Faktencheck: Weizen-Proteingehalt wegen Düngeverordnung zu niedrig zum Brotbacken?
Ein Landwirt sagt in einem Video, sein Weizen habe in diesem Jahr lediglich einen Proteingehalt von 8,8 Prozent – das sei viel zu niedrig, um damit Brot zu backen. Die Schuld dafür sieht er in der gesetzlichen Düngeverordnung. Ein Agrarbiologe und der Deutsche Bauernverband ordnen seine Aussagen ein.
Ende Juli veröffentlichte ein Landwirt ein Video auf Youtube und Facebook, in dem er darüber spricht, dass der Proteingehalt seines aktuell geernteten Weizens lediglich bei 8,8 Prozent liege. Weiter sagt er: „Für alle, die es nicht wissen: Damit kannst du kein Brot backen, selbst der beste Bäcker da draußen kann das nicht.“ Schuld daran sei die Politik, die „mit der Düngeverordnungen dafür gesorgt habe, dass Weizen in Deutschland „unter dem Bedarf“ gedüngt werden müsse.
Der Mann im Video heißt Anthony-Robert Lee. Er ist CDU-Lokalpolitiker und tritt als Sprecher des Vereins „Landwirtschaft verbindet Deutschland“ (LSVD) auf. Der Verein ist regelmäßig Mitorganisator von Bauernprotesten.
Wie hängen der Proteingehalt von Weizen und das Backen von Brot zusammen?
Wir haben mit Friedrich Longin, Professor für Agrarbiologie an der Universität Hohenheim, über das Video gesprochen. Er sagte uns, dass Weizenkörner hauptsächlich aus Stärke bestehen (80 Prozent), der Rest seien Proteine, zum Großteil Gluten. Gluten bewirkt, dass ein Teig beim Backen aufgeht. Das bestätigt auch Anni Neu, Pressesprecherin beim Deutschen Bauernverband: „Der Rohproteingehalt von Weizen hat einen direkten Einfluss auf die Fähigkeit des Teiges aufzugehen. Der Rohproteingehalt ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Faktor bei der Backqualität.“ Der Proteingehalt beeinflusst zudem die Fähigkeit von Mehl, Wasser aufzunehmen sowie die Klebequalität des Teigs.
Allgemein gilt: Als Mehl von hoher Qualität gilt Mehl mit einem Proteingehalt von mindestens 12 Prozent. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass es einen bestimmten Proteingehalt zwingend braucht, um damit Brot zu backen. „Deshalb ist ein glutenfreies Brot klassisch erstmal ein Fladen“, sagt Agrarbiologe Longin. Weniger Protein bedeute, dass die Teigführung und Wassermenge entsprechend angepasst werden müsse, ebenso wie die Länge und Intensität der Knetung.
Brot backen ist auch mit weniger Proteingehalt möglich – aber Landwirte können Weizen mit niedriger Qualität nicht gut verkaufen
Es sei möglich, mit weniger als 12 Prozent Rohprotein Brot zu backen, erklärt auch Anni Neu, die Sprecherin des Bauernverbands. „Allerdings bedarf es dann mehr Zeit, um den Teig ruhen und gehen zu lassen, und man muss Backtriebmittel zugeben, die dabei helfen, dass der Teig aufgeht.“
Die Zugabe von Backtriebmittel hat auch indirekten Einfluss auf die Situation auf dem Getreidemarkt. „Backtriebmittel an sich sind nichts Schlimmes. Aber sie sind bei den Kunden per se verpönt“, sagt Neu. Das führe dazu, dass die Nachfrage von Bäckern nach Mehl aus Weizen mit hohen Rohproteinwerten hoch sei. Ein Proteingehalt von 8,8 Prozent sei vor diesem Hintergrund sehr wenig, bei 10 Prozent spreche man von „Keksweizen“, da Kekse nicht aufgehen müssen. Hinzu kommt, dass der Proteingehalt im Getreidehandel starken Einfluss auf den Preis hat. „Niedrige Proteingehalte führen also zu empfindlichen Preisabschlägen für die Landwirte“, so die Sprecherin. Das bestätigt auch Friedrich Longin.
Weizen wird in verschiedene Klassen aufgeteilt – Sorten mit niedrigerem Proteingehalt werden meist als Futtermittel für Tiere verkauft. „Getreide mit geringem Proteingehalt muss oft mit anderem Getreide gemischt werden, um Mehl mit guten Backeigenschaften zu erhalten“, schreibt uns Susan Hasse, Pressesprecherin des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks.
Das heißt: Die Aussage von Anthony-Robert Lee ist ohne Kontext missverständlich. Bauern sind an einem hohen Proteingehalt ihres Getreides interessiert, weil es Mehl hoher Qualität ergibt – aber man kann auch mit Mehl geringerer Qualität Brot backen.
Was hat die Düngeverordnung mit dem Proteingehalt von Weizen zu tun?
