Neue Rechte

Die AfD sagt, dass Afrikaner ein spezielles Vermehrungsverhalten haben, das sich von Europäern unterscheidet. Stimmt das?

AfD-Faktencheck, Teil 2: Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, hat bei einem Vortrag am 21. November 2015 in Schnellroda behauptet: „Die Evolution hat Afrika und Europa – vereinfacht gesagt – zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert. Sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen.“ Wirklich?

von Björn Bernitt

© Collage von Ivo Mayr

Hier geht’s zum Originalzitat.

Die Theorie, auf die sich Björn Höcke in seinem Vortrag bezieht, stammt aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Damals formulierten Edward Wilson und Robert MacArthur ein Modell, mit dem sie die Fortpflanzungsarten von Tieren und Pflanzen beschreiben. Nach der daraus abgeleiteten Theorie lassen sich alle Spezies in so genannte r- und K-Strategen unterteilen, wobei r für die Reproduktionsrate einer Art und K für die Kapazitätsgrenze eines Lebensraums steht.

Biologen sprechen von r-Strategen, wenn sich eine Art durch hunderte Nachkommen reproduziert, dann aber nur wenig in die Brutpflege investiert. Typisches Beispiel für eine solche r-Strategie ist die Eiablage von Fröschen: Die Eltern überlassen ihren Nachwuchs sich selbst und kalkulieren ein, dass der Großteil vorzeitig stirbt.

Im Unterschied dazu kümmern sich K-Strategen lange um ihren – zahlenmäßig geringen – Nachwuchs. Da im Erbgut des Menschen festgeschrieben ist, dass er vergleichsweise wenige Kinder bekommt, dann aber viel Energie in das Großziehen steckt, ist er dem Modell nach ein typischer K-Stratege. Die meisten Säugetiere verfolgen die K-Strategie. Nur Kleinsäugetiere, wie beispielsweise Mäuse, kommen der r-Strategie näher. Denn es gibt nicht einen Topf mit r- und einen weiteren mit K-Strategen. Zwischen beiden Enden gibt es viele Varianten.

Menschen sind sich genetisch sehr ähnlich. Sie gehören derselben Art an. Die genetischen Unterschiede zwischen Afrikanern und Europäern sind vernachlässigbar und betragen höchstens 0,1 Prozent.

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Die unterschiedlichen Geburtenraten in Afrika und Europa haben keine biologischen, sondern gesellschaftliche Gründe. Die Geburtenrate hängt davon ab, wie arm oder reich die Menschen sind, ob sie mehrheitlich auf dem Land leben und Ackerbau betreiben, ob sie in Groß- oder Kleinfamilien leben, ob Mädchen zur Schule gehen dürfen, wie stark Tradition und religiöse Wertvorstellungen die Menschen prägen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Höcke liegt allenfalls richtig, wenn er zum Ausdruck bringen will, dass die Geburtenrate in afrikanischen Entwicklungsländern höher und in europäischen Industriestaaten niedriger sei.

Allerdings bekamen die Mitteleuropäer vor der industriellen Revolution auch deutlich mehr Kinder und deren Sterberate war um ein Vielfaches höher. Ohne ein staatlich gelenktes Sozialsystem versprachen sich die Eltern von der Arbeitskraft ihrer Kinder eine gesicherte Altersvorsorge. Auch die verbesserte medizinische Versorgung und neu entwickelte Medikamente, wie beispielsweise die Pille, hatten einen größeren Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Bevölkerung.

Fazit

Gymnasiallehrer Höcke bekommt ein „ungenügend“: Entweder hat er die r/K-Theorie nicht verstanden. Oder er hat sie bewusst verdreht. Tatsächlich sind sich Afrikaner und Europäer genetisch derart ähnlich, dass sie eine identische Fortpflanzungsstrategie verfolgen. Wobei man fragen muss: Welchen Sinn macht es überhaupt, derart simple Modelle aus der Biologie auf komplexe Gesellschaftssysteme anzuwenden?

Der AfD-Faktencheck wurde zusammen mit dem Institut für Journalistik der TU Dortmund erstellt. Die Autoren Björn Bernitt, Linda Fischer, Anastasiya Polubotko und Daniela Weber sind Studierende bei Professor Holger Wormer. Assistenz: Maximilian Doeckel

Quellen

  • Originalzitat: Vortrag am „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda am 21.11.2015: „Asyl – eine politische Bestandsaufnahme“ (Video)
  • Robert H. MacArthur, Edward O. Wilson: The Theory of Island Biogeography. Princeton University Press, Princeton 1967
  • Pianka ER. (1970) On r-and K-selection. Am. Nat. 104, 592–597
  • Dr. paed. Joachim Elsner, TU Dortmund
  • Prof. Dr. rer. nat. Andreas Beyer, WH Gelsenkirchen
  • The World Factbook, Central Intelligence Agency
  • Statistisches Bundesamt
  • Dr. Reinhard Klenke, Helmholtz Zentrum für Umweltforschung