Klimawandel

Klimaziel in Gefahr: Warum der Ausbau der Wärmenetze feststeckt

Kommunen in Baden-Württemberg wollen bis 2040 klimaneutral heizen. Doch der Netzausbau hängt: Hohe Kosten, intransparente Preise und geringe Nachfrage bremsen die Wärmewende aus.

von Jann-Luca Künßberg

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So sieht der Bau eines Wärmenetzes aus: dicke Rohre unter der Erde. Collage: CORRECTIV (Foto: picture alliance)

Schon die Römer wärmten vor mehr als 2.000 Jahren ihre Gebäude, in dem sie heißes Wasser aus natürlichen Thermalquellen unter ihre Steinböden leiteten. Das ist heute kaum anders. Heißes Wasser oder seltener Dampf versorgen durch mehr als 36.500 Kilometer Leitungen Wohnungen und Industrie in Deutschland mit Wärme. 

Die Bedeutung solcher Wärmenetze soll im Zuge der Wende zum klimafreundlichen Heizen noch deutlich wachsen, denn sie haben einen großen Vorteil: Sind die Rohre einmal verlegt, können vor allem in dichtbesiedelten Gebieten viele Haushalte günstig angeschlossen werden.

Doch es gibt zwei zentrale Probleme: Der Ausbau lahmt. Und bislang sind die Netze alles andere als klimafreundlich, auch wenn Energiekonzerne und Politik das gerne suggerieren – so wie etwa der Großversorger EnBW, der Fernwärme schon als „klimaschonende Wärmeversorgung“ anpreist, obwohl einige seiner Netze gerade erst von Kohle auf Erdgas umgestellt werden. 

Klimafreundlich sind die Wärmenetze noch lange nicht 

Das passt ins Gesamtbild: Derzeit werden für den überwiegenden Teil der Wärme in den Netzen noch Erdgas und Kohle verbrannt. In den Kommunen des Klima-Vorreiters Baden-Württemberg kommen noch fast zwei Drittel der Wärme aus diesen beiden fossilen Quellen, wie eine Auswertung von Daten der Klimaschutz- und Energieagentur des Landes durch CORRECTIV und SWR ergibt. 

Was sind Wärmenetze?
Fernwärme ist der geläufige Begriff, wenn von Wärmenetzen die Rede ist, an die viele Gebäude und Wohnungen angeschlossen sind. Es gibt aber auch kleine Netze – das wird dann umgangssprachlich als Nahwärme bezeichnet. Der Unterschied zwischen Fern- und Nahwärme besteht nur in der Größe des Netzes, die Technik dahinter ist die gleiche.

Und um bis spätestens 2040 klimaneutral zu werden, wie es sich das Land vorgenommen hat, müssen die Kommunen die Netze großzügig ausbauen, so sehen es ihre Pläne auch vor. Während aktuell zwölf Prozent ihres gesamten Bedarfs aus Wärmenetzen kommt, sollen es in 15 Jahren gut 40 Prozent sein. Außerdem soll der Anteil erneuerbarer Energien in den Wärmenetzen dann bei mindestens 80, besser bei 100 Prozent liegen.  

Klimaziele sind vom Erfolg der Wärmenetze abhängig 

An diesem Ziel gibt es aber erhebliche Zweifel, etwa von der bundeseigenen Deutsche Energieagentur (dena) in einem Papier von 2023: „Die bereits beschlossenen und derzeit noch diskutierten Maßnahmen reichen voraussichtlich nicht aus, um den Fernwärmesektor bis 2045 vollständig zu dekarbonisieren.“  

Zwei Jahre später klingt die dena auf Anfrage noch fast genauso: Der regulatorische und ökonomische Rahmen müssten „angepasst werden, um den Markthochlauf von Erzeugungstechnologien und Infrastruktur zu ermöglichen.“ Noch immer, heißt das, reichen die Pläne nicht aus – wohlgemerkt für das Bundesklimaziel 2045. Baden-Württemberg will noch fünf Jahre schneller sein. 

„Es gibt Netze, da schließt sich für die Kosten niemand an“ 

CORRECTIV und SWR befragen derzeit die Menschen in Baden-Württemberg in einem CrowdNewsroom nach ihren Erfahrungen mit der Wärmewende. Die Antworten zeigen: Trotz einiger Positivbeispiele ist die Situation vielerorts verfahren. Das deckt sich mit den Rückmeldungen der vorher befragten Kommunen.  

