Falscher Kontext: Video von „Glühen am Himmel“ entstand nicht bei den aktuellen Erdbeben in der Türkei
Auf Telegram und Facebook kursiert ein Video, das angeblich ein „Glühen im Himmel“ während der aktuellen Erdbeben in der Türkei zeigt. Es entstand aber schon 2022 und zeigt einen anderen Teil des Landes.
Ein schweres Erdbeben hat die Region Gaziantep im Südosten der Türkei und Teile Syriens erschüttert. Noch am selben Tag, dem 6. Februar, verbreitete sich ein vermeintlich aktuelles Video auf Telegram und Facebook, das einen Nachrichtenbeitrag zeigt. Zu sehen ist eine Landschaft in der Nacht, am Horizont blitzen grelle Lichter auf. Manche Beiträge zeigen nur ein Standbild aus dem Video.
Reichweitenstarke Accounts teilten die Aufnahmen mit dem Hinweis, dass der Himmel vor und während des Erdbebens geglüht habe – ein konkreter Ort wurde zu keinem der Videos genannt. Ein Beitrag im Telegram-Kanal Neues aus Russland wurde mehr als 90.000 Mal angezeigt (Stand: 9. Februar).
Doch Medien veröffentlichten das Video schon im November 2022, nur wird es in falschem Kontext verbreitet. Laut damaligen Berichten zeigt es ein Erdbeben im Nordwesten der Türkei. Der Ort liegt hunderte Kilometer Autofahrt von den Erdbeben in der Türkei am 6. Februar 2023 entfernt.
Video ist über zwei Monate alt und zeigt ein Erdbeben im Nordosten der Türkei
Einen Hinweis darauf, dass das verbreitete Video nicht aktuell ist, geben einige der Beiträge selbst. In manchen ist in der rechten oberen Ecke ein Teil eines Datums zu sehen: „23-2022“. Eine Bilderrückwärtssuche führt zu einem Beitrag des türkischen Nachrichtensenders Haber Global.
Der Sender veröffentlichte das Video schon am 23. November 2022. Laut dem Artikel zeigt es ein Erdbeben der Stärke 5,9 im Landkreis Gölyaka im Nordwesten der Türkei, die Bilder stammen aus einer Überwachungskamera. Auf Youtube veröffentlichte der Sender das Video als Teil eines Nachrichtenbeitrags – das ist jene Version, von der ein Ausschnitt nun auf Telegram und Facebook geteilt wird.
Das Video, das in Sozialen Medien verbreitet wird, zeigt also nicht das Erdbeben am 6. Februar – es ist schon mehr als zwei Monate alt. Das Epizentrum des aktuellen Bebens lag im Südosten der Türkei, das Beben erreichte auch Syrien. Die Aufnahmen mit den Blitzen entstand hingegen im Nordwesten der Türkei.
Laut Berichten sind die Blitze über Gölyaka Erdbebenlichter
Einige Medien berichteten direkt nach dem Erdbeben in Gölyaka im November 2022 über die Blitze. Die türkische Nachrichtenseite Posta schrieb: „Erdbebenexperten vergleichen die Lichtstrahlen, die bei Erschütterungen zu sehen sind, mit Blitzen, die durch elektrische Ladung in Wolken verursacht werden.“
Teyit aus der Türkei veröffentlichte im Februar 2023 einen Faktencheck über das Video und schrieb in dem Zusammenhang, die Wissenschaft beschäftige sich seit den 1960er-Jahren mit diesen sogenannten Erdbebenlichtern. Einige Aspekte rund um das Phänomen, so heißt es in den Stuttgarter Nachrichten, seien aber noch ungeklärt. Laut Tagesschau komme es vor, „dass während Erdbeben Blitze zu sehen sind, zum Beispiel durch Kurzschlüsse von zerstörten Stromleitungen.“
Berichte über Erdbebenlichter gibt es immer wieder. Meldungen dazu gab es zum Beispiel in Chile im Jahr 2010 oder 2017 in Mexiko – und eben in Gölyaka. Vom aktuellen Erdbeben in Syrien und in der Türkei kursieren weitere Videos, die angeblich Erdbebenlichter zeigen – wir konnten diese bislang aber nicht verifizieren.
Fachleute nennen Plattenverschiebungen als Ursache für die Erdbeben
In manchen Telegrambeiträgen wird behauptet, die Lichter seien ein Signal dafür, dass das Erdbeben „kein natürliches Ereignis“ sei. Dafür gibt es keine Belege. Zahlreiche Fachleute haben sich zu den Ursachen der aktuellen Erdbeben geäußert. So erklärt etwa der Seismologe Joachim Ritter vom Karlsruher Institut für Technologie in einem SWR-Beitrag, dass in der Region die tektonischen Platten eng beieinander liegen würden und sich in unterschiedliche Richtungen bewegen würden. Dadurch würden sich Spannungen aufbauen, die sich dann entladen. So erklärt das auch Yaareb Altaweel, Seismologe am National Erdbebeninformationszentrum in Colorado, in der Washington Post.
Nach Naturkatastrophen verbreiten sich neben authentischem Bildmaterial auch Falschinformationen im Internet, zum Beispiel während der Hochwasserkatastrophe in Deutschland im Jahr 2021 oder während der Buschbrände in Australien 2020. In manchen Fällen wird Bildmaterial aus dem Kontext gerissen und verbreitet, etwa, um die eigene Reichweite zu erhöhen. Lesen Sie hier, wie eine Bilderrückwärtssuche dabei helfen kann, solche Aufnahmen zu prüfen.
Seit den Erdbeben in der Türkei und Syrien am 6. Februar 2023 kursieren mehrere Aufnahmen, die angeblich Folgen der Katastrophe zeigen. Wir gehen potenziellen Falschmeldungen und Einsendungen dazu nach.
Redigatur: Viktor Marinov, Sarah Thust
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Youtube-Video des Nachrichtensenders Haber Global, 23. November 2022: Link (Türkisch, archiviert)