Russland/Ukraine

Schweizer Chips in russischen Kampfdrohnen

Eine russische Kampfdrohne wurde mit einem Schweizer Chips gesteuert. Sanktionen und Massnahmen, mit denen der Hersteller den Export verhindern will, werden offenbar umgangen: Die Chips werden auf chinesischen Plattformen zum direkten Versand in Nachbarstaaten Russlands angeboten.

von Marc Engelhardt

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Die nahe Kopiansk gefundene Drohnenplatine mit Schweizer Chip. Die Karte zeigt die Orte der von der Organisation ACLED erhobenen 2786 russischen Luft- und Drohnenangriffe in der Provinz Charkiw seit Kriegsbeginn am 24.2.2022. (Karte acleddata.com, Stand 9.11.2024, Collage Marc Engelhardt)

In russischen Kampfdrohnen, die im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt werden, steckt auch Jahre nach Inkrafttreten von Sanktionen Schweizer Technologie. Das belegt ein Foto von Überresten einer Drohne vom Typ Lancet, das CORRECTIV in der Schweiz vorliegt. Die Aufnahme zeigt eine Platine mit einem Chip der Schweizer Firma u-blox mit Sitz in Thalwil. Dieser wurde im Februar 2024 hergestellt. Das zeigt das auf dem Chip aufgedruckte Herstellungsdatum, 2/24. Dabei ist die Lieferung von militärisch nutzbaren Gütern aus der Schweiz nach Russland bereits seit März 2022 verboten.

Die Aufnahme der Platine erhielt CORRECTIV vom freien Journalisten Artur Weigandt, der seit langem aus der Ukraine berichtet. Einer seiner Kontakte hatte sie aus den Überresten einer in der Region Kupiansk niedergegangenen Lancet-Drohne im Oktober fotografiert. Die russische Armee hat ihre Angriffe auf die Stadt nahe der Front im Gebiet Charkiw in den vergangenen Monaten intensiviert. Medienberichten zufolge starben in Kupiansk seither zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner durch Angriffe aus der Luft.

Die von u-blox hergestellten Chips mit der Produktbezeichnung LEA-M8S ermöglichen die Navigation der Drohnen, die meist im Doppel eingesetzt werden: Die eine zur Aufklärung, die andere, mit Sprengladung versehene zur Zerstörung des Zielobjekts. Lancet-Drohnen gelten als besonders günstig und zugleich effizient. Dass in den eineinhalb Meter langen, wendigen Luftfahrzeugen aus russischer Produktion auch Schweizer Bauteile jüngeren Datums enthalten sind, hatten Recherchen von Swissinfo bereits im November 2023 ergeben. In einer Stellungnahme hatte die Firma versichert, den Verkauf nach Russland schon kurz nach dem Einmarsch in die Ukraine gestoppt zu haben.

Hersteller will Fällen nachgehen

Von CORRECTIV in der Schweiz mit dem neuerlichen Fund eines Chips in einer russischen Kampfdrohne konfrontiert, antwortet ein Sprecher von u-blox fast wortgleich wie damals: „Unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 haben wir bei u-blox alle Verkäufe nach Russland, Weissrussland und in die von der russischen Armee besetzten Gebiete der Ukraine gestoppt, unabhängig vom Verwendungszweck.“ Möglicherweise stammten gefundene Bauteile aus Beständen, die vor der Einführung dieser Massnahmen produziert und verkauft worden seien, zudem gebe es Berichte, nach denen die russische Regierung in Erwartung des Krieges Bestände an Bauteilen angelegt hat.

„Darüber hinaus liegen uns Informationen vor, dass das russische Militär elektronische Komponenten aus einem kommerziellen Endprodukt, wie zum Beispiel einem Elektrofahrrad, entfernt und für eine militärische Anwendung verwendet.“ Selbstverständlich werde diesen Fällen nachgegangen und alle rechtlichen Schritte würden eingeleitet, um Verstösse gegen die Verkaufsbedingungen von u-blox zu ahnden. Ob in einem oder mehreren Fällen bereits rechtliche Schritte eingeleitet wurden, schreibt er nicht.

Der Fund des erst wenige Monate alten Chips aus Schweizer Produktion in der in Kupiansk gefundenen Drohne ist kein Beleg dafür, dass u-blox gegen die von der Schweizer Regierung verhängten Sanktionen verstösst. U-blox verweist auf seine langjährige Unternehmenspolitik, die den Einsatz von Produkten in Waffen oder Waffensystemen ausdrücklich verbiete. Alle Verkaufsmitarbeitenden würden regelmässig geschult, Händler vertraglich verpflichtet, diese Einschränkung zu akzeptieren.

