Faktencheck

Benebelnde Substanz? Inszeniertes Verschwörungsvideo von 3Sat wird für echt gehalten

In einer 3Sat-Sendung enthüllt ein angeblicher Journalist, dass Menschen mit einer geheimen Substanz benebelt würden. Doch das Video wird aus dem Kontext gerissen verbreitet: Es war Teil einer Diskussionssendung über Verschwörungen – der Inhalt ist frei erfunden und wurde als solcher im Rahmen der Sendung gekennzeichnet, der angebliche Journalist ist Schauspieler.

von Gabriele Scherndl

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Der angebliche Journalist, der auf 3Sat eine Verschwörung enthüllt, ist ein Schauspieler. Die Inhalte, über die er spricht, hat sich die 3Sat-Redaktion ausgedacht. (Quelle: Youtube; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
3Sat habe einen Beitrag über die Manipulation der Bevölkerung mit einer geheimen Substanz gezeigt und damit die „blanke Wahrheit“ offenbart.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Der Beitrag ist ein irreführender Ausschnitt einer Sendung über Verschwörungserzählungen, die 3Sat im Jahr 2012 ausstrahlte. Der Inhalt des Beitrags ist frei erfunden – was in der originalen Langversion auch aufgeklärt wird.

Es sind abenteuerliche Informationen, die der angebliche Journalist Frank Peter Hellmann in einem 3Sat-Beitrag preisgibt: Auf einer Veranstaltung in Moskau sei ihm 1999 eine Akte des russischen Geheimdienstes zugesteckt worden. Es gehe um die Formel eines Neurotransmitters, der das Gehirn durcheinander bringe, um neue Realitäten in den Köpfen der Menschen zu konstruieren und sie zu manipulieren. Laut dem Mann werde die Substanz durch Flugzeuge über der Bevölkerung versprüht, eine EU-Finanzierung schließe er nicht aus.

Das Video verbreitet sich auf Tiktok, Twitter, Whatsapp und auf mehreren VideoPlattformen. Es wird als „Sensation” bezeichnet, die „blanke Wahrheit“ komme „nun in offiziellen Medien“, heißt es.

Doch der Inhalt ist frei erfunden. Der Beitrag ist Teil einer Diskussionssendung über Verschwörungen, die 2012 auf dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender 3Sat ausgestrahlt wurde. Sie sollte zeigen, was Verschwörungerzählungen ausmache und wie sie funktionieren. Der angebliche Journalist ist Schauspieler, der Film „von Anfang bis Ende erfunden”, wie Gert Scobel, Moderator der Sendung, in der längeren Originalfassung der Sendung sagt.

Screenshot eines Tiktok-Videos, in dem der angebliche Journalist spricht.
Allein auf Tiktok wurde der Videoausschnitt über 125.000 Mal angezeigt. Der Inhalt ist frei erfunden, der Ausschnitt stammt aus einer 3Sat-Sendung über Verschwörungen. (Quelle: Tiktok; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Verschwörungsvideo von 3Sat ist „von Anfang bis Ende“ erfunden und im Original auch so deklariert

Unter dem Twitter-Beitrag, in dem das gut zwei Minuten lange Video geteilt wird, postete ein Nutzer einen Youtube-Link. Dort findet sich ein Video der ganzen Sendung, sie dauert fast eine Stunde. Dazu heißt es, sie sei am 6. September 2012 auf 3Sat ausgestrahlt worden. Andere Videos der Sendung wurden mit denselben Angaben auf Youtube veröffentlicht.

In der 3Sat-Mediathek ist die Sendung nicht mehr abrufbar, unsere Anfrage an die Pressestelle von 3Sat, ob sie an besagtem Tag lief, wurde bislang nicht beantwortet. Mehrere Medien und andere Portale schrieben 2012 über die Sendung. In einem Facebook-Beitrag von 2012 bewarb die 3Sat-Redaktion ein Interview mit dem angeblichen Enthüllungsjournalisten Frank Peter Hellmann – dass die Person nur erfunden ist, wird aus dem Beitrag aber nicht ersichtlich.

Bei Minute 3:49 der 3Sat-Sendung beginnt jener Part des Videos, der in Sozialen Netzwerken aktuell geteilt wird. Bei Minute 7:13 sagt Moderator Scodel dann „Natürlich haben Sie es gemerkt, dieser Film war ein Fake und ist erfunden von Anfang bis Ende“. Dieser Teil fehlt im verbreiteten Ausschnitt. Die Formel, die im Beitrag gezeigt wird (Minute 4:43) und die angeblich eine benebelnde Wirkung haben soll, sei übrigens die Formel von Alkohol. Der Film enthalte aber, so Scobel, „wie jede gute Verschwörungstheorie“, Elemente, „die einen für Momente ins Grübeln bringen“. 

Ein Youtubevideo, in dem die chemische Formel C2H6O eingeblendet wird.
Die im Verschwörungsvideo auf 3Sat eingeblendete chemische Summenformel ist die von Ethanol – also dem, was umgangssprachlich als Alkohol bezeichnet wird(Quelle: Youtube; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Der kurze Beitrag von 3Sat sieht also auf den ersten Blick wie eine echte Dokumentation aus, sein Inhalt ist aber frei erfunden. Solche inszenierten Dokumentarfilme, die den Zuschauenden etwas vortäuschen, werden auch Mockumentaries genannt (aus dem Englischen „to mock“: vortäuschen, nachahmen, verspotten). In der Regel könne man sie an den „auf die Spitze getriebenen Unwahrscheinlichkeiten“ erkennen, wie die Universität Kiel schreibt.

Ein erfundener Journalist und ein Historiker, der Desinformation verbreitet

Nachdem der Moderator Scobel den Film als Fälschung enttarnt, stellt er die Gäste seiner Sendung vor, mit denen er über Verschwörungen diskutiert. Einer davon ist Daniele Ganser, eine Schweizer, der als Historiker, Energie- und Friedensforscher vorgestellt wird. Ganser verbreitete später, im Jahr 2014, in einem Vortrag Verschwörungstheorien zu dem Anschlag auf das World Trade Center, schrieb das Schweizer Magazin Republik. Mittlerweile äußert er sich zu Themen wie Corona und dem russischen Angriffskrieg, die FAZ nannte ihn kürzlich den „Star der Putin-Versteher“. In einem Hintergrundtext von uns über eine prorussische Influencerin kommt er am Rande ebenfalls vor. Gegen Gansers öffentlichen Auftritte gab es in der jüngeren Vergangenheit Proteste

Und wer ist der Mann, der im Verschwörungsvideo als Journalist Frank Peter Hellmann auftritt? Er ist kein Journalist, sondern Schauspieler und heißt eigentlich anders. Wir konnten ihn ausfindig machen und haben mit einer Vertreterin seiner Agentur telefoniert. Die bestätigt, dass er damals in dem Video mitgespielt hatte. Er habe aber nach der Ausstrahlung „schlimmste Drohungen” erhalten, deswegen bitte er, namentlich nicht genannt zu werden.

Redigatur: Paulina Thom, Uschi Jonas

Korrektur, 17. April 2023: Wir haben in einer Bildunterschrift korrigiert, dass C2H6O nicht die Struktur- sondern die Summenformel von Ethanol ist.