Sparkassen

Die Dispo-Könige

Die Höhe der Dispo-Zinsen sind höchst unterschiedlich: In der Nähe von Lübeck betragen sie 5,7 Prozent, im niedersächsischen Scheeßel dagegen 12,75 Prozent. Weil viele Sparkassen sich gegen diesen Vergleich gesträubt haben, haben CORRECTIV und die FAZ ihre Leserinnen und Leser aufgerufen, bei der Recherche mitzuhelfen. Das Ergebnis ist der erste bundesweite Zins-Vergleich von 391 Sparkassen.

von Jonathan Sachse , Simon Wörpel , Lisa McMinn

© Ivo Mayr

Diese Recherche veröffentlichen wir in Kooperation mit „FAZ.net“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.


Die Unterschiede zwischen den einzelnen Sparkassen sind enorm: Wer am Südrand des Harzes wohnt und sein Konto bei der Kreissparkasse Nordhausen hat, zahlt 12,2 Prozent Zinsen, wenn er sein Konto überzieht. Direkt nebenan bei der Sparkasse Mansfeld-Südharz sind es nur 8,26 Prozent.

Bei der Sparkasse Olpe-Drolshagen-Wenden im Sauerland werden Kunden mit 11,25 Prozent Dispozinsen berechnet. Wenige Kilometer weiter bei der Sparkassen Siegen sind es nur 8,73 Prozent.

Den höchsten Dispozins in Deutschland verlangt die Sparkasse Scheeßel in Niedersachsen mit 12,75 Prozent, am günstigsten ist die Sparkasse Holstein, nördlich von Lübeck. Dort zahlen liquide Sparer und Neukunden – laut einem Sprecher rund ein Drittel der Kunden – 5,71 Prozent Dispozinsen. Für Kunden mit weniger guter Bonität werden auch dort 8,71 beziehungsweise 12,71 Prozent fällig.

Alle Ergebnisse findet Ihr auf dieser interaktiven Karte. Die Daten haben wir im Zeitraum von November 2015 bis Februar 2016 erfasst.

Bisher gab es diesen Vergleich nicht. Denn viele Sparkassen veröffentlichen ihren „Preisaushang“ nicht im Internet. In dem Dokument stehen die wichtigsten Konditionen; darunter auch die Dispozinsen. Üblicherweise kann die zentrale Preisliste im Kassenraum einer Sparkasse eingesehen werden.

Als CORRECTIV und die FAZ mit der Recherche begannen – unterstützt von 477 Bürgern, die sich im Crowdnewsroom engagieren – stießen sie auf Widerstand. Etliche Sparkassen weigerten sich, uns ihren Preisaushang zu mailen. Zum Teil mit absurden Begründungen. Aus der Stadtsparkasse Grebenstein hieß es, man habe nicht die „zeitlichen Ressourcen“, um zu antworten. Die Kreissparkasse Waiblingen, so ein Sprecher, gebe „überregionalen Medien generell keine Auskunft“. Waiblingen liegt in Baden-Württemberg – dort verweigerten mehr als die Hälfte der Institute anfangs die Auskunft.

Das wollte CORRECTIV nicht hinnehmen – und ermunterte Leserinnen und Leser zur Mitarbeit. Per Twitter und Facebook riefen wir dazu auf, die Preisaushänge jener 87 Sparkassen zu fotografieren und uns zu per Mail zu schicken, deren Zinsniveau in unserer Datenbank noch fehlte. Aus ganz Deutschland schickten uns Leserinnen und Leser Preisaushänge zu. Und plötzlich wurden auch viele der bis dahin schläfrigen Sparkassen munter. Nun schickten uns 24 von ihnen den bis dahin verweigerten Preisaushang. Sie wollten nicht auf der roten Liste stehen.

19 der 410 Sparkassen blieben bis zum Ende auf Tauchstation. Auch Waiblingen bei Stuttgart schickte keinen Preisaushang. Ein Kunde dieser Sparkasse schrieb daraufhin eine Mail an das Institut: Die Sparkasse solle sich an der Befragung beteiligen, „sonst weiß ich nicht, ob ich weiter Kunde bei Ihnen sein möchte.“ Die bayerische Sparkase Rosenheim schickte CORRECTIV auf Nachfrage das Dokument zu. Ein Mitarbeiter weigerte sich aber einem Leser in einer Filiale die Preisliste zu zeigen. Dieser Darstellung widerspricht eine Sprecherin der Sparkasse Rosenheim. Der Preisaushang sei „jedem öffentlich zugänglich.“

Verbraucherschützer und Politiker und fordern seit langem eine Obergrenze für den Dispokredit. „Wir wollen Abzocke vermeiden“, so Peter Knitsch, Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium in NRW. Maximal acht Prozent über dem Richtzins – der derzeit sogar negativ ist – dürfe der Dispo liegen, forderten die SPD-geführten Länder im September im Bundesrat. Sie konnten sich aber nicht gegen die CDU durchsetzen.