Dennoch ist der russische Militärkomplex offenkundig nach wie vor in der Lage, die dringend benötigten Bauteile zu beschaffen – und zu benutzen. Zwar schreibt uns u-blox, technische Vorkehrungen sollten den Einsatz in militärischen Anwendungen verhindern. So sollten „Positionierungsprodukte“ – dazu gehören auch die betroffenen Chips – bei hohen Geschwindigkeiten abgeschaltet werden. Doch die durch das Foto nachgewiesene Verwendung spricht dafür, dass diese Vorkehrung zumindest erfolgreich umgangen wird. Zudem lobt Russlands Machthaber Wladimir Putin die betreffenden Lancets als „hoch effizient“.

Chips auf Alibaba billig zu beschaffen

Ein Weg, an die begehrten Chips zu kommen, ist der Reimport aus Ländern, die keine Sanktionen gegen Russland erlassen haben. Zu ihnen zählen die Staaten der Eurasischen Wirtschaftsunion, einer Freihandelszone ehemaliger Sowjetrepubliken. Auch in diese Länder sei der Vertrieb von Chips „aufgrund der sehr eingeschränkten Grenzkontrollen zwischen den Ländern der Freihandelszone“ gestoppt worden, versichert uns u-blox. Schwer ist die Beschaffung dennoch nicht, wie unsere Recherchen zeigen. Jedermann kann die betreffenden Chips billig und ohne Auflagen auf der chinesischen Verkaufsplattform Alibaba erstehen.

Chinesische Versandhändler bieten den in der Ukraine fotografierten LEA-M8S-Chip aus Schweizer Produktion auf der Versandplattform Alibaba zum Verkauf an – auch nach Belarus und der Webseite zufolge zumindest früher auch nach Russland (Aufnahme vom 9.11.2024)
Chinesische Versandhändler bieten den in der Ukraine fotografierten LEA-M8S-Chip aus Schweizer Produktion auf der Versandplattform Alibaba zum Verkauf an – auch nach Belarus und der Webseite zufolge zumindest früher auch nach Russland (Aufnahme vom 9.11.2024)

Zahlreiche Händler bieten sie dort an. Nach Russland lassen sich die Chips aktuell zwar nicht bestellen. Interessierte Kundschaft kann sich die LEA-M8S aber nach Belarus schicken lassen, das Russlands Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Oder nach Kasachstan, wo der Schmuggel verbotener Güter ins angrenzende Russland blüht. CORRECTIV hatte darüber bereits im Zusammenhang mit deutschen Waffen berichtet. Beide Staaten sind zudem Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion, in die u-blox nach eigenen Angaben nicht mehr liefert.

Tatsächlich ist nicht u-blox der Verkäufer, sondern chinesische Versandhändler, die Alibaba als Verkaufsplattform nutzen. Einer von ihnen, die erst vor einem Jahr gegründete Firma Shenzhen Jianxinsheng Electronics, liefert laut Alibaba in alle Länder, auch nach Belarus und Kasachstan. Zudem residiert sie eine kurze Autofahrt von der u-blox-Niederlassung in Shenzhen entfernt.

Handelsweg und Weiterverkauf schwierig zu verfolgen

U-blox teilt uns mit, sie habe Massnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass Händler die Vertriebsbeschränkungen in der Eurasischen Wirtschaftsunion einhalten. „Dazu gehört die vertragliche Verpflichtung unserer Händler, keine Produkte an Kunden in diesen Ländern weiterzuverkaufen. Unsere Verträge sehen vor, dass unsere Händler uns die Namen und Standorte der Endkunden mitteilen müssen.“ Auch technische Vorkehrungen sollen verhindern, dass etwa Versandadressen in gesperrten Zielländern ins Kundenmanagementsystem von u-blox eingegeben werden. Dem steht entgegen, dass die Chips auf Alibaba unverändert zum Verkauf in diese Länder angeboten werden.

Der Fall der Schweizer Chips in russischen Kampfdrohnen zeigt, dass Waffen wie die Lancet-Drohnen im Krieg gegen die Ukraine auch deshalb so erfolgreich sind, weil ihre Bestandteile einfach und günstig zu bekommen sind. Putin selbst brüstete sich in einem Interview damit, dass in Lancet-Drohnen ausländische Bestandteile verbaut sind. Darunter sind Chips, die millionenfach verkauft wurden.

Es sei sehr schwierig, deren Weg zu verfolgen und den Weiterverkauf zu sanktionieren, sagte der russische Militärexperte Walerij Schyrjajew vor einem Jahr in einem Interview mit Swissinfo. Unmöglich sei es aber nicht. Für den Fall, dass die Verfolgung gelingt, ist er indes pessimistisch. Schweizer Chips könnten von den Machern der Lancet-Drohne vermutlich relativ einfach gegen Chips anderer Hersteller ausgetauscht werden, glaubt er.

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