Mieses Geschäft
Berlin zahlt viel Geld, um Asylbewerbern Wohnungen zu vermitteln. Der Vertrag wurde ohne Ausschreibung vergeben, viel zu hohe Preise akzeptiert – das kritisiert der Landesrechnungshof Berlin-Brandenburg in einem internen Papier. Wir veröffentlichen das Dokument.
Es gibt Momente, in denen Manal und Mustafa Jakisch* über den bürokratischen Hürdenlauf in Berlin lachen können. Absurd scheinen die dutzenden Gänge zum Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), bei denen es meist heißt: Sie sollen an einem anderen Tag erneut kommen, heute gebe es keine Lösung. Oft aber liegen sie sich abends, wenn ihre drei Söhne schlafen, in den Armen und weinen: Zu oft wurde ihre Hoffnung enttäuscht, dass sie – nachdem sie hier Sicherheit gefunden haben – endlich neu anfangen können.
Bericht des Landesrechnungshofes:
Vor knapp drei Monaten ein Hoffnungsschimmer – ein Papier vom Lageso, auf dem in fetter Schrift „Zustimmung“ stand, darunter ein Kreuz in dem Kasten, das erlaubte, eine Wohnung anzumieten. Das Lageso stellt derzeit vielen solch ein Schreiben aus. Das besondere daran: Wie die Familie Jakisch aus Syrien warten alle noch auf die Entscheidung vom Bundesamt, dass sie in Deutschland bleiben können. Sie sind noch keine anerkannten Flüchtlinge. Und dennoch: Drei Monate hat jeder Zeit, eine Wohnung zu finden; die Jakischs für eine monatliche Miete inklusive Nebenkosten von 679,97 Euro – das ist das Maximum, was das Amt für eine Wohnung für fünf Personen zahlt.
Wohnungssuche ausgelagert
Der Wohnungsmarkt in Berlin ist seit langem angespannt. Studenten, Familien, Singles – sie alle kämpfen um den begehrten Wohnraum, oft über Monate bis zum Erfolg. Daher hat das Lageso bereits 2011 einen Kooperationsvertrag mit der Wohnungswirtschaft geschlossen: Jährlich melden Unternehmen in Berlin dem Amt 275 Wohnungen, die sie an Asylbewerber vermitteln können. Eine Zeit lang hat das Lageso sie selbst weiter gegeben. 2014 beauftragte es einen Dienstleister: Das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk, kurz EJF, eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Sie sind jetzt Ansprechpartner für alle Asylbewerber, die eine Wohnung suchen. Sie sind diejenigen, die das erste Zuhause finden – durch Beratung oder direkte Vermittlung von Wohnraum.
Ihr Büro haben sie in einem der Backsteingebäude auf dem Gelände des Lagesos eingerichtet. Haus K, im ersten Stock. Hier warten schon Stunden vor den Öffnungszeiten Asylbewerber, die auf eine Beratung hoffen. Dicht an dicht.
Flüchtlinge müssen selbst suchen
Auch der 35-jährige Mustafa Jakisch stand hier vor Wochen in der Schlange. Zunächst bekam er nur einen Termin, um vorsprechen zu können. Mehrere Wochen musste er warten. Der normale Ablauf. Als es dann soweit war, habe alles nur wenige Minuten gedauert, erzählt der Familienvater: Er habe seinen Ausweis gezeigt, wurde registriert und bekam dann zwei A4 Seiten, bedruckt mit Adressen und Telefonnummern von Wohnungsunternehmen, Hausverwaltungen und kleinen Genossenschaften. Mehr nicht. Keine Beratung mit Übersetzer, wie es die Regel beim EJF ist. Er solle selbst eine Wohnung finden, hätte man ihm gesagt. Circa 55 Prozent der Wohnungen, die das EJF vermittelt, werden derzeit von Flüchtlingen selbst gefunden, schreibt das EJF auf eine Anfrage von Correctiv.
