Glühende Landschaften
Darum gefährden Solar-Investoren Natur
und Landwirtschaft in Brandenburg
Ein neuer Konflikt in der Energiewende bahnt sich an: Statt nachhaltiger Solarförderung und dezentraler Modelle entstehen Mega-Parks für Solarzellen auf Ackerflächen – vor allem im Osten. Kommunen sind überfordert, die Bundespolitik ignoriert einen schwelenden Streit um Boden, in der Bevölkerung wächst Wut. CORRECTIV hat erstmals strukturiert Daten zu geplanten Solarparks erfasst.
Die Zukunft beginnt gleich hinter Adamascheks Hof, irgendwo zwischen den Rapsfeldern und den ausgeblichenen Wiesen. Sie ist zwar noch nicht zu sehen, aber Helmut Adamaschek weiß: Er steht schon mittendrin. Aus dem Autofenster deutet er auf eine Anhöhe und sagt: „Da oben auf der Kante: Da beginnen sie bald, ihre Module aufzustellen.“
Dann gibt er Gas, das Getreide auf den Feldern steht hoch, Adamaschek zeigt nach rechts und nach links: „Diese ganze Seite sollte zugeballert werden mit Solarpaneelen. Wahnsinn, wa?“ Sein Auto schaukelt über ungepflasterte Straßen, draußen ist nichts als Land und Wolken, immer weiter, zehn Minuten lang: „Das ist alles Solar, bis runter zum Wald“, sagt Adamaschek. „Das ist eine Katastrophe bei den Bodenwerten.“
Helmut Adamaschek, Altgrüner, Gemeindevertreter in Gumtow, südliche Prignitz, rund 3.300 Einwohner, hat gegen das Projekt gekämpft und verloren: Mehr als 123 Hektar groß soll das Solarkraftwerk werden, das auf den Äckern nahe dem Dorf Döllen entsteht. Das sind mehr als 172 Fußballplätze. Adamaschek lehnt den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht ab, im Gegenteil. Nur dieses Mega-Projekt ist aus seiner Sicht ein Problem: „Es geht um die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Landschaft und den Anwohnern.“
Sonnenlicht, das zu elektrischem Strom wird, saubere Energie, die täglich und praktisch unerschöpflich neu entsteht – was so klingt wie eine grüne Utopie, ist inzwischen Realität. Darin liegt ein gewaltiges Potenzial für den Klimaschutz. Finanzanalysten sehen etwas anderes: Anlageprodukte aus Silizium und Glas. Seit einigen Jahren sind die Preise der Module stark gefallen. Dadurch wurde die Erzeugung von Solarstrom billig – und lukrativ.
Das sollte eine gute Nachricht sein: Für die Energiewende braucht Deutschland große Mengen an Sonnenstrom, und letztlich wird der Ausbau der erneuerbaren Energien nur funktionieren, wenn er sich auch wirtschaftlich rechnet.
Derzeit produziert Deutschland rund 51 Terawattstunden Solarstrom pro Jahr – das würde nicht einmal ausreichen, um den bundesweiten Energiebedarf für sechs Wochen zu decken. Die Leistung der Photovoltaik muss sich innerhalb weniger Jahre vervielfachen. Die Frage ist nur, wo neue Anlagen entstehen sollen – und wer davon profitiert.
Der Kampf um den Boden hat begonnen
Die Gewinnmargen bei der Solarenergie sind inzwischen beträchtlich, das weckt Begehrlichkeiten. Kommunen in Brandenburg berichten von einem regelrechten Run auf die Äcker. In den Rathäusern stapeln sich die Anträge für neue und immer größere Anlagen. „Die Zahl der Anfragen ist derzeit beständig bei circa fünf in der Woche“, lautet es aus dem Milower Land. „Telefonisch kommen etliche Anfragen von privaten Investoren und Unternehmen zum Beispiel mit Sitz in München“, heißt es aus Groß-Pankow und aus der Stadt Kyritz: „Die Anzahl hat sich aber in den letzten ein bis zwei Jahren stark erhöht.“
Makler und Investoren suchen für die Projekte möglichst große Flächen, und die finden sie gerade in den entlegenen Regionen im Osten Deutschlands. Das weckt hässliche Erinnerungen: Schon wieder reisen Investoren aus dem Westen mit ihren schönen Ideen an und machen große Versprechen. Aber es geht auch um einen grundlegenden Fehler in der Energiepolitik: Es gibt keinen Plan für eine nachhaltige Solar-Wirtschaft, kaum Leitplanken, stattdessen regiert der Markt. Und der drängt in Richtung fruchtbares Ackerland.
Auf Bundesebene scheint die Politik davon nichts mitzubekommen. Auf einer Themenseite der Grünen zum Umstieg auf erneuerbare Energien ist etwa von ehrgeizigen Zielen beim Ausbau der Photovoltaik zu lesen: 1,5 Millionen Dachflächen, standardmäßigen Solarflächen auf öffentlichen Gebäuden, über Schienen und Autobahnen. Von Solarpaneelen auf Äckern und Feldern steht da nichts.
So viele Solarparks sind in Brandenburg geplant
Der Solar-Boom ist bisher unsichtbar. In Brandenburg steht erst eine fertige Anlage auf Agrarland, in Werneuchen nahe Berlin. Die ist mit 164 Hektar die bisher größte in Deutschland. Viele andere werden kommen, einige noch deutlich größer: Insgesamt beläuft sich die Zahl der aufgelaufenen Anfragen in Brandenburg seit 2019 auf mindestens 366 Projekte mit einer Gesamtfläche von mehr als 9.600 Hektar. Das ist das Ergebnis zweier CORRECTIV-Umfragen in allen Brandenburger Kommunen im Februar und im August dieses Jahres, ergänzt mit Angaben aus Gemeinderatsdokumenten und Presseberichten.