Betreiber zögern mit dem teuren Netzausbau nicht nur wegen fehlender Finanzmittel, sondern weil Verbraucherinnen und Verbraucher geringes Interesse am Netzanschluss zeigen, was zusätzliche wirtschaftliche Unsicherheit für die Unternehmen bedeutet. Die Menschen suchen derweil nach anderen Lösungen, weil ihnen verlässliche Angebote von den Betreibern fehlen – ein Teufelskreis. 

Wie erleben Sie die Wärmewende in Baden-Württemberg?

Baden-Württemberg möchte 2040 und damit fünf Jahre früher als der Bund klimaneutral sein. Ohne Wärmewende klappt das nicht. Deswegen möchten CORRECTIV und SWR im gemeinsamen Projekt „Druck im Kessel – Wie trifft mich die Wärmewende?“ von Ihnen wissen: Sorgen Sie sich um Ihre Heizkosten? Steht bei Ihnen ein Heizungstausch an? Oder sind Sie schon umgestiegen? Beteiligen Sie sich über diesen Link an unserer Umfrage und berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen!

Das Ausbauproblem ist vor allem eines der kleineren Orte. In dichtbesiedelten Großstädten lassen sich viele Haushalte mit wenigen Metern Leitung beliefern, während in Randgebieten und ländlichen Regionen die Wege deutlich weiter und damit teurer sind.   

„Es gibt Netze, da schließt sich für die Kosten niemand an“ 

„50 bis 60 Prozent der Haushalte in einer Straße müssten wenigstens an ein Wärmenetz angeschlossen werden, damit sich das lohnt“, sagt Felix Weber, Klimaschutzmanager der Kleinstadt Freiberg am Neckar, die die örtlichen Netze selbst betreibt.  

Um mehr Haushalte erreichen zu können und ihnen so den geplanten Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen zu erleichtern, müssen neue Leitungen verlegt werden. Die Kosten dafür werden dann auf die Bestands- und Neukunden umgelegt; je weniger Kunden es gibt, desto höher wird der Preis für jeden einzelnen. „Es gibt Netze, da schließt sich für die Kosten niemand an“, sagt Weber. So höre er das aus vielen Kommunen.  

Der Netzausbau könnte unwirtschaftlich werden 

Davon berichtet etwa Michael Halasz aus Eberstadt im CrowdNewsroom. „Nach Anfrage wurde uns mitgeteilt, dass Fernwärme für unser Haus nur dann geliefert werden wird, wenn wir die Leitungen selbst bezahlen, da in unserer Straße zu wenig Interessenten sind, schreibt er.  

Im anschließenden Gespräch schätzt Halasz die Kosten auf einen sechsstelligen Betrag – ein Angebot habe er zwar nicht eingeholt, es wären aber Tiefbauarbeiten über drei- oder vierhundert Meter nötig gewesen. Gewiss ein Extrembeispiel. Doch fehlende Interessenten können den Netzausbau unwirtschaftlich machen. Und der Teufelskreis setzt ein. 

Intransparente Preise schrecken Verbraucher ab 

Aber was genau hält auf der anderen Seite die Verbraucherinnen und Verbraucher von einem Fernwärmeanschluss ab? Indizien liefern die Antworten im CrowdNewsroom. Bürgerinnen und Bürger berichten von bereits gescheiterten Konzepten in ihren Heimatorten, die finanziell für die Gemeinde nicht stemmbar gewesen seien, von intransparentem Verwaltungshandeln und von fehlendem Vertrauen in die Vorhaben des örtlichen Versorgers.  

Dort, wo es Pläne für neue Wärmenetze gibt, nennen Bürgerinnen und Bürger immer wieder die intransparente Preisgestaltung der Anbieter als Grund für die Entscheidung dagegen.  

Wir hätten gern Fernwärme, aber der örtliche Versorger ist nicht interessiert, kleine Wohneinheiten wie unser Dreifamilienhaus ans Fernwärmenetz anzuschließen, schreibt einer. Ursprünglich wollte ich die Möglichkeit eines Fernwärmeanschlusses nutzen. Die Anschlusskosten waren jedoch so hoch, dass diese Option nun ausscheidet, ein anderer. Ich möchte nicht von einem Fernwärmemonopolisten abhängig sein!, ein Dritter. 

Wärmenetze werden als Monopole betrieben 

Gerade letzteres nennen die Menschen im CrowdNewsroom häufig. Und es stimmt ja: Fernwärmenetze werden von einem einzigen Anbieter – also als Monopol – betrieben. Verbraucher haben somit keine Auswahl und sind von diesem Anbieter abhängig. Dem erlaubt der Gesetzgeber bislang zudem beinah schrankenlose Preisanpassungen, die für Laien kaum verständlich sind. Anders ausgedrückt: Die Preise für Fernwärmekunden sind de facto nach oben nicht begrenzt. 

