Trumps Friedenspläne werden Putins Machthunger nicht stoppen
Der Krieg in der Ukraine war für die Amerikaner nicht das Hauptthema des US-Präsidentschaftswahlkampfs, aber der Sieg Trumps könnte sich radikal auf den Ausgang des Krieges auswirken.
Sergey Lukashevsky ist Leiter des Sacharow Zentrums. Er arbeitet in Berlin und ist Teil von CORRECTIV.Exile, der Redaktion für Exiljournalismus in Deutschland.
Joe Bidens Unentschlossenheit und Vorsicht wie auch die der europäischen Staats- und Regierungschefs haben es Putin ermöglicht, an der Front erhebliche Gewinne zu erzielen. Trump träumt davon, diesen Krieg zu beenden. Die erste Folge seines Sieges wird jedoch wahrscheinlich eine Eskalation des Konflikts sein, und der russische Diktator hat die Chance, seinen Vorteil zumindest weiter auszubauen.
Während Donald Trump bei McDonald’s Pommes frittierte oder in einem Müllwagen posierte und Kamala Harris andererseits versuchte, die Wähler mit ihrem Optimismus zu begeistern, wehrten sich die ukrainischen Streitkräfte verzweifelt gegen eine massive russische Offensive.
Im vergangenen Jahr haben die russischen Streitkräfte mehr als 1.000 Quadratkilometer ukrainischen Territoriums erobert. Davon über 400 im letzten Monat. Einerseits ist das etwas mehr als die Fläche von Berlin. Andererseits musste sich die Ukraine aus gut befestigten Stellungen entlang der Kontaktlinie zurückziehen, die nach den Minsker Vereinbarungen eingerichtet worden war. Die Ukraine hat „Festungen“ wie Avdiivka und Ugledar verloren.
In den letzten anderthalb Jahren haben die russischen Generäle gelernt, ihre Überlegenheit bei Ausrüstung und Personal zu nutzen. Die Söldnertruppe „Wagner“ wurde nach der Meuterei von Jewgeni Prigoschin aufgelöst. Gefangene, die in Prigoschins Armee die Mehrheit bildeten, wurden durch Russen ersetzt, die ganz gewöhnlich unter Vertrag genommen wurden. Aber die von „Wagner“ angewandte Praxis der „Fleischangriffe“ verbreitete sich in der gesamten russischen Armee. Ohne die Verluste zu zählen, treiben die Kommandeure einen Sturmtrupp nach dem anderen in den Angriff. Die ukrainische Armee, die unter ständigem Munitionsmangel leidet und nur über eine begrenzte militärische Ausrüstung verfügt, ist gezwungen, sich nach und nach zurückzuziehen.
Putin geht in die Phase der Zermürbungsstrategie
Die Schwierigkeiten der Ukraine werden dadurch verschärft, dass es Russland gelungen ist, die ukrainische Überlegenheit bei den Drohnen auszugleichen. Das nach NATO-Standards ausgebildete ukrainische Militär ist in der Lage, bei einer Offensive wesentlich erfolgreicher zu manövrieren, wie der Einmarsch in die Region Kursk im August 2024 einmal mehr gezeigt hat. Die Überlegenheit in Größe und Ressourcen ermöglicht es der russischen Armee jedoch, Vorstöße erfolgreich abzuwehren.
Der Krieg ist in eine lang andauernde Phase eingetreten. Man kann jedoch nicht von einem Stellungskrieg sprechen, zumindest nicht auf der gesamten Front. Es ist ein Krieg der Zermürbung. Und Putin ist dabei, ihn zu gewinnen. Trotz der Sanktionen und der hohen Verluste ist es Russland gelungen, die Ressourcen effizienter zu akkumulieren.
In unserer Kategorie Denkanstoß sammeln wir kluge Ideen und Analysen, zu Themen, die wir als Gesellschaft bewältigen müssen. In loser Folge kuratieren wir hier Gast-Beiträge.
Die russischen Truppen werden mittlerweile dank einer Rekturiterung über Verträge schneller mit neuen Soldaten aufgefüllt. Diese Soldaten haben keine Zeit, kriegsmüde zu werden, da die durchschnittliche Lebenszeit eines Vertragskämpfers an der Front zwischen einigen Tagen und zwei Monaten liegt. Ein solcher Kämpfer kostet den russischen Haushalt 8 bis 12 Millionen Rubel (80.000 bis 120.000 EUR), was dem Durchschnittsgehalt eines Russen für 20 Jahre entspricht. Dies erklärt, wie Putin es schafft, durchschnittlich 30.000 neue Soldaten pro Monat zu entsenden.
