Russland/Ukraine

Lückenhafte Sanktionen: Gelangten deutsche Maschinen über Usbekistan heimlich nach Russland?

Der russische Konzern Uralkali gilt als einer der weltweit größten Hersteller von Düngemitteln. Laut EU-Sanktionen ist die Lieferung bestimmter Ausrüstung an ihn verboten. Recherchen von CORRECTIV zeigen: Maschinen deutscher Firmen fanden bis zuletzt über Usbekistan trotzdem ihren Weg nach Russland.

von Alexej Hock

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Uralkali baut im Ural wie hier in Beresniki Kalisalze ab und verarbeitet sie zu Dünger. Foto: Georgy Roszov / Russian Look/ picture alliance

Wenn die Maschinenfabrik Köppern ihre Anlagen für die Auslieferung vorbereitet, werden die fertigen, tonnenschweren Teile auf Paletten platziert, mit Sperrholz verkleidet, auf LKWs geladen und mit Eisenketten verzurrt.

Ein Instagram-Post vom November 2023 zeigt so eine Holzkiste auf einem Sattelzug. „Bon voyage!“, kommentiert das Unternehmen. „Die erste von vielen ‚Kisten‘ geht auf die Reise” – vom Firmensitz in Hattingen im südlichen Ruhrgebiet raus in die Welt.

Nach Recherchen von CORRECTIV sind mehrere Lieferungen in dieser Zeit möglicherweise an einen der weltweit größten Düngemittelhersteller, das russische Unternehmen Uralkali, gelangt. Handelsdaten offenbaren ein Schema, mit dem sich Uralkali mit Maschinen und Anlagenteilen der Maschinenfabrik Köppern und weiterer deutscher Hersteller versorgt haben könnte.

Bis zuletzt – und damit vorbei an den Sanktionen der EU – könnten so Waren im Wert von Dutzenden Millionen Euro aus Deutschland über Usbekistan nach Russland gelangt sein – an einen systemrelevanten Konzern, der Geld in Russlands Kriegskasse spült.

Die Exporte zeigen Lücken auf in der konkreten Umsetzung der europäischen Russland-Sanktionen. Sie wirft Fragen zur individuellen Verantwortung auf: Konnten die beteiligten Unternehmen ausreichend prüfen, wo ihre Lieferungen tatsächlich landen?

Aber es geht auch darum, ob sich die staatlichen Kontrollinstanzen durch russische Endkunden zu leicht aushebeln lassen. Ähnliche Umgehungswege könnten sich nämlich auch beim Export anderer Produkte finden: Die Ausfuhren in Russlands Anrainerstaaten haben sich seit dem Angriffskrieg teils mehr als verdoppelt. Was sind die Sanktionen also letztlich wert, wenn sie nicht konsequent durchgesetzt werden?

Deutsche Ingenieurskunst ist gefragt

Um zu verstehen, weshalb Uralkali auf deutsche Maschinen angewiesen ist, muss man das Geschäftsfeld des Konzerns kennen: die Herstellung von Mineraldünger. Man könnte Uralkali auch als Bergbauunternehmen bezeichnen. Aus seinen Minen im Uralgebirge, das Europa von Asien trennt, holt es Kalisalze an die Oberfläche.

Der russische Düngemittelhersteller Uralkali betreibt mehrere Minen und Werke im Ural wie hier in Beresniki. Foto: Konstantin Kokoshkin / Russian Look/ picture alliance
Der russische Düngemittelhersteller Uralkali betreibt mehrere Minen und Werke im Ural wie hier in Beresniki. Foto: Konstantin Kokoshkin / Russian Look/ picture alliance

Anschließend wird das zu Tage geförderte Mineralgemisch zerkleinert und zu Körnern gepresst, man spricht von Granulation. So entsteht das Endprodukt, körniger Kaliumchlorid-Dünger, den Landwirte auf ihren Feldern ausbringen. Bei der Herstellung der Düngemittel setzt Uralkali seit vielen Jahren auf die Ingenieurskunst der Maschinenfabrik Köppern.

