Video: Türkischer Innenminister brachte USA nicht in Verbindung mit Erdbeben
Ein Video des türkischen Innenministers Süleyman Soylu soll eine alte Verschwörungserzählung unterfüttern: Angeblich manipulierten die USA das Wetter und führten künstlich Naturkatastrophen herbei. Doch in dem Video kritisiert Soylu die USA für etwas ganz anderes.
Seit dem 6. Februar erschütterten Erdbeben die Türkei und Syrien, mehr als 48.000 Menschen verloren dadurch ihr Leben (Stand 23. Februar 2023). Über die Naturkatastrophe kursieren immer wieder Falschbehauptungen – wir haben mehrere davon bereits überprüft.
In einem aktuell verbreiteten Video geht es angeblich um die Reaktion der Türkei auf die Erdbeben. Dazu heißt es auf Telegram, der türkische Innenminister Süleyman Soylu habe gesagt: „Es gibt keine Zufälle, und das haben wir dem amerikanischen Botschafter auch gesagt. Die Türkei hat vor einer Woche die Erweiterung der NATO um weitere Mitglieder abgelehnt und wurde dann von einem katastrophalen Erdbeben heimgesucht.“
Die Aussage, das Erdbeben sei kein Zufall, spielt auf eine Verschwörungserzählung um ein amerikanisches Forschungsprogramm namens HAARP an. Seit den 90er Jahren kursiert der Mythos, dass mit Anlagen, die die Auswirkung von Radiowellen in der Atmosphäre untersuchen sollen, das Wetter beeinflusst oder Naturkatastrophen herbeigeführt werden können. Das wurde bereits 1996 durch den Spiegel widerlegt und auch aktuell immer wieder von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zurückgewiesen (hier und hier).
Im aktuellen Fall kommt noch hinzu: Das Video entstand schon vor den Erdbeben, Soylu spricht darin logischerweise nicht von den Erdbeben. Auch die Nato kommt in seiner Rede nicht vor.
Video des türkischen Innenministers schon vor den Erdbeben entstanden
Der aktuell kursierende Ausschnitt aus dem Video ist rund 30 Sekunden lang. Darin spricht der türkische Innenminister Soylu. In den ersten Sekunden sagt eine englische Stimme, es gäbe keine Zufälle: Die Türkei habe die Nato-Erweiterung abgelehnt und sei dann von einem massiven Erdbeben erschüttert worden.
In den verbleibenden Sekunden des Videos ist nur die Stimme des Innenministers zu hören, Untertitel auf Englisch sind von Anfang an zu sehen. Demnach sagt Soylu mit Blick auf den US-Botschafter: „Lass deine dreckigen Hände von der Türkei.“ Soylu spricht aber laut den Untertiteln weder von Erdbeben noch von der Nato. Wir haben das Video zusätzlich automatisch durch eine Software übersetzen lassen – auch in dieser Übersetzung tauchen die Begriffe „Nato“ und „Erdbeben“ nicht auf.
Um den Ursprung des Videos zu finden, suchten wir bei Google auf Englisch nach den Stichworten „Innenminister Türkei“ und „US-Botschafter“. So fanden wir mehrere Medienberichte, unter anderem einen Artikel von Bloomberg vom 3. Februar – also drei Tage vor den Erdbeben. Darin wird über Soylus Kritik an den USA berichtet: Mehrere westliche Staaten, darunter Deutschland, schlossen Anfang Februar ihre Botschaften in der Türkei. Grund dafür soll die Angst vor Ausschreitungen in Folge von Koranverbrennungen gewesen sein. Der türkische Innenminister warf den USA daraufhin vor, eine Kampagne gegen die Türkei zu führen.
Vollständiges Video auf dem Twitter-Kanal des Innenministers zu finden
Mit dem Datum des Bloomberg-Artikels konnten wir gezielt den Twitter-Kanal des türkischen Innenministers durchsuchen. Wir fanden dort eine anderthalb Minuten lange Version des Videos, der aktuell kursierende Ausschnitt fängt bei Minute 0:59 an. Auch diese Version ließen wir automatisch übersetzen und fanden dabei weder das türkische Wort für Nato, noch jenes für Erdbeben.
Der für Desinformation bekannte Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ von der prorussischen Influencerin Alina Lipp verbreitete in Deutschland die Behauptung – und bezeichnete sie später als falsch. „Das Video mit der deutlichen Ansage aus der Türkei ist aus dem Kontext gerissen worden“, hieß es dort. Der alte Beitrag mit der Behauptung ist aber weiterhin online (Stand 23. Februar).
Dass die Erdbeben in der Türkei kein natürliches Ereignis gewesen sind, ist ein Narrativ, das uns häufiger begegnet. Wir haben zwei Videos überprüft, die das suggerieren – beide entstanden an anderen Orten und waren schon älter.
Redigatur: Matthias Bau, Gabriele Scherndl