Bei 55 Projekten mit mehr als 2.800 Hektar laufen inzwischen Aufstellungsverfahren, teilweise sind sie bereits beschlossen. 49 Projekte mit etwa 930 Hektar wurden abgelehnt.
Mengenmäßig am stärksten betroffen war, so geht es aus den Aussagen der Gemeinden hervor, die Prignitz, auf die alleine 40 Anfragen mit fast 1.500 Hektar entfielen, und die Uckermark mit 29 Anfragen (mehr als 1.000 Hektar). Der Landkreis Spree-Neiße registrierte zwar nur 14 Anfragen, die mit insgesamt 1.300 Hektar aber besonders groß ausfielen.
Ein Hektar, das klingt abstrakt. Gerade in den leeren Weiten des brandenburgischen Hinterlands verschwimmen die Proportionen. Ein Blick in die Stadt hilft, die Ausmaße zu erfassen: Ein Fußballfeld misst 0,71 Hektar. 2.800 Hektar, also die Summe der Flächen für Solarprojekte, bei denen Planungsverfahren laufen, übertrifft die Größe von manchem Stadtbezirk. Zum Vergleich: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin hat eine Fläche von rund 2.000 Hektar, dort leben fast 290.000 Menschen.
CORRECTIV hat monatelang recherchiert, um zu erfassen, wie sich der Solar-Boom auf die ländlichen Regionen in Ostdeutschland auswirkt. Aus Gesprächen mit Bürgermeistern, Baudezernentinnen, Landwirten, Investoren, Flächenmaklern und Kommunalpolitikerinnen, aus Planungsunterlagen und Registerauszügen entsteht das Bild eines schwelenden Konflikts, der für die Klimaziele Deutschlands gefährlich werden könnte.
Von den Städten aus gesehen mag das weit weg wirken. Aber ob die Energiewende gelingt, wird sich letztlich an Orten wie Gumtow entscheiden.
CORRECTIV hat alle Kommunen Brandenburgs im Februar und im August 2021 nach der Zahl der Anträge und Anfragen für Photovoltaikanlagen auf Agrarland gefragt. Von 194 Kommunen antworteten im Februar 127 und im August 77. Bei den 67 Kommunen, die beide Male antworteten, stieg die Zahl der vorliegenden Anträge alleine in diesen sechs Monaten von 119 auf 204 – also um 70 Prozent.
Bei mindestens zwei von fünf Kommunen in Brandenburg gingen bis August Anfragen oder Anträge für Photovoltaikanlagen ein. Diese Daten dürften nur einen Bruchteil des tatsächlichen Solar-Runs abbilden: 57 Kommunen antworteten entweder gar nicht auf Anfragen von CORRECTIV oder lieferten keine genauen Zahlen.
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Bei der Abfrage stieß CORRECTIV auf große Widerstände: Das Thema ist aufgeladen. Manche Pressestellen reagieren gereizt und gaben an, keine Zeit für die Anfrage zu haben. Viele schrieben, sie seien für das Thema nicht zuständig.
Aber das ist ein gewaltiger Irrtum. Die Genehmigung von Solarparks unterliegt der Planungshoheit der Kommunen. Die Zahlen aus der CORRECTIV-Datenrecherche zeigen erstmals ein konkretes Bild von der Zukunft: Denn Anträge oder laufende Planungsverfahren für neue Freiflächenanlagen sind nirgends zentral erfasst. Es fehlt ein Überblick, der über die einzelne Kommune hinausgeht.
Vom Kapitalmarkt drängt sehr viel Geld in die ländlichen Gebiete, zum Beispiel nach Brandenburg. Dort entwickelt es eine Dynamik, die Strukturen durchschüttelt und in den Dörfern tiefe Gräben aufreißt. In vielen Gegenden spitzt sich seit Monaten ein Streit zu, bei dem es nicht nur um ein paar Paneele geht, sondern um grundsätzliche Fragen: Wer bestimmt, wie Klimaschutz aussehen soll? Wie lässt sich verhindern, dass eine gute Sache durch kurzfristige Renditen ausgehöhlt wird? Und was, wenn die Energiewende auf Kosten von fruchtbaren Böden, bäuerlichen Betrieben, Tourismus, Natur und Landschaftsbild geht statt Flächen zu nutzen, die sich besser eignen?
Ansturm der Investoren auf den ländlichen Raum
Es steht vieles auf dem Spiel; das ist der Grund, warum Helmut Adamaschek jetzt in einer Gemeinde lebt, wo gefälschte Gutachten kursieren, Drohbriefe in Briefkästen von Kritikern landen und so manche das Gefühl beschleicht, dass Recht und Gesetz in ihrem Ort nicht mehr viel gelten. „Es ist total stürmisch geworden“, sagt der Kommunalpolitiker.
Döllen ist überall. Landauf, landab fahnden Projektentwickler und Investmentfirmen derzeit nach Orten, an denen noch neue Solarparks entstehen können, je größer, desto besser, und nirgends gibt es größere Agrarflächen als in den ostdeutschen Bundesländern.