Seit mehr als 120 Jahren stellt das deutsche Unternehmen Walzenpressen her. Einst dienten sie der Kohlebrikettproduktion, heute werden mit den Maschinen von Köppern andere Materialien verpresst, etwa Eisenschwamm für die Stahlproduktion – oder eben Kali-Granulat in der russischen Düngemittelindustrie.

Eine langjährige Beziehung und ein abruptes Ende

Bereits 2008 berichteten russische Medien, dass in der Uralkali-Mine BKRU-3 im Ural zwei Köppern-Pressen installiert wurden. In einer Broschüre von 2016 führt Köppern seine russischen Abnehmer Uralkali und dessen Tochterunternehmen Silvinit als Referenzkunden an. Russland stieg für Köppern zu einem wichtigen Absatzmarkt auf – die Firma aus dem Ruhrgebiet gründete 2014 in St. Petersburg sogar ein Tochterunternehmen.

Doch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fand die Geschäftsbeziehung zwischen dem familiengeführten Traditionsunternehmen aus Hattingen und dem russischen Kali-Riesen vom Ural ein jähes Ende. Schon einen Monat nach dem Überfall Russlands, Anfang April 2022, verbot die EU die Ausfuhr von Maschinen zum Pressen mineralischer Stoffe. Damit brach für Köppern ein wichtiger Absatzmarkt weg.

Was bedeutet das für einen Mittelständler wie Köppern? Gerne hätte CORRECTIV erfahren, wie schmerzhaft der Einschnitt war. Im zuletzt veröffentlichten Jahresbericht des Unternehmens für das Jahr 2023 ist die Rede von „deutlichen Auswirkungen“ und einem „Ausfall von potenziellen Aufträgen mit russischen Bestandskunden“. Einen ausführlichen Fragenkatalog von CORRECTIV ließ die Maschinenfabrik unbeantwortet.

Unklar ist daher auch, wie das Unternehmen auf das blickt, was nach dem Start des Ausfuhrverbots geschah: Im November 2023 begann ein junger Betrieb aus Usbekistan – ein Ableger eines großen russischen Chemie-Vertriebs –, Maschinen im Wert von mehreren Millionen Euro von Köppern zu importieren – und schickte diese im Anschluss mutmaßlich nach Russland weiter. Dort tauchen Holzkisten wie von Köppern jedenfalls wieder auf.

Wurden Lieferungen einfach weitergeschickt?

Am ersten November 2023 exportierte Köppern mehrere Teile einer Walzenpresse an die Firma Etc U Stan mit Sitz in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans. Das geht aus usbekischen Zollunterlagen hervor, die CORRECTIV unter anderem auf der Plattform Importgenius einsehen konnte. Solche Dienste stellen weltweit Zolldaten zusammen, die Unternehmen für Marktanalysen nutzen können.

Eine der Holzkisten mit einem Gewicht von 17.925 Kilo enthielt Schaltanlagen und Zerkleinerungsmaschinen, so die Frachtdokumente. Der Wert der Lieferung: rund 350.000 US-Dollar. Nur zwei Tage später exportierte die usbekische Firma laut den Unterlagen selbst eine Holzkiste mit identischem Gewicht nach Russland. Der Titel: „Teil einer Ausrüstung für die Granulation von KCl“, also von Kaliumchlorid.

Dasselbe ist bei einer Lieferung zu beobachten, die die elektrische Steuerungsausrüstung für die Walzenpresse enthalten soll, sowie bei weiteren Einträgen ohne genauere Warenbeschreibungen. Der Empfänger lautete stets: Uralkali.

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In verschiedenen Zolllisten fand CORRECTIV für den Zeitraum zwischen November 2023 und Mai 2024 insgesamt 14 auffällige Zolleinträge, bei denen die deutschen Exporte nach Usbekistan und von dort laut den Dokumenten mutmaßlich weiter nach Russland gingen: Wert und Gewicht waren jeweils identisch, die Beschreibungen teils mit gleichen Rechtschreibfehlern.

