Irreführender Beitrag von „Servus-TV“: Nein, mit der 7-Tage-Inzidenz wird die Corona-Fall-Statistik nicht „manipuliert“
In einem Fernsehbeitrag aus Österreich entsteht der Eindruck, durch die Berechnung der Fallzahlen auf 100.000 Einwohner würden für kleinere Bezirke zu hohe Corona-Fallzahlen kommuniziert. In Sozialen Netzwerken ist von „Statistikmanipulation“ die Rede. Das stimmt nicht: Die 7-Tage-Inzidenz und die absoluten Fallzahlen sind zwei verschiedene Werte.
Ein Fernsehbeitrag des österreichischen Privatsenders Servus-TV vom 16. Oktober sorgt derzeit für Verwirrung. Darin heißt es, viele Corona-Fälle würden „nur auf dem Papier“ existieren. Bei der 7-Tage-Inzidenz würden die Fallzahlen auf 100.000 Einwohner berechnet. Somit würden in kleineren Gemeinden (mit weniger als 100.000 Einwohnern) viel höhere Zahlen angegeben als es tatsächlich Infizierte gibt.
Der Beitrag ging einige Tage später in Sozialen Netzwerken viral und wurde viele hundert Mal geteilt. Zahlreiche Nutzer auf Facebook (hier und hier) oder Twitter (hier) sowie das rechte Compact-Magazin griffen ihn auf. „Statistik: Wie man Corona-Zahlen ins Riesenhafte hochrechnet“, titelte Compact, und schrieb von „fiktiven Fällen“. Auf Facebook ist die Rede von „Statistikmanipulation“ und auf Twitter von einem „unfassbaren Corona-Skandal“, den Servus-TV aufgedeckt habe: Angeblich würde der Fernsehbeitrag zeigen, dass die Bevölkerung über die Zahl der positiv Getesteten „schlicht belogen“ werde.
Das ist falsch. Der Fernsehbeitrag von Servus-TV lässt wesentlichen Kontext aus und ist daher irreführend. Die 7-Tage-Inzidenz dient der Vergleichbarkeit; die absoluten Fallzahlen werden separat ausgewiesen und kommuniziert.
Der 7-Tage-Inzidenzwert wird für eine Stadt folgendermaßen berechnet, wie die Süddeutsche Zeitung beispielhaft erklärt: „Es werden alle gemeldeten Neuinfektionen der jeweils zurückliegenden sieben Tage addiert […]. Die Summe wird durch die Einwohnerzahl der Stadt geteilt […]. Danach wird dieser Wert mit 100.000 multipliziert – das ist alles.“
7-Tage-Inzidenz dient der Vergleichbarkeit von Regionen mit unterschiedlichen Einwohnerzahlen
In Deutschland berechnet das Robert-Koch-Institut (RKI) Inzidenzwerte für Bundesländer und seit Oktober auch für alle Landkreise beziehungsweise kreisfreien Städte (Stadtkreise). Die Berechnung auf 100.000 Einwohner dient dazu, dass Gebiete mit unterschiedlich vielen Einwohnern statistisch vergleichbar sind. So können einheitliche Grenzwerte festgelegt werden: Gibt es in einer Region in Deutschland innerhalb von sieben Tagen mehr als 35 neue Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner, können dort schärfere Corona-Regeln verhängt werden. Ab einem Wert von 50 pro 100.000 gelten auch andere Regeln für Corona-Tests.
In Österreich wird die 7-Tage-Inzidenz ebenfalls für Bundesländer und Bezirke beziehungsweise Städte angegeben.
Ein Inzidenzwert beschreibt also nicht die absoluten Fallzahlen. Die Behörden „belügen“ mit ihm nicht die Öffentlichkeit über die Fallzahlen; es handelt sich schlicht um zwei verschiedene Werte.
Absolute Corona-Fallzahlen werden von Behörden separat kommuniziert
In dem Beitrag von Servus-TV wird der Eindruck erzeugt, dass die Behörden durch die 7-Tage-Inzidenz falsche Fallzahlen kommunizieren würden: Sie würden für kleine Bezirke viel höhere Fallzahlen angeben, als es dort wirklich gibt.
Als angeblicher Beleg werden die offizielle Online-Karte der Corona-Fälle in Österreich gezeigt und der Bezirk Hallein (im Bundesland Salzburg) als Beispiel herangezogen. Für Hallein wurde zum Zeitpunkt, als der TV-Beitrag erstellt wurde, im Dashboard der Inzidenzwert von 455,5 pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen angezeigt. „Diese Fälle gibt es aber zum großen Teil in Wirklichkeit gar nicht“, kommentiert der Sprecher. Dann sagt eine Frauenstimme: „Tatsächlich hat es im Tennengau [Gebiet deckungsgleich mit Bezirk Hallein, Anm. d. Red.] in den letzten 7 Tagen nämlich nur 275 positive Tests gegeben. Der Rest der ausgewiesenen Fälle existiert nur in der Statistik.“ Der Bezirk habe nämlich nur 60.000 Einwohner.
Diese Argumentation und die Präsentation des Dashboards durch Servus-TV sind jedoch irreführend. Nicht erwähnt oder gezeigt wird, dass man in der Online-Karte die absoluten Fallzahlen der letzten sieben Tage problemlos findet: Man kann mit nur einem Klick zwischen der Anzeige „pro 100.000 Einwohner“ (Inzidenz) und „absolut“ (absolute Fallzahlen) wechseln.
In der Übersicht der Fallzahlen für die Bezirke, die vom Bundesland Salzburg selbst veröffentlicht werden, findet man ebenfalls sowohl die absoluten Zahlen als auch die Inzidenzwerte auf 100.000 Einwohner.
Auch das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) kommuniziert in seinen täglichen Lageberichten die absoluten Fallzahlen der letzten sieben Tage pro Landkreis und die Inzidenz separat (Beispiel: 25. Oktober 2020). So zeigt sich: Ein Landkreis mit hoher Einwohnerzahl kann viele Neuinfektionen und trotzdem eine niedrigere 7-Tage-Inzidenz haben. In einem Landkreis mit wenigen Einwohnern dagegen reichen oft schon wenige neue Fälle für eine hohe Inzidenz. Anders ausgedrückt: In einem Ort mit nur 50.000 Einwohnern fallen 100 Neuinfektionen innerhalb einer Woche mehr ins Gewicht als in einer Großstadt mit 500.000 Einwohnern.
Fazit: Die Berechnung der 7-Tage-Inzidenz ist anders als behauptet keine „Statistikmanipulation“. Der Wert zeigt keine absoluten Fallzahlen, sondern dient dazu, Regionen mit unterschiedlichen Einwohnerzahlen vergleichbar zu machen. Die absoluten Fallzahlen für einen Landkreis, Bezirk oder eine Stadt werden durch die Behörden stets ebenfalls kommuniziert.
Redigatur: Bianca Hoffmann, Till Eckert