Prunk, Pathos, Patriotismus: Der tschetschenische Krieger der AfD
In einer hannoverischen Prunk-Villa inszeniert sich der AfD-Mann Noah Krieger als patriotischer Macher. Gleichzeitig unterhält er Beziehungen zum Clan von „Putins Bluthund“. Was hat er vor?
Das Wichtigste in Kürze
- In einer Prunk-Villa in Hannover inszeniert sich der AfD-Mann Noah Krieger als erfolgreicher Geschäftsmann und kämpferischer Patriot – auf Instagram hat er fast 440.000 Follower, deutlich mehr als viele AfD-Bundestagsabgeordnete.
- Der gebürtige Tschetschene hat aber noch eine zweite Seite: Der Mann, der früher Murad Dadaev hieß, unterhält Kontakte zum Umfeld von Ramsan Kadyrow, dem tschetschenischen Machthaber, der als „Putins Bluthund“ bekannt wurde.
- Beobachter warnen vor seiner Rolle: Krieger wirke auf Kritiker des Regimes ein und versuche, die tschetschenische Diaspora zu kontrollieren.
„Deutschland über alles“, schreibt Noah Krieger zu einem seiner Instagram-Beiträge – die erste Zeile des durch die NS-Zeit belasteten Deutschlandlieds. Das Bild zum Post zeigt fünf Männer vor einer Deutschland-Flagge im Prunk einer Villa, einer von ihnen stützt ein Schwert auf seine Schulter.
Dazu ein Sammelsurium der AfD-Vokabeln: Treue, Stärke, Kampf, Ehre, Vaterland. Unter andere Posts schreibt Noah Krieger die Losung „Gott mit uns“, die auch die Wehrmacht nutzte, in einem weiteren Video schießt er mit einem Sturmgewehr in der Schießanlage.

Der gebürtige Tschetschene will dem Land, in das er gezogen ist, etwas zurückgeben – so kann man seine Posts verstehen. Er engagiert sich seit einigen Monaten öffentlich aktiv in der Hannoveraner AfD. Mit seinem martialischen Auftreten und den scharfen Aussagen überbietet Krieger viele der bekanntesten radikalen Vertreter der Partei. Mit knapp 440.000 Followern dürfte er auch einer der reichweitenstärksten Influencer der Partei sein. Doch für Beobachter kommt Kriegers Auftritt in der Öffentlichkeit überraschend.
Recherchen von CORRECTIV und iStories zeigen, dass vieles an dem Pathos und den Hochglanzfotos bloß Fassade ist. Dahinter verbergen sich Verbindungen zu Gefolgsleuten des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, dessen Herrschaft von schweren Menschenrechtsverletzungen wie Folter geprägt ist und dessen Kämpfer für Putin in den Ukraine-Krieg zogen.
Geflüchtete Dissidenten und Politiker sind besorgt – findet eine Einflussnahme aus Tschetschenien in Deutschland statt? Was hat Krieger in der AfD vor und wie steht die Partei zu dieser Vernetzung?
Stärke, Vernetzung, Vaterland: Krieger präsentiert sich als patriotischer Macher
Direkt das erste Foto auf seinem Profil setzt den Ton: Noah Krieger posiert neben Stephan Brandner. Der AfD-Bundestagsabgeordnete besuchte den Kreisverband in Hannover, erst zur Talk-Runde mit den Wählern, dann für Fotos mit den Fans.
Ein anderes Foto zeigt ihn mit dem Vorsitzenden des AfD-Kreisverbands Hannover, Jörn König, der im Bundestag Fraktionsvize ist. Krieger schreibt: „Ein König führt mit Weisheit und Ehre, ein Krieger folgt mit Mut und Treue.“

Fast den gesamten Vorstand des Kreisverbandes hat Krieger gleich in die angemietete Villa in Hannover-Herrenhausen geladen – auch wenn er selbst keine offizielle Position in der Partei ausübt. Weitere Fotos zeigen ihn am AfD-Wahlkampfstand oder Fahnen-schwenkend bei pro-russischen Demonstrationen.
Krieger präsentiert sich als patriotischer Macher, erfolgreicher Geschäftsmann und bestens vernetzt – bis in die Spitze der größten deutschen Oppositionspartei. Doch er könnte bald schon aus der Villa fliegen, die ihm als Kulisse dient. Und es gibt noch eine weitere Seite von Krieger, die Fragen aufwirft.
Tschetschenisches Netzwerk: Verbindungen ins Kadyrow-treue Milieu
In einem Video vom 2. August dieses Jahres ist zu sehen, wie Krieger in der Villa vor holzvertäfelter Wand einem stämmigen Mann mit Glatze einen Deutschland-Anstecker ans Revers anheftet. Beide sind in feine Anzüge gekleidet. Im Hintergrund steht eine Deutschland-Flagge, unterlegt ist das Video aber mit tschetschenischer Musik.
Es handelt sich nicht um einen AfD-Politiker. Der Name Said-Magomed Ibragimov dürfte weniger bekannt sein als das Gesicht des Gastes. In der Netflix-Serie „4-Blocks“ spielte er einen tschetschenischen Gang-Boss.

Im realen Leben ist Ibragimov in der Sicherheitsbranche tätig, bis Februar 2023 gehörte ihm die Sicherheitsfirma „Team Wolf Hamburg“. In einem Image-Video sieht man seine Mannschaft im Rocker-Stil posieren, auf den Kutten ein Wolfskopf – das Nationalsymbol Tschetscheniens.
Es ist eine heikle Verbindung. Nach Recherchen von CORRECTIV und iStories war Ibragimov 2013 Gründungsmitglied des „Chechen Cultur Center Terek e.V.“. Dessen erster Vorsitzender war Islam Dugazaev aus Kiel – der damals offizielle „Statthalter“ von Ramsan Kadyrow, dem tschetschenischen Diktator, der auch als „Putins Bluthund“ bekannt wurde. Von solchen Vertretern lässt sich Kadyrow außerhalb Russlands repräsentieren.
Im Namen des Vereins gründete Dugazaev auch eine Firma namens Terek, die laut eigener Beschreibung Sportevents organisierte. Dort war Ibragimov ebenfalls eingebunden und arbeitete eine Zeit lang als Fahrer.
Krieger unterhält damit Kontakte zu einem ganzen Netzwerk von Kadyrow-treuen Vertretern der tschetschenischen Diaspora. Wie passt das zu seiner Rolle in der AfD? Die Fragen von CORRECTIV zu Kriegers Rolle in der Partei und seinem Netzwerk nach Tschetschenien wollen weder die AfD Hannover, noch ihr Vorsitzender und Bundestagsabgeordneter Jörn König beantworten.
Der „Statthalter“ Kadyrows in Deutschland
Zweiter Vorsitzender des Vereins war Sajhan Agaev aus Hamburg, der heute als Nachfolger von Dugazaev als Kadyrows „Statthalter“ in Deutschland gilt. Agaev führte bis 2016 die Sicherheitsfirma Rim Group International. Ihr erster Gesellschafter war der spätere Minister für Industrie und Energie der tschetschenischen Regierung in Grosny unter Machthaber Kadyrow. Heute übt Agaev laut Handelsregisterunterlagen das Stimmrecht für einen anderen Gesellschafter aus.
Der Instagram-Kanal der Sicherheitsfirma könnte auch der eines Sportclubs sein. Zu sehen sind mehrere Bilder von siegreichen Mixed Martial Arts Kämpfern, die meisten davon Tschetschenen. Darunter ist auch ein Foto von Agaev mit Schwergewichts-Weltmeister Ruslan Chagaev, der als Freund Kadyrows bekannt ist – und auch bei der Gründung des Terek-Vereins dabei war.
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Kampfsport ist ein Instrument, mit dem Kadyrow in Europa Einfluss auf Tschetschenen nimmt. Amina Larsson von der Menschenrechtsorganisation Vayfond sagt: „Kadyrow-Sportler haben eine sehr große Rolle dabei gespielt, dass viele tschetschenische Jugendliche auf die Seite Kadyrows wechseln.“
Zu Kampfsport hat auch der Hannoveraner AfD-Mann Krieger eine Verbindung. Er kämpfte selbst in örtlichen Clubs und bestritt Wettkämpfe. Im Internet finden sich zudem Fotos von Krieger zusammen mit berühmten Sportlern von Präsident Kadyrows persönlichen Sportverein „Akhmat“.
Krieger verbindet in der Villa zwei Welten: Die regimenahe, tschetschenische und die extrem rechte, deutsche. Um zu verstehen, wie er in diese Rolle gelangt sein könnte, und weswegen Beobachter besorgt sind, bedarf es eines Blicks in sein Leben vor seiner Ankunft in Deutschland.
Zwei Lager in der tschetschenischen Diaspora
Noah Krieger wurde 1989 als Murad Dadaev in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny geboren und wuchs im Dorf Samaschki auf. Er war damit Zeuge der blutigen Auseinandersetzung zwischen tschetschenischen Separatisten und der Regierung in Moskau. Russische Soldaten töteten im Jahr 1995 in Samaschki nach sechs Tagen erbitterter Belagerung über 200 Menschen. Es war eines von vielen Massakern der russischen Armee.
