Faktencheck

Nein, die Polizei darf nicht auf Corona-Infizierte schießen, weil sie sich nicht an die Quarantäne halten

Im Internet verbreitet sich ein Ausschnitt eines SWR-Artikels. Darin wurde suggeriert, Polizisten dürften Gebrauch von einer Schusswaffe machen, wenn eine SARS-CoV-2-infizierte Person das Haus verlasse. Das ist falsch. Der SWR hat den Text inzwischen überarbeitet.

von Uschi Jonas

Im Netz verbreitet sich die Falschbehauptung, die Polizei dürfe unter Gebrauch einer Schusswaffe gegen Quarantäne-Verweigerer vorgehen.
Im Netz verbreitet sich die Falschbehauptung, die Polizei dürfe unter Gebrauch einer Schusswaffe gegen Quarantäne-Verweigerer vorgehen. (Symbolbild: Unsplash / Jonathan Kemper)
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Größtenteils falsch. Polizeibeamte dürfen nicht von einer Schusswaffe Gebrauch machen, nur weil sich eine SARS-CoV-2-infizierte Person nicht an die Quarantäne hält.

„Unglaublich! Coronavirus: und Quarantäne! Als letzte Möglichkeit dürfte sogar von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden“, heißt es in einem Facebook-Beitrag vom 8. September. Zu sehen ist ein Screenshot aus einem Artikel des SWR vom 10. März. 

Darin hieß es wörtlich unter der Zwischenüberschrift „Was passiert, wenn ein Infizierter das Haus verlässt?“: „Gelingt dem Infizierten dennoch die Flucht, darf die zuständige Behörde diesen im Rahmen des Verwaltungszwangs mit Gewalt wieder in Gewahrsam nehmen und in Quarantäne unterbringen. Als letzte Möglichkeit dürfte sogar von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden, denn die Ansteckungsgefahr für eine Vielzahl von Personen wäre so hoch, dass zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung geboten sein kann, flüchtige Patienten unschädlich zu machen.“

Obwohl der SWR-Artikel bereits mehrere Monate alt ist, verbreitet sich sein Inhalt aktuell in Sozialen Netzwerken und wird in zahlreichen Blog-Artikeln, zum Beispiel bei Reitschuster.de oder 1984 Magazin. Die Seite Wochenblick aus Österreich schreibt im Titel: „Wenn ein Infizierter das Haus verlässt – Deutscher SWR: Quarantänebrecher erschießen, unschädlich machen“. 

Die Aussage, wenn sich jemand nicht an die Quarantäne halte, dürfe die Polizei Schusswaffen gebrauchen, ist jedoch nach Recherchen von CORRECTIV falsch. Es stimmt nicht, dass Polizeibeamte schießen dürften, nur weil eine infizierte Person das Haus verlässt. Das wäre nur erlaubt, wenn die Person zum Beispiel Polizisten mit einer Waffe angreift.

Der SWR hat den Artikel inzwischen aktualisiert

Der SWR hat den Artikel inzwischen aktualisiert. Die Passage wurde komplett umformuliert. Dort steht nun, dass der Schusswaffengebrauch nur in „absoluten Ausnahmefällen“ vorstellbar sei. Zum Beispiel, wenn die Person selbst „mit Waffengewalt gegen die Polizisten vorginge“.

Am 9. September war der Text noch mit dem ursprünglichen Absatz online. Wir haben beim SWR nachgefragt, wie es zur Aktualisierung des Artikels kam. Wolfgang Utz, Unternehmenssprecher des Südwestrundfunks, schreibt per E-Mail, dass die Redaktion festgestellt habe, dass der Absatz missverständliche Formulierungen enthalten habe: 

„Es war der Eindruck entstanden, dass der Schusswaffengebrauch bei allgemeinen Corona-Verstößen (etwa wenn eine infizierte Person die Quarantäne verlässt) zulässig sei. Das ist unzutreffend, weil die Polizeigesetze einen Schusswaffengebrauch nur unter engen, hier nicht gegebenen Voraussetzungen zulassen.“

Ein Sprecher des SWR erläutert in einer E-Mail an CORRECTIV, wie es zur Überarbeitung des Artikels kam. (Screenshot: CORRECTIV)
Ein Sprecher des SWR erläutert in einer E-Mail an CORRECTIV, wie es zur Überarbeitung des Artikels kam. (Screenshot: CORRECTIV)

Bundesinnenministerium: Schusswaffengebrauch ist ein sehr unwahrscheinliches Szenario

CORRECTIV hat zur genauen rechtlichen Lage das Bundesinnenministerium (BMI) angefragt. Ein Sprecher schreibt per E-Mail, dass Personen, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind oder im Verdacht stehen, infiziert zu sein, sich gemäß dem Infektionsschutzgesetz von anderen Menschen isolieren müssen. 

„Kommt der Betroffene der Anordnung zur Absonderung nicht nach, wird er auf Anordnung des zuständigen Gerichts zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus, Krankenhausteil oder einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert“, schreibt der Sprecher weiter. Rechtsgrundlage dafür seien die jeweiligen Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder. 

Zum Schusswaffengebrauch betont der BMI-Sprecher: „Ein Schusswaffengebrauch zur Durchsetzung von Absonderungsmaßnahmen ist ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Hier liegen keinerlei Erkenntnisse darüber vor, ob es im Zusammenhang mit Corona-Quarantäne-Maßnahmen bereits zum Gebrauch einer Schusswaffe durch Polizeibeamte gekommen ist.“

Die E-Mail des BMI an CORRECTIV (Screenshot: CORRECTIV)
Die E-Mail des BMI an CORRECTIV (Screenshot: CORRECTIV)

Innenministerium Baden-Württemberg: Schusswaffengebrauch ohne zusätzliche Umstände ausgeschlossen

CORRECTIV fragte auch beim baden-württembergischen Innenministerium nach. Ein Sprecher schrieb uns per E-Mail, dass der Schusswaffengebrauch gegen Menschen strengen Voraussetzungen unterliege, und das äußerste und folgenschwerste Mittel des unmittelbaren Zwangs darstelle. 

„Ohne das Hinzukommen weiterer Umstände (zum Beispiel ein tätlicher Angriff mittels Waffe auf Vollstreckungsbeamte), sind keine Fallgestaltungen ersichtlich, nach denen der Schusswaffengebrauch zur zwangsweisen Durchsetzung einer häuslichen Quarantäne – auch nicht als letzte Möglichkeit – zulässig sein könnte“, schreibt der Sprecher. 

Die E-Mail des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg an CORRECTIV (Screenshot: CORRECTIV)
Die E-Mail des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg an CORRECTIV (Screenshot: CORRECTIV)

Auch eine Sprecherin der Deutschen Polizeigewerkschaft schrieb in einer E-Mail an CORRECTIV, dass sie es für äußerst unwahrscheinlich halte, dass ein Schusswaffengebrauch in Erwägung gezogen werde. „Uns ist auch kein derartiger Fall bekannt.“

Wer gegen eine Anordnung im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes verstößt, kann mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden