Nein, nach der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes sollen Asylbewerber nicht pauschal 11 Prozent mehr Bargeldleistungen erhalten
In einem Facebook-Post wird behauptet, dass die Bargeldbezüge von Asylbewerbern nach einer Reform pauschal steigen würden. Das ist irreführend.
In diesem Faktencheck geht es um folgende Behauptung:
- Ab 2020 würden die Bargeldleistungen an Asylbewerber „auf einen Schlag“ und „um 11% oder 15 Euro“ steigen.
Das Ergebnis unseres Faktenchecks:
Die Behauptung ist: Größtenteils falsch.
Worum geht es?
In einem Facebook-Post des Deutschland Kurier vom 11. März 2019 wird behauptet, dass ab 2020 die Bargeldbezüge von Asylbewerbern pauschal steigen würden. Der Beitrag wurde bisher 6.695 Mal geteilt.
Was stimmt?
Der Facebook-Post des Deutschland Kurier nimmt Bezug auf eine Gesetzesinitiative des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD), die am 17. April 2019 vom Bundekabinett als Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes beschlossen wurde. In der diesbezüglichen Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales heißt es, dass der Hintergrund der Novellierung ein Bundesverfassungsurteil aus dem Jahre 2012 sei.
Das Gericht hatte in seinem Urteil klargestellt: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ (Absatz 95 des Urteils). In diesem Sinne wurden die damaligen Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes für „evident unzureichend“ befunden, da diese seit 1993 nicht mehr angepasst worden waren.
Damit bekräftigten die Richterinnen und Richter, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle in Deutschland lebenden Menschen gelte und eine regelmäßige Anpassung einschließe.
Eine einmalige Erhöhung der Regelsätze habe dann 2015 stattgefunden, schreibt uns das Arbeitsministerium auf unsere Presseanfrage. Weiter heißt es in der Antwort: „Der Versuch einer grundlegenden Neuregelung war 2016 im Bundesrat gescheitert, seitdem gelten die alten Leistungssätze fort.“ Mit der nun vorliegenden Reform solle die verfassungsrechtlich gebotene Anpassung vorgenommen werden. Der Gesetzentwurf orientiere sich laut der Pressemitteilung an den Leistungen der Sozialhilfe (SGB XII) und die Regelsätze seien auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) verfassungskonform neu bemessen worden.
Zu dem Artikel des Deutschland Kurier und der dort aufgestellten Behauptung, schreibt uns das Ministerium: „Die pauschale Aussage, nach der die Bargeldleistungen um 11 Prozent steigen würden, ist irreführend“. Und weiter: „Durch die geplante Ausgliederung insbesondere der Haushaltsenergie aus dem Bedarfssatz werden die Geldleistungssätze insgesamt numerisch gesenkt. Hierdurch werden die Geldleistungssätze bei fast allen Bedarfsstufen sinken.“
Grundsätzlich unterscheidet das Asylbewerberleistungsgesetz zwischen zwei unterschiedlichen Bedarfen. Das Ministerium verweist auf diese Differenzierung zwischen „einem notwendigen Bedarf (z.B. Ernährung und Kleidung) und einem notwendigen persönlichen Bedarf (z.B. ÖPNV, Telefon, Hygieneartikel)“. Innerhalb beider Bedarfe wird dann nochmals zwischen unterschiedlichen Bedarfsstufen unterschieden.
Sowohl die Bedarfe, als auch die zugehörigen Leistungssätze würden laut Ministerium sämtlich durch die Reform angepasst. Wie der Tabelle der Pressemitteilung zu entnehmen ist, scheint sich die Behauptung des Deutschland Kurier auf den „notwendigen persönlichen Bedarf“ Alleinstehender oder alleinerziehender Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger in der Bedarfsstufe 1 zu beziehen. Denn diese Gruppe würde anstatt der derzeitigen 135 Euro zukünftig 150 Euro erhalten. Also 15 Euro mehr, wie vom Deutschland Kurier behauptet. Das ist jedoch aus dem Kontext gerissen.
Da der „notwendige Bedarf“ dieser Gruppe gleichzeitig von derzeit 219 Euro auf 194 Euro gesenkt würde, ergäbe sich ein Leistungsbezug von 344 Euro. Damit würde der Gesamtbezug dieser Gruppe um 10 Euro sinken. Abgesehen von den Bedarfsstufen 5 (Kinder zwischen sechs und 13 Jahren) und 6 (Kinder bis fünf Jahre), würde die Reform für alle Bedarfsstufen zu sinkenden Leistungssätzen führen. Einzig für Bedarfsstufe 5 wäre eine Erhöhung der Gesamtleistungen um 26 Euro auf 268 Euro vorgesehen.
Dazu merkt das Ministerium in der Antwort auf unsere Presseanfrage an: „Die in der Tabelle aufgeführten Leistungssätze stellen dabei die maximale Höhe der Geldleistungen für den Fall dar, dass der notwendige Bedarf und der notwendige persönliche Bedarf als Geldleistung gewährt werden.“ Laut Ministerium sollen beide Leistungen in „Sammelunterkünften soweit wie möglich als Sachleistungen gewährt werden.“ Die Entscheidung über die Form der Leistungsgewährung liege aber bei den Ländern. Somit lässt sich nicht pauschal von einer Erhöhung der Bargeldleistungen durch die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes sprechen.
Schlussendlich sei auch eine Reform der Bedarfsstufen vorgesehen, so das Ministerium. Für Leistungsberechtigte, die in einer Sammelunterkunft (Erstaufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft) leben, solle mit der Reform zukünftig die Bedarfsstufe 2 gelten, da beim Zusammenleben in Sammelunterkünften und gemeinschaftlicher Nutzung des Wohnraums bestimmte Kosten, etwa für die Mediennutzung, nicht für jede Person in voller Höhe anfallen würden. Auch diese Änderung würde zu sinkenden Bezügen für die betroffenen Personen führen.
In dem Facebook-Post wird die vermeintliche Erhöhung der Leistungen außerdem mit Erhöhungen von Kindergeld um lediglich zwei bis drei Euro und Renten um drei Prozent verglichen. Dazu schreibt das Ministerium auf unsere Presseanfrage: „Ein Vergleich mit den genannten Anpassungen der Leistungen des Kindergeldes oder der Rente kann so nicht gezogen werden. Dies liegt darin begründet, dass die Grundleistungen des AsylbLG seit 2016 nicht mehr angepasst wurden. Die Anpassung der Grundleistungen nach dem AsylbLG mit dem Kindergeld bzw. dem Durchschnittswert der jährlichen Rentenanpassungen in direkten Vergleich zu stellen, ist irreführend.“
Fazit:
Richtig ist, dass der „notwendige persönliche Bedarf“ für alleinstehende und alleinerziehende Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher (Bedarfsstufe 1) nach dem Gesetzentwurf um 15 Euro beziehungsweise 11 Prozent steigen würde. Allerdings würde für die Bedarfsstufe 1 gleichzeitig der Satz für den „notwendigen Bedarf“ sinken, sodass die Leistungsbezieher der Bedarfsstufe 1 insgesamt 10 Euro weniger erhalten würden. Die Aussage ist somit falsch, weil in dem Post irreführender Weise nur auf einen Teil der Berechnungsgrundlage für den Leistungssatz eingegangen wird. Insbesondere, da der Gesetzentwurf sinkende Leistungssätze für fast alle Bedarfsstufen, ausgenommen von Kinder bis 13 Jahre, vorsieht.
Von Darius Reinhardt, Mitglied der Checkjetzt-Redaktion