Denkanstoß

Wie Telegram im Hintergrund mit wem dealt, bleibt bisher im Dunklen

Der Telegram-Gründer Pawel Durow wurde in Frankreich festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, nicht ausreichend mit den dortigen Behörden zu kooperieren. Worum geht es?

von Markus Beckedahl

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Markus Beckedahl ist Pionier für digitale Öffentlichkeit. Er hat das Magazin netzpolitik.org gegründet und ist kuratorischer Leiter der re:publica, der größten Konferenz für digitale Gesellschaft.

Telegram ist eine der bedeutendsten Kommunikationsinfrastrukturen der digitalen Welt. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen viele hundert Millionen Nutzende weltweit, Schätzungen reichen von 500 bis 900 Millionen. Damit liegt die Plattform bei den Messengern hinter Whatsapp auf dem internationalen Platz 2. Aber Telegram ist nicht nur ein Messenger, die Plattform kombiniert Elemente von sozialen Netzwerken. So sind neben klassischer 1:1 Messengerkommunikation sowie Gruppen beliebiger Größe auch Distributionsmöglichkeiten eingebaut, die Telegram zu einem 1:Many – Senderdistributionskanal machen.

Betrieben wird Telegram von Gründer Pawel Durow. Dieser gründete früher mit vk.com das russische Facebook-Pendant. Der Legende nach musste er die Plattform wegen eines Disputes mit Putin verkaufen, ging ins Ausland, gründete Telegram und baute die Plattform auf. Der offizielle Firmensitz aktuell ist Dubai. Neben Steuervorteilen lockt der Staat auch mit nicht gerade motivierter Kooperation bei der rechtsstaatlichen Durchsetzung.

Mit anderen Worten: Telegram entzieht sich dem Zugriff von Behörden weltweit und verkauft das als Alleinstellungsmerkmal. Das kann Vorteile haben, wenn sich Oppositionelle in repressiven Staaten darüber vernetzen und diese Kanäle für Gegenöffentlichkeit nutzen. Das bedeutet aber auch, dass Kriminelle, Terroristen und Nazis die Plattform für ihre Zwecke ebenfalls nutzen und sich dort sicher fühlen können.

Die Kooperationen mit Behörden unterschiedlicher Staaten geschieht sehr intransparent und wie genau im Hintergrund mit wem gedealt wird, entzieht sich den Augen der Öffentlichkeit. Und das ist ein Problem.

Deutsche Behörden versuchten, über Brieffreundschaften auf dem Verwaltungsweg Kontakt aufzunehmen. Das klappte meistens nicht so gut. Einzelne erfolgreiche Kooperationen, wie beim Blocken des Kanals des durchgeknallten Verschwörungsideologen Attila Hildmann waren die Ausnahme.

Telegram verkauft seine Plattform als sichere Kommunikationsinfrastruktur. Unter Experten ist das sehr umstritten. Verschlüsselung ist nicht primär eingebaut, sondern muss zugeschaltet werden. Dabei ist es auch umstritten, ob die Verschlüsselung hält, was sie verspricht oder relativ einfach auch gebrochen werden kann – wenn man, wie staatliche Dienste, über entsprechende Ressourcen verfügt.

Daten werden auf Servern gespeichert, was ein Problem darstellt, gerade wenn unverschlüsselt in der Standardeinstellung kommuniziert wird. Soziale Medien verarbeiten auch viele sensible Daten, wie die Informationen, wer mit wem kommuniziert und vor allem, von wo aus (in der Regel) das Smartphone sendet. Diese Daten wecken im Rahmen von Maßnahmen wieder umstrittene Vorratsdatenspeicherung Begehrlichkeiten. Telegram selbst ist in der Lage, von hunderten Millionen Nutzer:innen sehr detaillierte Informationen verarbeiten zu können, wer sich wofür interessiert und mit wem in Verbindung steht.

Das ist übrigens nicht anders als bei Whatsapp und Co, die als US-Unternehmen unter Kontrolle der NSA stehen und diesen Zugriff auf diese Daten geben müssen. Aber können wir Telegram und Durow vertrauen, dass diese die Daten ihrer Nutzer:innen sicher verwahren und vertrauensvoll damit umgehen? Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

In unserer neuen Kategorie Denkanstoß sammeln wir kluge Ideen, zu Themen, die wir als Gesellschaft bewältigen müssen. In loser Folge kuratieren wir hier Gast-Beiträge.

Ich halte Pawel Durow für vergleichbar vertrauenswürdig wie Elon Musk. Beide vereint, dass es sich hier um sehr reiche Personen handelt, die alleine eine globale und relevante Kommunikationsinfrastruktur kontrollieren, die nach ihren Werten funktioniert. Dabei wird intransparent agiert und im Zweifelsfall dürften eigene Geschäftsinteressen oder persönliche politische Einstellungen Entscheidungen über die Verwaltung der Plattform massiv beeinflussen.

Das ist auch aus demokratischer und rechtsstaatlicher Perspektive nicht akzeptabel. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, wenn uns ein Multi-Millionär erzählt, dass unsere Daten schon sicher seien und mangelnde Investition in nachvollziehbare Content-Moderation als Freiheitsgewinn verkauft wird. Während diese Infrastrukturen von Feinden der Freiheit massiv genutzt werden, um unsere Freiheiten und unsere Grundrechte zu bekämpfen.

Es ist immer eine Frage, wie die Regulierung genau gemacht wird. Viele Überwachungsmaßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung lehne ich ab, weil sie die Grundrechte aller unverhältnismäßig beschneiden. Öffentliche Soziale Netzwerke müssen auch anders reguliert werden als klassische Messenger-Kommunikation. Telegram ist aber mehr ein soziales Netzwerk als ein 1:1 Kommunikationsweg.

Ich möchte aber auch nicht in einer Welt leben, wo einflussreiche Kommunikationsinfrastrukturen komplett ohne demokratische Kontrolle und Transparenz agieren und von dubiosen Personen und Unternehmen betrieben werden.

Eine bessere digitale Welt ist möglich. Dazu gehört, dass auch Plattformen wie Telegram endlich besser reguliert werden müssen und sich nicht weiter unseren demokratischen Kontrollmöglichkeiten entziehen dürfen.