Der Ansturm der Investoren trifft in den entlegenen Orten auf ausgedünnte Strukturen und Gemeindevertreter, für die Politik ein unbezahltes Hobby ist. Die sind froh, wenn der Investor gleich alles vorbereitet, bis hin zur Beschlussvorlage für die Gemeinderatssitzung: Auf die Idee, dass man auch Bedingungen stellen kann, kommen viele Kommunen nicht, sagt Adamaschek: „Die Leute müssen jetzt aufwachen. Sonst sind erstmal Fakten gesetzt.“
Der Druck des Geldes nimmt ständig zu. Die Mittel werden von Beteiligungsgesellschaften oder Fonds auf dem Finanzmarkt eingesammelt, und weil es um große Gewinnmargen geht, winken auch den Eigentümern der Flächen satte Einnahmen: Zwischen 2000 und 3000 Euro Pacht bieten die Solarfirmen an, pro Hektar, für die nächsten 30 oder 40 Jahre. Zum Vergleich: Landwirte zahlen im Schnitt rund 200 Euro.
„Das ist leistungsloses Einkommen, also praktisch ein Lottogewinn“, sagt Helmut Adamaschek; er sitzt nun am Tisch in der Küche seines Backsteinhofs. Wie er es sieht, muss das nicht schlecht sein: Er befürwortet den Ausbau der Solarenergie; ein 54-Hektar-Projekt, das ganz in der Nähe geplant ist, unterstützt er. „Warum soll man immer dagegen sein? Ich sehe den Aspekt Klimaschutz, kombiniert mit Einnahmemöglichkeiten für die Gemeinden.“
Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Dörfer bei den Vorhaben oft schlecht wegkommen. Es gibt keine verbindlichen Regeln; die Politik auf Bundes- und Landesebene lässt den Investoren oft freie Hand. Das Projekt in Döllen hat die ganze Ortschaft gespalten. Der Projektierer, eine Firma namens Antlike Solar aus einem Ort nahe Rostock, hat sich trotz aller Bedenken mit einer umstrittenen Photovoltaikanlage durchgesetzt.
Statt klarer, rechtlicher Vorgaben existieren mehrere unverbindliche Empfehlungen. Die regionale Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim hat als erste einen Leitfaden herausgegeben. Eigentlich ist sie für Solaranlagen nicht zuständig, sagt Claudia Henze, die Leiterin: „Wir haben uns damit befasst, um die Kommunen auf die Gedanken zu bringen: Was sollen sie überhaupt checken? Die wurden von dem Solar-Ansturm total überfahren.“ Später haben auch die Brandenburger Grünen einen Leitfaden herausgebracht. Und manche Gemeinden haben eigene Kriterien festgelegt. So auch Gumtow.
In deren Vorlage heißt es: Die Entwicklung von Solarparks solle „geordnet erfolgen.“ Unter Punkt 11 steht: Für Photovoltaikanlagen-Projekte kämen nur Acker- und Grünlandflächen mit geringer Qualität infrage, also mit maximal 28 Bodenpunkten. Das ist Boden vom Typ „sandiger Lehm“, im bundesweiten Vergleich unterdurchschnittlich, aber für Brandenburger Verhältnisse nicht schlecht.
Im Bebauungsplan-Entwurf für den Solarpark Döllen ist von Bodenwertzahlen von 15 bis 25 die Rede. Aber die Zahlen sind falsch. Tatsächlich liegen die Flächen im Schnitt bei über 33 Bodenpunkten. So geht es aus einer Geodatenbank des Landes hervor. Als der Fehler in dem Entwurf bekannt wurde, nahm die Gemeinde nicht etwa von dem Projekt Abstand – sondern von ihrem Kriterienkatalog. In einem Vertrag mit der Antlike GmbH & Co. KG steht: „Die Gemeinde weicht von den beschlossenen Kriterien für Solarparks bei diesem Vorhaben ab.“
Mutmaßlicher Betrug und verschachtelte Firmennetzwerke in Luxemburg
Das ist nicht die einzige Ungereimtheit bei dem Projekt. Bei der Staatsanwaltschaft Ruppin läuft ein Verfahren wegen Betrugs gegen die Firma Antlike Solar: Sie hatte ein Gutachten präsentiert, das die Blendwirkung der Photovoltaikanlagen untersuchen sollte. Aber dann fiel auf, dass das Papier einem anderen Gutachten für ein Projekt in Nordrhein-Westfalen verblüffend ähnlich sah – einige Passagen waren sogar deckungsgleich, das Papier wirkte wie ein grob manipuliertes Plagiat. Sogar Koordinaten für Immissionspunkte und reflektierende Flächen stimmten überein. Inzwischen gibt es Menschen, denen die Sache unheimlich wird. „Man bekommt es mit der Angst zu tun“, sagt jemand aus Gumtow, der lieber anonym bleiben will, „bei dem Verfahren häufen sich Falschangaben und Mängel.“
Schwer zu sagen, wie es zu dem Vorfall kam. Die Antlike Solar GmbH & Co. KG äußert sich nicht auf die Anfrage von CORRECTIV. Als die mutmaßliche Fälschung aufflog, schrieb ein Anwalt im Auftrag von Antlike Solar an Helmut Adamaschek und drohte mit schwerwiegenden Konsequenzen, wenn er die Seriosität der Firma weiter in Zweifel ziehe. In dem Brief ist von einer „etwaigen Fehlerhaftigkeit“ des Papiers die Rede, die es „erst einmal zu prüfen“ gelte. Zudem liege inzwischen ein neues und diesmal fehlerfreies Gutachten vor.