Ukraine fehlt es weiterhin an Luftabwehr
Die russische Armee verliert auf dem Schlachtfeld vielfach mehr an Militärtechnik als die Ukraine, und die Fähigkeiten ihres militärisch-industriellen Komplexes sind nicht mit denen der UdSSR vergleichbar. Allerdings hat Russland eine große Menge an Rüstungsgütern aufbewahrt, die in den letzten 80 Jahren produziert wurden. Alte Panzer und Militärfahrzeuge werden modernisiert und an die Front geschickt. Diese Ausrüstung ist den westlichen Modellen, die die Ukraine erhält, weit unterlegen, aber Quantität ist auch hier wichtiger als Qualität.
Darüber hinaus ist Russland bei der Luftwaffe nach wie vor haushoch überlegen. Das ukrainische Raketenabwehrsystem schränkt deren Einsatz ein, aber die Ukraine hat nicht genügend Systeme aus dem Westen erhalten, um ihre Städte und Infrastruktur vor den täglichen Angriffen zu schützen.
Die Unterstützung des Westens ist zweifellos entscheidend für die Fähigkeit der Ukraine, ihren Widerstand fortzusetzen. Dennoch ist der moralische Faktor von größter Bedeutung.
Trotz der Kriegsmüdigkeit und der täglichen Belastungen, die nicht nur die Soldaten an der Front, sondern auch Millionen von einfachen Menschen im Hinterland ertragen müssen, haben die Ukrainer den Willen zum Widerstand nicht verloren. Der Durchbruch in die Region Kursk, die zum international anerkannten Gebiet der Russischen Föderation gehört, verlieh der ukrainischen Gesellschaft kurzzeitig Mut. Doch nach einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit gelang es Russland, die ukrainische Offensive zu stoppen und die ukrainische Armee langsam zurückzudrängen. Gleichzeitig ließ der Druck auf den Rest der Front nicht nach.
Nach der Ernennung Trumps zum US-Präsidenten wird die Widerstandsfähigkeit der Ukraine auf eine neue Probe gestellt werden.
Donald Trump will sich als Friedensbringer inszenieren
Donald Trump ist so sehr an Gesprächen mit Putin interessiert, dass er ihn gleich am Tag nach seiner Wahl anrief. Mit den USA über das Schicksal der Ukraine zu verhandeln ist das, wovon der russische Präsident träumt. Bisher hatte das Weiße Haus eine solche Möglichkeit kategorisch abgelehnt.
Auf Friedensgespräche angesprochen, hat Putin stets gefordert, „die Situation vor Ort zu berücksichtigen“. Das bedeutet, dass die russische Armee alles dafür tun wird, die Offensive fortzusetzen.
Die wichtigsten Ereignisse der militärischen Konfrontation in den kommenden Wochen werden sich im Nordwesten der Region Donezk abspielen. Zurzeit rücken die russischen Truppen auf zwei ukrainische Städte vor – Kurachowo und Pokrowsk. Die erstgenannte Stadt liegt an einer Schnellstraße, die nach Südwesten in Richtung Saporoschje führt, einem bedeutenden Industriezentrum und der Hauptstadt der gleichnamigen Region, die Putin bereits an Russland „angeschlossen“ hat. Die Einnahme von Pokrowsk würde es der russischen Armee ermöglichen, die zweite Schnellstraße zu erreichen und ebenfalls nach Westen in Richtung Dnjepr zu ziehen, der viertgrößten Stadt der Ukraine nach Kiew, Charkiw und Odessa.
Am 14. November wurde bekannt, dass russische Truppen nach Kupjansk im Osten der Oblast Charkiw vorgedrungen waren. Die ukrainische Armee hatte die Kleinstadt bei einer Gegenoffensive im Herbst 2022 befreit. Wenn Kupjansk fällt, wird sich die Lage in Charkiw verschlechtern, und die russische Armee könnte sich nach Süden in Richtung Kramatorsk und Slawjansk wenden, dem letzten größeren Ballungsgebiet im Gebiet Donezk, das noch unter ukrainischer Kontrolle steht. Auch im Fall einer Einnahme von Pokrowsk dürfte sich der zweite Vorstoß der russischen Streitkräfte dorthin richten.