Anders als bei Strom und Gas werden in der Fernwärmeversorgung sehr langfristige Verträge geschlossen. Deshalb bestehen die Versorger darauf, „dass eine Anpassung der vertraglich vereinbarten Ausgangspreise möglich sein muss, da die Preisentwicklung auf den Energiemärkten und bei den Investitionskosten nicht von vornherein absehbar ist“, heißt es dazu beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Die Branche pocht also auf ihr Recht, die Preise frei anzupassen.  

Politische Lösung bislang nicht in Sicht 

Das Problem ist schon lange bekannt, im aktuellen Koalitionsvertrag schreiben Union und SPD: „Wir sichern faire und transparente Preise und stärken dafür die Preisaufsicht.“ Die Ampelregierung hatte bereits neue Regeln entworfen, war aber an unterschiedlichen Interessen bei den Preisen gescheitert.  

Seither sind sich Energiebranche und Verbraucherschützer nicht nähergekommen. Und im neuen Energiemonitoring des Bundeswirtschaftsministeriums taucht Fernwärme als Thema fast nicht auf. Eine Lösung ist also weiterhin nicht in Sicht. 

Alternativen werden attraktiver 

Das führt dazu, dass bei einem Heizungstausch häufig auf Alternativen wie Wärmepumpen zurückgegriffen wird – jedenfalls dort, wo es möglich ist. „Wegen einer seit über 14 Jahre andauernden und nicht abschließenden Diskussion zu einem Nahwärmenetz sahen wir uns zu diesem Schritt gezwungen“, schreibt dazu exemplarisch Stefan Zorell aus Grünkraut nahe Ravensburg im CrowdNewswoom. 

Auch Experten sind bei der Frage nach Lösungen für die Blockadesituation zurückhaltend, belastbare Aussagen nicht möglich. Einige Kommunen bieten inzwischen Onlineportale an, um die Kommunikation zwischen Energieversorger und Verbrauchern zu erleichtern. Dort können Ausbaupläne frühzeitig eingesehen und Interesse hinterlegt werden. Wie erfolgreich dies Instrument ist, muss sich noch zeigen. 

Manche sind auf Fernwärme angewiesen, um künftig klimaneutral heizen zu können

Für den Netzausbau sendet der Bundeshaushalt 2026 ein kleines Signal: Darin steigen die Mittel für Förderungen um 400 Millionen auf 1,4 Milliarden Euro – das Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos hatte im Auftrag des Verbands der Kommunalen Unternehmen einen Bedarf von 3,5 Milliarden Euro jährlich errechnet. 

Die Bedeutung von Wärmenetzen sollte jedenfalls nicht unterschätzt werden. Wenn ab 2027 der Preis für Kohlenstoffemissionen am freien Markt entsteht und damit Öl- und Gasheizungen absehbar teurer werden, dürfte das Interesse daran schnell zunehmen – vor allem dort, wo der Einbau einer Wärmepumpe finanziell oder baulich nicht sinnvoll ist.  

Das betrifft auch einige Haushalte, wie Bürgerinnen und Bürger in unserem CrowdNewsroom schreiben: „Für eine Wärmepumpe werden extrem hohe Kosten von den Firmen angesagt“, schreibt eine Familie aus Mannheim. Doch der örtliche Versorger sei bislang nicht interessiert, ihr Haus anzuschließen – und die Mannheimer bleiben bei ihrer Gasheizung. Es bleibt also noch viel zu tun. 

Dieser Artikel ist Teil der gemeinsamen Beteiligungsrecherche „Druck im Kessel – Wie trifft mich die Wärmewende?“ von CORRECTIV und SWR. Recherche: Madlen Buck, Katarina Huth, Jann-Luca Künßberg, Lena Schubert (CORRECTIV) Eberhard Halder-Nötzel, Philipp Pfäfflin, Matthias Zeiler (SWR) Recherche und Datenauswertung: Tom Burggraf, Katharina Forstmair, Elisa Harlan (SWR Data Lab) CrowdNewsroom: Marc Engelhardt, Sven Niederhäuser (CORRECTIV) Projektleitung: Justus von Daniels (CORRECTIV), Eberhard Halder-Nötzel (SWR) Redaktion: Justus von Daniels, Martin Böhmer Faktencheck: Martin Böhmer Kommunikation: Esther Ecke, Anna-Maria Wagner, Nadine Winter

 

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