Nach den zwei Tschetschenien-Kriegen installierte der russische Präsident Wladimir Putin im Jahr 2007 Ramsan Kadyrow – den „Bluthund“ – als Präsidenten. Mit einem brutalen Kurs außergerichtlicher Tötungen und Folter von Gegnern ließ Kadyrow die letzten verbliebenen Kritiker verstummen – oder aus dem Land fliehen. Die müssen bis heute selbst im Ausland den langen Arm Kadyrows fürchten.
Europäische Städte waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder Orte, an denen Anschläge und Morde an früheren Unabhängigkeitskämpfern, Überläufern oder schlicht Kritikern von Ramsan Kadyrow verübt wurden – mal aus Moskau bestellt, mal im Auftrag aus Grosny. In Europa unterhält Kadyrow ein Netz aus treuen Gefolgsleuten, das laut Beobachtern zur Einschüchterung und Bespitzelung dient.
Ein Mord in Wien und der Zeuge
Die tschetschenische Community zählt seit 2001 in ganz Europa mindestens 16 ermordete tschetschenische Geflüchtete. Ein Fall aus Wien aus dem Jahr 2009 hat direkte Bezüge zu Krieger.
Damals wurde Umar Israilow in Wien erschossen. Er hatte den tschetschenischen Präsidenten beschuldigt, ihn gefoltert zu haben, und ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrebt. Verurteilt wurden drei Tschetschenen, der Hauptbeschuldigte zu lebenslänglicher, zwei weitere Angeklagte zu 16 und 19 Jahren Haft. Die Staatsanwaltschaft Wien hielt es für möglich, dass der Mord von Kadyrow in Auftrag gegeben wurde.
Laut damaliger Anklageschrift war damals auch Noah Krieger als Zeuge geladen, damals noch unter seinem Namen Murad Dadaev, allerdings verweigerte er im Prozess seine Aussage. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn zum „Faktenkomplex Planung/Vorbereitung/Nachtatverhalten“ befragen. Denn bei einem der Angeklagten handelte es sich um Muslim Dadaev – ein Bruder von Krieger. Muslim Dadaev soll den getöteten Israilow observiert haben und wurde wegen Beihilfe zur Tat zu 19 Jahren verurteilt.
Zusammen mit einem Mittäter hatte Muslim Dadaev einen tschetschenischen Kulturverein geleitet, der laut Staatsanwaltschaft das „eigentliche Ziel“ verfolgt habe, Daten über in Österreich lebende Tschetschenen zu sammeln, „um es an die tschetschenische Führung zu übermitteln“. Es ist die Zeit, in der Muslim Dadaev nach eigener Aussage seine Ehefrau und seine Brüder nach Europa holte – womöglich auch seinen Bruder Murad.
Letztlich gelangte Murad Dadaev nach Deutschland. Ab 2015 trat er bei Sportevents auf, etwa 2018 bei einem Mixed-Martial-Arts-Abend in Bielefeld. Zwei Jahre später, im September 2020, gründeten er und ein Geschäftspartner eine Gerüstbaufirma.

Mit der Zeit übernahm Dadaev die komplette Firma und änderte den Geschäftszweck zu Immobilienverwaltung und Vermietung. Es ist nun jene Firma, die in die denkmalgeschützte Villa in Hannover-Herrenhausen eingezogen ist – und Dadaev nun, der nach eigenen Angaben den Nachnamen seiner Frau annahm, als Noah Krieger der Gastgeber.
Handelt Krieger auf Anweisung aus Grosny?
Nun tritt Krieger öffentlich als AfD-Mann auf und unterhält Verbindungen zu Tschetschenen, die in Deutschland eine ganz ähnlich klingende Einrichtung wie die seines Bruders in Österreich, einen tschetschenischen Kulturverein, geführt haben.
Nach Einschätzung von Amina Larsson von der Menschenrechtsorganisation Vayfond hat Krieger die Rolle eingenommen, die einst Dugazaev als „Statthalter“ hatte: Er versammle Tschetschenen um sich und versuche, sie auf Kadyrows Seite zu ziehen.
„Es gibt mehrere Menschen, die gegen Kadyrows Herrschaft eingestellt sind, offene Dissidenten, die sich sogar mit ihm fotografieren haben lassen“, erzählt Larsson. „Er hat ihre Fotos provokativ veröffentlicht und gesagt: Seht her, wir stehen zusammen, wir sind eine Diaspora“.
