Faktencheck

Nein, es verschwinden nicht jedes Jahr hunderttausende Kinder in Deutschland und den USA

100.000 Kinder würden jedes Jahr spurlos in Deutschland verschwinden, 800.000 in den USA – das suggeriert ein Beitrag auf Facebook und vermutet eine Verschleppung der Kinder in Farmen, in denen Menschenfleisch produziert wird. Die Behauptungen sind falsch.

von Uschi Jonas

Polizei Deutschland
Jedes Jahr werden zwischen 8.000 und 15.500 Kinder in Deutschland bei der Polizei als vermisst gemeldet. (Symbolbild: Unsplash/ Markus Spiske)
Bewertung
Falsch. Es werden in Deutschland und den USA weitaus weniger Kinder vermisst, der Großteil der Fälle wird aufgeklärt.

Ein Facebook-Nutzer behauptet in einem Beitrag, dass jedes Jahr hunderttausende Kinder in Deutschland und den USA spurlos verschwinden würden: Langsam dämmert es dann vielleicht den Menschen wohin 100.000 deutsche Kinder jährlich verschwinden! […] 100.000 Kinder können sich nicht alle im Wald verlaufen haben und dann spurlos verschwunden sein  […] In Amerika sind es jährlich 800.000 Kinder – heißt es in dem Beitrag vom 27. Juni.

Zur Stützung seiner Behauptung veröffentlichte der Nutzer den Screenshot eines englischsprachigen Facebook-Beitrags, in dem von der Produktion von Menschenfleisch die Rede ist. Die Behauptungen sind falsch. 

Es verschwinden nicht hunderttausende Kinder in Deutschland und den USA im Jahr spurlos

Es verschwinden in beiden Ländern deutlich weniger Kinder als im Facebook-Beitrag behauptet und ein Großteil der Fälle wird gelöst. Der Beitrag über die Menschenfleisch-Farm ist frei erfunden.

Der Facebook-Beitrag suggeriert, dass hunderttausende Kinder aus Deutschland und den USA in Menschen-Farmen verschleppt würden. (Screenshot und Schwärzungen: CORRECTIV)
Der Facebook-Beitrag suggeriert, dass hunderttausende Kinder aus Deutschland und den USA in Menschen-Farmen verschleppt würden. (Screenshot und Schwärzungen: CORRECTIV)

Vermisstenfälle werden in Deutschland vom Bundeskriminalamt (BKA) erfasst. Für Minderjährige im Alter von bis zu 18 Jahren gilt im Gegensatz zu Erwachsenen, dass sie ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen dürfen: Bei ihnen wird grundsätzlich von einer Gefahr für Leib oder Leben ausgegangen. Sie gelten für die Polizei bereits als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt nicht bekannt ist.

 

Bei Vermissten unterscheidet das Bundeskriminalamt zwischen Kindern bis einschließlich 13 Jahren und Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren.

Das BKA betont, dass das Thema vermisste Kinder in der deutschen Öffentlichkeit einen hohen Stellenwert besitze. Intensive Medienberichterstattung bei aktuellen Einzelfällen suggeriere insgesamt ein hohes Gefährdungspotenzial für Kinder. 

Die Hälfte der Vermisstenfälle in Deutschland klärt sich laut BKA innerhalb einer Woche

So entsteht mitunter der Eindruck, dass die Anzahl nicht wieder aufgefundener Kinder bzw. nicht aufgeklärter Fälle dramatisch hoch sei, eine maßgebliche Anzahl vermisster und nicht wieder aufgefundener Kinder Opfer sog. Kinderpornografie-Ringe seien und die Polizei nicht genug unternehme, um dem Einhalt zu gebieten. Die in den polizeilichen Datenbanken registrierten Zahlen würden jedoch ein anderes Bild zeigen, betont das BKA.

Zudem erläutert das BKA: „Täglich werden jeweils etwa 200 bis 300 Fahndungen neu erfasst und auch gelöscht.“ Das Bundeskriminalamt erklärt, dass sich etwa 50 Prozent der Vermissten-Fälle innerhalb der ersten Woche erledigen würden, 80 Prozent innerhalb eines Monats. Der Anteil der Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, bewege sich bei etwa 3 Prozent.

So wurden laut der Webseite des BKA im Jahr 

  • 2016: 8.084 Kinder als vermisst gemeldet 7.781 der Fälle aufgeklärt (Aufklärungsquote von 96 Prozent).
  • 2017: 8.259 Kinder als vermisst gemeldet 8.080 davon wieder angetroffen bzw. aufgefunden (Aufklärungsquote von 98 Prozent).
  • 2018: 12.791 Kinder als vermisst registriert 12.604 Fälle aufgeklärt (Aufklärungsquote von 98,5 Prozent).
  • 2019: 15.395 Kinder als vermisst registriert 97,9 Prozent der Fälle aufgeklärt (Aufklärungsquote von 97,9 Prozent).

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei vermissten Jugendlichen (14- bis 17-Jährige):

  • 2016: Vermisst insgesamt 52.702, davon wieder aufgefunden 52.554 (Aufklärungsquote 99,7 Prozent).
  • 2017: Vermisst insgesamt 53.546, davon wieder aufgefunden 53.326 (Aufklärungsquote 99,6 Prozent).
  • 2018: Vermisst insgesamt 76.719, davon wieder aufgefunden 76.322 (Aufklärungsquote 99,5 Prozent).
  • 2019: Vermisst insgesamt 77.499, davon wieder aufgefunden 76.424 (Aufklärungsquote 98,6 Prozent).

