Irreführender Vergleich von Renten und Pensionen von Politikern in Deutschland und Europa
Auf Facebook behauptet ein Nutzer, Deutschland hätte die niedrigsten Renten in Europa, aber die Politiker würden gleichzeitig die höchsten Pensionen beziehen. Für keine der Aussagen gibt es Belege.
In einer Grafik, die auf Facebook seit dem 1. Februar schon mehr als 11.300 Mal geteilt wurde, wird behauptet, Deutschland habe die niedrigsten Renten in Europa, aber die höchsten Pensionen von Politikern.
CORRECTIV hat diese zwei Behauptungen überprüft: Es gibt für sie keine Belege. Bei allen vorhandenen Statistiken zum Vergleich der Rentenleistungen in europäischen Ländern liegt Deutschland nicht auf dem letzten Platz.
Höhe der Rente lässt sich international nur schwer vergleichen
In dem Facebook-Beitrag wird nirgends eine Quelle für die Behauptung angegeben, Deutschland habe die niedrigsten Renten in Europa. Zudem ist nicht klar, was genau gemeint ist. Wenn von der Höhe der Renten gesprochen wird, wird aber oft das Rentenniveau herangezogen. Es lag 2019 in Deutschland bei 48,2 Prozent, wie CORRECTIV für einen anderen Faktencheck recherchiert hat. Datenbanken, in denen Zahlen für einen internationalen Vergleich aufgeführt sind, gibt es aber nicht.
Auch zu einer Durchschnittsrente liegen keine europaweiten Daten vor und ein Vergleich von absoluten Zahlen (wie „1.500 Euro pro Monat“) wäre zudem nicht sinnvoll, weil diese stark vom Lohnniveau in dem jeweiligen Land abhängen. Zahlen von Eurostat zufolge liegt Deutschland beim Median-Nettoeinkommen von Menschen über 65 Jahren deutlich über dem EU-Durchschnitt.
Vergleichende Statistiken speziell zu Renten gibt es aber zu den sogenannten Rentenersatzquoten der europäischen Länder. Zum Beispiel eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, „Pensions at a Glance 2019“). Die Rentenersatzquote entspricht nicht dem aktuellen Rentenniveau, sondern beruht auf einer Modellrechnung anhand einer fiktiven Rentenkarriere.
Sie beschreibt das Verhältnis der Rente zu dem vorherigen Einkommen in Prozent. Die Netto-Quote spielt hier laut OECD eine größere Rolle für den Einzelnen als die Brutto-Quote. Denn sie zeige, wie viel Geld eine Person im Rentenalter im Vergleich zu vorher tatsächlich ausgeben kann (PDF „Pensions at a glance 2019“, Seite 154). Für einen Durchschnittsverdiener liegt die Netto-Ersatzquote in Deutschland laut OECD bei 51,9 Prozent (Seite 155).
Deutschland hat laut OECD keine hohe, aber nicht die niedrigste Rentenersatzquote
Die Quote ist nicht besonders hoch. Im Ländervergleich wird aber deutlich, dass einige europäische Länder eine niedrigere Netto-Ersatzquote haben als Deutschland, zum Beispiel Norwegen, Griechenland, die Schweiz, Irland, Großbritannien oder Polen.
Nicht alle europäischen Länder sind Mitglied der OECD. Wir haben deshalb auch bei Eurostat die dort verfügbaren Daten zu den Rentenersatzquoten erfragt und die Werte für die „aggregierte Ersatzquote für Renten“ (aggregate replacement ratio for pensions) erhalten. Eine Sprecherin erklärte uns, die Daten zeigten das prozentuale Verhältnis der Median-Brutto-Rente von 65- bis 74-Jährigen zum Median-Brutto-Einkommen von 50- bis 59-Jährigen. Anders gesagt: Auch hier geht es wieder darum, wie viel Prozent vom vorherigen Einkommen man als Rente noch bekommt – allerdings dieses Mal brutto und nicht netto. Netto-Werte liegen bei Eurostat nicht vor.
Die Daten für 2019 sind unvollständig, deshalb kann nur 2018 für einen Vergleich herangezogen werden. Auch hier liegt Deutschland im Vergleich der europäischen Länder mit 46 Prozent nicht auf dem letzten Platz, sondern im unteren Drittel.
Die Behauptung, Deutschland hätte die niedrigsten Renten in Europa, lässt sich also mit keiner Statistik belegen. Verschiedene Vergleichswerte deuten aber darauf hin, dass die Renten in Deutschland nicht die niedrigsten in Europa sind.
