Wo Airbnb und Co Europas Tourismus umkrempeln
Urlaubsbuchungen über Online-Plattformen wachsen rasant – viel stärker als der klassische Tourismus. CORRECTIV.Europe zeigt erstmals mit lokalen Daten für Europa, wo besonders viele Gäste auf Einwohner treffen.

Das Wichtigste in Kürze
- In den letzten Jahren hat sich der Tourismus in Europa stark verändert.
- Immer mehr Menschen buchen Ferienwohnungen über Online-Plattformen, die oft weniger reguliert sind.
- Konventioneller Tourismus in Hotels wächst hingegen insgesamt kaum.
- Eine Auswertung von CORRECTIV.Europe zeigt, welche Orte am stärksten betroffen sind.
Unter strahlend blauem Himmel glitzert das Meer, weiß getünchte Häuser säumen den Hang: Das griechische Santorini lebt von seiner Schönheit, die Urlauber aus aller Welt anlockt. Doch genau das ist zu einem Problem geworden. Im Sommer schieben sich Massen von Gästen durch die engen Straßen, der Wasserkonsum auf der trockenen Insel hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt – und wer dort arbeitet, findet kaum noch bezahlbaren Wohnraum.
Nicht nur in Santorini boomt das Geschäft mit der Vermietung von Ferienwohnungen. Mehr als 854 Millionen solcher Übernachtungen wurden im vergangenen Jahr EU-weit über Online-Plattformen gebucht, ein Anstieg um 67 Prozent im Vergleich zu 2019. Ganz anders sieht es beim Urlaub in Hotels, bei kommerziellen Ferienwohnungsanbietern und auf Campingplätzen aus: Diese Übernachtungen liegen etwa auf demselben Niveau wie vor der Corona-Pandemie. Das zeigen Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat.
Eine Auswertung von CORRECTIV.Europe zeigt erstmals, wie sehr die Vermietung von privatem Wohnraum über die Plattformen Airbnb, Booking, Expedia und Tripadvisor für die lokale Bevölkerung ins Gewicht fällt. Wir haben für alle Regionen der EU und der Europäischen Freihandelszone berechnet, wie viele solcher Übernachtungen es pro Einwohner gibt; die Regionen entsprechen in Deutschland den Landkreisen und kreisfreien Städten. Das Ergebnis: Diese sogenannte Tourismusintensität ist nicht an bekannten Hotspots wie Barcelona oder Paris besonders hoch, sondern gerade an kleinen Orten.
Urlaub über Airbnb und Co: Griechische Inseln an der Spitze
Von den zehn europäischen Regionen mit der höchsten Intensität des Airbnb- und Co-Tourismus liegt eine in Spanien, vier in Kroatien und fünf in Griechenland. Die Inselgruppe der Kykladen, zu denen auch Santorini gehört, bildet die Spitze: Mehr als 46 Übernachtungen von Gästen kamen dort auf jeden Inselbewohner. In Barcelona, das in absoluten Übernachtungszahlen weit vorn liegt, kamen dagegen nur knapp 2,5 Übernachtungen auf jeden Einwohner.
Dass diese Art von Urlaub enorm gewachsen ist, beobachtet auch die Tourismusökonomin Anna Burton: „Dieser Trend hat während der COVID-Pandemie noch zugenommen.“ Viele Gastgeber hätten sich so ein Zusatzeinkommen geschaffen in einer Zeit, als Hotels schließen mussten. „Diese Plattformen haben den Markt ganz grundlegend verändert, deshalb müssen sie viel genauer beobachtet werden,“ sagt Burton, die am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung arbeitet.
Methodik
Die Zahl der Gästeübernachtungen, die Eurostat angibt, errechnet sich aus der Zahl der Gäste und der gebuchten Nächte. Beispiel: Zwei Menschen bleiben fünf Nächte, ergibt zehn Gästeübernachtungen. Im Sinne der Verständlichkeit sprechen wir im Text von Übernachtungen.
Die Daten für die Analyse von CORRECTIV.Europe stammen von der europäischen Statistikbehörde Eurostat. Sie liegen auf Ebene der NUTS3-Regionen vor. In Deutschland entspricht das den Landkreisen.