Nutzpflanzen benötigen Nährstoffe in einer ausgewogenen Menge, um optimal zu gedeihen. Dafür hilft es, zu düngen und so gleichzeitig die Fruchtbarkeit des Bodens zu fördern, schildert das Bundeslandwirtschaftsministerium. Das Düngen beeinflusst auch den Proteingehalt von Weizen. Denn am wirksamsten für die Proteinbildung beim Wachstum von Weizen ist Stickstoff. Die Versorgung mit Stickstoff könne ebenfalls über das Düngen reguliert werden, sagt Agrarbiologe Longin.
2017 wurde das nationale Düngerecht geändert, heißt es auf der Webseite des Landwirtschaftsministeriums. Wie Anni Neu vom Bauernverband erklärt, geht damit einher, dass der Einsatz von Stickstoffdünger auf sogenannten roten Flächen um 20 Prozent reduziert werden müsse. Das sind Flächen, auf denen der Nitratgehalt des Grundwassers einen Grenzwert überschreitet. Nitrat ist in Düngemitteln enthalten. Hintergrund der Einschränkungen sind EU-Richtlinien.
„Das ist das, was der Landwirt aus dem Video meint. Dabei kann es durchaus zu negativen Folgen für Quantität und Qualität [des Getreides, Anm. d. Red.] kommen. Ob seine Fläche in einem roten Gebiet liegt und ob es ausschließlich an der reduzierten Düngung liegt, können wir nicht beurteilen“, so Neu.
Düngeverordnung gibt es seit 2017 – Proteingehalt war dennoch stabil
Auch Agrarbiologe Longin sagt, die veränderte Düngeverordnung könne den Proteingehalt beeinflussen. „Aber ein Wert von 8 Prozent kann nicht allein davon kommen. In den vergangenen Jahren, als die Düngeverordnung bereits in Kraft war, lag der Gehalt bei 10 bis 14 Prozent.“ In der biologischen Landwirtschaft, in der gar nicht künstlich gedüngt werde, liege der Proteingehalt des Weizens dennoch zwischen 10 und 11 Prozent.
Das stimmt mit einem Bericht des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung zur Erntequalität überein, der jährlich erscheint. Darin heißt es: „Die Winterweizenernte 2021 weist im Durchschnitt aller untersuchten Proben aus dem Bundesgebiet einen Proteingehalt von 12,7 Prozent auf. Dieser Wert ist damit etwas höher als im Vorjahr (12,4 Prozent) und entspricht dem Mittel (12,7 Prozent) der vergangenen sechs Jahre.“
Weitere Faktoren wie Hitze und Trockenheit können Einfluss haben
Die Stickstoffaufnahme des Weizens sei auch nicht nur vom Düngen abhängig, erklärt Longin weiter. Sie werde auch von der Beschaffenheit des Bodens beeinflusst: Vorfrucht, Mist und Humus müssen im Boden ausreichend vorhanden sein und die klimatischen Bedingungen müssen stimmen. „Wenn es zum Beispiel an Wasser fehlt, kommen die Wurzeln nicht überall hin, um Nährstoffe wie Stickstoff aufzunehmen. Das kann von Jahr zu Jahr schwanken.“ Zudem gebe es Weizensorten, die unterschiedlich proteineffizient sind, sprich Stickstoff unterschiedlich gut verwerten können, sagt der Agrarbiologe.
Bauernverband-Pressesprecherin Neu schildert ebenfalls, dass eine vorzeitige Notreife des Weizens durch starke Hitze und Dürre den Proteingehalt beeinflussen können. Trockenheit im Frühjahr könne zudem dazu führen, dass der Weizen den Dünger schlechter aufnehme.
Generell hält der Agrarbiologe Longin einen flächendeckenden Wert von 8,8 Prozent Protein beim Weizen in diesem Jahr für unrealistisch: „Vielleicht gibt es vereinzelte Fälle, aber in der großen Masse passiert das nicht. In diesem Jahr war das Wasser knapp, das führt zu kleineren Körner, die auf weniger Masse dieselbe Menge Protein haben.“ Der Proteingehalt wäre dann also eher hoch als niedrig.
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann
Update, 31. August 2022: Wir haben eine Aussage des Zentralverbands des Bäckerhandwerks ergänzt, die uns als Antwort auf unsere Presseanfrage nach Veröffentlichung dieses Artikels erreicht hat. Zudem haben wir ergänzt, dass es verschiedene Klassen von Weizen gibt, sowie einen Bericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums über den Proteingehalt des Weizens in den vergangenen Jahren.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Hinweise des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum Thema Düngung: Link
- Häufig gestellte Fragen zu Nitrat im Grund- und Trinkwasser: Link
- Bericht des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung zur Erntequalität: „Besondere Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE) 2021“: Link
- Agrarheute: „Qualität beim Weizen: Darauf kommt es an“: Link