Staatspräsident Napolitano im Zeugenstand
Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano muss morgen vor Gericht: Er ist Zeuge im wichtigsten italienischen Mafia-Prozess. Es geht um die "Trattativa stato-mafia", einem Geheimpakt, den der italienische Staat in den Neunzigern mit der Cosa Nostra geschlossen haben soll, und um die Frage, was Napolitano davon wusste. Doch neben den geplanten Befragungen durch die Staatsanwälte, darf nun auch die Mafia Fragen an Napolitano richten.
Damit gibt das Gericht in Palermo einer Forderung des Anwaltes von Salvatore Riina, dem ehemaligen Boss der Bosse der Cosa Nostra, nach. Nachdem das Gericht zunächst untersagt hatte, dass Toto Riina selbst via Videochat an der Befragung von Napolitano teilnehmen darf, hat es nun dessen Anwalt Luca Cianferoni erlaubt, den italienischen Präsident zu den Ereignissen zwischen 1992 und 1994 zu befragen.
Bei dem Prozess, der seit einem Jahr läuft, sind sowohl bekannte Mafiosi, als auch Polizisten und hochrangige Politiker wie der ehemalige Innenminister Nicola Mancino und der ehemalige Senator und Vertrauter Berlusconis Marcello Dell’Ultri angeklagt.
Nachdem 1992 die beiden Antimafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino von der Cosa Nostra ermordet wurden, kam es im darauffolgenden Jahr zu zahlreichen Bombenattentaten der Mafia. Der italienische Geheimdienst warnte 1993 auch vor einem möglichen Attentat gegen Napolitano. 1994 hörte der Terror plötzlich auf. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass der Staat gegenüber der Mafia eingeknickt sei. In geheimen Verhandlungen soll der Staat der Cosa Nostra Zugeständnisse wie erleichterte Haftbedingungen für Mafiosi, Gesetzesänderungen und sogar aufgehobene Gerichtsurteile gemacht haben und sie so zu einem Nichtangriffspakt bewegt haben.
Napolitano ist das erste italienische Staatsoberhaupt, das in einem Mafia-Prozess aussagen muss. Er hatte versucht seine Aussage zu umgehen, in dem er im Oktober 2013 einen Brief an das Gericht schrieb, mit der Bitte ihn von seiner Aussagepflicht zu entheben. Doch das Gericht lehnte ab, befindet sich doch unter dem Beweismaterial ein Brief des Justiziars Loris D’Ambrosio an Napolitano, in dem dieser dem Präsidenten von „unsäglichen Vereinbarungen“ berichtet.
Zum Beweismaterial gehörten zunächst auch abgehörte Gespräche zwischen Napolitano und dem angeklagten Nicola Mancino. Doch als Napolitano mitbekam, dass er abgehört wurde, drohte er den Ermittlern mit Klagen, sodass die Bänder 2013 gelöscht wurden. Es folgte ein Eklat. Einige Politiker forderten Napolitanos Rücktritt.
Die Befragung findet morgen unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Quirinal in Rom, dem Amtssitz des Präsidenten, statt, in jenem Raum in dem Napolitano sonst Staatschefs empfängt. 40 Personen werden anwesend sein.