»Zivilisationsgestörte Leute«
Stefan Freimark, Bürgermeister von Gumtow, weicht Fragen zu dem Thema aus: Zu den Auffälligkeiten in dem Gutachten will er sich lieber nicht äußern: „Ob da tatsächlich Vorlagen unberechtigt verwendet wurden, kann ich nicht sagen.” Da es inzwischen ein neues Gutachten gibt, sieht Bürgermeister Freimarkt den Vorgang als „erledigt“ an. Zu dem Solarpark gebe es unterschiedliche Meinungen: „Einige finden ihn zu groß“, und es wäre „wohl besser gewesen“, wenn die Anlage etwas kleiner ausgefallen wäre. Das Thema sei eben für alle neu, sagt er: „Es wäre hilfreich, wenn es vom Land Vorgaben gäbe. Letztlich haben wir nicht die nötigen personellen und technischen Kapazitäten.“
Das Planungsverfahren läuft indes weiter. Das liegt auch daran, dass es vor Ort in Gumtow Menschen gibt, die ein eigenes Interesse daran haben. Das betrifft vor allem den Landwirt, auf dessen Flächen die Anlage entstehen soll. Detlef Hein, Geschäftsführer der Agrar GmbH Döllen, und ebenfalls Kommunalpolitiker. Ein „Patriarch“ sagen manche, denn wer das Land hat in Gemeinden wie Gumtow, der hat sehr viel Macht.
Seine Gegner wähnt er vor allem in den Zugezogenen aus Berlin, und deshalb sagte er laut einem Bericht in der Märkischen Allgemeinen Zeitung in einer Gemeinderatssitzung: „Zivilisationsgestörte Leute kommen hierher und bringen unsere Ordnung durcheinander.“
Als sich der Widerstand formierte und eine Bürgerinitiative Unterschriften sammelte, attackierte er die Kritiker scharf: In einem rabiat formulierten Schreiben, das er an alle Haushalte verteilen ließ, schrieb er von „Lügen, Verleumdungen und gezielter Desinformation.“ Wer trotzdem dabei bleiben wolle, solle dies tun. Wer sich aber nun getäuscht fühle, könne seine Unterschrift für ungültig erklären. Das passende Formular war dem Schreiben beigelegt. Auch Hein antwortet nicht auf die Fragen von CORRECTIV.
Anfangs hatten 92 Menschen gegen den Solarpark gestimmt, eine knappe Mehrheit. Nach Erhalt des Briefs zogen 17 ihre Unterschrift wieder zurück. Damit scheiterte die Petition.
Die Firma Antlike Solar hat der Gemeinde viel versprochen, Gewerbesteuer zwischen 60.000 und 100.000 Euro im Jahr. Ob das Geld wirklich kommen wird, ist fraglich. Hinter verschlossenen Türen hat die Firma Antlike Solar das Projekt schon weiterverkauft.
Die Solaranlage steckt in einer Objektgesellschaft, der Solarpark Döllen GmbH. Zunächst gehörte diese dem Geschäftsführer und einem weiteren Mitarbeiter der Firma Antlike Solar. Ende vergangenen Jahres wurden alle Anteile der Solarpark Döllen GmbH übertragen auf die Holding CEE RF7, die Teil ist von einem verzweigten Firmennetzwerk im Steuerparadies Luxemburg. Ob die Gewinne aus dem Solarpark also in Gumtow bleiben oder durch das undurchsichtige Geschachtel der Holdings absickern, bleibt offen.
Die Luxemburger Firmen gehören zu der Hamburger CEE Group, die als Asset Manager im Bereich erneuerbare Energien tätig ist. „Die besondere Attraktivität von erneuerbaren Energien ergibt sich durch hohe Renditen und die weitestgehende Unabhängigkeit von den Veränderungen an den Finanzmärkten”, heißt es auf der Website der Firmengruppe.
Der Energiemarkt verändert sich rasant, neue Renditemodelle und alte Machtverhältnisse greifen ineinander. Der Streit um die Solar-Investmentprojekte sind eng verknüpft mit einem Ausverkauf, der gleich nach der Wende begann.
Existenzängste durch Solar-Boom in Brandenburg
In der DDR entstanden in Folge von Zwangskollektivierungen riesige Agrarbetriebe, die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Seit der Wende sind Äcker und Weiden zum Spekulationsobjekt geworden. Die schiere Größe der Flächen macht das Agrarland im Osten nun interessant für Solar-Investoren: „Unter 50 Hektar lohnt es sich für uns gar nicht“, sagt ein Inhaber eines Planungsbüros, der anonym bleiben will. Ein anderer Projektierer aus Hamburg sagt: „Solar ist ein Markt, der brennt im Moment. Die Projekte werden durch ein einziges Gut begrenzt: Die Flächen sind der Flaschenhals von allem.“
Die Bodenpreise in Brandenburg haben sich seit 2005 fast vervierfacht. In Folge des Solar-Booms spitzt sich die Konkurrenz um fruchtbaren Boden weiter zu. Das sorgt vor allem in kleineren, ländlichen Betrieben für Existenzängste.
Schon vor einem Jahr wandte sich der Bauernbund Brandenburg mit einem Brief an den Landwirtschaftsminister Axel Vogel (Grüne) und bat im Hinblick auf den Solar-Run um einen Schutz für landwirtschaftliche Flächen: „Die Inanspruchnahme von landwirtschaftlichen Flächen sollte nur im Ausnahmefall genehmigt werden“, heißt es in dem Schreiben.
Deshalb plädiert der Bauernbund für feste Regeln: Solarparks sollten demnach nur auf Flächen mit weniger als 25 Bodenpunkten stehen und nicht größer als 75 Hektar sein.
Aber es kam nichts dabei heraus. Die Politik hat offenbar kein Interesse daran, den Ansturm der Investoren zu reglementieren. Ohnehin gehen der Landwirtschaft in Brandenburg im Schnitt jeden Tag fünf Hektar verloren, das sind sieben Fußballfelder, für neue Gewerbeparks, Siedlungen, Straßen. Die Solaranlagen kommen jetzt noch dazu.