Es ist eine Rolle, die Emil Aslan vom Lehrstuhl für Sicherheitsstudien der Prager Karls-Universität kennt. Laut dem Forscher wollen Kadyrow und seine Leute mittlerweile sicherstellen, dass Tschetschenen in der Diaspora nicht nur „neutral” sind oder sich nicht negativ über Kadyrows Regime und seinen Clan äußern, sondern unter der Kontrolle von Kadyrows Männern bleiben. Aslan sagt: „Das ist, was sie üblicherweise tun. Sie ‘konsolidieren’ die tschetschenische Diaspora unter ihrer Obhut.“
Die Juristin Larsson schätzt ein, dass das plötzliche Engagement von Krieger für die AfD auf Anweisung Kadyrows erfolge – und damit unter Billigung aus Moskau. Sie sagt: „Kadyrow führt absolut alle seine Aktivitäten nur mit Genehmigung des Kremls durch.“
Krieger zollt Kadyrow Respekt – und schwärmt von AfD-Mann Frohnmaier
CORRECTIV wollte von Krieger wissen, was es mit diesen Verbindungen auf sich hat und wie er solchen Einschätzungen begegnet. Schriftliche Fragen ließ Krieger unbeantwortet. Im Gespräch mit iStories beschrieb er sich als „neutral“. Doch er sagt auch: „Ich weiß, dass es einigen nicht gefällt, dass ich die russische Regierung und Kadyrow unterstütze“. Es sei „Fakt“, dass dieser die tschetschenische Republik aufgebaut habe, und dafür verdiene er „Respekt“.
Glaubt man Kriegers Aussagen zur AfD, so konnte er Kontakte bis in die Parteispitze aufbauen. Fast freundschaftlich klingt bei ihm sein Verhältnis zum außenpolitischen Sprecher der AfD, Markus Frohnmaier. „Markus und ich haben eine enge Beziehung, wir sprechen sehr viel, er ist ein guter, schlauer, intelligenter Kerl, mir gefällt seine Politik“, sagte Krieger iStories. Frohnmaier wiederum bestreitet eine persönliche Bekanntschaft. „Ich bin lediglich aufgrund seiner Reichweite in den Sozialen Medien auf ihn aufmerksam geworden“, schrieb er.
Krieger spricht auch davon, dass Frohnmaier ihn erst kürzlich Alice Weidel bei einem Treffen in Prag als „unseren tschetschenischer Krieger“ vorgestellt habe. Frohnmaier selbst ging nicht auf das Treffen ein, eine Anfrage bei der Pressestelle der AfD blieb bis zur Veröffentlichung unbeantwortet. Belege für ein solches Treffen gibt es nicht.
Der CDU-Politiker Marc Henrichmann spricht von einem „ernstzunehmenden Sicherheitsrisiko”, dass Personen mit AfD-Bezug offenbar Kontakte zum Regime in Tschetschenien pflegten. Er ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestags, das die deutschen Nachrichtendienste kontrolliert. Er sagt: „Russland versucht augenscheinlich, auch über solche Kanäle Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen“ – und die AfD biete hierfür ein „offenes Einfallstor“.
Zustimmung aus Tschetschenien, Gegenwind in Deutschland
Noah Kriegers neue Rolle als deutscher Patriot kommt bei Kadyrows Mann in Deutschland jedenfalls gut an. Sajhan Agaev kommentierte ein Video von Krieger mit einer Reihe zustimmender Emojis. Den gleichen Post kommentierte noch ein anderer Tschtschene: Hamzat Kadyrow – der Neffe des Despoten und der offizielle Spezialkräfte-Beauftragte in Tschetschenien.
Doch inzwischen bekommt Krieger in Deutschland auch Gegenwind. Eine Antifa-Gruppierung hat im Oktober den Widerstand gegen seine AfD-Aktivitäten angekündigt und bereits die Villa mit Farbbeuteln und Steinen attackiert, nachdem Krieger zur „Jagd“ auf Linke aufgerufen hatte. Es kam zum Polizeieinsatz, die Beamten forderten Krieger auf, seine Instagram-Posts einzustellen – Krieger weigerte sich, denn er braucht die Beiträge für seine Strahlkraft.
Wie lange Krieger in der Villa noch agieren kann, ist unklar, denn der Vermieter hat auf Räumung der Villa geklagt – und Recht bekommen. Am 7. Oktober entschied das Landgericht Hannover zugunsten des Vermieters, weil Kriegers Firma die Miete nicht gezahlt hat. Das Urteil ist rechtskräftig und somit hat es der Vermieter in der Hand, wann er die Räumung der Villa durchsetzt.
Recherche: Alexej Hock, Martin Böhmer, iStories
Redaktion: Marius Münstermann, Ulrich Kraetzer, Justus von Daniels
Faktencheck: Isabel Knippel
Illustration: Ivo Mayr