Mit seiner Frau sprach Mustafa Jakisch bei einigen Unternehmen, die auf der EJF-Liste standen vor: Wir haben keine Wohnungen frei, hieß es. Freunde, die Deutsch sprachen, telefonierten Nummern ab: Die Familie müsse sich wie jeder Suchende auf eine Wohnung bewerben, die im Internet stehen, war die häufigste Antwort. Eine syrische Familie, ohne Aufenthaltsstatus, ohne die Chance auf einen Wohnberechtigungsschein – es schien unmöglich allein eine Wohnungszusage zu bekommen. Die Versuche über Immobilienscout scheiterten. Oft gab es nicht einmal eine Antwort. Manal Jakisch rief dann eine Frau an, die ausschließlich für Flüchtlinge Wohnungen vermittelt, wie ein Makler, aber inoffiziell. Solche Nummern kursieren unter Geflüchteten: 5000 Euro forderte die Unbekannte. Die Wohnung hätten sie aber sicher. Ein hoher Preis, den sie nicht zahlen können.
Überteuerte Maklergebühr
Vom EJF fühlt sich die Familie Jakisch allein gelassen. Und auch der Landesrechnungshof Berlin-Brandenburg kritisiert in einem internen Prüfbericht den Dienstleister. So habe zum Beispiel das Lageso eine Fallpauschale gezahlt, auch wenn eine Person unvermittelt blieb. Dafür mussten aber drei Beratungsgespräche erfolgt sein, teilt das EJF auf Anfrage von CORRECTIV mit. Inzwischen gebe es diese nicht mehr. Für die Vermittlung und Beratung erhalte man im Jahr 2016 eine Grundfinanzierung in Höhe von 535.892,28 Euro. Das entspräche jedoch nur 55 Prozent der kalkulierten Kosten, die dem EJF durch die Beratungsstelle entstehen.
Für eine erfolgreiche Wohnungsvermittlung gebe es eine zusätzliche Fallpauschale in Höhe von 186,07 Euro. Der Landesrechnungshof konkretisierte das in seinem Papier mit einer Rechnung, die das Lageso selbst aufstellte: Pro erfolgreichen Vermittlungsfall gebe das Amt nicht die Höhe der Fallpauschale aus, sondern 930,36 Euro. Das sei mehr als ein Immobilienmakler erhalte – schlussfolgerte das Lageso selbst. Denn: „Ein Immobilienmakler erhalte bei einer durchschnittlichen Nettokaltmiete von 326,40 € im 2-Personen-Haushalt eine Provision in Höhe von lediglich 776,83 €.“, hieß es in einem Vermerk. Dass mehr gezahlt werde, sei aber „durch die weiteren Beratungs- und Akquiseleistungen der Beratungsstelle“ gerechtfertigt. Der Landesrechnungshof folgt dieser Argumentation nicht, sondern stellt fest: Hier wurden überhöhte Preise verhandelt.
„Finanzieller Schaden“
Dies sei besonders problematisch, da es keine europaweite Ausschreibung gegeben hat. Zudem wurde nie überprüft, wie effektiv das EJF arbeite – die geforderten Stellen wurden schlichtweg genehmigt. Damit habe sich das Land Berlin in die „Abhängigkeit von einem einzigen Dienstleister begeben und sich den Preis und den Verhandlungsverlauf diktieren lassen“. Der Landesrechnungshof geht davon aus, dass dem Land Berlin hierdurch ein „nennenswerter finanzieller Schaden entstanden ist“.
Den Schaden hat auch die Familie. Zurzeit leben sie in einer schönen Ferienwohnung. Nur noch wenige Tage läuft ihre Kostenübernahme und sie hoffen, nicht in einer Turnhalle untergebracht zu werden.
Vor kurzem haben sie sich noch einmal an das EJF gewandt. Hilfe bekamen sie dort wieder nicht, erzählen sie, nur die Ansage einer EJF-Mitarbeiterin: Sie sollten froh sein, in Europa zu sein. Das EJF will diesen Vorwurf genau untersuchen, teilte es mit. „Eine solche Aussage entspräche weder der Haltung noch dem Umgangston der Beratungsstelle.“
Die drei Monatsfrist für die Familie Jakisch, eine Wohnung anzumieten, ist inzwischen abgelaufen. Sie hoffen, dass das Lageso die Zustimmung noch einmal verlängert. Bei ihrem letzten Versuch wurde ihnen gesagt, sie sollen an einem anderen Tag wieder kommen. Eine Lösung gebe es heute nicht.
(Namen von der Redaktion geändert)