Die Daten zu Übernachtungen, die über die Online-Plattformen Airbnb, Booking, Expedia und Tripadvisor gebucht werden, sind hier zu finden.
Die Übernachtungszahlen für den traditionellen Tourismus stammen ebenfalls von Eurostat. Sie beinhalten Nächte in Hotels, gewerblichen Ferienwohnungen und auf Campingplätzen. Sie sind hier zu finden. Weil der Datensatz auf NUTS3-Ebene erst 2020 beginnt, haben wir für 2019 Daten der nächstgrößeren Ebene (NUTS2) verwendet.
Wir haben beide Datensätze durch die Einwohnerzahl der jeweiligen Region geteilt, um die sogenannte Tourismusintensität zu berechnen: Die Zahl der Übernachtungen, die rechnerisch auf jeden Bewohnenden kommt.
Im deutschlandweiten Vergleich hatte Berlin 2024 mit etwa 3,2 Millionen Übernachtungen die größte absolute Zahl von Buchungen über Online-Plattformen. Damit kam nicht mal eine Nacht auf jeden Einwohner der Stadt.
Die meisten Online-Buchungen pro Einwohner verzeichneten in Deutschland die Landkreise Vorpommern-Rügen (2,3 Millionen Übernachtungen, entspricht 10,6 pro Einwohner), Garmisch-Partenkirchen (729.221 Übernachtungen, 8.16 pro Einwohner) und Nordfriesland (1,3 Millionen, 7,7 pro Einwohner). Im Vergleich zu anderen europäischen Regionen kommen selbst in den deutschen Orten mit der höchsten Plattform-Tourismusintensität verhältnismäßig wenig solche Übernachtungen auf jeden Einwohner.
Auffällig ist, dass die Zahlen in den Großstädten Berlin, Hamburg und München im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie deutlich gesunken sind. Das könnte damit zusammenhängen, dass das Geschäft mit unregistrierten Ferienwohnungen dort in den letzten Jahren stärker durch Behörden verfolgt wird.
Urlauber spielen für viele Regionen in der EU eine wichtige Rolle, jedoch mit großen Unterschieden zwischen den Ländern. An der Spitze stand 2019 Kroatien, wo der Tourismus 11,3 Prozent zur Bruttowertschöpfung beitrug, in Luxemburg waren es hingegen lediglich 1,2 Prozent. EU-weit lag der Wert bei 4,5 Prozent.
Massentourismus führt zu sozialen Konflikten
Eine Folge des Tourismus ist an vielen Orten Wasserknappheit. Die Branche verschärft durch ihre Emissionen die Klimakrise – und leidet gleichzeitig selbst darunter: Die Entwicklung führt nicht nur dazu, dass Attraktionen wie Schnee oder Strände sowie Steilküsten noch weiter schwinden. Auch die lokalen Landwirtschaften und somit die Lebensmittelproduktion sind teils betroffen, da ihnen das Wasser ausgeht.
Gerade beliebte Urlaubsregionen in Südeuropa und am Mittelmeer sind besonders gefährdet. Obwohl man sich international auf mehrere Abkommen geeinigt hat – wie die Klimaerklärung von Glasgow, die darauf abzielt, die Emissionen des Sektors innerhalb des nächsten Jahrzehnts zu halbieren – gehen Fachleute inzwischen davon aus, dass die derzeitigen Maßnahmen dafür nicht ausreichen.
“Wenn die aktuellen Emissionstrends anhalten, wird die Art von Massentourismus, wie wir sie heute kennen, in den kommenden Jahrzehnten zunehmend schwerer und teurer aufrechtzuerhalten sein”, sagt Robert Monjo, Forschungsleiter für Klima und Meteorologie bei der spanischen Fundación para la Investigación del Clima.
EU-weite Daten zu Urlaub in Ferienwohnungen: Ein Anfang, aber es fehlt an Informationen
Dass es überhaupt EU-weite Daten zu den online gebuchten privaten Unterkünften gibt, geht auf ein Abkommen zwischen der EU-Kommission und den Plattformen Airbnb, Booking, Expedia und Tripadvisor aus dem Jahr 2020 zurück. Die Anbieter übermitteln rückwirkend Daten ab dem Jahr 2018 direkt an die Statistikbehörde. Damit sei, so Eurostat, „eine seit langem bestehende Informationslücke geschlossen.“ Denn Ferienhäuser, Wohnungen und Zimmer in privaten Gebäuden seien oft nicht in den Geltungsbereich der offiziellen Tourismusregister gefallen.