Manche Lieferungen sind auf den gleichen Tag datiert, einige erfolgten mit wenigen Tagen Abstand. Der deklarierte Rechnungswert allein dieser Lieferungen beträgt rund 4,5 Millionen US-Dollar.

Ein beachtliches Handelsvolumen

Es könnte um noch viel mehr gehen, denn die Zolldaten sind lückenhaft. Zu sehen ist dort jedenfalls, dass Uralkali von der usbekischen Import-Firma noch bis März dieses Jahres Teile von weiteren deutschen Herstellern bezogen hat, die Zulieferer der Maschinenfabrik Köppern sind. Einem anderen Datensatz ist zu entnehmen, dass die usbekische Firma noch im Oktober Rohrleitungen für eine Absauganlage an Uralkali geliefert hat – deklariert als „Re-Export“.

Dass das fragwürdige Exportgeschäft womöglich noch viel umfassender gewesen sein könnte, legt auch ein Blick auf die Zolldaten nahe: Im Abgleich mit deutschen Statistiken ist zu erkennen, dass die usbekische Firma in den vergangenen Jahren Waren an Uralkali geliefert hat, die sich nahezu mit den gesamten deutschen Exporten dieser Kategorie nach Usbekistan decken. Es geht um bis zu 30 Millionen Euro.

Für den Sanktionsexperten Benjamin Hilgenstock von der Kyiv School of Economics handelt es sich um eine signifikante Summe. Für den Fall, dass es sich hier tatsächlich um ein Umgehungsgeschäft handeln sollte, sagt Hilgenstock: „Lieferungen im Wert von 30 Millionen Euro, durchgeführt durch eine einzelne Firma in einem Drittland, das ist relativ viel“.

In vielen Feldern, etwa bei Computerteilen, gehe es um viele einzelne Transaktionen über eine große Zahl an Zwischenhändlern in verschiedenen Drittländern, die sich dann im Wert summieren, sagt Hilgenstock. Weil es sich in diesem Fall um große und teure Maschinen handelt, sei das Handelsvolumen der einzelnen Transaktionen deutlich höher.

Die „Wall of Shame“ der EU

Russland umgeht die Sanktionen bei westlichen Gütern vor allem über die GUS-Länder in Zentralasien sowie die Türkei. Das stellte das Ifo-Institut bereits im Februar 2024 fest. Untersucht wurden damals Güter, die für die russische Wirtschaft kritisch sind oder wichtig für die Militärindustrie.

Die Exporte deutscher Güter in die Nachbarstaaten Russlands sind seit dem russischen Angriffskrieg und den daraufhin verhängten Sanktionen stark angestiegen. Daten des IWF zeigen, dass die Exporte nach Usbekistan, Kasachstan und Armenien im Vergleich zum Vorkriegsjahr stark angestiegen sind, teils haben sie sich mehr als verdoppelt. Aus diesen Ländern wiederum stieg auch die Zahl der Exporte nach Russland.

Dabei geht es nicht nur um Exporte aus Deutschland. Der renommierte Ökonom Robin Brooks vom US-Thinktank Brookings bezeichnete den starken Anstieg solcher europäischer Exporte kürzlich als „Wall of Shame“ der EU. Er meinte damit: Die EU könne die Einhaltung der von ihr verhängten Sanktionen nicht kontrollieren.

Für den russischen Ökonomen und Oppositionspolitiker Wladimir Milow nimmt Uralkali für Russlands Wirtschaft zwar keine herausragende Rolle ein, gleichwohl zähle der Düngemittelhersteller aber zu den großen systemrelevanten Unternehmen. Er verweist auf eine Liste der russischen Ausgabe des Forbes-Magazins, wonach Uralkali im Vorkriegsjahr 2021 umgerechnet 287 Millionen Euro an Steuern an den Staat zahlte. Damit landete Uralkali auf Platz 25 – nur knapp hinter den Energieriesen Novatek und Transneft. Aktuellere Zahlen dazu gibt es nicht.

