Denkanstoß

Herkunftsangabe bei Berichten über Kriminalität: Mehr Verzerrung statt mehr Transparenz

Medien würden die Nationalität von Straftätern bewusst verschweigen – das ist eines der hartnäckigsten Gerüchte des Internets. Eine neue Auswertung beweist das Gegenteil. Die Nationalität wird fast nur genannt, wenn die Tatverdächtigen nicht deutsch waren. Das verzerrt unsere Wahrnehmung und führt immer mehr zum Bild der „kriminellen Ausländer“.

von Carsten Wolf

denkanstoss-carsten-wolf-spotlight

Manche lesen Polizeimeldungen wie Speisekarten: Erst wenn die Herkunft genannt wird, sind sie zufrieden. Es gehört nämlich zu den hartnäckigsten Lügen des Internets, dass die Medien die Nationalität von Straftätern zu oft „verschweigen“ würden. Neue Forschung zeigt: Das Gegenteil stimmt.

Herkunft fast nur bei ausländischen Tatverdächtigen genannt

Das Bild von Kriminalität in den Medien ist verzerrt – berichtet wird fast ausschließlich über ausländische Täter. Bei deutschen Tätern lassen Medien die Herkunft oft weg. Das zeigt eine neue Auswertung des Medienforschers Thomas Hestermann für den Mediendienst Integration. Ausländer kommen dreimal häufiger in Medienberichten über Gewaltkriminalität vor als in der tatsächlichen Kriminalstatistik.

Die Zahlen sind deutlich: In TV-Berichten werden zu 95 Prozent Ausländer erwähnt, wenn die Herkunft genannt wird. In Zeitungsberichten sind es zu 91 Prozent Ausländer. Zum Vergleich: In der aktuellen Kriminalstatistik sind etwa ein Drittel der Tatverdächtigen Ausländer (34 Prozent).

Dieses Phänomen zeigt sich besonders bei drastischen Verbrechen. So wurden bei Berichten über „Messerangriffe“ nahezu ausschließlich ausländische Tatverdächtige genannt, obwohl mindestens die Hälfte der Tatverdächtigen deutsch ist. Und manche Gruppen sind eher im Fokus der Medien: Menschen aus muslimischen Ländern machen 70 Prozent aller Tatverdächtigen in Medien aus – in der Kriminalstatistik sind es 15 Prozent.

Nationalität öfter Thema in Medien

Dazu kommt, dass Medien die Nationalität heute häufiger nennen als früher. Jeder dritte Zeitungsbericht nennt inzwischen die Herkunft (drei Prozent mehr als 2021), in TV-Berichten ist es jeder vierte (11 Prozent mehr als 2021). Insgesamt ist die Berichterstattung noch stärker verzerrt als vor ein paar Jahren.

Kaum ein Thema ist so geeignet, Vorurteile zu schüren, wie Kriminalität und Migration. Eigentlich verzichten Journalisten deshalb „in der Regel“ auf die Nennung der Nationalität, so der Deutsche Presserat, eine freiwillige Selbstkontroll-Instanz für Journalisten. Dort hieß es lange: Die Herkunft sollte nur bei schweren Straftaten genannt werden. Und nur wenn sie einen Erklärwert für die Straftat hat. Die Redaktionen müssen von Fall zu Fall sorgfältig abwägen, ob sie die Herkunft nennen.

Dass Journalisten die Nationalität nun häufiger nennen, ist eine indirekte Folge der Kölner Silvesternacht. Damals änderte der Presserat seine Empfehlungen – infolge der hundertfachen sexuellen Übergriffe durch Ausländer zu Silvester 2015. Seitdem genügt ein „besonderes öffentliches Interesse“, um die Herkunft zu nennen. Aber der Presserat weist auch darauf hin, dass „reine Neugier“ dafür nicht reicht. Und auch nicht, wenn die Polizei in ihren Pressemitteilungen die Nationalität nennt. 

Verzerrte Wahrnehmung verfestigt sich

Denn die Polizei ist mitverantwortlich, dass Medien die Nationalität wieder häufiger nennen. Die Polizeibehörden von NRW und Bayern haben dieses Jahr erklärt, sie wollten ab jetzt immer die Herkunft von Tatverdächtigen nennen – also bei Ausländern wie bei Deutschen, unabhängig davon, ob es etwas mit der Straftat zu tun hat. Der Presserat warnte vor diesem Vorgehen.

Man wolle „mehr Transparenz“ erreichen, sagten die Polizeivertreter. Die neuen Zahlen zeigen: Das Gegenteil ist der Fall. Unser Bild von Kriminalität wird so nur noch verzerrter. Denn Medien greifen die Infos zur Herkunft nur sehr selektiv auf. Und es entsteht immer mehr das Bild vom „kriminellen Ausländer“.