Doch die Daten zeigen kein präzises Bild. In großen Städten wie Barcelona konzentriert sich das Geschäft mit privaten Ferienwohnungen in einzelnen Stadtteilen. Die Daten von Eurostat geben jedoch eine Gesamtzahl für die Stadt an. Auch lässt sich nicht erkennen, wie viele tatsächlich private und wie viele gewerbliche Anbieter es an einem Ort gibt. Geschweige denn, welche Preise sie verlangen. Die Daten zum Plattform-Tourismus und des traditionellen Registers lassen sich nicht addieren, weil laut Methodik nicht bekannt ist, ob sie sich zu einem gewissen Teil überschneiden. Die Zahl der Übernachtungen im traditionellen Tourismus ist insgesamt höher. Vergleicht man aber die Entwicklung beider Werte, fällt auf, dass der Plattform-Tourismus in fast allen Ländern stark gewachsen ist – der traditionelle hingegen ging vielerorts zurück.
Die Hoffnung der EU-Kommission: Durch die neue Transparenz werde es weniger illegale Angebote geben. In vielen Städten gibt es damit Probleme, das sorgt nicht nur für Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt: “Im Extremfall fehlen der Region so auch Steuereinnahmen”, sagt Burton. “Gleichzeitig kann die lokale Bevölkerung extrem unter steigenden Lebenshaltungskosten leiden.”
Der Punkt, an dem Massentourismus zu Übertourismus wird, ist laut Burton erreicht, wenn das alltägliche Leben durch die Urlauber eingeschränkt werde. „Indikatoren sind beispielsweise überlastete öffentliche Verkehrsmittel, unverhältnismäßig steigende Preise im Restaurant oder extrem hohe Wohnraumpreise.“
Insbesondere Gebiete, die geografisch gesehen wenig Wohnraum bieten, seien besonders stark betroffen: „Das kann so weit gehen, dass sich die lokale Bevölkerung ein Leben vor Ort nicht mehr leisten kann, wegziehen und gegebenenfalls täglich zur Arbeit pendeln muss“, sagt Burton. Dass auch eine hohe Dichte an Airbnb-Angeboten zu höheren Miet- und Kaufpreisen von Wohnraum beiträgt, wurde in mehreren Studien nachgewiesen.
Tourismusexperte: „Die Art zu reisen wird sich ändern müssen“
Doch nicht nur Touristinnen in privaten Unterkünften spielen eine Rolle: „Übernachtungen sind zwar ein gutes Indiz für die Auslastung eines Ortes, doch darf man Tagesgäste nicht außer Acht lassen“, sagt Burton. „In manchen Regionen sind sie ein großes Problem.“
Immer wieder kommt es vor, dass die Bedürfnisse von Urlaubern über die der Anwohnenden gestellt werden: Wie im spanischen Andalusien, wo bereits in den vergangenen Jahren schon im Frühjahr Trinkwasserknappheit herrschte. Obwohl die Urlaubenden insgesamt zwei bis drei Mal so viel verbrauchen, entschied die Politik immer wieder, ihnen pro Tag mehr Wasser zur Verfügung zu stellen als Anwohnenden.
Trotzdem werde Tourismus nicht verschwinden, sagt der Meteorologe Monjo. Jedoch: “Die Art zu reisen wird sich ändern müssen – mit mehr Augenmerk auf Nachhaltigkeit, weniger Fernreisen und möglicherweise höheren Kosten.”
Manche Orte haben inzwischen Beschränkungen eingeführt: Barcelona hat angekündigt, bis 2028 alle Airbnb-Wohnungen abzuschaffen. Santorini hat in dieser Saison erst einmal eine Steuer für die Tagesgäste von Kreuzfahrtschiffen eingeführt. Im Mai meldeten 15 Dörfer von der Insel akute Wasserknappheit.
- Text und Recherche: Lilith Grull, Frida Thurm
- Daten und Visualisierung: Luc Martinon
- Design: Mohamed Anwar
- Redigatur: Justus von Daniels
- Faktencheck: Marius Münstermann
- Kommunikation: Esther Ecke