Irreführender Vergleich von Strompreisen in Deutschland und anderen Ländern
Auf Facebook wird aktuell behauptet, Deutschland habe weltweit die höchsten Strompreise. Die Aussage beruht jedoch auf Daten mit teils unklarer Quelle und ignoriert zudem den wichtigen Faktor Kaufkraft.
Auf Facebook kursiert die Behauptung (hier und hier), Verbraucher in Deutschland zahlten die höchsten Strompreise der Welt. Die Facebook-Beiträge verweisen als Quelle auf einen Artikel der Webseite Markt und Mittelstand vom 3. Februar und auf einen Artikel mit nahezu identischem Text, der am 10. Februar auf Focus Online veröffentlicht wurde. Dort ist der Artikel als Gastbeitrag gekennzeichnet. Insgesamt wurden die beiden Artikel mehr als 38.000 Mal auf Facebook geteilt.
In den Artikeln heißt es, Deutsche hätten im Januar 2022 durchschnittlich 36,19 Cent pro Kilowattstunde für Haushaltsstrom bezahlt. Das sei mehr als in anderen Ländern bezahlt werde. Grundlage für die Behauptung seien Daten des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Doch der Vergleich ist irreführend. Strompreise schwanken aktuell stark, ein internationaler Vergleich kann deshalb je nach Zeitpunkt der Datenerhebung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Woher die Daten für den Ländervergleich stammen, bleibt unklar. Zudem berücksichtigt die Aussage lediglich absolute Preise und lässt einen wichtigen Faktor aus: die Kaufkraft. Sie gibt an, wie viel Geld eine Person in einem Land zur Verfügung hat. Bezieht man das in den Vergleich ein, ergibt sich ein anderes Bild.
Beiträge beziehen sich auf ein veraltetes Zitat des Wall Street Journal
Die Artikel beziehen sich auf ein Zitat, das im Wall Street Journal erschienen sein soll. Dieses steht bei Focus Online in der Überschrift und wird teilweise auf Facebook aufgegriffen. Deutschland habe demnach die „dümmste Energiepolitik der Welt”. Den Text gibt es tatsächlich, es handelt sich allerdings um ein mehr als drei Jahre altes Meinungsstück, das den Kohleausstieg Deutschlands kritisiert. Dieser Kontext wird in den Behauptungen ausgelassen. Die Artikel zitieren die amerikanische Tageszeitung zudem mit den Worten, „Deutschland habe schon jetzt die höchsten Strompreise der Welt“. Im Wall Street Journal finden sich diese Behauptungen nicht. Dort steht lediglich, Deutschlands Energiepreise seien unter den höchsten in Europa.
Woher die Daten für den Ländervergleich stammen, bleibt unklar
Tatsächlich kommt der BDEW, ein Interessenverband der Energiewirtschaft, in dessen Vorstand zum Beispiel Mitglieder von Eon, RWE und Vattenfall sitzen, in einer Strompreisanalyse für Januar 2022 auf den Strompreis, der im Artikel von Markt und Mittelstand für Deutschland genannt wird: 36,19 Cent pro Kilowattstunde bei einem Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden. Dieser Preis bilde den Durchschnitt der verfügbaren Tarife für Strom für den jeweiligen Zeitraum ab, heißt es in der Analyse. Für das Jahr 2021 gibt der BDEW einen Preis von 32,16 Cent an und liegt damit nur leicht über dem Strompreis, den das Bundesamt für Statistik (Destatis) in einer Pressemitteilung von Oktober 2021 für das erste Halbjahr 2021 bekannt gab. Für das zweite Halbjahr 2021 oder den Januar 2022 hat das Destatis bisher keine Daten veröffentlicht.
Die aktuellen Strompreise in Deutschland sind schwer zu ermitteln, offizielle Zahlen liegen nicht vor. Das Vergleichsportal Verivox schätzt, dass Strom für Haushalte, die im Jahr durchschnittlich 4.000 Kilowattstunden verbrauchen, 40,64 Cent pro Kilowattstunde koste.
Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich dar, wenn man die Zahlen des BDEW zugrunde legt? Laut dem Artikel von Markt und Mittelstand schlecht. In Italien liege der Preis bei 25 Cent, in den USA bei 16 Cent, heißt es dort unter anderem. Quellen für diese Zahlen nennt der Beitrag nicht. Es ist lediglich von „aktuellen Marktdaten“ die Rede. Wir wollten von dem Verlag hinter Markt und Mittelstand wissen, woher die genannten Preise stammen. Auf mehrfacher Anfrage bekamen wir jedoch keine Antwort.