„Einen gesetzlich gedeckelten Zinssatz lehnen wir ab“, sagt Mechthild Heil, Verbraucherschutzbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Die Wahrscheinlichkeit wäre groß, dass die Banken den Dispo bis zur Obergrenze anheben würden. Da Dispozinsen mittlerweiler aber offengelegt werden müssten, „können Gerichte im Einzelfall urteilen, ob Wucher vorliegt oder nicht.“

Die Interessen der Banken stehen für die CDU höher als die Interessen der Verbraucher, kritisiert Dorothea Mohn, Finanzexpertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. „Die Verbraucher haben an dieser Stelle keine Macht.“

„Eine Dispo-Deckelung würde eine faire Kalkulation erschweren“, meint der Dachverband der Sparkassen (DSGV). Markt-Kräfte würden ignoriert werden. „Die unterschiedlichen Zinssätze zeigen, dass der Markt funktioniert.“

Unter der zuletzt diskutierten Obergrenze von 8 Prozent würden aktuell nur 5 der 391 ausgewerteten Sparkassen liegen. Der Durchschnitt bei den Sparkassen ist 10,75 Prozent. Zum Vergleich: Kunden der Commerzbank zahlen ebenfalls 10,75 Prozent und die Deutschen Bank berechnet zwischen 7,95 und 10,95 Prozent. Deutlich günstiger ist es bei der Direktbank ING-Diba – sie berechnet derzeit nur 7,76 Prozent.

Sparkassen mit höchsten Dispozinsen

Bei den Guthaben-Zinsen unterscheiden sich die Sparkassen dagegen nicht groß: Fast überall gibt es null Prozent. Ausgenommen davon sind oftmals Konten für Kinder- und Jugendliche. Wer als Nachwuchssparer lernt, dass Geld sich auf dem Giokonto von alleine vermehrt, wird als Erwachsener enttäuscht. Maximal 0,05 Prozent Zinsen kann ein Sparkassenkunde noch bekommen, zum Beispiel bei der Sparkasse St. Blasien im Schwarzwald.

„Einfach mehr Spielraum“ – mit diesem Spruch werben die Sparkassen für den Dispokredit. Tatsächlich ist es eine flexible Kreditform. Kurzfristig und ohne lange Beratungsgespräche kommt fast jeder Kunde dank Dispo schnell an Geld. Doch für viele wird das überzogene Girokonto zur Schuldenfalle.

Es gilt: je höher die Bonität, desto höher der Dispokreditrahmen. Dort ist aber noch nicht Schluss. Wie alle Banken dulden die Sparkassen weitere Überziehungen jenseits des Dispos – und langen dann richtig zu. Rund die Hälfte der Sparkassen berechnet einen Überziehungszins. Bis zu 6,5 Prozent kommen dann noch einmal auf den Dispo drauf. Am teuersten wird es für die Kunden der Sparkasse Mittelsachsen: 18,33 Prozent müssen sie für den Überziehungszins berappen.

Mit Abstand am fairsten ist die Sparkasse Jena-Saale-Holzland in Thüringen. Das Institut unterscheidet seit 2015 nicht mehr zwischen Dispo- und Überziehungszins – und berechnet beide mit 6,85 Prozent. Wenige Kilometer flussaufwärts liegt die Kreissparkasse Saale-Orla. Hier zahlen Kunden derzeit 11,38 Prozent  – fast doppelt so viel wie in Jena. Der Vorstandsvorsitzende Helmut Schmidt hat trotzdem keine Angst, dass seine Kunden abwandern: „Die Höhe des Dispos hat keine Signalwirkung“, sagt er. Trotzdem will die Sparkasse demnächst ihre Zinsen auf 9,75 Prozent senken.

Nach Angaben von Dorothea Mohn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen rutschen vor allem Kunden ohne hohe Rücklagen in die Dispo-Falle: „Betroffen sind die, die eh schon am Limit sind.“ Junge Leute ohne Rücklagen, Alleinerziehende oder Geringverdiener – der Dispozins wird am Monatsende ihre Rettung.

Die Zinsen zum Beispiel für Immobilienkredite sind derzeit auf einem historisch niedrigen Niveau. Deshalb sind Dispokredite für die Banken eine der wenigen Möglichkeiten Geld zu verdienen.

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Kartenvisualisierung & Datenauswertung: Simon Wörpel

Textchef: Ariel Hauptmeier