Generell sind die Rentensysteme für vereinfachte Vergleiche zu komplex: In jedem Land gibt es andere Modelle (Datenbank-Auswahl: All EU countries / Old age). Ein Faktor ist zum Beispiel, wie verbreitet private oder betriebliche Altersvorsorge ist. Laut OECD kann zum Beispiel ein Beitrag zu einer freiwilligen Rentenversicherung die Rentenersatzquote für Durchschnittsverdiener um durchschnittlich 26 Prozentpunkte anheben (Seite 31).
Ein anderer Faktor ist die Höhe der verpflichtenden Rentenbeitragszahlungen. Länder, in denen die Menschen von ihrem Arbeitslohn viel an die Rentenkasse abgeben müssen, hätten meist überdurchschnittlich hohe Rentenleistungen, schreibt die OECD. Das treffe zum Beispiel auf Frankreich, Island, Italien und die Niederlande zu (Seite 196).
Bekommen Politiker in Deutschland die höchsten Pensionen?
Auch bei der zweiten Behauptung des Facebook-Beitrags ist keine Quelle angegeben. Es ist unklar, welche Art von Politikern gemeint ist: Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete oder Mitglieder der Bundesregierung.
Grundsätzlich lässt sich aus dem Gehalt eines Ministers oder Abgeordneten nicht ableiten, wie viel Rente er oder sie insgesamt bekommt. Denn die Person ist meist nicht ihr ganzes Berufsleben in der Regierung oder im Bundestag, sondern arbeitet vorher oder nachher in anderen Bereichen und zahlt dann gegebenenfalls in die Rentenversicherung ein.
Wir werden hier beispielhaft auf die Regelungen für Politiker in Deutschland auf Bundesebene (Regierung und Bundestag) eingehen.
Das Gehalt der Abgeordneten im Deutschen Bundestag beträgt seit dem 1. Juli 2019 10.083,47 Euro pro Monat (einkommensteuerpflichtig). Wie auf der Webseite des Bundestags nachzulesen ist, bekommen Abgeordnete eine sogenannte Altersentschädigung. „Denn für die Abgeordneten werden während der Mandatszeit keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt.“ Nach dem ersten Jahr betrage die Entschädigung 2,5 Prozent des Abgeordnetengehalts. Mit jedem weiteren Jahr im Parlament steige sie um 2,5 Prozent. Der Höchstbetrag liege bei 65 Prozent und werde nach 26 Jahren erreicht.
Aus einer Auswertung der Bundesregierung von 2012 zur Altersversorgung von Abgeordneten in Deutschland geht hervor, dass ehemalige Bundestagsabgeordnete 2011 im Schnitt 3.004 Euro im Monat bekamen. „Die Angaben beziehen sich nur auf die Zeit der Abgeordnetentätigkeit und lassen keine Aussagen hinsichtlich der Gesamtversorgung zu.“ (PDF, Seite 61)
Ehemalige Regierungsmitglieder (Minister) bekommen ein sogenanntes Ruhegehalt. Dafür müssen sie das Mindestalter und die Mindestamtszeit von vier Jahren erfüllen (PDF, Seite 5). Es gilt laut Bundesministergesetz dieselbe Regelaltersgrenze wie für Beamte: 67 Jahre. Laut Bund der Steuerzahler bekommt ein Mitglied der Bundesregierung mit vier Jahren Dienstzeit eine Pension von knapp 4.557 Euro pro Monat.
Das durchschnittliche monatliche Ruhegehalt für ehemalige Bundesminister lag 2011 laut dem Bericht der Bundesregierung (Seite 204) bei rund 4.565 Euro.
Keine internationale Statistik verfügbar
Es gibt keine Statistik, die Zahlen wie diese für alle europäischen Länder vergleicht. Auf Nachfrage schrieb uns eine Pressesprecherin des Bundestags per E-Mail, man habe keine solche internationale Statistik. Bei der Recherche fanden wir lediglich einen Bericht von Euronews, der Gehälter von Abgeordneten in den nationalen Parlamenten der europäischen Länder für 2010 verglichen hat. Dem zufolge bekamen italienische Abgeordnete die höchsten Gehälter, gefolgt von Österreich und Deutschland.
Die Sprecherin von Eurostat teilten uns auf Anfrage mit, eine vergleichende Statistik zu Renten von Abgeordneten oder Politikern sei nicht vorhanden. Deshalb ist die Behauptung in dem Facebook-Bild zu den Pensionen der Politiker nicht belegbar.