Grüne gegen Grüne, Naturschützer gegen Umweltschützer
Die Entwickler- und Agrarmaklerbüros klingeln an den Türen der Bauernhöfe, schicken Briefe und Mails und versprechen fantastische Summen. Bei Andreas Kiekback, Landwirt und Vorsitzender der Agrargenossenschaft Mesendorf, waren sie schon häufiger, er findet immer wieder E-Mails im Posteingang: „Entdecken Sie mit uns die vielfältigen Vorteile einer Photovoltaikfreiflächenanlage!“, schrieb eine Firma aus Bayern; „Sie stellen nur die Flächen – wir kümmern uns um den Rest.“ Andere sandten gleich Verträge per Post mit genauen Angaben der gewünschten Gemarkungen – zusammen mit Luftfotos, auf denen die gewünschten Flächen gelb markiert waren. Nach der Bodenqualität fragen sie nicht. Es geht nicht um eine ökologisch oder landwirtschaftlich sinnvolle Nutzung, sondern um Masse.
Kiekback ist daher skeptisch. „Die kommen und sagen: Es gibt Geld!“, sagt er. „Die wollen sich einfach erst mal die Fläche sichern.“ Seine Genossenschaft bewirtschaftet knapp 1300 Hektar in einem Ort namens Kuhsdorf in der Prignitz, davon gehört ihr ein Drittel, den Rest pachten sie. Er fragt sich, was aus ihm wird, wenn ein Solarentwickler den Eigentümern zehnmal so viel bietet wie er. „Irgendwann werden die ja dann sagen, wir verpachten nicht mehr an euch.“
Anfangs boten die Projektierer ihm 1800 Euro pro Hektar, inzwischen sind es oft 3000 Euro. Aber Kiekback will auf seinem Land keine Photovoltaikanlagen; zwar würde sich das wirtschaftlich durchaus lohnen, jedenfalls „aus kurzfristiger Sicht.“ Aber Kiekback ist Bauer und denkt in Generationen. Denn wenn die Landwirtschaft verschwindet, dann verschwinden auch regionale Strukturen. „Wir sind bemüht, die Arbeitsplätze hier zu erhalten“, sagt er. „Wenn Solaranlagen auf Flächen sind, kann ich sie nicht mehr bearbeiten, dann brauche ich die Arbeitskräfte und meine großen Maschinen nicht mehr.“
Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland weitgehend klimaneutral sein, und schon bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um 65 Prozent sinken. Und das geht nur, wenn sehr viel mehr Energie als heute aus der Sonne kommt.
Zunehmend spaltet das Thema auch diejenigen, die sich für die Umwelt engagieren; es stehen bei dem Streit oft Grüne gegen Grüne, Klimaschützer gegen Naturschützer. „Hier brennt die Luft“, sagt Birgit Bader, Grüne Kreistagsabgeordnete in Templin. „Wir sind als Grüne überrollt worden, die Naturschutzverbände auch. Die Grünen ringen jetzt. Manche fordern bestimmte Kriterien wie Bürgerbeteiligung oder dass es mit Biolandwirtschaft kombiniert werden muss. Es gibt aber auch Grüne, denen ist der Acker heilig.“
Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Brandenburg warnt vor den Folgen: „Neben der Energie- und Verkehrswende brauchen wir auch eine Agrarwende“, heißt es in einer Pressemitteilung der Organisation. Eine nachhaltige Landwirtschaft benötige mehr Fläche, nicht weniger.
Auch der Kreisverband und der Vorstand der Grünen in der Uckermark schlägt Alarm: In einem Brief an Landwirtschaftsminister Axel Vogel schrieben die Parteifreunde: Der „Investitionsdruck zur Errichtung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen auf Ackerflächen“ sei „sehr problematisch“, und: „Wir halten es für höchst unklug, das Spiel allein den ,freien Kräften des Marktes’ zu überlassen und nicht abzuwägen, welche Landschaftsbereiche bei der Errichtung von großflächigen Photovoltaikanlagen zusätzlich geschützt werden müssen.“
Politik überlässt Konzernen das Land in Brandenburg
Brandenburgs Landwirtschaftsminister Axel Vogel ist sich der Probleme bewusst. „In der Uckermark herrscht Goldgräberstimmung“, sagt er. „Es ist agrarstrukturell ein Problem: Da haben wir die großen außerlandwirtschaftlichen Investoren. Die bauen Intensivmais an, bis der Boden ausgelaugt ist, und jetzt kommen sie mit Freiflächen-Photovoltaikanlagen“ Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite seien Freiflächenanlagen ein Mittel, „um die Energiewende maximal zu beschleunigen.“
Es ist für die Grünen ein heikles Dilemma. In Brandenburg hält sich die Partei lieber heraus. Das Land sei letztlich nicht verantwortlich, sagt Minister Vogel. Zwar hat sein Ministerium eine Handreichung herausgebracht. Diese empfiehlt vorrangig Parkplätze, Gebäude, Verkehrswege oder ehemalige Abraumhalden und Tagebaugebiete zu nutzen. In Bezug auf Agrarflächen aber bleibt das Papier schwammig. Konkrete Ausschlusskriterien gibt es nicht; die Gemeinden sollen prüfen und „einzelfallbezogen“ entscheiden.