Angriffe auf Energieanlagen auf beiden Seiten
Von entscheidender politischer Bedeutung für Putin ist auch die Verdrängung der ukrainischen Truppen aus der Region Kursk. Gerüchten aus dem Kreml zufolge hat er den Befehl gegeben, die Region Kursk noch vor Trumps Amtsantritt zu befreien. Dort finden derzeit heftige Kämpfe statt. Die Ukraine hat für die Kursk-Operation die kampfstärksten Einheiten eingesetzt, die an der Donezk-Front hätten eingesetzt werden können. Russland jedoch hat es geschafft, eine 50.000 Mann starke Truppe mit Beteiligung nordkoreanischer Soldaten an dieser Front aufzustellen, ohne seine Offensive auf Kurachowo und Pokrowsk zu stoppen. Natürlich gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass im Falle eines Rückzugs der ukrainischen Truppen die Kämpfe in der ukrainischen Region Sumy aufhören.
Schließlich kann die russische Luftwaffe jederzeit ihre Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur wieder aufnehmen. In den letzten sechs Monaten haben ukrainische Drohnen gelernt, Hunderte von Kilometern tief in russisches Gebiet einzudringen. Angriffe auf Öltanks und Raffinerien haben sich als heikel für die russische Wirtschaft erwiesen. Vor dem Hintergrund von sich teils widersprechenden Informationen, wonach Russland und die Ukraine unter Vermittlung von Katar über ein Moratorium für Angriffe auf Energieanlagen verhandeln könnten, hat Russland zwei Monate lang keine Raketen auf die Ukraine abgefeuert. Allerdings setzte Russland am 11. November erneut Raketen ein, um Krivoy Rog und am 13. November Kiew anzugreifen. Die Ukraine antwortete mit einem Drohnenangriff auf eine Ölraffinerie bei Penza. Dennoch riskiert Moskau steigende Kraftstoffpreise, und das ukrainische Energiesystem ist in einem kritischen Zustand. In drei Monaten könnte Russland mehrere hundert Raketen anhäufen, mit denen es die ukrainischen Städte im kommenden Winter in Dunkelheit und Kälte tauchen kann.
Putin wird vor Trumps Ernennung auf massive Eroberung setzen
Die US-Administration unter Biden ist bestrebt, alle bisher zugewiesenen Mittel für die Militärhilfe an die Ukraine noch vor dem Ende seiner Amtszeit zu verwenden. Es könnte jedoch Monate dauern, bis die Ukraine die erhaltenen Waffen einsetzen kann. Außerdem wird sie angesichts der Unberechenbarkeit Donald Trumps bewusst mit den Mitteln haushalten müssen.
In den kommenden Wochen wird Russland versuchen, möglichst viel Territorium einzunehmen. In den vergangenen 12 Monaten war Russland auf dem Schlachtfeld in Bezug auf Truppen und Ausrüstung klar überlegen. Die westliche Hilfe für die Ukraine hat nicht ausgereicht, um die Fähigkeiten der beiden Seiten auszugleichen. Die ukrainischen Streitkräfte haben sich langsam zurückgezogen, behielten aber weiterhin die Möglichkeit, organisiert Gegenwehr zu leisten und Gegenangriffe zu starten. Die Motivation der Ukrainer spielte dabei eine große Rolle. Die Gesellschaft glaubte, dass sie ihre Unabhängigkeit verteidigen und die besetzten Gebiete zurückgewinnen könnte.
Ein Frieden nützt Putin; er könnte umso härter zurückschlagen
Es besteht kein Zweifel daran, dass Trump den Krieg beenden will. Aber nicht Putin. Jeder Schritt eines Entgegenkommens von seiner Seite könnte sich leicht als ein Manöver entpuppen, um Ressourcen zu horten und noch härter zuzuschlagen. Trumps „Plan“ zwingt die Ukrainer dazu, die Hoffnung auf einen Sieg oder zumindest auf eine feste Sicherheitsgarantie aufzugeben.
Verbunden mit der Drohung, die Militärhilfe einzustellen, könnte er dazu führen, dass die Ukraine das Vertrauen in sich selbst und ihre Verbündeten verliert. Ohne sie könnte sich die militärische Überlegenheit Russlands als unüberwindbar erweisen.
Redaktion: Justus von Daniels