Nein, die Bundeswehr soll nicht ab 1. Oktober auf Straßen und vor Supermärkten patrouillieren
Eine Umstrukturierung der Bundeswehr wird in Sozialen Netzwerken falsch interpretiert. Dort heißt es, die Armee werde mit einem neuen Kommando ab dem 1. Oktober auf den Straßen patrouillieren. Doch weder ändern sich die Befugnisse der Bundeswehr noch das Grundgesetz, das Einsätze innerhalb Deutschlands nur in Ausnahmefällen zulässt.
„Deutschland sorgt vor gegen die zu erwartenden Aufstände – ab 1. Oktober werden Soldaten auf den Straßen patrouillieren und vor Discountern stehen“, heißt es Ende August in einem Beitrag auf Telegram. Das neue Territoriale Kommando Bundeswehr sei „eine Art Gestapo“. Rund 130.000 Menschen haben den Beitrag gesehen, die Behauptung verbreitet sich zusätzlich auch auf Twitter und Facebook.
Die Beiträge beziehen sich auf einen Artikel von Pravda.tv, der wiederum größtenteils eine Übersetzung aus einem niederländischen Blog ist. Die Behauptung kursiert schon länger, auch international, und hat sich mit der Zeit verändert: Eine englische Webseite spekulierte Mitte August über einen Zusammenhang des neuen Kommandos mit einer Rückkehr einer Maskenpflicht – und verweist als Quelle auf einen Bericht der deutschen Seite DDB-News, die dem Reichsbürger-Spektrum zuzuordnen ist. Schon Ende Juli tauchte die Aussage, die Bundeswehr werde ab 1. Oktober angeblich die Polizei unterstützen, in Sozialen Netzwerken auf. Sie ist falsch.
Das Kommando, um das es geht, gibt es wirklich. Es heißt „Territoriales Führungskommando der Bundeswehr“. Es übernimmt jedoch keine neuen Aufgaben und soll weder permanent auf den Straßen patrouillieren, noch vor Läden Wache halten. Es handelt sich um eine Neustrukturierung der Bundeswehr. Mehr Befugnisse bekommt sie dadurch aber nicht. Die Bundeswehr durfte schon vorher unter bestimmten Bedingungen im Inland eingesetzt werden – etwa bei Naturkatastrophen. Für den Einsatz im Landesinneren gibt es im Grundgesetz strikte Regeln, die sich nicht geändert haben.
Verteidigungsministerium: Durch neues Kommando ist kein vermehrter Einsatz der Bundeswehr in Deutschland geplant
Das Verteidigungsministerium hat das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr schon am 13. Juni in einer Pressemitteilung angekündigt. Als Begründung für die Umstrukturierung wird der russische Einmarsch in die Ukraine angegeben, außerdem werden die Covid-19-Pandemie und Hochwasserkatastrophen erwähnt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Maßnahme eine Reaktion auf „zu erwartende Aufstände“ ist.
Laut Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht waren die territorialen Aufgaben der Bundeswehr bislang über viele Bereiche verteilt. Diese Aufgaben werde das neue Führungskommando in Berlin bündeln.
Komplett neu ist das Kommando nicht. Es geht laut einer Pressemitteilung der Bundeswehr aus dem bereits existierenden Kommando für Territoriale Aufgaben der Bundeswehr hervor. Dessen bisheriger Kommandant wird auch mit der Aufstellung des neuen Kommandos beauftragt. Auch die Aufgaben, die das Kommando übernehmen soll, überschneiden sich zum Teil mit denen, die das Kommando bereits bisher erledigt hat.
Die neue Struktur solle die Entscheidungswege verkürzen, schrieb uns ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Zudem wird das Kommando laut Tagesschau nicht ab Oktober einsatzbereit sein. Es wird dann zunächst aufgestellt; einsatzbereit soll es ab März 2023 sein.
Wir haben den Sprecher des Ministeriums gefragt, ob sich die Befugnisse der Bundeswehr für Einsätze in Deutschland ändern und Soldaten auf den Straßen patrouillieren sollen. Er schrieb uns: „Durch die Aufstellung des Territorialen Kommandos für die Bundeswehr ist weder ein vermehrter Einsatz der Bundeswehr im Bevölkerungsschutz beabsichtigt noch ändern sich die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr im ‚Innern‘.“
Welche Aufgaben übernimmt das neue Territoriale Kommando?
Die neue zentrale Stelle bei der Bundeswehr soll unter anderem für die Verlegung alliierter Kräfte durch Deutschland in Abstimmung mit der Nato verantwortlich sein. Dem Führungskommando sind auch die 16 Landeskommandos in den Bundesländern zugeordnet.
Das Kommando führt außerdem die nationalen Kräfte im Rahmen des „Heimatschutzes“. Darunter fasst die Bundeswehr Katastrophen oder größere Unglücke in Deutschland zusammen. Dabei kann die Armee etwa mit Material und Personal helfen. Das geschah während der Corona-Pandemie: Soldatinnen und Soldaten testeten etwa Menschen am Flughafen oder halfen bei der Kontaktverfolgung in Gesundheitsämtern. Ein weiteres Beispiel: Nach dem Hochwasser im Ahrtal 2021 baute die Bundeswehr in der Region Behelfsbrücken.
Wann darf die Bundeswehr in Deutschland eingesetzt werden?
Solche Einsätze sind als Amtshilfe oder Katastrophenhilfe erlaubt. Das ist im Artikel 35 des Grundgesetzes festgelegt. Demnach kann ein Bundesland zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall Polizei- oder Streitkräfte anfordern. Voraussetzung dafür sei ein Katastrophennotstand, schrieb uns der Sprecher des Verteidigungsministeriums. „Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 2012 die Hürden für den Einsatz der Bundeswehr in einem solchen Fall hochgelegt.“ Demnach müsse es sich um eine „ungewöhnliche Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes“ handeln. Die Bekämpfung einer Naturkatastrophe sei in erster Linie Sache des betroffenen Landes, die Hilfe der Bundeswehr sei nur unterstützend.
Die Bundeswehr kann auch bei einem sogenannten Inneren Notstand eingesetzt werden. Das ist ebenfalls im Grundgesetz festgehalten, und zwar im Artikel 87a Abs. 4 in Verbindung mit Artikel 91 Abs. 2. Voraussetzung dafür ist ein Verteidigungs- oder „Spannungsfall“. Wenn eine „Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ droht, können Streitkräfte beim Schutz von zivilen Objekten oder bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer eingesetzt werden. Der bewaffnete Einsatz von Streitkräften im Innern dürfe nur das „äußerste Mittel“ sein, da die Innere Sicherheit Aufgabe der Polizei sei, schrieb uns der Sprecher des Verteidigungsministeriums. Ein solcher Einsatz muss auf Verlangen des Bundesrats oder Bundestags beendet werden.
Redigatur: Alice Echtermann, Steffen Kutzner