Das Ministerium teilt dazu mit, es gebe keine rechtliche Grundlage für „verbindliche Vorgaben.“ Die Kommunen müssten selbst über die Bauanträge entscheiden. Aber das stimmt nur zum Teil. Denn bei Windrädern haben die Bundesländer durchaus festgelegt, in welchen Gebieten die Anlagen stehen sollen und in welchen nicht.
Zudem verweist das Positionspapier auf die Potenziale der Agri-Photovoltaik, also Modelle, bei denen die Solaranlagen mit Ackerbau kombiniert werden können, zum Beispiel, weil die Platten sehr weit auseinander stehen, besonders hoch angebracht sind oder sich einklappen lassen. Das könnte die Zukunft sein. Das Problem ist nur: Die Investoren haben an diesen Modellen bislang kaum Interesse, denn die Renditen fallen geringer aus.
Kommunalpolitiker hoffen auf die neue Bundesregierung
In einigen Regionen hoffen die Kommunalpolitiker, dass sich die neue Bundesregierung der Sache annehmen wird. Aber danach sieht es nicht aus, Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, sieht keinen Handlungsbedarf: „Die Kommunen haben die Möglichkeit, selbst über die Nutzung ihrer Flächen zu entscheiden“, sagt sie: „Wenn Windenergie- oder Solaranlagen gebaut werden, profitieren mehrere: Es profitiert das Klima, die Energiewende geht voran, die Kommunen profitieren, indem vor Ort Wertschöpfung generiert wird.“ Zugleich plädiert sie dafür, Bürgerenergie-Initiativen zu stärken und bürokratische Hürden für innovative lokale Energieprojekte zu beseitigen.
CDU und SPD verweisen auf die kommunale Selbstverwaltung und darauf, dass Entscheidungen, die eine Region betreffen, auch dort getroffen werden sollen.
Einzig die agrarpolitische Sprecherin der Linken Kirsten Tackmann spricht sich für Einschränkungen aus: „Bereits jetzt sind Kommunen überfordert mit der Entscheidung“, teilt sie mit. Statt unverbindlicher Empfehlungen bräuchte es „eine bundeseinheitliche Regelung, dass Freiflächenanlagen nur mit einer dualen Nutzung und mit Effekten zum Schutz der biologischen Vielfalt auf Ackerflächen möglich sind.“
Mega-Parks, egal um welchen Preis?
Im Nordwesten der Uckermark, irgendwo zwischen Templiner Seenkreuz und Landschaftsschutzgebiet Eulenberge, spitzt sich ein Konflikt zwischen einer Bürgerinitiative und einem Investor, der sich vehement zur Wehr setzt, zu.
An einem Wohnzimmertisch im Ort Jakobshagen sammeln sich drei Leute: Nachbarn, gute Bekannte, Verbündete im Kampf gegen einen mächtigen Gegner. Werner Schulz, grünes Urgestein, knallt das Amtsblatt auf den Tisch. Auf der Rückseite ist eine Anzeige des Investors gedruckt, ganzseitig: „Ja zu Solar im Boitzenburger Land.” Darunter das Bild eines Kindes, das durch ein Getreidefeld läuft.
„Der Investor geht jetzt in die Vollen“, ruft Schulz, deutet auf das Anzeigenmotiv. „Das ist scharf. So sieht es da jetzt aus. Hinterher nicht mehr.“ Insgesamt 217 Hektar groß soll das Solarkraftwerk werden, dass ein Geschäftsmann aus Hessen bauen will – ein Riesenprojekt, fast doppelt so groß wie das in Döllen, eines der größten in Brandenburg.
Werner Schulz war zwischen 1990 und 2005 für die Grünen Mitglied im Bundestag. Er war dabei, als im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet wurde. Inzwischen hat sich vieles geändert; wie Schulz es sieht, ist die Sache aus dem Gleichgewicht geraten. Derzeit laufe alles unkontrolliert, sagt er: „Und das schadet dem Image der erneuerbaren Energien.“
Neben ihm sitzen Dirk Reichstein, der den Bürgerprotest mit anführt, und Maria Stumpf, lokale Grünen-Politikerin. Reichstein sagt, er ist es gewohnt, Sturm zu laufen; 15 Jahre lang hat er gegen eine riesige Schweinemastanlage in Haßleben gekämpft. „Wir haben jetzt die nächste fatale Fehlentwicklung“, sagt neben ihm Maria Stumpf. „Wir hatten die Schweinemastanlage, überdimensionierte Kläranlagen, die Gewerbegebiete, die Einkaufszentren auf der grünen Wiese und die Biogasanlagen. Jetzt geht es um 200 bis 300 Hektar für Solaranlagen.“
Hinter diesem Konstrukt steht eine ausgefeilte Firmenstruktur: Der Investor heißt Dietrich Twietmeyer und stammt aus einer niedersächsischen Bauernfamilie; er präsentiert sich gerne als bodenständiger Landwirt. In Handelsregistern lassen sich ihm rund ein Dutzend Firmen zuordnen, Kapitalbeteiligungs-, Investment- und Vermögensverwaltungsgesellschaften.
Twietmeyer hat vor vier Jahren die Landwirtschaftliche Erzeugergesellschaft Wichmanndorf mit 2500 Hektar gekauft; der Betrieb und das Land stecken in einer Gesellschaft, die zu über 85 Prozent seiner Holding gehört. Für den Solarpark hat er eine eigene Gesellschaft gegründet, die SEBG Energiepark GmbH. Das bedeutet: Twietmeyer ist Pächter und Verpächter bei dem Projekt, seine Einnahmen wandern von einer Firma in die andere.
