„Stark. Gefürchtet. Unverstanden“ – Giuseppe Legato über die ‚Ndrangheta im Piemont
Es ist eine Geschichte über Drogenflüsse, über Morde, über eine Reise in die gefährlichste italienische Mafia: die 'Ndrangheta. Die Rede ist von der Dokumentation "Aspro(Pie)monte" des Autors Giuseppe Legato, die nun in Italien erschienen ist und sich auf die Machenschaften der 'Ndrangheta im Piemont konzentriert. Eine Region, in der die 'Ndrangheta lange negiert wird. Ein Interview mit dem Journalisten Giuseppe Legato.
Giuseppe Legato, wie kamen Sie auf die Idee diese Dokumentation zu drehen?
Legato: Die Idee ist in einer Bar geboren, eine der wenigen, die in Turin noch um vier Uhr morgens aufhat. Es war der 8. Juni 2011, die Nacht der Verhaftungen der Operation Minotauro. Ein Polizist, der bei den Ermittlungen mitgearbeitet hatte, rief mich an und sagte mir: Du kannst soviel über diese Geschichte schreiben wie du willst, aber erzähl sie durch Bilder. Die Leute hier müssen es sehen und nicht nur lesen. Nach zwei Jahren und Seiten über Seiten, die ich über die ‚Ndrangheta geschrieben hatte, habe ich dann angefangen zu überlegen, ob ich das Medium wechseln sollte. Zu Bildern und Zeugnissen. Ich glaube, der Polizist hatte Recht.
Wie sind Sie bei Ihren Recherchen vorgegangen? Jeder weiß, von der Gefahr die von ‚Ndrangheta ausgeht. Stand Vorsicht im Vordergrund?
Ich habe fünf Monate mit einem Reporterkollegen zusammengearbeitet, der mich sehr unterstützt hat: Daniele Solavaggione. Er hat Rückrat, eine sehr ernsthafte Person. Allein in Volpiano, eine Stadt, die mittlerweile Schauplatz einer Fehde der ‚Ndrangheta aus Platí ist, haben wir mit einer gewissen Vorsicht gearbeitet. Man könnte sagen, wir haben gemerkt, dass wir nicht willkommen waren, aber während wir gedreht haben waren immer Carabinieri bei uns, sodass alles glatt gelaufen ist.
Sie haben Ihre Recherche immer als eine Reise beschrieben. Was waren die wichtigsten Etappen?
Es sind nicht viele, ich habe sie noch alle im Kopf. Begonnen hat alles im Büchersalon, im Mai 2014. Der Staatsanwalt Nicola Gratteri und der Professor Antonio Nicaso haben ihr Buch „Heiligsten Wasser“ vorgestellt. Dort habe ich angefangen zu fragen, ob sie bereit wären für eine Doku Frage und Antwort zu stehen. Da habe ich Daniel angerufen: Nehmen oder lassen, habe ich ihn gefragt. Fünf Minuten später war er da… An jenem Tag sprach ich auch zum ersten Mal mit meinem Chefredakteur von La Stampa über die Doku, er sagte mir: Mach weiter, aber bring dich nicht in Schwierigkeiten.
Ab September mussten wir dann beschleunigen. An dem Punkt waren sowohl die Carabinieri als auch die Antimafia-Ermittler eine große Hilfe. Ich komm noch einmal auf Volpiano zurück, dort haben wir immer wieder umdisponieren müssen. Schon nachdem wir erst wenige Minuten in der Stadt war, rief schon jemand bei der Polizei an, um zu erfahren, wer wir sind und was wir wollen. Ab Weihnachten haben wir dann geschnitten, sechs Tage und sechs Nächte lang. Es hat ein dutzend Kaffeetassen für den Filmemacher gebraucht, der uns geholfen hat: Paolo Tangari, wahnsinnig professioneller Journalist. Ende Dezember dann war die Abgabe. Die Zeitung hat unseren Film erst mit Vorsicht aufgenommen, dann mit Enthusiasmus.
Seit wann interessieren Sie sich für die Machenschaften der Mafia?
