Für unkonstruktive Online-Kämpfe fehlt dann die Zeit.
Erfolgreiche Propaganda-Strategien der neuen Rechten setzen auf Meme-Kulturen. Verkürzte Aussagen mit emotionalen Botschaften und passender Verpackung bieten seit zehn Jahren den Nährboden für die Kommunikation und Vernetzung.
Wenn Politikerinnen und Politiker jetzt auch mehr aktiv sein wollen, müssen sie lernen, authentischer und kreativer zu kommunizieren, als es viele können. Gerade im Hinblick auf Meme-Kommunikation ist es oft ein schmaler Grad zwischen Cringe und Authentizität – und eine große Herausforderung, komplexe Zusammenhänge so zu verkürzen, dass die Botschaften und die Inhalte stimmen.
Politikerinnen und Politiker sollten sich davor hüten, in Zukunft nur noch Reden für einen Algorithmus mit eingebauter Pointe am Anfang zu halten. Das mag kurzfristig zu Erfolgen führen. Langfristig könnte das unsere Debattenkultur zum Negativen verändern.
Vor allem müssen die neuen und alten Regeln zur Plattformregulierung durch den Digital Services Act, den Digital Markets Act und die Datenschutzgrundverordnung gegenüber den großen Plattformen wie TikTok, X, Telegram, Youtube und Co besser, schneller und konsequent durchgesetzt werden. Damit das Spielfeld nicht mehr so einfach unfaire Kommunikationspraktiken belohnt.
Hier braucht es personell besser ausgestattete Regulierungsbehörden.
Gerade die dafür zuständigen Regulierungsbehörden sind noch nicht ausreichend ausgestattet. Die großen Plattformen werden vor allem durch die EU-Kommission reguliert, die dafür schon Personal aufbaut. Hier gibt es aber noch gut Luft nach oben. Auf nationaler Ebene ist die Bundesnetzagentur zuständig. Die ist mit etwas mehr als zwei Dutzend Personen für die Plattformregulierung gestartet, was nicht ausreicht.
Das in den USA diskutierte TikTok-Verbot wäre übrigens auch bei uns möglich. Der Digital Services Act sieht als Ultima Ratio ein solches Verbot bei zwei Möglichkeiten vor:
- Im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von China auf Taiwan in Verbindung mit der Zunahme von dokumentierter Desinformation könnte die EU TikTok verbieten, wie der Präzedenzfall Russia Today schon gezeigt hat.
- Sollte sich TikTok allen Regulierungsversuchen der EU-Kommission entziehen und Auflagen sowie mögliche Geldstrafen missachten, würde am Ende des längeren Verwaltungsweges ein Verbot stehen. Hier sprechen wir aber eher von einigen Jahren, da der Rechtsweg immer mitbedacht werden müsste.
Die Umsetzung des Verbotes wäre eine Kombination aus Netzsperren und dem Verbot des Anbietens der App in den App-Marktplätzen.
Wir brauchen noch mehr politischen Durchsetzungswillen und vor allem Antworten auf viele Punkte, die Menschen für Populismus empfänglich machen. Und hier liegen mit die Ursachen für die Desinformationskrise: Wenn das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Institutionen und Demokratie erodiert, weil sie das Gefühl bekommen, dass zu wenig bei ihnen ankommt, dann brauchen wir dafür bessere Antworten als nur eine bessere Kommunikationsstrategie.