Bereits im Februar hat Twietmeyer die Hälfte der Anteile der SEBG Energiepark verkauft: Zu gleichen Teilen an den hessischen Energieversorger Mainova und den nordfriesischen Erneuerbare-Energien-Entwickler GP Joule. Es ist kein Zufall, dass diese beiden beteiligt sind: Die Firma GP Joule wird den Solarpark bauen. Und die Mainova wird den Strom abkaufen. Alle drei sind nun in die Struktur eingebunden. Und alle drei profitieren.
Wie die Kritiker es sehen, hat sich Bürgermeister Frank Zimmermann von Twietmeyer übervorteilen lassen. Er selbst weist das zurück. „Sicher“, sagt er, „dieses Projekt ist schon eine Investition: So eine Größe gab es noch nicht und wird es auch nicht mehr geben.“ Aber die Energiewende sei eben eine Verantwortung aller, da könne sich die Gemeinde nicht drücken. Außerdem braucht die Gemeinde dringend Geld. „Arm, aber sexy, das gilt auch für uns“, sagt Zimmermann. Boitzenburger Land, das sind 217 Quadratkilometer, zehn Dörfer, rund 3100 Einwohner und ein Berg Schulden. Das macht Zimmermann empfänglich für Versprechen von Zuschüssen und Gewerbesteuereinnahmen. In einer PR-Veröffentlichung des Investors steht: „Von dieser Sonnen-Ernte würde nachweislich die ganze Gemeinde profitieren.“
NABU kritisiert Solaranlagen auf Ackerflächen in Brandenburg
Dietrich Twietmeyer lebt in Bad Soden im Taunus. Er ist telefonisch zu erreichen, er ist hochfahrend, aufgebracht, er hatte viel Ärger in den vergangenen Wochen, und das hatte vor allem mit Werner Schulz und seiner Bürgerinitiative zu tun; es gingen Gerüchte im Ort um von Mauscheleien und Bestechung, Twietmeyer macht das wütend, er sagt: „Viele dieser Vorwürfe sind eine Dreistigkeit, die ihresgleichen sucht.“
Er will ein paar Dinge klarstellen, also zunächst zu den Zahlen: Letztlich, sagt er, reichten zwei oder zweieinhalb Prozent der verfügbaren Ackerflächen für die Energiewende aus. Derzeit würden 17 bis 20 Prozent der Agrarböden für Energiepflanzen verwendet, vor allem Mais für die Biogas-Anlagen, Monokulturen ohne ökologischen Wert. „Photovoltaik ist aber 30 bis 40 Mal effizienter pro Flächeneinheit als die Energiegewinnung aus Pflanzen“, sagt er, „das heißt, wir brauchen künftig nur noch einen Bruchteil der Energiepflanzen, wenn wir beispielsweise auf Photovoltaikanlagen umstellen.“
Zwei Prozent, das klingt wenig. Aber wenn man es hochrechnet, ergibt sich für Brandenburg eine gewaltige Zahl: 26.208 Hektar, das entspräche knapp der Fläche der Stadt Dortmund. Zudem geht es bei dem Streit auch nicht nur um das Ausmaß des Flächenfraßes, sondern auch darum, welche Konzepte nachhaltig sind. Es ist auch nicht gesagt, dass dafür die Mais-Monokulturen schwinden. Auf den Flächen, wo Twietmeyer seinen Solarpark bauen will, wachsen zum Beispiel kein Energie-, sondern Futterpflanzen.
Nicht nur die Anwohner, auch der NABU Brandenburg sieht die Entwicklung kritisch: Wenn der Anbau von Energiepflanzen zurückgeht, dann solle der Boden „zur Erreichung der Biodiversitätsziele“ oder für eine naturnahe Landwirtschaft genutzt werden – nicht für den Ausbau der Solarenergie, schreibt die Organisation in einem Positionspapier: Aus Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes sei der Schwerpunkt auf Potenziale im bebauten Bereich zu legen. Zunächst sollten also Dachflächen und Gewerbegebäude genutzt, Parkplätze überdacht und Verkehrsflächen belegt werden: „Der NABU Brandenburg spricht sich dagegen aus, vermehrt Agrarflächen für Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Anspruch zu nehmen, ohne dass die Potentiale im bebauten Bereich ausgeschöpft wurden.“
Der Großlandwirt und Investor Twietmeyer sagt, von knappen Agrarböden könne keine Rede sein. „Diese Behauptung ist realitätsfremd“, sagt er. „Zurzeit wächst die weltweite Getreideproduktion auf gleicher Fläche um drei Prozent pro Jahr. Wir wollen alle das Klima retten, aber mit der Bullerbü-Welt der Grünen wird das nicht funktionieren.“
Wenn Twietmeyer über die Energiewende redet, dann geht es auch um Bilanzen, Gewinnaussichten und Verträge. Sicher habe er auch Angst vor dem Klimawandel. Aber ohne Gewinne gebe es keine Bankenfinanzierung. Die Agrargesellschaft Wichmanndorf kaufte er 2017. Er habe wieder als Landwirt arbeiten wollen. Dann kamen drei trockene Sommer. Und die Kolonnen der Solar-Projektierer. „Die sind über das ganze Land gezogen und haben ihre Verträge angeboten“, sagt er. Twietmeyer schickte sie weg. Einige seiner Nachbarn nicht. Aber angesichts des Preisdrucks vom Weltmarkt und dem immer ungünstigeren Klima habe er sich etwas überlegen müssen, um die Defizite auszugleichen.