Damals nahm der Kali-Riese einen weltweiten Marktanteil von 15 Prozent ein. Inzwischen exportiert Uralkali nach eigenen Angaben wieder annähernd so viel Düngemittel wie vor dem Krieg. Für die russische Regierung bedeutet die Rückkehr des Düngemittelherstellers in die Liga der internationalen Top Player mehr Geld in ihrem vom Krieg gebeutelten Haushalt – und das auch dank deutscher Ausrüstung?

Warum ist man nicht stutzig geworden?

Zwei deutsche Firmen, deren Förderanlagen und Mühlen die usbekische Firma laut den Zolldaten an Uralkali geliefert hat, teilen auf Anfrage von CORRECTIV mit, sie hätten die entsprechenden Produkte zuvor an den Maschinenhersteller Köppern geliefert. Die Zulieferer geben sich überrascht – Köppern habe ihnen einen Nachweis über die Verwendung ihrer Maschinen in Usbekistan vorgelegt.

Für die Ausfuhr bestimmter Waren ist eine sogenannte „No-Russia-Klausel“ mittlerweile verpflichtend. Zwar ist dies im Fall der Maschinen von Köppern rechtlich nicht vorgeschrieben, doch wäre es nicht ratsam gewesen, einen Re-Export der Maschinen vertraglich zu untersagen? Gerade vor dem Hintergrund der stark steigenden Exporte in ein zentralasiatisches Land, das für die Umgehung der Sanktionen berüchtigt ist.

Auch die mittelbare Lieferung der gelisteten Güter nach Russland ist verboten, und EU-Unternehmen müssen angemessene Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, dass die ausgeführten Güter nicht für russische Endkunden bestimmt sind. Möglicherweise hat Köppern so eine Klausel auch verwendet und wurde dann von ihrem usbekischen Kunden über die Endverwendung getäuscht.

Aber hätten die Verantwortlichen beim Maschinenhersteller in Hattingen nicht stutzig werden müssen, woher plötzlich die vielen Aufträge aus Usbekistan kamen? Zwar gibt es einen großen Kali-Produzenten in Usbekistan, bei Köpperns Handelspartner handelt es sich jedoch um einen Ableger eines großen russischen Vertriebs für Chemie-Produkte.

CORRECTIV hat die Maschinenfabrik Köppern auf die Zolldaten hingewiesen und um ihre Sichtweise gebeten. Wir wollten auch wissen, wo genau die Maschinen aus Deutschland laut der usbekischen Firma eingesetzt werden sollten und wie man diese geprüft hat. Auch auf Nachfrage hat Köppern nicht reagiert. Die usbekische Firma hat auf unsere Fragen ebenfalls nicht geantwortet.

Für Köppern kamen die Aufträge jedenfalls offenbar gelegen: „Der Wegfall des Russland-Geschäftes konnte durch andere europäische und zentralasiatische Aufträge kompensiert werden“, heißt es im Jahresbericht des Unternehmens für das Jahr 2023.

Etwas ist in Bewegung gekommen

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Ganz unbemerkt blieben die Import-Export-Geschäfte der usbekischen Firma allerdings nicht. Ein Zulieferer von Köppern teilte gegenüber CORRECTIV mit, dass sich im Oktober dieses Jahres ein anonymer Hinweisgeber gemeldet habe. Dieser habe mitgeteilt, dass eine Förderanlage des Zulieferers, die über Köppern an einen usbekischen Kunden geliefert wurde, von dort nach Russland weitergeleitet worden sein könnte.

Darüber habe der Zulieferer das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) informiert. Die Behörde wollte sich auf Anfrage von CORRECTIV nicht zu dem konkreten Fall äußern.

Text & Recherche: Alexej Hock
Redigatur: Marius Münstermann, Justus von Daniels
Faktencheck: Gesa Steeger

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