Am 5. März 2020 – der letzten Aktualisierung der Zahlen durch das BKA – gab es in Deutschland gerechnet ab dem frühesten registrierten Vermisstendatum 03.03.1951 bis heute insgesamt 1.869 ungeklärte Fälle vermisster Kinder

Die Behauptung, in Deutschland würden jährlich 100.000 Kinder spurlos verschwinden, ist folglich falsch und übertreibt die tatsächliche Lage um ein Vielfaches. 

In den USA werden jährlich mehr als 400.000 Kinder als vermisst gemeldet, aber fast alle Fälle gelöst

In den USA werden im National Crime Information Center, der zentralen Datenbank zur Sammlung von Informationen in Zusammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung, Vermisstenfälle erfasst. Die USA erfassen die Vermisstenfälle von Kindern und Jugendlichen bis zu einem Alter von unter 21 Jahren. 

Demnach sind im Jahr 2019 401.875 Kinder und Jugendliche verschwunden 401.764 Fälle wurden gelöst (Seite 4), im Jahr 2018 waren 405.046 Kinder und Jugendlichen in den USA als vermisst gemeldet worden 407.653 Fälle vermisster Kinder und Jugendlicher wurden im selben Jahr gelöst (Seite 4) und im Jahr 2017 sind 445.345 als vermisst gemeldet worden, 447.023 Fälle wurden gelöst (Seite 4). 

Demnach verschwinden in den USA nicht, wie im Facebook-Beitrag behauptet, jährlich 800.000 Kinder spurlos. In den vergangenen Jahren sind es jährlich zwischen 400.000 und 445.000 Kinder gewesen, die in den USA als vermisst gemeldet wurden aber mindestens genauso viele Fälle wurden im selben Jahr gelöst. 

Im Facebook-Beitrag wird mit dem Screenshot eines anderen Beitrags zudem suggeriert, so viele Kinder würden verschwinden, weil sie in Farmen verschleppt würden, in denen Menschenfleisch produziert werde. 

Der Beitrag über Menschenfleisch-Farm ist erfunden – hinter dem Foto steckt eine Geflügelfarm

Die Facebook-Seite Human Farming Project, von der der Screenshot zu stammen scheint, ist inzwischen gelöscht. Allerdings existiert eine archivierte Seite, in der “Human Farming Project” über sich schreibt, es handle sich um ein Projekt für nachhaltige Ernährung. Einige Leute behaupten, dies sei Satire.

Eine Google-Suche nach der dort angegebenen Telefonnummer in den USA liefert keine Ergebnisse. Bei einer Google-Suche finden sich zudem Beiträge in Sozialen Netzwerken, die die Seite in die Kategorie Satire oder Schwarzen Humor einsortieren. Seriöse Hinweise über den Ursprung der Seite konnte CORRECTIV nicht finden. 

Hinter der Farm steckt eine Hühnerfarm in den USA

In dem Screenshot des Beitrags von Human Farming Projectwird die Eröffnung einer Farm angekündigt, in der menschliches Fleisch produziert werde. Eine Bilder-Rückwärtssuche des dafür verwendeten Fotos mit Google und Yandex ergibt, dass die gezeigte Farm tatsächlich existiert – allerdings scheint es sich dabei um eine Hühnerfarm der Firma Herbruck’s in Saranac im US-Bundesstaat Michigan zu handeln. 

Herbruck’s ist der nach eigenen Angaben größte Ei-Produzent in Michigan. Seit Dezember 2014 finden sich vor allem in den USA Artikel von Umwelt- und Tierschutzorganisationen sowie Nachrichtenseiten, die über die Farmen von Herbruck’s berichten und dafür das Foto des Facebook-Beitrags verwenden. Seriöse Berichte darüber, dass dort Menschenfleisch produziert werde, konnten wir nicht finden. 

Auf Google Maps finden sich in Saranc mehrere Farmen von Herbruck’s. Fotos von Google Earth Pro zeigen unter der Adresse Green meadow organics division of Herbruck’s poultry Ranch, 3896 Grand River Ave, Saranac, MI 48881, Vereinigte Staaten ein Satellitenfoto einer Herbruck’s Geflügelfarm vom 26. September 2014, das der im Facebook-Beitrag gezeigten Farm stark gleicht. 

Ein Satellitenfoto der Herbruck’s Farm vom September 2014. (Quelle: Google Earth Pro, Screenshot: CORRECTIV)
Ein Satellitenfoto der Herbruck’s Farm vom September 2014. (Quelle: Google Earth Pro, Screenshot: CORRECTIV)

Fazit: Die Behauptungen sind falsch. In Deutschland verschwinden nicht jährlich 100.000 Kinder spurlos. Die Zahl der vermissten Kinder ist deutlich geringer, ein Großteil der Fälle wird aufgeklärt. In den USA ist die Aufklärungsquote ähnlich. Der Beitrag einer vermeintlichen US-Farm in der menschliches Fleisch produziert wird, ist falsch. Bei der gezeigten Farm handelt es sich um eine Geflügelfarm.

CORRECTIV im Postfach
Lesen Sie von Macht und Missbrauch. Aber auch von Menschen und Momenten, die zeigen, dass wir es als Gesellschaft besser können. Täglich im CORRECTIV Spotlight.