Er hat nun für alles gesorgt. Nur mit der Akzeptanz vor Ort ist das so eine Sache. Wenn Twietmeyer in der Region öffentlich auftritt, dann sehen manche nicht einen von ihnen, sondern den Vertreter einer Branche, der sie nicht trauen. Die Menschen haben hier so ihre Erfahrungen gemacht; sie kennen das von den Windunternehmern, die Gewerbesteuer versprochen und nie gezahlt haben. Warum sollte man ihm also glauben?
Twietmeyer sagt: „Das können Sie glauben oder nicht. Aber Sie werden sehen, dass es so kommen wird, wie ich gesagt habe.“ Er hat sich verpflichtet, der Gemeinde jedes Jahr 200.000 Euro als eine Art Ausgleich für die Belastungen wegen des Solarparks zu zahlen. In der Frage, wie viel Gewerbesteuer die Anlage bringen wird, will er sich nicht festlegen.
Die Konflikte um die Solarenergie laufen quer durch die Parteien
Am Nachmittag fährt Dirk Reichstein von der Bürgerinitiative noch einmal im Auto zu der Fläche, auf der Twietmeyer seinen Solarpark plant. Zwischen den Ackerflächen steigt er aus, vor ihm breiten sich bis zum Horizont Flächen aus: Raps, Getreide, ein ostdeutsches Stillleben, uckermärkische Romantik. Das Feld ist seitlich begrenzt von einer Reihe aus Bäumen, dahinter, sagt er, geht es noch weiter, ein noch größeres Feld, auch darauf sollen sich die Solarmodule ausbreiten. „Das alles gehört dazu“, sagt Reichstein, „alles links von hier, bis zum Wald, das sind die besten Böden im ganzen Umkreis.“
Inzwischen hat sich das Klima in vielen Regionen so stark aufgeladen, dass einige Gemeinden alle Photovoltaikanlagen-Projekte rundweg ablehnen. Der Widerstand wächst. Templin zum Beispiel hat ein Moratorium beschlossen: Dort sollen nun bis zum Ende des Jahres gar keine Anlagen mehr genehmigt werden. „Es ist eindeutig eine Wildwest-Situation“, sagt Andreas Büttner, Linken-Politiker, Mitglied im Landtag und im Kreistag Uckermark.
Mit dem Moratorium hat sich seine Stadt Zeit gekauft; Büttner hofft, dass sich bis zum Ende des Jahres eine neue Regierung um das Thema kümmern wird. „Wir werden abwarten, was kommt, wer als Nächstes regiert, und ob sich etwas auf Bundesebene tut.“
Auch der Projektierer Hermann Meemken ärgert sich über die wachsende Ablehnung. „Ich entwickle mit Leib und Seele Solarprojekte“, und das seit 2009. „Jetzt kommt vielleicht ein Silberstreif“, sagt er: „Und da kommt auf der anderen Seite diese Gemengelage von Gegnern zusammen.“ Er versucht, zwei Projekte durchzusetzen, beide in der Uckermark, einmal 20 und einmal 50 Hektar. Aber seine Chancen stehen schlecht. Beim Wettrennen um die Flächen ist er abgeschlagen worden. Stattdessen haben andere wie Twietmeyer Megaprojekte mit mehreren 100 Hektar durchgesetzt, und nun ist die Akzeptanz dahin.
Vieles läuft kreuz und quer: In Templin sind die Grünen und die CDU für Solarparks, die Linke dagegen. In Boitzenburger Land sind Linke, CDU und SPD dafür und die Grünen dagegen. Die Argumente der Kritiker lässt Meemken nicht gelten. „Die versuchen den grünen Strom auszubremsen“, ruft er. „Die sind gegen alles, was sich ändert.“ Das will er nicht hinnehmen; seit Monaten macht er vehement Lobbyarbeit in eigener Sache, schreibt Briefe an die Grünen in Berlin und in Templin, an die Bundesminister für Landwirtschaft, Umwelt, Energie. Auch er fordert darin bundesweit einheitliche Beschränkungen, damit die Energiewende weitergeht: „Damit wäre viel Zeit gewonnen und den weithin in der Bevölkerung akzeptierten Zielen könnten endlich nachvollziehbare Taten folgen.“
Es gibt viele Bruchlinien, die der Solar-Streit aufbrechen lässt: zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land, zwischen Pächtern und Eigentümern. Und im Grunde geht es dabei immer auch um die Frage, wer darf bestimmen, wie es in der Region auszusehen hat? Diejenigen, die dort leben oder diejenigen, die dort Geld verdienen wollen?
Im Moment ist noch nicht klar, wie es ausgehen wird. Der einzige große Solarpark auf Agrarland in Brandenburg steht bislang auf 164 Hektar in Werneuchen nahe Berlin. Ein riesiges Feld wie ein Meer aus bläulich schimmerndem Glas. So könnte die Zukunft der Landwirtschaft in Ostdeutschland aussehen. Oder ihr Ende.
Update, 12. Oktorber 2021: Wir haben Titel und Untertitel einer Grafik korrigiert. In der früheren Version hieß es „produzierte Solarstromleistung“, richtig ist „installierte Solarstromleistung“.
Update, 13. Oktober 2021: Das Boitzenburger Land hat eine Fläche von 217 Quadratkilometern (und nicht Quadratmetern). Wir haben korrigiert.
Text: Gabriela Keller, Katarina Huth, Justus von Daniels Recherche: Gabriela Keller, Katarina Huth, Max Donheiser, Alexander Wenzel, Carolin Sprick, Isabel Knippel Faktencheck: Marcus Bensmann Grafiken: Max Donheiser Design: Benjamin Schubert Fotos: Ivo Mayr Kommunikation: Valentin Zick Weitere Mitarbeit: Sophia Stahl 11. Oktober 2021
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