In Italien ist der absolute Strompreis aktuell höher als in Deutschland
Nach unseren Recherchen stimmen die genannten Preise nicht. Beispiel Italien: Dort zahlen Verbraucher im ersten Quartal 2022 laut der italienischen Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt (ARERA) 46,03 Cent pro Kilowattstunde, also absolut gesehen mehr als in Deutschland. Auch der angegebene Preis für die USA ist falsch. Er liegt für Januar 2022 laut dem Amt für Arbeitsstatistik bei 0,147 US-Dollar, das entspricht in Euro umgerechnet aktuell 13 Cent und ist somit sogar etwas unter den im Text genannten 16 Cent.
Es gibt öffentlich keine aktuellen vergleichbaren Daten für alle Länder
Strompreise schwanken aktuell stark, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Ländern. Laut Verivox ist der Strompreis in Deutschland zwischen Dezember und Januar von 34,64 auf 40,64 Cent gestiegen. In Italien ist der Preis laut der ARERA zwischen dem vierten Quartal 2021 und dem ersten Quartal 2022 von 29,7 auf 46,03 Cent gestiegen. Ein internationaler Vergleich kann deshalb je nach Zeitpunkt der Datenerhebung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Aktuelle vergleichbare Daten für alle Länder weltweit liegen zum jetzigen Zeitpunkt nicht öffentlich vor. Die Europäische Statistikbehörde Eurostat hat auf ihrer Webseite Daten für die erste Jahreshälfte von 2021 veröffentlicht. Demnach liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf dem ersten Platz, doch diese Preise sind mehr als ein halbes Jahr alt. Eine Eurostat-Sprecherin bestätigt auf Anfrage, dass es sich dabei um die aktuellsten Daten der Behörde handele. Auch bei der Weltbank oder der Internationalen Energieagentur gibt es keine neueren Daten.
Laut einer Verivox-Auswertung von November 2021 zahlen Verbraucher in Deutschland den höchsten Strompreis weltweit. Die Analyse lässt allerdings ein kleines Land mit höheren Preisen aus. Verivox bezieht sich auf Daten des Energiedienstleisters Global Petrol Prices. Demnach sind die Strompreise auf der Karibikinsel Bermuda höher als in Deutschland. Das Land sei ein Sonderfall, schreibt uns ein Verivox-Sprecher auf Anfrage. „Auf Empfehlung der Experten von Global Petrol Prices wurde Bermudas deshalb nicht in der Auswertung berücksichtigt“, schreibt der Sprecher. Die Strompreise seien an die Entwicklung der Ölpreise gekoppelt und schwankten daher stark.
Doch auch die Verivox-Daten sind veraltet: Sie stammen aus Juni 2021. „Ob Deutschland nach wie vor Spitzenreiter ist, ist mit unseren eigenen Daten nicht zu beantworten“, schreibt der Sprecher.
Bezieht man die Kaufkraft ein, liegt Deutschland im Strompreisvergleich weiter unten
Neben der Aktualität der Daten ist für einen internationalen Vergleich auch die sogenannte Kaufkraft wichtig. Mit dem Begriff Kaufkraft wird angegeben, wie viele Güter mit einer bestimmten Menge Geld gekauft werden können. Wenn die Lebenshaltungskosten steigen, sinkt die Kaufkraft, das heißt der Wert des Geldes verringert sich, wie die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt.
Weil die Menschen in unterschiedlichen Ländern nicht über die gleiche Kaufkraft verfügen, reicht es daher nicht aus, nur die absoluten Preise für Strom zu vergleichen.
Verivox hat seinen Strompreisvergleich sowohl mit absoluten Preisen, als auch mit kaufkraftbereinigten Daten durchgeführt. Während Deutschland bei der ersten Methode auf Platz zwei hinter Bermuda landet, ändert die Berücksichtigung der Kaufkraft die Reihenfolge deutlich. „Unter Berücksichtigung der vergleichsweise hohen Kaufkraft lagen die Strompreise in Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz 15“, schreibt uns der Sprecher des Vergleichsportals. Insgesamt verglich Verivox 133 Länder. In Rumänien, Tschechien oder Guatemala zum Beispiel war Strom kaufkraftbereinigt teurer als in Deutschland.
Redigatur: Matthias Bau, Sophie Timmermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Strompreisanalyse Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, 27. Januar 2022 Link
- Strompreise in Italien, italienische Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt, Januar 2022 Link
- Strompreise in den USA, US-Büro für Arbeitsstatistik, Februar 2022 Link
- Verbraucher-Atlas: Weltweite Strompreise, Verivox, November 2021 Link