Ich hab mit 24 Jahren angefangen, also vor elf Jahren. Ich kam fünf Jahre vorher aus Kalabrien nach Piemont. Nachdem es dann in Turin den ersten Mafia-Kronzeugen gab, Rocco Varacelli aus Natile di Careri, habe ich begonnen mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Ich habe die Ermittler um Daten und Dokumente gebeten, ohne vorher groß mit ihnen in Kontakt gewesen zu sein. Manchmal kam was, manchmal nichts. Auch jedes Mal wenn ich zu meiner Familie nach Kalabrien zurückkehrte, heuerte ich die Staatsanwaltschaften an. Noch heute kenn ich keine bessere Methode um an Informationen zu kommen, um Beweise zu finden und die Geschichte dieser kriminellen Organisation zu erzählen. Für mich habe ich den Schlüssel zu meiner Arbeit gefunden, indem ich mich an die Arbeit der Staatsanwälte Giancarlo Caselli und Roberto Sparagna gehängt habe.
Wurden Sie je wegen Ihrer Arbeit bedroht?
Richtige Drohungen habe ich nie bekommen. In manchen Untersuchungsakten ist auch mein Name gelandet, aber wir haben da nie ein größeres Ding draus gemacht als es war. Wenn eines deiner Stücke der ‚Ndrangheta nicht gefällt, besteht immer das Risiko in einer wenig schmeichelhaften Umgebung zu landen. Aber das weißt du von Anfang an. Den Helden zu machen, zahlt sich in unserem Beruf nicht aus. So denke ich.
Warum machen Sie es dann?
Ich hoffe, den Menschen die Augen öffnen zu können. Ich weiß, dass ist anmaßend, aber dieser Beruf entsteht um zu erzählen und durch diese Erzählungen anderen helfen besser zu verstehen, was für Jahre negiert wurde: die Präsenz der ‚Ndrangheta im Piemont. Es gibt in Turin immer noch Menschen, die nicht wissen, dass die ‚Ndrangheta 1983 den Staatsanwalt Bruno Caccia umgebracht hat. Ein Richter hat mir einmal gesagt: „Sie haben sich entfernt, um keine Angst zu haben.“ Um uns zu verstehen: Diese Stadt hatte ihren Giovanni Falcone noch bevor ihn Sizilien hatte, aber hat es geschafft, diese Mord an einem Antimafiahelden als einfachen Mord abzustempeln. Ein Unglück für die Erinnerung. Und für den Respekt.
Wenn Sie die ‚Ndrangheta im Piemont heute beschreiben müssten, welche Worte würden Sie wählen?
Sehr stark. Gefürchtet. Unverstanden. Vom Volk abgelehnt. Von einigen Unternehmern und Teile der politischen Klasse gesucht.
Glauben Sie das der Journalismus über die Mafia Resultate erzielt? Was müsste anders laufen? Beziehungsweise glauben Sie, dass diesem Journalismus der Platz eingeräumt wird, den er verdient hätte?
Der Letzte ist der schwierigste Teil der Frage. Es ist klar, dass das Thema Mafia immer mehr Platz bekommt. Man spricht immer mehr darüber und auch immer tiefgründiger. Es gibt interessante Blogs und Internetseiten über die Mafia. Sie machen eine lobenswerte Arbeit, ohne den Luxus den ich bei einer großen Zeitung habe. Das Problem sind die Kollegen, die das Thema klein reden. Ich kenne einige von ihnen. Sie sprechen von Alarmierung, ohne zu bemerken, dass sie damit ihr Land zum Tode verurteilen.
Es werden zwar immer weniger, aber noch gibt es zu viele. Ich wünsche mir, dass sie bald Geschichte sind. Bei meiner Zeitung ist die Berichterstattung über die Mafia von zentraler Bedeutung. Die Doku beweist das.
Die Dokumentation ist bisher nur in Italien erschienen, ob und wann sie auf Deutsch erscheint ist noch unklar. Auf Italienisch kann man die Doku hier anschauen.